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Versorgungslücke bei Technetium
Technetium ist schon von Natur aus äußerst knapp, denn in der Erdkruste kommt es nur im Mikrogrammbereich in Uranerzen vor. Seit Dmitri Mendelejew (1834 –1907) ein Element der Ordnungszahl 43 postuliert hatte, wurde danach gesucht (Tab. 1). Die Chemiker Walter Noddack (1893 –1960), seine Frau Ida Noddack-Tacke (1896 –1978) und Otto Berg (1873 –1939) hatten 1925 das Mischmineral Columbit mit einem Elektronenstrahl beschossen, aus dem Röntgenspektrum auf das Element 43 geschlossen und es Masurium genannt. Dieser zunächst umstrittene Nachweis ist 1998 von US-amerikanischen Wissenschaftlern bestätigt worden.
Tab. 1: Geschichte der Entdeckung und Benennung des Elementes Nr. | ||
Name | Autor, Jahr | Bemerkung |
Eka-Mangan | Dmitri Mendelejew (Russland), 1871 | Postulat wegen der Lücke im Periodensystem zwischen Molybdän und Ruthenium |
Davyum | Serge Kern (Russland), 1877 | tatsächlich: Mischung aus Iridium, Rhodium und Eisen |
Lucium | Prosper Barrière (Frankreich), 1896 | tatsächlich: Yttrium |
Nipponium | Masataka Ogawa (Japan), 1909 | tatsächlich: Rhenium |
Masurium | W. Noddack, I. Tacke, O. Berg, 1925 | nicht anerkannter, aber wahrscheinlich korrekter Nachweis |
Technetium | E. Segrè, C. Perrier (Italien), 1937 | unumstrittener Nachweis |
Panormium | Universität Palermo, 1937 (lat. Panormus = Palermo) | Namensvorschlag von Segrè und Perrier nicht akzeptiert |
Danubium | John und Gordon Marks (USA), 1994 | Namensvorschlag in Analogie zum von Noddack et al. entdeckten Element Rhenium |
Den ersten anerkannten Nachweis lieferten 1937 die Chemiker Emilio Segrè (1905 –1989; Nobelpreis 1959) und Carlo Perrier (1886 –1948) an der Universität Palermo. Sie hatten eine Molybdänfolie, die sie von Ernest Lawrence (1901–1958; Nobelpreis 1939) von der Universität von Kalifornien in Berkeley erhalten hatten, mit Deuteronen beschossen und nannten das lange gesuchte Element Technetium (griech. technetos = künstlich).
In der Natur wurde Technetium erst 1962 entdeckt: in Pechblende aus Katanga, einer damals abtrünnigen Provinz des Kongo. Jedoch sollen durch die Kernbombenversuchen in der Atmosphäre etwa 250 kg Technetium entstanden sein. Hinzu kommen ca. 1600 kg, die bis 1986 aus Wiederaufbereitungsanlagen und Kernkraftwerken freigesetzt wurden. Die englische Wiederaufbereitungsanlage in Sellafield soll zwischen 1995 und 1999 geschätzte 900 kg in die Irische See entsorgt haben. Seit dem Jahr 2000 ist der Eintrag auf 140 kg jährlich begrenzt.
Wichtigstes Radionuklid in der Medizin
Heute ist Technetium das mit Abstand wichtigste Radionuklid der Nuklearmedizin. 34 Isotope des Metalls sind bekannt. Alle sind radioaktiv. Verwendet wird nahezu ausschließlich das metastabile Tc-99m, das durch Neutronenbeschuss und anschließenden Betazerfall aus Molybdän-98 entsteht, wobei die Halbwertszeit 67 Stunden beträgt:
Mo-98 + n → Mo-99
Mo-99 → Tc-99m + e– + ν
Tc-99m ist energiereich und sendet weiche Gammastrahlen von 141 Kiloelektronenvolt (keV) aus, wodurch es bei einer Halbwertszeit von nur sechs Stunden in das relativ stabile Isotop Tc-99 übergeht. Tc-99 ist schwach radioaktiv und wandelt sich durch Betazerfall bei einer Halbwertszeit von 211.100 Jahren in das stabile Ruthenium-99 um.
