Arzneimittel und Therapie

Metastudie: Es gibt doch kein Depressions-Gen

Es wurde vor wenigen Jahren als sensationelles Ergebnis einer dreijährigen Studie gefeiert und erschien in der renommierten Fachzeitschrift Nature Neuroscience: Depressionen sollten auf einen bestimmten Genotyp des Serotonin-Transporter-Gens zurückzuführen sein. Amerikanische Wissenschaftler haben jetzt in einer Metastudie nachgewiesen, dass es keinen Zusammenhang zwischen diesem sogenannten 5-HTTLPR-Polymorphismus, hohen Belastungen durch kritische Lebensereignisse und einer erhöhten Inzidenz von Depressionen gibt.
Die Gene sind nicht für alles verantwortlich: Depressionen lassen sich nicht auf einen bestimmten Genotyp des Serotonin-Transporters zurückführen. Amerikanische Wissenschaftler widerlegten damit eine ­frühere Studie.
Foto: Klosterfrau

Etwa vier Millionen Menschen in Deutschland leiden an Depressionen, die sich in unterschiedlichen Formen manifestieren. Seit Langem wird nach möglichen genetischen Ursachen für derartige affektive Störungen gesucht. Verschiedene Kandidatengene sind mit dem Auftreten von Depressionen in Verbindung gebracht worden; sie codieren Enzyme bzw. Rezeptoren, die vor allem im Serotoninstoffwechsel eine wichtige Funktion haben: hierzu gehören der Serotoninrezeptor 2A (5-HT2A), die Tyrosinhydroxylase (TH) und die Tryptophanhydroxylase 1 (TPH1). Auch die Catechol-O-Methyltransferase (COMT) ist offensichtlich mit dem Auftreten von Depressionen verbunden.

Serotonin-Transporter-Gen ursächlich für Depressionen?

Das Serotonin-Transporter-Gen weist in der Promoter-Region einen Polymorphismus (5-HTTLPR), das heißt eine unterschiedliche Struktur bei verschiedenen Menschen, auf. 5-HTTLPR steht dabei für Serotonin (5-HT) Transporter (T) Length (L) Polymorphic (P) Region (R). Das Gen befindet sich auf dem Chromosom 17. Der Polymorphismus tritt als sogenannter unterschiedlicher Längenpolymorphismus mit einem kurzen und einem langen Allel auf. Auch zeigten neuere Ergebnisse, dass dieser Polymorphismus offensichtlich einen bedeutenden Einfluss auf die Reaktivität der Mandelkerne hat. Bereits früher war er mit Depression, Angststörungen und bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen in Verbindung gebracht worden. Träger des kurzen Allels seien empfindsamer auf psychosoziale Stressbelastungen. Das Risiko, an einer Depression zu erkranken, sei doppelt so hoch wie bei Trägern des langen Allels.

Von 26 Veröffentlichungen, die bis März 2009 zu der Thematik erschienen waren, waren 14 Studien für eine Metaanalyse geeignet, und die amerikanische Arbeitsgruppe des Genetikers Neil Risch konnte so die ihnen zugrunde liegenden Originaldaten von über 14.000 Probanden auswerten. Die Wissenschaftler fanden zwar eine Verbindung zwischen der psychischen Störung und emotionaler Belastung, es gab jedoch keinen Hinweis darauf, dass der Genotyp des Serotonin-Transporters allein oder in Verbindung mit belastenden Lebensereignissen auch mit einem erhöhten Risiko für Depressionen assoziiert ist. Das trifft sowohl auf Männer als auch auf Frauen zu.

Die Wissenschaftler kritisieren, dass die Geschichte von genetisch bedingten Depressionen auch in der Wissenschaftswelt übereilt akzeptiert wurde und dabei sogar Eingang in das öffentliche Bewusstsein gefunden habe: Einzelne positive Studien stellten noch keinen Beweis für ein genetisch bedingtes Erkrankungsrisiko dar.

 

Quelle

Pezawas, L.; et al.: 5-HTTLPR polymorphism impacts human cingulate-amygdala interactions: a genetic susceptibility mechanism for depression. Nature Neurosci. 2005, 8(6); 828 – 834.

Risch, N.: Interaction Between the Serotonin Transporter Gene (5-HTTLPR), Stressful Life Events, and Risk of Depression: A Meta-analysis. J Am Med Ass 2009, 301(23); 2462 – 2471.

 

Dr. Hans-Peter Hanssen

 

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