Influenza

Cystus052: seriöse Option zur Influenza-Prophylaxe?

Von Holger Kiesewetter, Stefan Ludwig und Oliver Planz Angesichts der aktuellen Influenza-Pandemie forderte die WHO-Generaldirektorin Margaret Chan eindringlich dazu auf, alle Möglichkeiten für dringend benötigte neue diagnostische, prophylaktische und therapeutische Optionen im Kampf gegen die Seuche gemeinsam zu prüfen [1]. Eine dieser Optionen könnte ein Heilpflanzenextrakt sein, dessen antivirale Potenz – vor allem gegen Influenzaviren – seit wenigen Jahren intensiv erforscht wird (Pflanze: Cistus incanus, Extraktbezeichnung: Cystus052).Aus gegebenem Anlass werden im Folgenden die neuesten Ergebnisse zu Cystus052 vorgestellt (in vitro, in vivo, klinisch). Die grundlegenden experimentellen Arbeiten zur antiviralen Wirksamkeit im Zellkulturversuch [2] und im Tiermodell [3] wurden bereits in der DAZ 19/2009 zusammengefasst dargestellt [4].

 

Resistenzentwicklung

In vitro wurde geprüft, ob Influenza-A-Viren gegen Cystus052 resistente Virusvarianten bilden können. Hierzu wurden in einem Multipassagierungsexperiment die viralen Titer aus mit dem Pflanzenextrakt behandelten Zellen bestimmt, im Vergleich zu unbehandelten sowie zu mit Amantadin behandelten Zellen (gegen Amantadin bilden Influenzaviren rasch resistente Varianten [5]). Es zeigte sich, dass die Virustiter aus Amantadin-behandelten Zellen bereits nach der vierten Passage signifikant anstiegen und in der fünften bzw. sechsten Passage aufgrund der Bildung resistenter Varianten nicht mehr von den Titern unbehandelter Zellen zu unterscheiden waren. Im klaren Gegensatz hierzu stand, dass Cystus052 auch in der fünften Passage noch unverändert gleiche antivirale Aktivität wie in der ersten Passage aufwies. Dies verdeutlicht, dass der Zistrosenextrakt, obwohl er initial die Virusreplikation weniger effizient hemmt als Amantadin, gegenüber dem Adamantanderivat bei späteren Passagen im Vorteil ist, da er keine Bildung resistenter Varianten auslöst. Vermutlich, weil sich die Viren der postulierten direkten, unspezifischen, physikalischen Blockierung nicht durch einzelne Mutationen entziehen können.

Wirkung bei Vogelgrippe- und Schweinegrippeviren

Weitere In-vitro-Experimente klärten, ob Cystus052 auch gegen Vogelgrippeviren aktiv ist. Hierzu wurden der Pflanzenextrakt und zum Vergleich der Neuraminidasehemmer Oseltamivir gegen sieben verschiedene H5N1-Vogelgrippeviren getestet, die 2006/2007 aus toten Vögeln in Deutschland isoliert worden waren. Die Behandlung der virusinfizierten Zellen im Zellkultursystem sowie die verwendeten Konzentrationen der Substanzen wurden wie bereits publiziert durchgeführt [2, 3].

Es wurde deutlich, dass der spezielle Zistrosenextrakt Cystus052 gegen alle untersuchten H5N1-Influenzaviren antiviral wirkte, während dies bei Oseltamivir nur bei zwei Stämmen der Fall war. Quantitativ hatte der Pflanzenextrakt eine rund 100-fach höhere antivirale Aktivität als der Neuraminidasehemmer. Die Toxizitätsprüfung von Cystus052 zeigte, dass der Extrakt erst ab einer sehr hohen Konzentration von 1,16 ± 0,001 mg/ml die Viabilität der Kulturzellen um 50% schädigt (EC50). Diese geringe Zelltoxizität wird durch die klinische Anwendung des Extraktes bestätigt (gute Verträglichkeit, praktisch keine Nebenwirkungen).

In jüngsten Studien zeigte sich, dass der Pflanzenextrakt Cystus052 in vitro auch gegen den weltweit zirkulierenden Erreger der Schweine-/Mexikogrippe, ein H1N1-Influenzavirus, antivirale Aktivität entfaltet. Und zwar in dem Umfang, wie er bereits hinsichtlich anderer Influenzaviren publiziert wurde [2].

