Interpharm 2010

Wenn die Blutgerinnung gestört ist

Die Reparaturmechanismen, mit denen die Integrität der Gefäßwand nach einer Verletzung durch die Bildung eines Thrombozyten- und Fibrin-reichen Blutgerinnsels wieder hergestellt wird, beruhen auf einem fein abgestimmten Zusammenwirken zellulärer und plasmatischer Blutbestandteile mit der Gefäßwand. Prof. Dr. Michael Spannagl vom Klinikum der Universität München erläuterte, wie sich Störungen in diesem System auswirken können.


Inhaltsverzeichnis: Interpharm 2010

    Blutgerinnungssystem
  • Das Blutgerinnungssystem: Funktionen und physiologisches Zusammenspiel
  • Pathophysiologie: Wenn die Blutgerinnung gestört ist
  • Hämostasediagnostik: Wie Störungen der Gerinnung zu erkennen sind
  • Arterielle Thromboembolien: Ischämische Infarkte differenziert behandeln
  • Venöse Thromboembolien: Heparine sind individuelle Arzneistoffe
  • Blutgerinnungshemmer: Mit Interaktionen und Nebenwirkungen richtig umgehen
  • Operation unter dualer Plättchenhemmung? Perioperatives Prozedere individuell entscheiden
  • Non-Compliance und genetische Polymorphismen: Wenn Patienten auf ASS oder Clopidogrel nicht ansprechen
  • Unter oraler Antikoagulation: Besondere Aufmerksamkeit des Apothekers ist gefragt
    Asthma und COPD
  • Raucherentwöhnung: Die Nicotinsucht blockieren!
  • COPD: Beste Therapieoption: Weg mit dem Glimmstängel
  • Leitlinienkonforme Asthmabehandlung: Therapiedefizite bei Asthma überwinden
  • Asthmapatienten in der Apotheke: Anwendungsfehler bei Inhalativa vermeiden
    Studien
  • Arzneimittelstudien: Tricks zur Bewertung
  • Studien bewerten: Keine Angst vor Statistik
    Innovationen
  • Arzneimittel in der Pipeline: Fortschritte mit neuen und bekannten Wirkprinzipien
    Depressionstherapie
  • Depressionen im Alter: Keine adäquate Therapie
  • Jugend- und Midlife-Depressionen: Multimodale Therapie verringert Rückfallrisiko
  • Mikronährstoffe: Unterstützung der Depressionstherapie (Seminar)
    Neuro-Enhancement
  • Neuro-Enhancement: Riskantes „Hirndoping“ oder legitime Leistungsstütze?
  • Neuro-Enhancement: Selbstversuche ersetzen keine Studien
    Prävention und Alternativmedizin
  • Prävention mit Mikronährstoffen: Das Potenzial ausschöpfen!
  • Gesundheitsförderung: Apotheker als kompetente Präventionsmanager
  • Prophylaxe: Mit Homöopathie vorbeugen
  • Biochemie nach Dr. Schüßler: Antlitzanalyse hilft bei der Mittelauswahl
    Seminare
  • Reisemedizin: DIE Reiseapotheke gibt es nicht
  • Chemikalien in der Apotheke: Einstufung und Kennzeichnung von Gefahrstoffen
  • Arbeitsrecht: Der Apothekenleiter als Arbeitgeber


Prof. Dr. Michael Spannagl

Foto: DAZ: Alex Schelbert

Ursachen für eine krankhaft gesteigerte Blutungsneigung (hämorrhagische Diathese) können Erkrankungen und Anomalien der Blutgefäße (Vasopathien), Störungen der plasmatischen Gerinnung (Koagulopathien) oder eine Verminderung oder Funktionsstörungen der Thrombozyten sein. Zu den persönlichen Risikofaktoren zählen die genetische Veranlagung, Tumorerkrankungen, eine längere Immobilisation sowie chronische Entzündungen.

Die häufigste erworbene Ursache für Blutungsprobleme ist allerdings die Einnahme von Gerinnungs- und Thrombozytenhemmstoffen.

Von den hämorrhagischen Diathesen sind solche Hämostasestörungen abzugrenzen, die mit einer vermehrten Gerinnbarkeit des Blutes einhergehen und sich klinisch in Form einer erhöhten Thromboseneigung manifestieren können. Sie werden als thrombophile Diathesen bezeichnet und können an verschiedenen Stellen des Gefäßsystems zum Teil akut lebensbedrohliche Ereignisse auslösen. So ist die Bildung eines Fibrinthrombus bei arteriosklerosebedingten Erkrankungen, wie Herzinfarkt oder Schlaganfall oder auch bei Venenthrombosen, der entscheidende Mechanismus bei der klinischen Manifestation der jeweiligen Gefäßerkrankung. Auch bei Schwangerschaftskomplikationen (z. B. Abort) spielt die überschießende Gerinnselbildung (Thrombophilie) eine wichtige Rolle.

Eine Sonderform kann im Rahmen der Behandlung mit Heparin auftreten. Sie manifestiert sich in einem Abfall der Blutplättchenzahl (Heparin-induzierte Thrombozytopenie, HIT, Typ I bzw. Typ II). Die HIT Typ II beruht auf einer Antikörperbildung gegen Heparin/Protein-Komplexe, hier vornehmlich einen Komplex mit dem Plättchenfaktor 4 (PF4). Die Antikörper binden an einen Rezeptor auf den Thrombozyten, die dann verklumpen und die Gerinnungskaskade in Gang setzen. Die Folge sind Thrombosen im venösen und arteriellen System.

Im Prinzip, so Spannagl, schwebt das Thrombophilie-Risiko über jedem. Viele Menschen besitzen laborchemisch fassbare Risikofaktoren, aber die wenigsten trifft die Krankheit. Deshalb rät er davon ab, die Vorhersagekraft von Thrombophilie-Faktoren, die wissenschaftlich im Moment "en vogue" sind, zu überschätzen. Bei ein bis zwei Faktoren rechnet Spannagl noch nicht unbedingt mit dem Auftreten einer Thrombose, ab drei steigt das relative Thrombose-Risiko dann allerdings sprunghaft an.

Für den Erhalt der individuellen Balance zwischen Gerinnselbildung und -auflösung stehen heute oral wirksame und parenterale Wirkstoffe sowie verschiedene Blutprodukte zur Verfügung. Problematisch ist allerdings, dass der Einsatz hocheffektiver Gerinnungshemmer stets mit einem erhöhten Blutungsrisiko einhergeht. Die Anstrengungen gehen deshalb dahin, Arzneistoffe zu entwickeln, die den Spagat zwischen beiden besser bewältigen. Solange solche nicht gefunden sind, hält Spannagl eine durchgehende Thromboseprophylaxe im Alter trotz ansteigender thrombotischer Aktivität nicht für sinnvoll. Standard für die Langzeitgerinnungshemmung sind Vitamin K-Antagonisten, für Spannagl immer noch das Optimum. Als international einzigartig und vorbildlich bezeichnete er in diesem Zusammenhang das Selbstmanagement der Patienten in der Antikoagulationstherapie in Deutschland.


hb

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