Kliniken und Laboratorien erzeugen das Nuklid in Technetiumgeneratoren. Sie haben in der Regel eine mit Aluminiumoxid gefüllte chromatographische Säule, an der das Mo-99 in Form von MoO4 2– haftet. Das beim Zerfall entstehende Pertechnetat (TcO4) kann mit Kochsalzlösung leicht eluiert werden und steht zur Injektion zur Verfügung. Die Halbwertszeit des Mutternuklids Mo-99 beträgt 67 Stunden (s. o.). Nach einem Produktionsvorgang ist der Generator verbraucht, sodass die Institute jede Woche einen Ersatzgenerator kaufen müssen.
Ideales Werkzeug
Das Radionuklid Tc-99m lagert sich leicht an viele biologisch aktive Moleküle an. Deshalb sowie wegen seiner sehr kurzen Halbwertszeit und der weichen Gammastrahlung (entspricht einer harten Röntgenstrahlung) ist es ein ideales nuklearmedizinisches Werkzeug.
Beispielsweise lassen sich monoklonale Antikörper und Proteine des Immunsystems an Technetium koppeln. Intravenös in den Blutkreislauf gespritzt, lagern sie sich an spezifische Antigene, zum Beispiel von Tumorzellen, an.
Technetium-Zinn-Verbindungen koppeln an Erythrozyten. An Pyrophosphate gebunden, kann man mit Technetium das Herzmuskelgewebe untersuchen. Das Metall konzentriert sich je nach Verbindung in bestimmten Geweben.
Mit Thallium-dotierten Natriumiodid-Detektoren (NI) wird die Gammastrahlung, die aus Quanten besteht, in einem bildgebenden Verfahren zum Szintigramm. Der NI-Kristall setzt für jedes aufgenommene Gammaquant ein Elektron frei, das wiederum Photonen erzeugt. Diese Lichtblitze (lat scintillare = blitzen, funkeln) werden in Photomultipliern kaskadenförmig verstärkt. Das starke Signal wird von einem Scanner oder einer Gammakamera aufgefangen. Diese besitzt einen Kollimator, der nur Gammaquanten einer bestimmten Richtung durchlässt. Störende Streustrahlung wird ausgeblendet. Die durch die Photomultiplier verstärkten Signale werden dann elektronisch zu einem Bild zusammengesetzt.
Die nächste Qualitätsstufe ist SPECT (Single Photon Emission Computed Tomography). Hier rotieren ein oder mehrere Detektoren um den Körper des Patienten. Es entsteht ein dreidimensionales Bild der Radioaktivitätsverteilung.
Die optimale Energie der von der Gammakamera erfassten Gammastrahlung liegt zwischen 100 und 200 keV. Bei einer niedrigeren Energie bleibt die Strahlung gewissermaßen im Körper des Patienten stecken. Andererseits soll die Strahlung gerade so hoch sein, dass die Kamera sie detektieren kann, nicht höher. Diesbezüglich ist Technetium ideal.
Produktion in uralten Reaktoren
Das Problem ist der Zwang zur permanenten Neuproduktion des Radionuklids. Die Reaktoren, die das Mutternuklid Mo-99 in marktrelevanten Mengen erzeugen, lassen sich an einer Hand aufzählen. Der wichtigste ist der kanadische NRU-Reaktor (National Research Universal) in Chalk River bei Ottawa. Er lieferte bis vor Kurzem etwa die Hälfte der Weltproduktion. Der Hochflussreaktor HFR des Forschungszentrums der Europäischen Union in Petten in den Niederlanden erzeugte ein weiteres Drittel (Tab. 2). Den Rest teilten sich der BR2 in Mol in Belgien, der französische Osiris in Saclay und Safari-1 in Pelindaba in Südafrika. Alle fünf Reaktoren haben eines gemeinsam – sie sind über 40 Jahre alt. Produktionsausfälle wegen technischer Störungen häufen sich seit vielen Jahren.
