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- DAZ 38/2009
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Medizin
Was steckt eigentlich hinter … abnormer Müdigkeit?
Klagt jemand, dass er ständig müde sei, hilft es, zunächst einige Punkte vorab zu klären:
- Liegt wirklich Müdigkeit oder eher Erschöpfung im Sinne von Abgeschlagenheit und Antriebslosigkeit vor?
- Wie ist der Schlaf? Liegen Einschlaf- oder Durchschlafstörungen vor?
- Welche weiteren Symptome und Erkrankungen hat der Betroffene?
Hintergrund dieser Fragen ist der Ausschluss chronischer und psychischer Erkrankungen, v. a. einer Depression. Denn auch eine chronische Sinusitis geht meistens mit Leistungsknick und abnormer Müdigkeit einher.
Depression. 15% aller Menschen leiden im Laufe ihres Lebens mindestens einmal an einer behandlungsbedürftigen Depression. Typische Symptome sind Antriebslosigkeit, Interessenverlust, schnelle Ermüdbarkeit, Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen, Gefühl einer inneren Leere, vermindertes Selbstwertgefühl, Schuldgefühle und Angst vor der Zukunft. Oft schildern Betroffene allerdings nur körperliche Symptome wie Müdigkeit oder Schmerzen. Gefährlich ist die hohe Suizidgefahr: Jeder zweite Suizid wird von depressiven Patienten begangen.
Demenz. Demenzielle Entwicklungen werden oft von Müdigkeit begleitet. Ein Grund ist der gestörte Tag-Nacht-Rhythmus.
Burnout-Syndrom. Ursache ist Dauerstress, der oft beruflich bedingt ist, aber auch Schüler, Studenten und Sportler sind betroffen. Im Vordergrund steht die psychische Erschöpfung: Man fühlt sich ausgebrannt und leer. Apathie und Antriebslosigkeit erleben Betroffene oft als unerklärliche Müdigkeit.
Somatische chronische Erkrankungen. Bei jeder länger dauernden Erkrankung droht abnorme Müdigkeit. Die Ursachen sind vielfältig:
- Die Krankheit und der Gesundungsprozess kosten Kraft, z. B. braucht der Körper auch mit Antibiotika mindestens zwei Wochen, um eine Pneumonie auszuheilen.
- Schmerzen und andere Beschwerden verhindern einen erholsamen Schlaf.
- Das Herz-Kreislauf-System ist eingeschränkt und damit die Grundfunktionen des Stoffwechsels. Bei einer ausgeprägten Herzinsuffizienz sind Betroffene oft ständig erschöpft und müde.
- Ständige Schmerzen und Einschränkungen frustrieren und lösen eine Depression aus oder verstärken sie.
Beschwerdebild | Was steckt dahinter? |
Müdigkeit und Abgeschlagenheit bei Schlafmangel oder -störungen
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Müdigkeit und Antriebslosigkeit vor schwierigen, belastenden Situationen
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Müdigkeit mit Antriebslosigkeit, Niedergeschlagenheit und Schlafstörungen | Depression |
Tiefsitzende Erschöpfung mit dem Gefühl, "ausgebrannt" zu sein
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Apathie und/oder abnorme Ermüdbarkeit mit zunehmenden Gedächtnisstörungen |
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Rasche Ermüdbarkeit, Kurzatmigkeit, Herzklopfen bei körperlicher Belastung
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Abgeschlagenheit und verminderte Leistungsfähigkeit mit Fieber, Nachtschweiß und Gewichtsverlust |
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Anhaltende Müdigkeit, Verlangsamung mit Schwellung von Gesicht und Zunge
| Hypothyreose |
Müdigkeit mit Vollmondgesicht
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Anhaltende Müdigkeit und Energielosigkeit mit Braunfärbung der Haut
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Müdigkeit oder Benommenheit bei Medikamenteneinnahme
| Wirkung und Nebenwirkung von zahlreichen Medikamenten, z. B. Antidepressiva, Antihistaminika, Antihypertonika, Hypnotika, Tranquilizern, Neuroleptika, Opioiden |
Tagesmüdigkeit und Sekundenschlaf
| Schlafapnoe-Syndrom |
Wiederholte Schlafanfälle
| Narkolepsie |
Ständiges Gefühl der Erschöpfung über mindestens 6 Monate ohne Besserung durch Entspannung und Urlaub
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Teufelskreis Krankheit – Schlafstörung – Müdigkeit
In der Praxis hat es Priorität, den Teufelskreis von chronischer Erkrankung, nicht erholsamem Schlaf und abnormer Müdigkeit zu durchbrechen.
Hier ist es v. a. bei chronischen Erkrankungen sinnvoll, speziell die Beschwerden zu therapieren, die über die Müdigkeit und Erschöpfung die Lebensqualität stark einschränken, wie eine Depression oder Schmerzen.
