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Selbstmedikation
Diskussion um Nutzen oder Schaden von Vitaminen
An dem Selenium and Vitamin E Cancer Prevention Trial (Select-Studie) nahmen 35.533 Männern im Alter zwischen 58 und 67 Jahren teil. Sie waren auf vier Studienarme randomisiert worden, in denen sie mit 400 mg Vitamin E oder 200 µg Selen oder beiden Präparaten oder mit Placebo über einen mittleren Zeitraum von 5,5 Jahren behandelt wurden. Eine Zwischenauswertung ergab, dass sich weder mit Vitamin E noch mit Selen noch mit kombinierter Einnahme der beiden Antioxidanzien Prostatakarzinomen vorbeugen lässt. Unter Vitamin E war die Tendenz zu Prostatatumoren sogar größer. Auch die Einnahme von Selen sollte möglicherweise nicht bedenklos erfolgen: Unter dem Antioxidans wurde ein Trend zu mehr Diabeteserkrankungen beobachtet.
Die Select-Studie war 2001 auf der Grundlage der Ergebnisse zweier früherer randomisierter klinischer Studien initiiert worden. Diese hatten zwar nicht das Prostatakrebsrisiko als Primärziel, nachträgliche Analysen ergaben jedoch eine verringerte Inzidenz von Prostatatumoren. Die erste Studie war der Alpha-Tocopherol, Beta-Carotene Cancer Prevention Trial, der zwischen 1985 und 1993 mit Rauchern durchgeführt wurde. Statt vor weiteren Tumoren zu schützen erhöhte Betacarotin das Lungenkrebsrisiko, Vitamin E hatte keine Wirkung. Eine spätere Subgruppenanalyse ergab jedoch, dass Vitamin E das Risiko auf ein Prostatakarzinom senkte. Die zweite Studie war der Nutritional Prevention of Cancer Trial, an dem 1312 Patienten mit Basaliomen oder Spinaliomen in der Vorgeschichte teilgenommen hatten. Die Therapie mit 200 µg Selen sollte hier das erneute Auftreten von Hauttumoren verhindern. Am Ende war deren Rate gestiegen – wenn auch nicht signifikant. In einer Subgruppenanalyse konnte jedoch ein deutlich vermindertes Risiko für Prostatakarzinome errechnet werden. Auch eine Reihe epidemiologischer Erhebungen deuten auf einen positiven Einfluss einer Vitamin E- und Selen-reichen Ernährung auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Tumoren hin. Der Wert solcher epidemiologischer Studien ist jedoch nicht unumstritten, wie Prof. Dr. Hans Konrad Biesalski von der Universität Hohenheim betont: Epidemiologische Studien zeigen die Wirkung von Lebensmitteln (pflanzliche Öle, Fleisch, Fisch) und beziehen diese auf Leitsubstanzen (Vitamin E und Selen). Klinische Studien wie die Select-Studie übertragen lediglich die Leitsubstanz auf das Studiendesign. Um also wirklich einen Effekt der Leitsubstanz allein zu prüfen, wäre ein klinischer Ansatz genau bei solchen Personen zu rechtfertigen, die eine sehr geringe Zufuhr an Vitamin E und Selen aufweisen, was in der Select-Studie so nicht geprüft wurde. Die Diskussion um den möglichen Benefit von Antioxidanzien ist weiterhin offen.
Quellen
Lippman, SM; et al.: Cancer Prevention Trial (Select). Effect of Selenium and Vitamin E on Risk of Prostate. J Am Med Assoc; online Dec 9, 2008.
Gann, P: Randomized Trials of Antioxidant Supplementation for Cancer Prevention: First Bias, Now Chance_Next, Cause. J Am Med Assoc 2008; 0(2008):2008863.