Effekte auf Epithelzellen

Entscheidend für die Sicherheit und den Zulassungsstatus des Zistrosenextraktes als Medizinprodukt ist die Frage, ob es zu Wechselwirkungen mit Epithelzell-Oberflächen kommt.

Cystus052 in antiviral wirksamen Konzentrationen hatte keine negativen Effekte auf das Überleben normaler Epithelzellen, tangierte nicht das Zellwachstum oder die Vitalität der Zellen, führte nicht zur Apoptose und induzierte weder rezeptorvermittelte intrazelluläre Vorgänge wie Transkriptionsfaktor-Aktivierung, noch hemmte er die durch Ligandenbindung an zelluläre Oberflächenrezeptoren induzierte Aktivierung solcher Faktoren [2]. Der Extrakt beeinflusste also den Zustand von Epithelzellen weder durch physikalische Bindung noch durch pharmakologische Wirkung. Darüber hinaus zeigten weitere Untersuchungen, dass der Extrakt auch nicht die Zellmorphologie beeinflusste oder die Proliferation bzw. den Metabolismus der untersuchten Zellen veränderte.

Antivirale Effekte im Tiermodell

Zur Analyse des antiviralen Cystus052-Effektes gegen Influenzaviren in vivo wurden Balb/c-Mäuse mit dem Fowl Plague Virus (FPV), einem hochpathogenen aviären Influenzavirus, infiziert. Die vorherige Verträglichkeitsprüfung zeigte, dass der Pflanzenextrakt in einer Konzentration von 10 mg/ml keine Veränderungen bezüglich des Gewichtsverlaufs bzw. des generellen Gesundheitszustandes der Tiere hervorrief, also nebenwirkungsfrei war. Auch die gewählte Aerosolapplikation von Cystus052 erwies sich für Mäuse als gut verträglich.

Die dreimal tägliche Behandlung mit 2 ml Cystus052-Extrakt (10 mg/ml) resp. H2 O als Kontrolle begann am Tag der Infektion und wurde fünf Tage lang fortgeführt. Direkt nach der ersten Applikation wurden die Mäuse mit FPV in einer LD50 entsprechenden Virusdosierung infiziert. Acht Tage post infectionem entwickelten alle Mäuse in der Kontrollgruppe klinische Symptome, eine signifikante Reduktion ihres Körpergewichts sowie starke Störungen der Vitalität (gemessen mittels zirkadianer Temperatur-Verläufe und Aktivität), 60% der Tiere verstarben. Die mit Cystus052 behandelten Mäuse zeigten keinerlei krankheitsspezifische Symptome, eine nur geringe Abnahme des Körpergewichts sowie keine Störung der Vitalitätsparameter, kein Tier verstarb. Die orale Gabe von Cystus052 mit dem Futter zeigte nach FPV-Infektion im Gegensatz zur Aerosol-Behandlung keine antiviralen Effekte, was die Hypothese einer physikalischen Blockade der Virusbindung an Wirtszellen unterstützt und gegen einen intrazellulären, systemischen Mechanismus spricht (Kontakt mit dem Nasen-Rachenraum ist bei Wirkstoffgabe als Futter gering, als Aerosol oder Lutschtablette jedoch hoch).

Klinische Studien

Bislang wurden mehrere Studien zur Untersuchung der Wirkung von Cystus052 durchgeführt. So wurde die gute Wirksamkeit einer polyphenolreichen Flüssigzubereitung (Medizinprodukt: Cystus052® Sud) bei schmerzhaften Infekten im Mund- und Rachenraum in einer Anwendungsstudie mit 53 Patienten gezeigt [6]. Die ebenfalls polyphenolreiche Kontrollzubereitung (grüner Tee) zeigte sich signifikant schwächer wirksam als der spezielle Zistrosenextrakt. Bei 75% der Patienten der Verumgruppe verschwanden die Beschwerden zwischen dem 3. und 7. Behandlungstag, in der Kontrollgruppe (grüner Tee) nur bei 40% der Probanden.

