Feuilleton

Zahnheilkunde

Um die facettenreiche Geschichte der Zahnheilkunde geht es im Dentalhistorischen Museum in Zschadraß, Landkreis Leipzig. Gezeigt werden unter anderem archäologische Funde, Zahnprothesen, Praxiseinrichtungen und viele andere Objekte aus der Sammlung des Zahntechnikers Andreas Haesler.
Die Schutzpatronin der Zahnärzte, St. Apollonia, 18. Jahrhundert.
Fotos: Haesler

Weil er keine Vorderzähne mehr habe, müsse er schweren Herzens auf das Flötenspiel verzichten, klagte Friedrich der Große 1779 in einem Brief. Wohl auch aus diesem Grund begnügte sich der 67-jährige Preußenkönig abends mit einer Tasse Schokolade. Zwar verachtete er die Ärzte als "unfähige Zeugen der Leiden unserer Zeit", aber immerhin hatte er den Begründer der deutschen wissenschaftlichen Zahnheilkunde, Philipp Pfaff (1713 – 1766), gefördert. Pfaff war gelernter Chirurg und hatte den König 1740 in den ersten Schlesischen Krieg begleitet. Nach der Rückkehr ließ er sich in Berlin nieder. 1751 verkaufte Pfaff die Praxis und seinen Patientenstamm an den Amts-Chirurgen Kuppe, um sich fortan ausschließlich der Zahnmedizin zu widmen. Fünf Jahre später legte er dem König seine illustrierte "Abhandlung von den Zähnen des menschlichen Körpers und deren Krankheiten" vor, woraufhin dieser ihn zum ersten preußischen Hofzahnarzt und Hofrat ernannte.

Hätte der Landesherr die Empfehlungen Pfaffs ernst genommen, so hätte er nicht nur penibel seinen Mund gereinigt, sondern sich vielleicht sogar mit einer anatomiegerechten Zahnprothese versorgen lassen. Der preußische Hofzahnarzt nahm nämlich erstmals in der Geschichte der Zahnmedizin Kieferabdrücke aus Siegelwachs, mit deren Hilfe er Gipsmodelle herstellen konnte. Auch hatte Pfaff ein Reinigungspulver entwickelt, das dem "Zahnwurm" Einhalt gebieten sollte.

Die Analgesie mit Opium, welche Pfaff in seinem Buch beschreibt, kann aus heutiger Sicht als sinnvoll bezeichnet werden, während "besondre Oehle wieder Zahnschmerzen" wohl unwirksam waren. Ein weiteres, für die damalige Zeit bahnbrechendes Verdienst Pfaffs ist die konservierende Behandlung kariöser Zähne als Alternative zur Extraktion: Der befallene Zahnschmelz wurde ausgeschabt, die Pulpa mit einem konkaven Goldplättchen abgedeckt und danach die Lücke gefüllt.

Pelikane und Extraktionszangen

In Frankreich hatte bereits 1728 Pierre Fauchard sein Buch "Le Chirurgien Dentiste ou Traité des Dents" als weltweit erstes wissenschaftlich-zahnmedizinisches Werk publiziert. 1733 erschien in Berlin eine deutsche Übersetzung. Fauchard hatte das zeitgenössische Wissen über medikamentöse und chirurgische Therapien sowie technische Kenntnisse zur Herstellung von Instrumenten und Zahnersatz gesammelt und eigene Erfahrungen aus seiner 30-jährigen Praxis hinzugefügt. Er glaubte nicht an die für Karies und Zahnschmerzen verantwortlich gemachten Zahnwürmer. Für die Gesunderhaltung der Zähne empfahl er Spülungen mit frischem Urin.

Zuweilen schmückte sich Fauchard mit fremden Federn. So ließ er sich die Fixierung von totalen Ober- und Unterkieferprothesen mit Stahlfedern patentieren. Archäologische Funde belegen indessen, dass dieses Verfahren mindestens seit dem 16. Jahrhundert angewandt worden ist. Wie schon die Chirurgen früherer Zeiten verwendete auch Fauchard für die Herstellung von Zahnersatz noch Menschenzähne, Elfenbein und Flusspferdknochen. Bei der Entwicklung und Anfertigung von Prothesen orientierte er sich allerdings nicht mehr an kosmetischen, sondern an medizinischen Kriterien.

Pfaff kannte die Publikation seines französischen Kollegen und knüpfte daran an. Insbesondere bemühte er sich, die alten "Zahninstrumente" zu verbessern, und entwickelte u. a. eine Extraktionszange für Milchzähne mit Zahnstangenmechanismus. Eine Rekonstruktion aus Edelstahl bestätigte in einem klinischen Versuch ihre gute Tauglichkeit.

