Online-Versandhandel

Neue Sumpfblüte des Online-Versandhandels

Ferndiagnose per Fragebogen, Rx-Arzneimittel ohne Rezept

Von Janna K. Schweim und Harald G. Schweim

Online-Anbieter versuchen immer häufiger ihre illegalen Angebote verschreibungspflichtiger Arzneimittel zu "tarnen", indem Kaufinteressenten gebeten werden, vor dem Erwerb "medizinische Fragebögen" auszufüllen. Die Bögen werden dann – angeblich – von einem Arzt "geprüft", und von diesem Arzt ein Rezept erstellt, das direkt an die Versandapotheke gesandt und der Versand somit "freigegeben" wird. Der Kunde erhält nur eine entsprechende Zahlungsanweisung, und – angeblich – wird das Arzneimittel nach Zahlungseingang versandt. In Deutschland ist diese Art der "Ferndiagnostik", das heißt, der Versand von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln ohne Untersuchung vom Arzt [1] und ohne ein gültiges Rezept, verboten.

Nicht so in Großbritannien [2], nicht einmal Englisch brauchen Sie zu können (siehe Abb. 1).

Oder, noch etwas "geschickter", indem auf viele Warnungen an die Verbraucher vorwegnehmend eingegangen wird (Abb. 2).

Deutsche Zollbehörden, mit denen wir zusammenarbeiten, haben sich an uns gewandt und um eine Einschätzung der Situation gebeten, da offensichtlich Unsicherheiten über die Legalität solcher Angebote in Deutschland herrschen. Zitat: "Leider mussten wir nun feststellen, dass die geschilderte Vorgehensweise (Online-Konsultation) in GB völlig legal ist." Bedauerlicherweise mussten wir konstatieren, dass die Zollbehörden Recht haben. Online-Konsultationen sind in Großbritannien völlig rechtskonform. Aber auch von anderen Versandapotheken, deren Länder auf der sog. deutschen "Länderliste" stehen, z. B. niederländischen Versandapotheken, wird behauptet, dass "Online-Rezepte" in ihrem Land legal sind:

"Sehr geehrte Besucher, wir freuen uns ihnen auf dieser Seite über die Möglichkeiten informieren zu können, original EU Medikamente, per Onlinerezept, in einer in Holland zugelassenen Apotheken legal bestellen zu können. Seit längerem kann man in einigen europäischen Ländern rezeptpflichtige Medikamente bestellen und sich für diese Medikamente, durch das Ausfüllen eines Onlinefragebogens, von einem Arzt nach dessen Kontrolle des Fragebogens und Zustimmung, ein Rezept ausstellen lassen " [4].

Grundsätzlich darf entweder von einem in Deutschland approbierten Arzt oder einem Inhaber einer Erlaubnis zur Ausübung des ärztlichen Berufes aufgrund der einschlägigen deutschen Gesetze oder von Ärzten in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union, des Europäischen Wirtschaftsraumes (EWR = EU plus Island, Norwegen und Liechtenstein) und der Schweiz (Abkommen über die Freizügigkeit vom 1. Juni 2002) eine Verschreibung (Rezept) ausgestellt werden, die dann von einer Apotheke beliefert werden kann.

Es ist daher offensichtlich möglich, auf diesem Wege an verschreibungspflichtige Arzneimittel zu gelangen, ohne dass die deutsche "Sicherheitsschwelle" der ärztlichen Untersuchung und Beurteilung eingehalten werden muss. Dank der deutschen, von Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt maßgeblich "ge-triggerten" Regeln zum Versandhandel und der unsäglichen "Länderliste", können deutsche Verbraucher die Dienste dieser ausländischen "Unternehmer" vermutlich [5] legal nutzen. Die EU-Richtlinie zum elektronischen Geschäftsverkehr macht es möglich. Sie gewährleistet, dass Dienste der Informationsgesellschaft in der gesamten EU angeboten werden können, sofern sie den im Land des Anbieters geltenden Rechtsvorschriften entsprechen [6]. "Ein im Vereinigten Königreich vereidigter Arzt stellt nach der Ausfüllung eines Online-Fragebogens ein elektronisches Rezept aus, das direkt an eine ebenfalls in Großbritannien eingetragene Apotheke geschickt wird, die die Medikamente versendet" [7].

Das Geschäft muss so lukrativ sein, dass deutschsprachige Webseiten (oder was die Ersteller für Deutsch halten) zum Bestellen angeboten werden (Abb. 3, Auszüge).

Auch eine Art "Gesundheitsakte" ("medizinisches Protokoll") geben die Anbieter vor zu führen, möglicherweise inspiriert von der deutschen Gesundheitskarte (Abb. 4).

Durch Antworten in den FAQ (frequently asked questions) sollen die Verbraucher in Sicherheit gewiegt werden (Abb. 5).

Die Hauptangebote der Website, der die vorstehenden Beispiele entnommen sind, sind "natürlich" Cialis, Levitra und Viagra.