Medikamentennebenwirkung. Viele auf das zentrale Nervensystem wirkende Medikamente können Müdigkeit hervorrufen oder verstärken. Allen voran führen Benzodiazepine und andere Tranquilizer und Hypnotika zu ausgeprägter Tagesmüdigkeit. Hinzu kommt oft schon nach wenigen Tagen, spätestens aber nach zwei bis drei Wochen, dass sich die Erholungsqualität des erzwungenen Nachtschlafes verschlechtert. Manchmal hilft ein Substanzwechsel zu einem Medikament mit kürzerer Halbwertszeit. Die bessere Alternative ist die vom Patienten selbst gesteuerte Intervalleinnahme: Der Tranquilizer wird nur noch alle zwei bis drei Tage oder bei Bedarf eingenommen.
Schlafapnoe-Syndrom. Ursache ist eine Atemregulationsstörung, durch die es in Tiefschlafphasen zu Atempausen kommt. Betroffene sind fast immer übergewichtig und trinken oft zu viel Alkohol. Insbesondere tagsüber sind sie extrem müde und nicken häufig ein.
Das Gehirn schlägt dann nachts aufgrund des Sauerstoffmangels immer wieder Alarm. Der Schlaf wird unterbrochen, aber meist ohne dass der Betroffene ganz wach wird. Folge ist ein erhöhter Sympathikotonus und damit oft einhergehend Hypertonie und Herzrhythmusstörungen.
Zur Behandlung muss der Patient das Gewicht reduzieren sowie den Alkoholkonsum einschränken. Ansonsten wird er in der Nacht beatmet. Der Patient erhält eine Maske, die ihm mit leichtem Überdruck sauerstoffreiche Luft zuführt. Kommt er mit dieser nächtlichen Beatmung nicht zurecht, kann eine Mundschiene angepasst werden. Diese hält den Mund annähernd geschlossen und zieht den Unterkiefer nach vorne, so rutscht die Zunge nicht nach hinten und die Atemwege bleiben frei.
Narkolepsie. Dieses seltene Krankheitsbild ist durch Schlafanfälle am Tag charakterisiert. Betroffene verlieren für 10 bis 30 Minuten vollständig die Körperspannung, so dass sie in sich zusammensacken. Anschließend können sie sich nicht daran erinnern.
Eine Heilung ist nicht möglich. Symptomatisch erhalten Betroffene gegen die Tagesmüdigkeit Stimulanzien, wie Modafinil, und gegen den Verlust der Körperspannung Natriumoxybat. Wichtig ist ein sehr geregelter Tagesrhythmus mit ein bis zwei kurzen Nickerchen.
Chronic-Fatigue-Syndrom. Dieses besonders bei Krebspatienten beobachtete chronische Müdigkeitssyndrom ist durch fehlende Belastbarkeit und rasche Erschöpfung gekennzeichnet. Anders als bei Schlafapnoe und Narkolepsie schlafen die Betroffenen aber nicht spontan ein, sondern leiden vor allem unter nächtlichen Schlafstörungen, Konzentrationsstörungen, chronischen Schmerzen und allen Anzeichen einer Depression. Da die Pathophysiologie des Chronic-Fatigue-Syndroms nicht bekannt ist, kann es nur symptomatisch behandelt werden. Gegen die Schmerzen helfen Acetylsalicylsäure oder Paracetamol, gegen die Depression Stimmungsaufheller wie Johanniskraut.
Endokrinologische Erkrankungen. Eine Hypothyreose ist die häufigste endokrinologische Ursache für Müdigkeit, andere sind sehr selten.
Fazit für die Praxis
Abnorme Müdigkeit hat viele Ursachen. Oft stehen dahinter ernste Erkrankungen. Besonders als Hinweis auf eine Depression sollte sie ernst genommen werden. Die Begleitsymptome weisen meistens den Weg zur Diagnose. Wenn es gelingt, die Ursache zu behandeln, verschwindet die Müdigkeit und die Lebensfreude kehrt zurück.
Quellen
A. S. Fauci et al.: Harrisons Innere Medizin, ABW, Berlin, 17. Auflage 2009
A. Sturm und W. Zidek (Hrsg.): Checkliste XXL Differenzialdiagnose Innere Medizin. Thieme, Stuttgart 2003.
A. Schäffler (Hrsg.): Gesundheit heute, 2. Aufl. 2009, Deutscher Apotheker Verlag, Stuttgart
Schäffler & Kollegen: Was steckt ... hinter Schlafstörungen?, DAZ 22/2009
Autor
Dr. med. A. Schäffler & Koll.,
Augsburg www.schaeffler.cc
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