Tab. 2: In Petten produzierte Radionuklide: Halbwertszeiten (in Tagen) und medizinische Anwendungen (teilweise erst in Entwicklung) | ||
Nuklid | HWZ (d) | Beispiele für Anwendungen |
Molybdän-99/Technetium-99m | 2,75 0,25 | Diagnostik (Szintigraphie): Onkologie, Herz-, Nieren-, Hirn-, Lungen-, Schilddrüsenfunktion, Infektionen, Knochenkrankheiten |
Iod-131 | 8,04 | Therapie: Hyperthyreose, Schilddrüsenkrebs |
Xenon-133 | 5,25 | Diagnostik (Szintigraphie): Lungenfunktion |
Strontium-89 | 50,5 | Schmerztherapie bei Knochenmetastasen |
Iridium-192 | 73,8 | Therapie: Gebärmutterhals- und Lungenkrebs |
Samarium-153 | 1,95 | Palliativer Einsatz bei Knochenkrebs |
Rhenium-186 | 3,78 | Schmerztherapie bei Knochenmetastasen |
Iod-125 | 60,1 | Therapie: Prostata- und Augenkrebs |
Yttrium-90 | 2,67 | Therapie: Arthritis und Rheuma |
Erbium-169 | 9,4 | Therapie: Arthritis |
Lutetium-177 | 6,71 | Therapie: Krebs |
Holmium-166 | 1,12 | Therapie: Leberkrebs |
Derzeit ist die Lage äußerst angespannt, denn der NRU wurde am 14. Mai 2009 wegen eines Stromausfalls in der Region Ontario heruntergefahren. Einen Tag später entdeckte man, dass Schweres Wasser aus dem Reaktorbehälter tropft. Deshalb wird der NRU in diesem Jahr wohl nicht mehr angefahren. Doch auch die Reaktoren in Frankreich und Belgien stehen derzeit still. In dieser Not gab das niederländische Umweltministerium im Februar grünes Licht, den HFR wieder hochzufahren, obwohl eine Reparatur im primären Kühlkreislauf noch nicht abgeschlossen ist. Die befristete Betriebsgenehmigung läuft jedoch nur bis März 2010.
Die Internationalen Atomenergieorganisation IAEO hat wegen des weltweiten Engpasses an Molybdän im Januar in Paris zu einer besseren internationalen Kooperation aufgerufen. Neue Produktionswege müssten geschaffen werden. Es sei auch bedenklich, dass die fünf staatlichen Reaktoren für die Mo-99-Produktion nur die Grenzkosten berechnen und keine Marktpreise verlangen. Der Markt ist immerhin mehrere Milliarden Euro groß. Händeringend wird nach Auswegen gesucht.
Auch Yttrium-90 …… wird knapp; Bedarf besteht in der Arthritis- und Rheumatherapie, aber auch in der Chemotherapie. |
HEU statt LEU?
Die USA, die auf den NRU und dessen Nachfolgereaktoren in Kanada vertrauten, haben die Entwicklung verschlafen und beklagen die "vergessene nationale Priorität". Alle fünf Reaktoren werden von den USA mit hochangereichertem Uran-235 (HEU = Highly Enriched Uranium; 90% U-235) als Neutronenquelle beliefert. In den letzten Jahren haben die USA aber aus Sicherheitsgründen versucht, die Verbreitung des HEU zu begrenzen, und 1,2 Tonnen HEU aus dem Ausland zurückgeholt. Das hat zur Schließung einiger Reaktoren beigetragen. Nun bauen sie die Mo-99-Produktion neu auf und suchen zugleich nach einfacher zu erzeugenden Ersatznukliden.
Auch die Umstellung der HEU-Reaktoren auf LEU-Reaktoren (Low Enriched Uranium; 20% U-235) wird erwogen. Sie ist aber nicht bei allen Reaktortypen möglich, und die Mo-99-Produktion wird damit teurer. Dass eine wirtschaftliche Produktion dennoch möglich ist, könnten die von dem argentinischen Unternehmen Invap SE gebauten LEU-Forschungsreaktoren RA-6 in Argentinien und Opal in Australien demnächst zeigen.
Weitere Alternativen
Bert Wolterbeek vom Reactor Instituut Delft (RID) der dortigen Technischen Universität hat ein Patent zur Mo-99-Herstellung in kleinen Mengen angemeldet. Er verwendet hoch angereichertes Mo-98 als Ausgangsmaterial und wandelt es mit einem Neutronengenerator im Labormaßstab in das Mutternuklid um. Damit würde die Mo-99-Produktion unabhängig von HEU-Reaktoren.
