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DAZ wissenswert
Telomere – "Schutzkappen" der Chromosomen
Verkürzung des Chromosoms bei jeder Replikation
Die Chromosomen wurden früh entdeckt und blieben lange rätselhaft. Erst Thomas Morgan (1866 – 1945; Nobelpreis 1933) gelang es Anfang des 20. Jahrhunderts, durch Kreuzungen der Taufliege Drosophila die Chromosomen als Orte der Erbanlagen definitiv nachzuweisen. Hermann Muller (1890 – 1967; NP 1946), der sich intensiv mit der Strahlenwirkung auf Chromosomen auseinandergesetzt hatte, und Barbara McClintock (1902 –1992; NP 1983), die die springenden Gene entdeckt hatte, fanden bei ihren Untersuchungen immer wieder, dass die Enden der Chromosomen erhalten blieben, auch wenn sich der innere Teil der Chromosomen als instabil erwies. Muller nannte sie Telomere von griechisch telos = Ende und meros = Teil. Ihr Aufbau und ihre Funktion wurden vorerst nicht weiter untersucht.
Die Telomere gerieten wieder in den Blickpunkt, nachdem der russische Biologe Alexej Olovnikov (geb. 1936) 1971 die Frage aufgeworfen hatte, wie sich die beiden Halbstränge der DNA während der Zellteilung identisch verdoppeln können.
Da die Polymerisationsreaktion immer in 5‘-3‘-Richtung verläuft, kann die DNA-Polymerase an dem einen Halbstrang, der die 5‘-3‘-Richtung aufweist, bequem "entlangfahren" und ihn kontinuierlich replizieren (Leitstrang). Aber was geschieht mit dem anderen Halbstrang, der die 3‘-5‘-Richtung aufweist? Es zeigte sich, dass die Polymerase ihn stückweise von hinten repliziert, indem sie immer wieder neu ansetzt und jeweils ca. 2000 Basenpaare lange Abschnitte, die Okazaki-Fragmente, herstellt, die anschließend zu einem kompletten DNA-Strang (Folgestrang) zusammengefügt werden.
Allerdings benötigt die Polymerase RNA-Primer, um die Synthese der Okazaki-Fragmente starten zu können. Da der letzte RNA-Primer nicht mehr in DNA umgeschrieben werden kann, verkürzt sich der Folgestrang und damit das gesamte Chromosom um diesen DNA-Abschnitt. Schon James Watson (geb. 1928; NP 1953) spekulierte 1972 über das "Endreplikationsproblem", ohne es lösen zu können.
Die PreisträgerElizabeth Blackburn wurde 1948 in Hobart auf Tasmanien geboren. Nach dem Studium in Melbourne ging sie nach Cambridge in England und anschließend an die Yale University in New Haven, USA. Heute ist sie Professorin für Biologie und Physiologie an der Universität von Kalifornien in San Francisco. Carol Greider wurde 1961 in San Diego in Kalifornien geboren. Sie studierte in Santa Barbara und Berkeley. Heute lehrt sie an der Johns Hopkins University in Baltimore, USA. Jack Szostak wurde 1952 in London geboren und wuchs in Kanada auf. Er ist heute Professor für Genetik am Massachusetts General Hospital in Boston. |
Aufbau und Funktion der Telomere
Ende der 1970er Jahre wollte Elizabeth Blackburn (geb. 1948) die Telomere eukaryontischer Chromosomen sequenzieren. Ihr Professor James Gall schlug als Objekt das Wimperntierchen (Ciliat, begeißelter Einzeller) Tetrahymena thermophila vor, da es sehr viele sehr kurze Chromosomen besitzt, sodass das Verhältnis der Telomere zum übrigen DNA-Strang sehr hoch ist. Blackburn fand heraus, dass die Telomere aus einer 20- bis 70-maligen Wiederholung der Sequenz CCCCAA bestehen. Andere Ciliaten lieferten ähnliche Sequenzen, doch seltsamer Weise auch entfernt verwandte Lebewesen. Die Funktion der Telomere blieb vorerst unklar.
Für die Forschung war es ein Glück, dass Blackburn 1980 auf einer Konferenz über Nucleinsäuren mit Jack Szostak (geb. 1952) zusammentraf. Szostak erzählte ihr von seinen Problemen mit künstlichen Hefechromosomen (YACs, Yeast Artificial Chromosomes; Vektoren, mit denen Fremd-DNA in das Genom der Hefe eingeschleust wird). YACs bestehen im Wesentlichen aus einem Centromer und zwei Telomeren des Hefe-Genoms; das Problem war, dass sie in den Hefen permanent abgebaut wurden. Blackburn und Szostak beschlossen zu testen, was geschieht, wenn sie die Telo-mere von Tetrahymena in die YACs einbauen.
Ergebnis: Die YACs waren stabil.
Das überraschte außerordentlich, denn Ciliaten und Hefe sind im Stammbaum der Lebewesen sehr weit voneinander entfernt. Die beiden Forscher sequenzierten nun die Telomere der Hefechromosomen und entdeckten dann, dass sie sich in den YACs mit den Telomeren von Tetrahymena verbanden. Daraus schlossen sie, dass ein Enzym passende DNA-Sequenzen an die Telomere anheften kann. Erst viel später wurde deutlich, dass das fragliche Enzym eine Reverse Transkriptase ist, die die DNA selbst synthetisiert, und dass sie in allen eukaryontischen Organismen vorkommt, in Einzellern wie der Amöbe, in Pilzen wie der Hefe, in Pflanzen, Tieren und im Menschen.
