Arzneimittel und Therapie

Moderne Therapien und Nebenwirkungsmanagement

Die Zukunft in der Onkologie liegt in der personalisierten Tumortherapie, darin sind sich die Experten einig. Doch das angestrebte Ziel einer individualisierten Therapie – für den richtigen Patienten das richtige Medikament in der richtigen Dosis – ist noch nicht erreicht. Aber es gibt große Forschritte in der zielgerichteten Therapie und dem Management unerwünschter Arzneimittelwirkungen.

Obwohl es in der modernen Medizin gerade im Bereich der Onkologie große Forschritte in der Vergangenheit geben hat, gilt es auch heute noch, immer die drei klassischen Säulen der Tumortherapie zu nutzen: Operation, Strahlentherapie und Chemotherapie. Auf keine der drei Optionen kann und darf verzichtet werden, wie Prof. Dr. Yon-Dschun Ko, Bonn, betonte. Auch heute spielt die Operation immer noch eine zentrale Rolle, denn ohne das radikale Entfernen des Tumorgewebes aus dem Organismus ist keine Heilung möglich.

Auch zielgerichtete Therapie hat Nebenwirkungen

Die modernen target therapies visieren zwar eine Zielstruktur an, sind jedoch auch nicht frei von systemischen Nebenwirkungen. Hier gilt es, das Risiko individuell zu evaluieren, den Tumor molekular zu analysieren und die Therapieintensität entsprechend anzupassen. Auch die Kosten dürfen dabei nicht aus den Augen verloren werden. So könne mittels Operation und Strahlentherapie bei 50% der Patienten eine Heilung erreicht werden. Kommt noch zusätzlich eine adjuvante Chemotherapie zur Anwendung, so können zwar ca. 10% mehr Patienten geheilt werden. Jedoch werden auch die schon Geheilten ganz umsonst den Nebenwirkungen einer Chemotherapie wie Haarausfall und Fatigue ausgesetzt. Neben großem persönlichem Leid ist das auch eine Frage der Kosten. Das Fazit von Ko: "Wem eine Therapie nichts nützt, der soll sie auch nicht bekommen!" Wie eine Risikoabschätzung und eine effiziente Therapie aussehen könnten, zeigte Ko am Beispiel Mammakarzinom. Bei dieser Tumorart beträgt die Chance zur Heilung zurzeit 78%, zum Vergleich: beim Lungenkrebs sind das nur ca. 10%. Ergibt sich aus der Anamnese für die Brustkrebspatientin eine hohe Überlebenswahrscheinlichkeit und ein niedriges Rückfallrisiko, so mache es einfach keinen Sinn, eine adjuvante medikamentöse Therapie einzusetzen. Erweist sich das Rückfallrisiko aber als hoch, so sollte eine intensive Chemotherapie erwogen werden. Vor allem mit den Möglichkeiten der Bestimmung des Rezeptorstatus der Tumoren und dem gezielten Einsatz des monoklonalen Antikörpers Trastuzumab bei Frauen mit HER2/neu-positiven Tumoren können große Behandlungserfolge erzielt und das Überleben verlängert werden. Bei Tumorarten wie dem Lungenkarzinom sind die Erfolgsaussichten leider nicht so positiv. Durch eine intensive, zielgerichtete Therapie mit Antikörpern bleibt die Lebenserwartung gering, sie kann im besten Falle um etwa einen Monat verlängert. Gleichzeitig steigen die Kosten dieser Therapie um den Faktor 10 an. Ob sich unser Gesundheitssystem dies leisten kann, sollte in der Gesellschaft offen diskutiert werden, so Ko. Auch über die Richtung zukünftiger Forschungsaktivitäten sollte gesprochen werden. Denn eine erfolgreiche personalisierte Therapie wird nicht allein durch den Wirkstoff und den Tumor bestimmt, sondern auch durch die individuellen metabolischen Verhältnisse der Menschen. Die Industrie treibe aber nur die Entwicklung neuer Wirkstoffe voran, werde aber kaum Geld ausgeben für Studien, die sich mit der individuellen Cytochrom-P450-Enzymausstattung und der Auswirkung auf ein Therapieansprechen bzw. -nichtansprechen befassen.

