Arzneimittel und Therapie

Neue Studien zum günstigsten Interventionszeitpunkt

Für Patienten mit akutem Koronarsyndrom stehen heute viele verschiedene medikamentöse und nichtmedikamentöse Therapieoptionen zur Verfügung. Unklarheit herrschte teilweise noch bezüglich des sinnvollsten Interventionszeitpunktes. Zwei kürzlich veröffentlichte großangelegte Studien haben nun gezeigt, dass bei Patienten ohne ST-Streckenhebung im EKG in den meisten Fällen nicht übereilt gehandelt werden muss.

Eine von vielen medikamentösen Optionen ist der Glykoprotein IIb/IIIa-Inhibitor Eptifibatid (siehe Kasten). In einer Studie mit insgesamt 9492 Hochrisiko-Patienten mit akutem Koronarsyndrom ohne ST-Streckenhebung (NSTE-ACS), bei denen eine Koronarangiographie vorgenommen werden sollte, wurde ein Teil der Patienten frühzeitig (das heißt ≥ 12 Stunden vor der Koronarangiographie), ein anderer erst danach – jedoch vor einer perkutanen Koronarintervention (PCI) – mit Eptifibatid behandelt (verzögerte Gabe). Der primäre Endpunkt setzte sich aus mehreren Komponenten zusammen (Tod, Myokardinfarkt, wiederkehrende revaskularisierungsbedürftige Ischämie, das Auftreten einer thrombotischen Komplikation, die eine Notfallbehandlung erforderlich machte, innerhalb von 96 Stunden). Wichtigster sekundärer Endpunkt war Tod oder Herzinfarkt innerhalb von 30 Tagen.

Kurzsteckbrief Eptifibatid

Eptifibatid (Integrilin®) ist ein peptidischer Thrombozytenaggregationshemmer und gehört gemeinsam mit Tirofiban und Abciximab zur Klasse der Glykoprotein-(GP-)IIb/IIIa-Antagonisten. Die Wirkung beruht auf einer reversiblen Hemmung der Bindung von Fibrinogen, von Willebrand-Faktor und anderen Adhäsionsliganden an die GP-IIb/IIIa-Rezeptoren auf der Thrombozyten-Oberfläche. Damit wird die Thrombozytenaggregation unabhängig vom auslösenden Agens gehemmt.

Eptifibatid wird mit Acetylsalicylsäure und unfraktioniertem Heparin zur Prävention eines drohenden Myokardinfarkts bei Patienten mit instabiler Angina pectoris oder Non-Q-wave-Myokardinfarkt verabreicht.

Keine signifikanten Unterschiede

Den primären Endpunkt erreichten in der Gruppe mit frühzeitiger Eptifibatid-Gabe 9,3% der Patienten, in der Vergleichsgruppe 10,0% (odds ratio 0,92, 95% CI 0,80 bis 1,06, p = 0,23). Auch beim sekundären Endpunkt wurde kein signifikanter Unterschied beobachtet (11,2% vs. 12,3%, odds ratio 0,89, 95% CI 0,79 bis 1,01, p = 0,08), jedoch lagen in der ersten Gruppe die Rate nicht lebensbedrohlicher Blutungen und die Notwendigkeit von Transfusionen höher als in der zweiten. Diese Ergebnisse veranlassten Verfasser und Kommentatoren der Studie zu der Schlussfolgerung, dass bei Patienten mit Koronarsyndrom ohne ST-Hebung eine routinemäßige frühe (das heißt zwölf bis 24 Stunden vor der Koronarangiographie stattfindende) Verabreichung von Eptifibatid nicht empfohlen werden kann. Es genüge, die Therapie unmittelbar vor der Angiographie einzuleiten.

Vorteil bei Hochrisiko-Patienten

Im Mittelpunkt einer anderen Studie mit 3031 Patienten mit akutem Koronarsyndrom ohne ST-Streckenhebung stand die Frage, ob eine frühe Koronarangiographie (innerhalb von 24 Stunden nach Klinikeinweisung) günstiger ist als nach 36 oder mehr Stunden. Primärer Endpunkt war hier Tod, Myokardinfarkt oder Schlaganfall. Sechs Monate nach dem koronaren Ereignis zeigte sich kein signifikanter Unterschied zwischen den Patienten der Früh- und der Spätinterventions-Gruppe (9,6% vs. 11,3%, hazard ratio 0,85, 95% CI 0,68 bis 1,06, p = 0,15). Profitieren konnte lediglich eine Untergruppe von Hochrisiko-Patienten. Bezüglich des sekundären Endpunktes (Tod, Myokardinfarkt, wiederkehrende Ischämie) zeigte sich jedoch ein signifikanter Vorteil der frühen Intervention (9,5% vs. 12,9%, HR 0,72, 95% CI 0,48 bis 0,89, p = 0,003).

Die Autoren ziehen aus diesen Ergebnissen die Schlussfolgerung, dass für Patienten mit mittlerem Risiko sowohl eine frühzeitige als auch eine etwas spätere Koronarangiographie sicher und akzeptabel ist. Für Hochrisiko-Patienten empfehlen die Leitlinien ohnehin eine Intervention innerhalb der ersten 24 Stunden nach Klinikeinweisung.

 

Quelle

Giugliano, R.P., et al.: Early versus delayed, provisional eptifibatide in acute coronary syndromes, N Engl J Med 360: 2176-2190 (2009).

Mehta, S.R., et al.: Early versus delayed intervention in acute coronary syndromes, N Engl J Med 360: 2165-2175 (2009).

Hillis, L.D., Lange, R.A.: Optimal Management of acute coronary syndromes, N Engl J Med 360: 2237-2240 (2009).

Mutschler, E., et al.: Arzneimittelwirkungen, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH, Stuttgart, 9. Aufl. (2008).

Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie – Herz- und Kreislaufforschung, http://leitlinien.dkg.org.

Fachinformation Integrilin® 0,75 mg/ml, 2 mg/ml Infusionslösung, Stand März 2007.

 


Apothekerin Dr. Claudia Bruhn

 

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