Praxis

Retaxfalle Ungenaue Verordnung

(tmb). Ärztliche Verordnungen dürfen nur beliefert werden, wenn sie eindeutig sind. Doch der Apothekenalltag zeigt, dass nicht immer eindeutig ist, ob eine Verordnung eindeutig ist. Was zunächst wie Wortklauberei erscheinen mag, ist der Unterschied zwischen Theorie und Praxis: Der Apotheker berücksichtigt bei der Interpretation eines Rezeptes die Gesamtumstände und kann damit zu einem eindeutigen Ergebnis kommen, das im Einzelfall von der isolierten Bedeutung der Buchstaben abweichen kann. Leider kann dies für den Apotheker zu einer teuren Retaxfalle werden.

Die Interpretation von Rezepten gilt als klassische pharmazeutische Kunst. Ginge es nur um das Lesen der Buchstaben und die Anwendung eindeutiger Verwaltungsregeln, könnte diese Aufgabe auch von Automaten erfüllt werden. Doch so einfach ist es eben nicht. Wie bei jeder anspruchsvollen Kommunikation gehören zur Interpretation der Buchstaben und Zahlen auch manche Begleitumstände. Erst alles zusammen ergibt die vollständige Information. Dies ist eine Binsenweisheit der Kommunikationswissenschaft – und trotzdem entstehen dadurch immer wieder Kontroversen zwischen Krankenkassen und Apotheken.

Problemfall manuelle Verordnung

Schwierigkeiten drohen insbesondere, wenn das Rezept in der Arztpraxis manuell erstellt und dabei nicht die exakte Bezeichnung mit der eindeutigen Pharmazentralnummer aus dem Datenstammsatz übernommen wird. Für den Apotheker kann trotzdem klar sein, was gemeint ist. Doch sehen die Prüfstellen in solchen Fällen mitunter andere Interpretationsmöglichkeiten mit geringeren Preisen. Besonders typisch ist das Problem bei nachgereichten Rezepten für den Sprechstundenbedarf. Obwohl Arzt und Apotheker wissen, was gemeint war und dies auch korrekt geliefert wurde, wird die Apotheke nicht selten auf die Differenz zur preisgünstigeren anderen Interpretation der Verordnung retaxiert. Retaxfallen-Autor Dieter Drinhaus nennt dies die "Verordnung ungenau-Falle".

Dies alles wäre noch kein großes Problem, wenn der Arzt seine Verordnung nachträglich korrigieren könnte. Das wäre allenfalls ein vergleichsweise geringer bürokratischer Ballast, über dessen Sinnhaftigkeit sich angesichts ständig zunehmender Verwaltungskosten streiten ließe. Doch das Problem ist viel größer, weil genau diese "Heilung" nach den zumeist geltenden Regelungen nicht mehr zugelassen ist. Das Rezept, das eigentlich nur den Willen des Arztes dokumentieren soll, wird damit höher bewertet als der Willen selbst.

Für die Alltagsarbeit in der Apotheke bedeutet dies, dass bei manuell erstellten Rezepten immer zwei Überlegungen angestellt werden müssen: Erstens, was meint der Arzt mit der Verordnung? Und zweitens, ergibt sich diese Bedeutung auch bei einer strengen Anwendung aller bürokratischen Interpretationsregeln? Aus dem Retaxforum hat Apotheker Dieter Drinhaus einige typische Beispiele ausgewählt, bei denen dieses Problem zu Retaxationen geführt hat.

Variante 1: Billigste oder gebräuchliche Version?

Im ersten Beispiel hatte die Arztpraxis "einmal zehn Infanrix Hexa Ampullen" telefonisch vorbestellt. Dieser Impfstoff wurde auch von der Apotheke geliefert. Auf dem nachgereichten Rezept über diesen Sprechstundenbedarf verordnete der Arzt "Infanrix 10 St.". Leider übersahen Arzt und Apotheker, dass es neben dem gewünschten und gelieferten Sechsfach-Impfstoff Infanrix Hexa auch den zumindest von diesem Arzt seltener gebrauchten Dreifach-Impfstoff Infanrix gibt. Eine Interpretation bei der Belieferung erübrigte sich in diesem Fall ohnehin, weil bei der mündlichen Bestellung keine Unklarheit bestand. Doch das eingereichte Rezept wurde um 186,– Euro retaxiert (Abb. 1).

Variante 2: Für Erwachsene oder für Kinder?

Auch dem zweiten Beispiel liegt eine telefonische Verordnung zugrunde. Der Arzt hatte "FSME-Impfstoff für Erwachsene" bestellt und erhalten und anschließend ein Rezept über "FSME Fertigspritzen Nr. 10" ausgestellt. Doch gibt es außer dem Impfstoff für Erwachsene einen preisgünstigeren Impfstoff für Kinder. Auch wenn aus dem Zusammenhang offensichtlich ist, dass Erwachsene geimpft werden sollen, bleibt der Kinderimpfstoff als preisgünstigste Interpretation der Verordnung. Daher wurde auch hier die Apotheke mit der Preisdifferenz belastet.

Variante 3: Stückzahl oder Stärke?

Das dritte Beispiel zeigt, dass unterschiedliche Interpretationen nicht nur bei nachträglich ausgestellten Verordnungen auftreten können. Verordnet waren "Skid 50 Tbl. N2". Die Packungen mit 20 und 50 Tabletten tragen beide die Normgrößenbezeichnung N2. Abgegeben wurde die Packung mit 50 Tabletten, doch die Krankenkasse retaxierte auf die kleinere Packung mit 20 Tabletten – mit der Begründung, die Angabe "50" beziehe sich auf die Stärke in Milligramm und nicht auf die Stückzahl.