Management unerwünschter Arzneimittelwirkungen

Dass eine erfolgreiche Zytostatikatherapie nicht nur von der genetischen Ausstattung und enzymatischen Besonderheiten des Patienten sowie möglichen Interaktionen abhängt, zeigte Dr. Hans-Peter Lipp, Krankenhausapotheker aus Tübingen. Ganz entscheidend sei die Compliance der Patienten, die häufig unter belastenden Nebenwirkungen einer Chemotherapie wie Übelkeit, Erbrechen, Haarausfall, Überreaktionen oder substanzspezifischer Organtoxizität zu leiden hätten. Mit der Einführung der 5-HT3 -Rezeptor-Antagonisten (z. B. Ondansetron) zu Beginn der 1990er Jahre und des Neurokinin-1-Rezeptor-Antagonisten Aprepitant stehen ausgesprochen potente Antiemetika zur Verfügung. In der Kombination mit Dexamethason ist das chemotherapieinduzierte Erbrechen daher kaum noch ein Problem, so Lipp, zumal auch das emetogene Potenzial intravenös applizierter Zytostatika bekannt ist und so eine adäquate antiemetische Prophylaxe eingeleitet werden kann. Bei einem nicht ausreichenden Therapieerfolg wurde mit dem atypischen Neuroleptikum Olanzapin in Studien gute Ergebnisse erzielt: Es scheint die antiemetische Wirksamkeit anderer Substanzen zu erhöhen. Dosislimitierende Organtoxizität sind häufig die Myelosuppression, Urotoxizität oder Kardiotoxizität. Häufigkeit und Schwere der Blasentoxizität unter Ifosfamid kann durch eine adäquate Behandlung mit Mesna oder eine starke Hydratation deutlich verringert werden. Unter Anthracyclin-basierter Chemotherapie tritt häufig eine Kardiotoxizität auf, die den Einsatz der Anthracycline einschränkt. Hiervor kann Dexrazoxan schützen, indem es Eisenchelate bildet und so die eisenabhängige oxidative Belastung durch freie Radikale verringert, die mit einer durch Anthracycline induzierten Kardiotoxizität verbunden ist.

Optimierung durch einfache, aber wirksame Tipps

Lipp zeigte, dass auch die aufgenommene Nahrung die Wirksamkeit der Therapie beeinflussen kann, da die Absorption der Arzneistoffe klinisch relevant verändert werden kann. Wird zum Beispiel Melphalan nüchtern eingenommen, beträgt die orale Bioverfügbarkeit 85 Prozent. Bei gleichzeitiger Nahrungsaufnahme konkurriert die Aminosäure mit anderen Aminosäuren aus der Nahrung und die Bioverfügbarkeit sinkt auf die Hälfte. Auch für den Tyrosinkinase-Inhibitor Lapatinib empfahl Lipp die nüchterne Einnahme. Wird gleichzeitig fettreiche Nahrung aufgenommen, so erhöht sich zwar die Bioverfügbarkeit von Lapatinib, es kann allerdings zu enormen Schwankungen kommen, die zwischen dem 2- und dem 24-Fachen liegen können. Dehalb es ist sicherer, den Wirkstoff nüchtern zu geben. Doch auch ältere Substanzen, die schon viele Jahre angewendet werden, können und sollten optimiert werden. Unter der Therapie mit Docetaxel kommt es zu Veränderungen der Nägel. Das Ausmaß kann von einfachen, kosmetisch störenden "Wachstumsringen" auf dem Nagel bis hin zu Einblutungen und dem Ablösen der Nägel reichen. Hier hat sich der Einsatz von Kälte bewährt: Durch die Anwendung von gefrorenen Handschuhen kann das Ausmaß dieser Nageltoxizität stark reduziert werden. Auch scheint die Reihenfolge der Anwendung der Komponenten eines Chemotherapieregimes von Bedeutung zu sein und sollte zukünftig stärker berücksichtigt werden, so Lipp. Zum Beispiel sollte bei der Kombination von Taxan und Cisplatin immer das Taxan vor der platinhaltigen Substanz gegeben werden. Anderenfalls bestehe die Gefahr, dass die Wirkung des Taxans verloren geht und nur die Nebenwirkungen bleiben. Nicht vergessen darf ein Hinweis für mögliche Raucher: Es ist bekannt, dass Irinotecan mit Inhaltsstoffen des Zigarettenrauchs interagieren kann, wodurch es zu einer stark reduzierten Wirkung kommen kann. ck

 

Quelle

Prof. Dr. Yon-Dschun Ko, Bonn: "Tumortherapie 2009: Vom Patienten zur Therapie"; Dr. Hans-Peter Lipp, Tübingen: "Unerwünschte Wirkungen und Interaktionen in der Onkologie", 10. Oktober 2009, 5. Internationaler Fortbildungskongress, Breslau.

 

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