Eine zweite Untersuchung mit 300 Patienten mit Infektionen der oberen Atemwege verglich die Anwendung von Cystus052 als Tablette (Verum) mit der Applikation von grünem Tee (Vergleich) [7]. In die prospektive, randomisierte, offene Studie wurden 300 Personen mit durch Rachenabstrich verifizierten Infekten eingeschlossen. Die Erregergruppen verteilten sich vor allem auf Bakterien (54,3%) und Viren (43,7%), etwa 20% der viralen Infektionen waren durch Influenzaviren bedingt. Die Behandlung begann beim ersten Auftreten von Beschwerden, im Durchschnitt 2,2 Tage nach Infektionsbeginn. Die Verumtherapie bestand aus der sechsmal täglichen Anwendung von jeweils zwei Cystus052-Tabletten (etwa 260 mg Polyphenole [8]). Die Vergleichstherapie begann am ersten Behandlungstag mit dem Gurgeln und Schlucken von achtmal täglich 100 ml grünem Tee (etwa 480 mg Polyphenole [9]). Während der Folgetage wurde diese Dosierung auf viermal täglich 100 ml Grüntee halbiert. Die Behandlungs- und Nachbeobachtungsdauer betrug bis zu sieben Tage. Die subjektiven Beschwerden wurden mit einem fünf Items umfassenden Beschwerdescore erfasst (Schmerzen, Husten-Intensität, Husten-Frequenz, Rhinorrhö, Auswurf; Summenscore: 0 – 30).

In der Verumgruppe zeigte sich über einen Therapiezeitraum von durchschnittlich 3,2 Tagen eine Verbesserung des Beschwerdescores um 57,8%. Die übrigen Patienten berichteten über unverändert anhaltende oder sich verschlechternde Beschwerden. Die Behandlungsergebnisse unterschieden sich nicht nach der Pathogengruppe (Bakterien, Viren). Die Vergleichsgruppe zeigte eine signifikant geringere Verbesserung ihrer Beschwerden (p < 0,001, Abb. 1). Als weiterer Parameter der Behandlungseffektivität wurde die Änderung des Beschwerdescores zwischen den beiden Arztbesuchen erfasst. In der Cystus052-Gruppe nahm der mediane Beschwerdescore von 12 auf 8 ab, während er in der Vergleichsgruppe von 12 auf 14 anstieg (Unterschied statistisch signifikant, p < 0,001). Als Nebenwirkung wurden vor allem Übelkeit und Schwindel erfasst (Cystus052-Gruppe 14,9%, Grüntee-Gruppe 35,3%).

Der Pflanzenextrakt ist demzufolge signifikant wirksamer bei der Verkürzung der Erkrankungsdauer und Reduktion der Symptomstärke bei Patienten mit Infektionen der oberen Atemwege als die Anwendung von grünem Tee. Zudem kommt es bei Cystus052 zu einem deutlich rascheren Wirkungsbeginn als unter grünem Tee. Die beobachteten Cystus052-Effekte scheinen unabhängig von dem infektiösen Agens zu sein, was wiederum die These unterstützt, dass die im Zistrosenextrakt enthaltenen hochpolymeren Polyphenole [10] unspezifisch durch eine reversible, biophysikalische Interaktion mit einer Vielzahl von Bakterien und Viren wirken und so deren Infektiosität verringern. Da diese Polyphenole nicht oder nur in verschwindend kleinen Mengen resorbiert werden [11, 12], muss auch aufgrund dieser Ergebnisse von einer direkten topischen Wirkung auf im Respirationstrakt befindliche Bakterien und Viren ausgegangen werden.

In einer weiteren multizentrischen, prospektiven, randomisiert durchgeführten, placebokontrollierten Studie im Parallelgruppenvergleich-Design wurde die Wirksamkeit von Cystus052 bei Infekten des oberen und unteren Respirationstraktes nachgewiesen (Studie in Publikation).

Zusammenfassung

Präparate aus dem Zistrosenextrakt Cystus052 sind wirksame und sichere Medizinprodukte. Ihre Wirkung ist wegen der Größe der Polyphenole rein physikalisch zu erklären. Zudem ist die Wirkung lokal beschränkt und zeigt sich unabhängig von dem Erregerspektrum. Bakterien und Viren werden physikalisch blockiert, wodurch Infektionen verhindert und Reinfektionen verringert werden können. Es gibt keine Hinweise auf pharmakologische, systemische Wirkungen von Cystus052. Hierfür sprechen auch fehlende produktbezogene Nebenwirkungen.