Der Apotheker wandte sich dagegen mit dem Argument, Skid Tabletten seien im Datenstammsatz ohne Stärkenangabe im Namen, also nur als "Skid" verzeichnet. Dagegen werden Skid Tabletten mit 100 mg als "Skid 100" bezeichnet. Demnach konkretisiere die "50" im Beispiel die uneindeutige Mengenangabe N2. Die Prüfstelle lehnte den Einspruch zunächst ab, nach fünf Briefen und drei Telefonaten nahm sie die Retaxation über 6,13 Euro dann aber doch zurück, berichtet Dieter Drinhaus. Der Arzt hatte in diesem Fall die Verordnung von 50 Tabletten dokumentiert und dies der Apotheke nachträglich bestätigt.

Variante 4: Einzel- oder Bündelpackung?

Im vierten Beispiel geht es wieder um Sprechstundenbedarf. Verordnet wurden "Klean-Prep Shaker 12 St." (Abb. 2). Im Handel sind 1 Shaker mit 4 Beuteln und für den Sprechstundenbedarf die hier gemeinten 12 Shaker mit je 4 Beuteln. Die Prüfstelle ging hier davon aus, dass 12 Beutel verordnet wurden. Da eine solche Größe nicht im Handel ist, hätte die Apotheke laut Rahmenvertrag ein Vielfaches der nächstkleineren Packung, also 3 Shaker mit je 4 Beuteln, liefern sollen. Der Apotheker wandte dagegen ein, dass ein Patient für eine Koloskopievorbereitung alle vier Beutel benötigt, die er mit dem im Set befindlichen Shaker zubereiten muss. Daher bilde 1 Shaker mit 4 Beuteln eine Packungs- und Abgabeeinheit. Die gewünschte Lieferung umfasst daher 12 Shaker mit insgesamt 48 Beuteln. Diese Interpretation wurde durch die Arztpraxis und sogar durch den Hersteller bestätigt. Auch der zuständige Apothekerverband teilt diese Auffassung und intervenierte hier, doch die Prüfstelle blieb bei der Retaxation.

Da die Retaxationen sich auf Zeiträume bis zu einem Jahr rückwirkend beziehen und der Arzt die Shaker regelmäßig verordnet, waren in der Zwischenzeit viele gleichlautende Rezepte ausgestellt worden, die nicht mehr korrigiert werden konnten. Daher trafen noch zahlreiche entsprechende Retaxationen ein. Nach Bekanntwerden der ersten Beanstandung hatte der Arzt selbstverständlich seine Verordnungsweise auf "Shaker 12 St. (× 4 Btl.)" umgestellt. Der "Retaxfallen"-Autor berichtet, dass gerade diese Änderung der Apotheke bei Einsprüchen gegen weitere Retaxationen vorgehalten wurde. Denn nun verordne der Arzt in der korrekten Weise und unterscheide damit offenbar zwischen den verschiedenen Verordnungsweisen.

In einem extremen Fall retaxierte die Prüfstelle die fragliche Verordnung sogar auf nur 1 Shaker (Abb. 3). Diese Retaxation wurde allerdings nach einem Einspruch sofort zurückgenommen.

Tipps für die Praxis

Als Konsequenz aus solchen Erfahrungen empfiehlt Retaxfallen-Autor Dieter Drinhaus, besonders bei manuellen Verordnungen für den Sprechstundenbedarf genau zu prüfen, ob gelieferte und verordnete Produkte genau übereinstimmen und ob andere Interpretationen möglich sind. Aus der pharmazeutischen Praxis heraus ist allerdings kaum nachvollziehbar, dass bei Verordnungen über Sprechstundenbedarf die gleichen bürokratischen Formalitäten wie bei Einzelrezepten anzuwenden sind. Denn hier geht es um Lieferungen zwischen Fachleuten, die in der Apotheke und in der Arztpraxis vielfach dokumentiert sind. Das Rezept beschreibt oft nur, was bereits stattgefunden hat.

Daher ist es gerade in diesem Fall besonders unlogisch, nachträgliche Korrekturen auszuschließen. Doch so kommt es leider vor, dass die Lieferung von Sprechstundenbedarf wegen eines vergessenen Datums oder einer nicht eindeutigen Verordnung nicht bezahlt wird.

 

Retaxfallen: eine Sammlung aus der Praxis

Retaxationen sind ein "Dauerbrenner" in der Apothekenpraxis. Davon zeugt insbesondere die Arbeit des Apothekers Dieter Drinhaus aus Eichendorf. Mit Unterstützung vieler Kollegen erstellte er eine Sammlung der 50 wichtigsten "Retaxfallen" im Apothekenalltag. Eine Veröffentlichung dieser Sammlung als Buch ist in Vorbereitung. Die "Fallen" werden darin laufend aktualisiert werden. Wenn Sie das Buch kaufen möchten, können Sie es jetzt schon bestellen:
ISBN: 978-3-7692-5000-8
Tel. (0711) 2 58 23 41 oder
Vorab präsentiert die DAZ-Redaktion Ihnen schon jetzt einige besonders wichtige Erfahrungen aus dieser Arbeit.
Abb. 1: Der fehlende Zusatz Hexa führte bei der Infanrix-Verordnung für den Sprechstundenbedarf zu einer Retaxation von 186 Euro.
Abb. 2: Statt 12 Shakern mit den dazugehörigen 48 Beuteln bezahlte die Krankenkasse nur 3 Shaker mit 12 Beuteln, das heißt: Sie erkannte statt 220,48 Euro nur 65,28 Euro als Rechnungsbetrag an.
Abb. 3: In diesem extremen Fall wollte die Krankenkasse bei der Verordnung von 12 Shakern nur 1 Shaker bezahlen. Diese Retaxation wurde jedoch zurückgenommen.

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