Überprüfen wir nun, was in diesen Fragebögen so erfasst wird und ob es nur im Entferntesten geeignet ist, an eine in Deutschland vorgeschriebene Konsultation eines Arztes heranzureichen. Zuerst persönliche Daten: Besonders beachtenswert, Deutschland ist in der Maske des Fragebogens als Land schon voreingestellt (Abb. 6).

Dann folgen – und einzig darum geht es den Versendern – die Zahlungsdaten (Abb. 7).

Erst dann kommt der so genannte medizinische Fragebogen mit den wenigen, abgebildeten Fragen – eine Mischung aus Richtigem, Unfug, "Fachchinesisch", das kein Laie versteht, und schrecklichem Deutsch (Abb. 8).

Alle Antworten sind im Übrigen so vorbesetzt, wie oben zu sehen, damit der Kunde auch weiß, welche Antwort "erwünscht" ist. Der Fragebogen ist reine "Augenwischerei". Viele Begriffe sind dem Laien unbekannt, viele Erkrankungen völlig unbestimmt erfasst, niemand kann nach dem "Auswerten" des Fragebogens verantwortlich irgendetwas verordnen.

Unter der vorletzten Überschrift "Medikamente" werden dann "Interaktionen und Wechselwirkungen" behandelt. Aber der wichtigste Punkt ist mit Sicherheit wieder der allerletzte, die Zahlung, denn eigentlich geht es ja nur um das Geld des Kunden (Abb. 9).

Angeblich – so steht es neuerdings auf den Web-Seiten vieler Arzneimittelhändler im Internet – ist die Online-Konsultation per Fragebogen und die nachfolgende Online-Verschreibung mit Belieferung durch eine Versandapotheke legal. Als Beispiel haben wir uns vorstehend Großbritannien näher angesehen, wo dieses Vorgehen tatsächlich erlaubt ist. Da bekanntlich Großbritannien auf der Länderliste des BMG steht und somit der Versand aus diesem Land nach Deutschland legal ist, kann das bedeuten, dass Kunden verschreibungspflichtige Medikamente nach britischem Recht allein auf Grund einer Selbstauskunft aus Großbritannien beziehen können und der Gesundheitsschutz durch die in Deutschland bestehende Verschreibungspflicht unterlaufen werden kann. Faktisch läuft dieser Teil des britischen Systems [8] auf eine Selbstverordnung hinaus, wenn die abgefragten Daten auf dem oben dargestellten Niveau erhoben werden. Zusätzlich scheinen illegale Anbieter das System auch noch als "Feigenblatt" zu missbrauchen ohne wirklich Ärzte und Apotheker zu involvieren. Es ist unklar, ob dieses in Deutschland verfolgbar ist, vermutlich kann der Versender, wie es schon die tschechischen Versandapotheken (vor der unsäglichen Änderung der Länderliste) im Verfolgungsfalle erfolgreich getan haben, sich mit Hinweis auf das in seinem Land legale Handeln der Verfolgung entziehen. Unvorstellbar ist allerdings, dass verantwortungsvolle Gesundheitspolitiker, die es ja auch gibt, so etwas wirklich gewollt haben.

Fazit:

Deutsche Ärzte, Apotheker und die Öffentlichkeit sollten sich bewusst machen: Die gesamte Problematik, die sich durch die Versandhandelsfreigabe 2004 bis heute entwickelt hat, von Arzneimittelfälschungen über Pickup-Stellen bis zur hier beschriebenen Online-Konsultation erinnert fatal an Goethes Zauberlehrling: "Herr, die Not ist groß! Die ich rief die Geister, werd ich nun nicht los". Nur, dass die "Lehrlinge", die diese Politik zu verantworten haben, bisher nicht einmal eingesehen haben, was sie anrichten. Leider sind wir sehr pessimistisch, dass sich daran mit den derzeit handelnden Personen etwas ändert. Nach der im Bundesanzeiger veröffentlichten Bekanntmachung vom 29. April 2009 erfüllen neben den Niederlanden und Großbritannien jetzt auch Tschechien und Island den deutschen Sicherheitsstandard beim Versandhandel. Für Tschechien gilt diese Bewertung allerdings nur für den Versandhandel mit nicht-verschreibungspflichtigen Arzneimitteln. Wieso unser Recht die Zulassungen tschechischer Apotheken als "Versandapotheken light" hergibt, erschließt sich uns nicht. Sachkundig kann man sich vor Erstellung dieser Liste genauso wenig gemacht haben wie im Falle der Online-Konsultation in Großbritannien.

Autoren

Dipl.-Jur. Janna K. Schweim, M.Sc., Prof. Dr. Harald G. Schweim, Köln und Universität Bonn, Drug Regulatory Affairs

 

Quellen

[1] Gemäß § 7 Absatz 3 der Musterberufsordnung darf ein Arzt individuelle ärztliche Behandlung, insbesondere auch Beratung, weder ausschließlich brieflich, noch in Zeitungen oder Zeitschriften, noch ausschließlich über Kommunikationsmedien oder Computerkommunikationsnetze durchführen. http://www.bundesaerztekammer.de/downloads/MBOStand20061124.pdf

[2] Registered on-line pharmacies are allowed in the UK and are regulated and controlled by the Royal Pharmaceutical Society of Great Britain. (RPSGB) and a lot more information can be obtained from their website. However, there must be an on-line consultation with a patient before a Dr can issue a prescription but the patient does not have to be physically seen and examined. http://www.rpsgb.org.uk/

 [3] Die Web-Adresse usw. werden bewusst aus Schutzgründen nicht dargestellt bzw. verfremdet. 