Prävention mit Antioxidanzien: Schaden überwiegt. Arznei-Telegramm (2008) 12: 123-124.
ck
KommentarDie schlechten Nachrichten zu Vitaminen reißen nicht ab. Je mehr Mitteilungen zu fehlendem Nutzen und sogar zu schädlichen Wirkungen der Vitamine durch die Presse geistern, desto mehr möchte man zu dem Schluss kommen, Vitamine braucht man nicht und besonders zusätzliche Vitamine sind mit größter Vorsicht zu genießen, wenn dabei überhaupt von Genuss gesprochen werden kann. Nicht nur in den beiden erwähnten Studien, sondern in nahezu allen klinischen Studien wird aber nicht berücksichtigt, dass gerade epidemiologische Studien sehr viel längere Zeiträume überblicken als dies in klinischen Studien möglich wäre. Eine Vielzahl weiterer Fragen muss offen bleiben, wenn es um die fragliche präventive Wirkung dieser Vitamine geht. Fragen, die wahrscheinlich nie vollständig zu beantworten sind, da Mikronährstoffe nun mal keine Xenobiotika sind und individuell auch sehr unterschiedlich wirksam sein können. Die Neubewertung der Studie hat gezeigt, dass Vitamin E bei Diabetikern mit einem bestimmten Polymorphismus durchaus vorbeugende Wirkung gegenüber kardiovaskulären Erkrankungen haben kann, ein Befund der nur für diese Subgruppe gültig war. Ähnliches mag für Gruppen gelten, die unzureichend mit Vitamin E bzw. Vitamin C versorgt sind. Block und Mitarbeiter haben gezeigt, dass die Supplementierung von Vitamin E und C nur dann zu nachweisbaren Veränderungen der Marker für oxidativen Stress führte, wenn bereits die Basiswerte dieser Marker deutlich erhöht waren, das heißt oxidativer Stress bestand (Block, KI; et al.: Int. J. Cancer 2008; 123: 1227-39). Übertragen auf die diskutierten Studien heißt dies aber, dass antioxidative Vitamine nur bzw. besonders dann wirksam sind, wenn die Versorgung unzureichend war. Und dies ist letztlich trivial: eine Unterversorgung mit bestimmten Vitaminen ist langfristig einfach nicht gesund. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Unterversorgung eine Folge unzureichender Ernährung oder aber erhöhten Bedarfs, wie im Falle bestimmter genetischer Polymorphismen ist. Im letzteren Fall besteht noch erheblicher Forschungsbedarf um die bisher bekannten Polymorphismen (allein für Vitamin E 16) mit ihren Wirkungen auf die Krankheitsentwicklung zu verstehen. Anders sieht es bei der schlechten Versorgung durch eine unausgewogene Ernährung aus. Dass dies auch in unseren Breiten denkbar ist, zeigen die Ergebnisse der vor Kurzem veröffentlichten Nationalen Verzehrsstudie II. Rund 50% der deutschen Männer und Frauen erreichen die empfohlene Zufuhrmenge an Vitamin E nicht, bei Vitamin C sind es rund 30%. Die Ex-cathedra-Aussage, dass antioxidative Vitamine wie Vitamin E und C nichts wert seien, geht an der Tatsache vorbei, dass es durchaus größere Bevölkerungsgruppen gibt, die mit diesen Vitaminen (wahrscheinlich auch mit weiteren) unterversorgt sind. Eine Umstellung hin zu einer ausgewogeneren Ernährung wäre sicherlich der Königsweg, der jedoch oft nicht beschritten werden will bzw. kann. Letzteres gilt vor allem für Risikogruppen wie alte Menschen, Personen mit einseitiger Ernährung einschließlich übergewichtiger oder aber auch sozial schwache Gruppen, die sich eine ausgewogene Kost oft nicht leisten können. Die Gabe von isolierten Vitaminen in hoher Dosierung ist möglicherweise bei einzelnen Individuen mit entsprechenden Polymorphismen sinnvoll, wie dies für Folsäure aber auch Vitamin E gezeigt wurde. Für die Allgemeinheit kann derzeit keine wissenschaftlich begründete Empfehlung zur Prävention von Krebs oder kardiovaskulären Erkrankungen mit einzelnen hochdosierten Mikronährstoffen gegeben werden. Weitaus wichtiger und besser wäre es, Risikogruppen für unzureichende Zufuhr exakter zu bestimmen und die Wirkung normal dosierter Mikronährstoffkombinationen auf anerkannte Biomarker in diesen Fällen zu prüfen. Auf dieser Basis ließen sich dann möglicherweise Ergebnisse neu und rationaler interpretieren. Prof. Dr. Hans Konrad Biesalski Fachgruppe Biologische Chemie und Ernährungswissenschaft der Universität Hohenheim, |
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