Berücksichtigt man die grundsätzlichen Probleme bei der Zanamivir-Inhalation, die aktuellen Resistenzprobleme bei Oseltamivir, die weitgehende Untauglichkeit von antiviralen M2 -Blockern oder die noch immer erhebliche Dauer, bis eine ausreichende Impfstoffproduktion beginnt, sind pflanzliche Präparate mit antiviraler Wirkung, freiem Produktzugang jenseits der im Pandemieplan vorgesehen Verteilungswege für Neuraminidasehemmer, fehlenden Nebenwirkungen, ausbleibender Resistenzentwicklung und hoher Akzeptanz bei den Anwendern ideale Produkte, um bestehende Konzepte der Influenza-Seuchenkontrolle sinnvoll und bevölkerungsnah zu ergänzen.

 

Literatur

[1] Chan M. Concern over flu pandemic justified. Auftaktrede bei der Weltgesundheitsversammlung, Genf, 18. Mai 2009.

[2] Ehrhardt C, Hrincius ER, Korte V, Mazur I, Droebner K, Poetter A, Dreschers S, Schmolke M, Planz O, Ludwig S. A polyphenol rich plant extract, CYSTUS052, exerts anti influenza virus activity in cell culture without toxic side effects or the tendency to induce viral resistance. Antiviral Res 2007 Oct;76(1):38–47.

[3] Droebner K, Ehrhardt C, Poetter A, Ludwig S, Planz O. CYSTUS052, a polyphenol-rich plant extract, exerts anti-influenza virus activity in mice. Antiviral Res 2007 Oct;76(1):1–10.

[4] Dingermann T, Schubert-Zsilavecz M, Winckler T, Zündorf I. Cystus052® gegen die Amerikanische Grippe? Dtsch Apoth Ztg 2009; 149(19): 2160–3.

[5] Hay AJ, Wolstenholme AJ, Skehel JJ, Smith MH. The molecular basis of the specific anti-influenza action of amantadine. EMBO J 1985 Nov;4(11):3021–4.

[6] Kiesewetter H. Cystus Sud zur lokalen Behandlung der Tonsillopharyngitis. Erfahrungsheilkunde 2002; 11:792–3.

[7] Kalus U, Kiesewetter H, Radtke H. Effect of CYSTUS052® and green tea on subjective symptoms in patients with infection of the upper respiratory tract. Phytother Res 2009 May 14.

[8] Cystus 052 Infektblocker® Tabletten, PZN 59 93 750. Hersteller: Dr. Pandalis Urheimische Medizin GmbH und Co. KG, 49219 Glandorf.

[9] Morgentau® aromatisierter Grüntee. J.T. Ronnefeldt KG, 60486 Frankfurt.

[10] Petereit F, Kolodziej H, Nahrstedt A. Flavan-3-ols and proanthocyanidins from Cistus incanus. Phytochemistry 1991;30(3):981–5.

[11] Attaguile G, Caruso A, Pennisi G, Savoca F. Gastroprotective effect of aqueous extract of Cistus incanus L. in rats. Pharmacol Res 1995 Jan;31(1):29–32.

[12] Attaguile G, Russo A, Campisi A, Savoca F, Acquaviva R, Ragusa N, Vanella A. Antioxidant activity and protective effect on DNA cleavage of extracts from Cistus incanus L. and Cistus monspeliensis L. Cell Biol Toxicol 2000;16(2):83–90.

 

 

Autoren 

 

Prof. Dr. Dr. Holger Kiesewetter

Institut für Transfusionsmedizin

Charité – Universitätsmedizin Berlin Charitéplatz 1, 10117 Berlin

 

 

Prof. Dr. Stephan Ludwig

Institut für Molekulare Virologie

Universität Münster

Von-Esmarch-Str. 56, 48149 Münster

 

 

Prof. Dr. Oliver Planz

Friedrich-Löffler-Institut

Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit Tübingen

Paul-Ehrlich-Straße 28, 72076 Tübingen

 

 

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