Extraktionszangen gehörten schon in der Antike zum ärztlichen Instrumentarium. Ab dem Mittelalter wurden kranke Zähne mit dem "Pelikan" ausgerenkt. Leider schädigte dieses Instrument häufig die gesunden Zähne, auf die es gestützt werden musste. Erst um 1800 hielten wieder anatomiegerechte Zangen in die Praxen Einzug, und ab Mitte des 19. Jahrhunderts hatten die Zahnärzte die Wahl unter dreihundert bis vierhundert verschiedenen Extraktionsinstrumenten.

Große Verdienste um die Zahnheilkunde des 19. Jahrhunderts erwarb sich der Zahnarzt der Queen Victoria, Sir Edwin Saunders. In seinem 1839 in deutscher Übersetzung publizierten Buch "Der Haus-Zahnarzt" geht er auch auf den Zusammenhang zwischen Ästhetik und Phonetik ein und fordert eine regelmäßige Gebissreinigung. Seine Beschreibung der Zahnputztechnik mit einer dreireihigen Bürste mit abgerundeten Borsten ist heute noch aktuell.

Kampf gegen den Schmerz

Nicht zufällig waren Zahnärzte Pioniere der Anästhesie. 1842 verabreichte der amerikanische Zahnarzt William E. Clarke erstmals Ether vor einer Zahnextraktion. Sein Kollege Horace Wells narkotisierte seine Patienten ab 1844 mit Stickstoffoxydul (Lachgas, N2 O). Dieses Verfahren wurde bis Mitte des 20. Jahrhunderts eingesetzt.

Nach der Entdeckung von Procain wurde endlich eine lokale Anästhesie mit geringen Nebenwirkungen (im Vergleich zum früher üblichen Opium) möglich.

Mit der Erfindung der Tretbohrmaschine durch James Beall Morrison um 1870 wurde es möglich, kariöse Zahnteile präzise zu entfernen. Einen wichtigen Fortschritt in der Diagnostik brachte die Entdeckung der Röntgenstrahlen. Nachdem man das Wesen bakterieller Infektionen erkannt hatte, wurde der "Zahntod", der bis dahin die vierthäufigste Todesursache war, endlich Geschichte.

Museum

Dentalhistorisches Museum
Im Park 9b, 04680 Zschadraß
Tel. (01 74) 3 26 11 61
Geöffnet mittwochs bis sonntags von 10 bis 17 Uhr

Zahntechnik: von der Manufaktur zum Labor

Für die Anfertigung von geschnitzten Zahnprothesen hatte Saunders Elfenbein oder Gold empfohlen. In Frankreich wurden indessen bereits ab 1820 künstliche Zähne aus Porzellan hergestellt. Noch bis 1900 wurden Prothesen aber auch mit den Zähnen (jung) Verstorbener bestückt. Traurige Berühmtheit erlangten die "Waterloo-Zähne", die man den Gefallenen herausgebrochen und an Zahnärzte verkauft hatte. Es kam auch vor, dass arme Personen sich ihre gesunden Zähne extrahieren ließen, um sie zu verkaufen, wie Victor Hugo es in seinem Roman "Die Elenden" beschreibt.

Die Abdrucknahme nach Pfaff wurde erst wieder ab 1851 mit der Einführung der Kautschukvulkanisation üblich. Durch dieses Verfahren war nun für viele Patienten ein anatomiegerechter Zahnersatz möglich und bezahlbar.

Bereits seit der Mitte des 19. Jahrhunderts wurde Zahnersatz in spezialisierten Manufakturen hergestellt. In den 1920er Jahren entwickelte sich in Deutschland daraus das Zahntechnikerhandwerk.

Neben den Zahnärzten praktizierten früher zahlreiche staatlich anerkannte Dentisten, die eine praxisorientierte zweijährige Fachschulausbildung absolviert hatten. In der DDR wurde diese Berufsgruppe 1949, in der Bundesrepublik 1952 aufgehoben; nachdem sie einen Fortbildungskurs absolviert hatten, wurden die Dentisten als Zahnärzte anerkannt.

Reinhard Wylegalla
Philipp Pfaff begründete in Deutschland die wissenschaftliche Zahnheilkunde – als erster fertigte er Gipsmodelle von Gebissen an.
Zahnschlüssel zur Extraktion, 19. Jahrhundert.
Zahnbürsten aus verschiedenen Materialien.
Zahnprothese mit Stahlfederfixierung.
Eine zahnärztliche "Wohlfühl-Praxis", Ende 19. Jahrhundert.

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