Eine ganz andere Alternative wäre die Wiederaufbereitung abgebrannter Kernbrennstäbe. Darin befinden sich viele teure Spaltprodukte wie Rhodium, Strontium-90 oder eben Technetium. Doch dieses Thema ist politisch sehr umstritten.
Auch die Pläne, zwei völlig neue Reaktortypen, Maple-1 und Maple-2 (Multipurpose Applied Physics Lattice Experiment), zu bauen, um den NRU in Kanada zu ersetzen, sind vor wenigen Monaten wegen technischer Probleme eingestellt worden. Produzierende Reaktoren, wie derjenige im Institut des Radioéléments im belgischen Fleurus und der Forschungsreaktor Jülich 2, sind in den letzten Jahren abgeschaltet worden.
"Wir sind als Betreiber der modernsten Neutronenquelle in einer moralischen Pflicht, den eingetretenen Engpass bei der Radionuklid-Versorgung in der Medizin zu schließen. "
Wolfgang Herrmann, Präsident der TU München, 2009 |
PET-Diagnostik – ein teurer Ersatz
Denkbarer Ersatz zumindest für Teilbereiche der Nuklearmedizin könnte das Fluorid-18 sein, das in Form von 2-Fluor-2-desoxyglucose ([F-18]-FDG) bei der Positronenemissionstomographie (PET) eingesetzt wird. Es hat eine Halbwertszeit von 110 Minuten und lässt sich in Zyklotronen durch Protonenbeschuss des Sauerstoffisotops O‑18 problemlos erzeugen. Doch nur etwa ein Dutzend Kliniken in Deutschland besitzt ein Zyklotron. PET-Untersuchungen sind qualitativ hochwertig, aber auch sehr teuer. Sie gehören deshalb mit Ausnahme der Diagnostik von Bronchialkarzinomen nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung. Im September 2008 akzeptierten mehrere GKV-Kassen zusätzlich die PET zur Diagnose von Brustkrebs und Lymphomen sowie künftig auch von Darmkrebs. Allerdings ist [F-18]-FDG noch nicht als Arzneimittel zugelassen, was seine Anwendung einschränkt.
"Wir fordern seit Langem, den Forschungsreaktor in Garching umzurüsten, doch das Genehmigungsverfahren zieht sich über Jahre hin." Manfred Gaillard, Geschäftsführer des Berufsverbandes der Deutschen Nuklearmediziner, 2008. |
Kommt die Rettung aus Garching?
Es scheint deshalb mittelfristig nur einen Ausweg zu geben: den Forschungsreaktor FRM II der TU München in Garching. Dieser weltweit einmalige HEU-Neutronenhochflussreaktor (siehe DAZ 32/2005) könnte innerhalb von fünf Jahren so umgebaut werden, dass er zwei Drittel des Mo-99-Bedarfs Europas decken kann. Die Kosten werden auf 5,4 Mio. Euro veranschlagt. Das Land Bayern hat davon 1,2 Mio. zugesagt. Doch ob die Bundesregierung angesichts des Politikums Kernkraft den Rest beisteuert, ist noch nicht sicher.
Ansonsten blieben noch rote Riesensterne, in denen große Mengen an Technetium liegen. Aber das wäre eine andere Geschichte.
Literatur
Stephan Good: Entwicklung neuer rezeptorgesteuerter Radiopharmazeutika für die Therapie von malignen Hirntumoren und medullären Schilddrüsenkarzinomen. Diss. Univ. Basel, 2006.
Autor
Dr. Uwe Schulte,
Händelstraße 10,
71640 Ludwigsburg,
schulte.uwe@t-online.de
Technetium im NetzDer FRM II in Garching: www.frm2.tum.de
Bürger gegen Atomreaktor Garching e.V.:
www.frm2.de
European Association of Nuclear Medicine: www.eanm.org
Advanced Molecular Imaging and Therapy: www.snm.org
Society of Radiopharmaceutical Sciences: www.srsweb.org
Deutsche Gesellschaft für Nuklearmedizin: www.nuklearmedizin.de
Hochflussreaktor Petten: www.nrg-nl.com/public/facilities
Österreichische Gesellschaft für Nuklearmedizin und molekulare Bildgebung: www.ogn.at
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