[4] http://www.securmedi.com/

 [5] "Vermutlich", weil unseres Wissens die Frage noch von keinem deutschen Gericht abschließend geklärt wurde.

 [6] Dtsch Arztebl 2000; 97(25): A-1726/ B-1480/C-1372.

 [7] Zitat von der Internetseite einer Versandapotheke

 [8] Das britische System ist sehr komplex. Näheres in: Online medical consultations: legal, ethical and social perspectives. George, Carlisle and Duquenoy, Penny (2008) Online medical consultations: legal, ethical and social perspectives. In: Ethical, legal, and social issues in medical informatics. Medical Information Science Reference. ISBN 9781599047805

 

Zur Rückführung des Versandhandels

Aus der Begründung des gescheiterten Gesetzesantrags der Freistaaten Sachsen, Bayern:

Entwurf eines Gesetzes zur Rückführung des Versandhandels mit Arzneimitteln auf das europarechtlich gebotene Maß

Mit dem Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung wurde zum 1. Januar 2004 in Deutschland der Versandhandel mit allen Arzneimitteln, die zur Anwendung am Menschen bestimmt sind, zugelassen. Für Arzneimittel zur Anwendung am oder im tierischen Körper blieb es aus Gründen des Tierschutzes sowie zum Schutz der Gesundheit des Menschen beim Verbot des Versandhandels.
Diese Zulassung des Versandhandels mit Arzneimitteln zur Anwendung am Menschen erfolgte trotz eines Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 11. Dezember 2003 (C-322/01). In diesem Urteil hat der Europäische Gerichtshof ein Verbot des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln und damit eine Einschränkung von im Gemeinschaftsrecht verankerten Grundfreiheiten aus Gründen des Schutzes der Gesundheit der Bevölkerung als zulässig erachtet.
Seither hat sich dem legalen Versandhandel mit Arzneimitteln in Deutschland kein nennenswerter Markt erschlossen.
Allerdings hat die Zulassung des Versandhandels mit Arzneimitteln zu einer Verminderung der Patientensicherheit geführt. Weil von Patientinnen und Patienten nicht klar zwischen legalen und illegalen Versandangeboten von Arzneimitteln unterschieden werden kann, ist in Deutschland die Gefahr von Arzneimittelfälschungen gestiegen. Aktuelle Recherchen bestätigen, dass ca. 95% der im Internet angebotenen verschreibungspflichtigen Arzneimittel ohne Verschreibung (d. h. illegal) erhältlich sind.
Dazu kommt, dass durch ein aktuelles Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. März 2008 (BVerwG 3 C 27/ 07) höchstrichterlich entschieden wurde, dass Versandapotheken aus dem EU-Ausland für das Sammeln von Rezepten und die Aushändigung der bestellten Arzneimittel an Patientinnen und Patienten die Dienste von Gewerbebetrieben (z. B. Drogeriemärkten, Videotheken) in Anspruch nehmen dürfen. Dies bedeutet faktisch eine Ausweitung des Versandhandels mit Arzneimitteln, deren Umfang gegenwärtig überhaupt noch nicht absehbar ist. Mit diesem Urteil droht die Entwicklung des klassischen Versandhandels mit Arzneimitteln (direkte Bestellung, direkte Belieferung) hin zu schwer überschaubaren Varianten mit von Dritten betriebenen Diensten.
Diese Entwicklungen stellen den bislang existierenden ordnungspolitischen Rahmen für eine sichere und flächendeckende Arzneimittelversorgung der Bevölkerung weitgehend in Frage.
Abb. 1: Britisches Web-Angebot, offensichtlich zugeschnitten auf deutsche Kunden! (Viele dieser Abbildungen hier sind Auszüge oder Zusammenschnitte von Screenshots [3].)
Abb. 2: Geschickte Verbraucherführung: Auf Verbraucherwarnungen wird eingegangen.
Abb. 3: Die Websites bieten in der Regel die Angebote deutschsprachig an (oder was man für Deutsch hält).
Abb. 4: Mit solchen Informationen wollen sich die Anbieter einen seriösen Anstrich geben.
Abb. 5: Die "Ehrlichkeit" dieses Anbieters ist wahrhaft verblüffend.
Abb. 6: Die Eingabemaske für persönliche ­Daten – Deutschland ist schon voreingestellt.
Abb. 7: … dann die Zahlungsdaten – darum geht es den Anbietern.
Abb. 8: Erst nach Eingabe der Zahlungsdaten erscheint der "medizinische Fragebogen", eine Mischung aus Richtigem, Unfug, Fachchinesisch und schrecklichem Deutsch. Die gewünschten Antworten sind bereits voreingestellt.
Abb. 9: Auch diese Fragen sind wiederum völlig ungeeignet auch nur geringste Ansprüche an einen Interaktionscheck zu erfüllen.

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