Nachweis der Telomerase
Mit der Hypothese, dass ein Enzym die bei der Zellteilung verlorengehenden DNA-Sequenzen wieder an die Telomere "kleben" kann, widersprachen Blackburn und Szostak den anderen Hypothesen zum Endreplikationsproblem. Als in den Telomeren der Schleimpilze Dictyostelium und Physarum sehr ähnliche DNA-Sequenzen wie in Tetrahymena und Hefe gefunden wurden, postulierten sie, dass es sich um hoch-konservierte, d. h. während der Evolution kaum veränderte DNA-Abschnitte handelt. Um das postulierte Enzym nachzuweisen, untersuchten Blackburn und ihre Assistentin Carol Greider (geb. 1961) zellfreie Extrakte von Tetrahymena thermophila. Sie gaben radioaktiv markierte Nucleotide und kurze DNA-Abschnitte aus den Tetrahymena -Telomeren in die Extrakte, um zu sehen, ob sich die markierten Nucleotide an die DNA-Abschnitte anheften. Am Heiligabend 1984 war es dann so weit: Greider beobachtete die erhoffte Reaktion. Darauf isolierten die Forscherinnen das Enzym und nannten es Telomerterminaltransferase. Schnell entdeckten sie, dass es aus RNA und Protein besteht. Die RNA-Komponente (s. Grafik, grünes Band) enthält die CCCCAA-Sequenz als Kopiervorlage (Matrize) für die GGGGTT-Sequenz des Telomers; die Proteinuntereinheit (s. Grafik, gelbes "Ei") sorgt für die enzymatische Aktivität. Damit ist die Funktionsweise der Telomerase erklärt.
Zur gleichen Zeit untersuchten Szostak und seine Kollegin Victoria Lundblad mutierte Hefezellen ohne Telomeraseaktivität. In ihren Chromosomen schrumpften die Telomere (ever shorter telomeres, EST), und schließlich teilten sich die Hefezellen nicht mehr. Szostak fand das verantwortliche Gen und nannte es EST1. Als er auch noch das katalytische Zentrum der Telomerase identifizieren konnte, war das Endreplikationsproblem gelöst.
Nobelpreis im NetzNobelkomitee
Labor von Elizabeth Blackburn
http://biochemistry.ucsf.edu/labs/blackburn Labor von Carol Greider
www.hopkinsmedicine.org/pharmacology/research/greider.html Labor von Jack Szostak
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Stimulation der TelomeraseUm Alterungsprozesse zu verlangsamen, wurde die Ornish-Diät entwickelt, die aus einer extrem fettarmen vegetarischen Kost, Nahrungsergänzungsmitteln sowie Sport und Entspannungsübungen besteht. In einer Studie mit 30 älteren Männern wurde nach dreimonatiger Behandlung eine Steigerung der Telomeraseaktivität um fast 30% festgestellt [1]. Dies ist ein erstes bemerkenswertes Ergebnis, das auf epigenetische Faktoren der Telomerasesynthese hinweist. |
Besseres Verständnis von Krebs und Alterung
In der Zygote des Menschen haben die Telomere die maximale Länge von etwa 1600 TTAGGG-Wiederholungen. Nach neun Monaten zum Zeitpunkt der Geburt hat sich die Länge etwa halbiert. Danach verkürzen sich die Telomere in etwa konstant. In den letzten Stadien der Telomerschrumpfung verändern die Gene ihr Aktivitätsmuster, die Zelle teilt sich seltener und stirbt schließlich.
Die meisten Körperzellen haben keine hohe Telomeraseaktivität, da sie sich nicht häufig teilen und einem geringen Risiko sich ständig verkürzender Chromosomen unterliegen. Ausnahmen sind Keimzellen (Eizellen und Spermien), maligne Zellen und Stammzellen; sie synthetisieren ständig Telomerase.
Krebszellen teilen sich unendlich und schützen ihre Telomere dennoch effektiv. Deshalb werden Wirkstoffe entwickelt, die in Krebszellen die Telomeraseaktivität unterbinden.
Einige Erbkrankheiten sind in Telomerasedefekten begründet. So führt eine angeborene unzureichende Zellteilung in den Knochenmarkstammzellen zu einer bedrohlichen Blutarmut, der aplastischen Anämie.
Neuerdings stimuliert man die Telomerase in gesunden Körperzellen, um Alterungsprozesse zu bremsen (s. Kasten). Doch die menschliche Telomerase TERT hat außer der Telomerverlängerung noch weitere Funktionen, und es besteht keine absolute Korrelation zwischen Telomerlänge und Zellstabilität.
Die Arbeiten von Blackburn, Greider und Szostak sind für grundlegende Fragen der Zellbiologie und Enzymologie sehr wichtig. Sie haben die weitere Forschung in vielen Bereichen befruchtet und das Verständnis von Krebs und Alterung erweitert.
Literatur
[1] Dean Ornish et al. Increased telomerase activity and comprehensive lifestyle changes: a pilot study. Lancet Oncology 2008;9(11):1048–1057.
Autor
Dr. Uwe Schulte
Osterholzallee 82,
71636 Ludwigsburg
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