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Technologie
Gamma-Sterilisation von Arzneimitteln
Das Europäische Arzneibuch (Ph. Eur. 6) unterscheidet verschiedene Kategorien von Arzneimitteln: Die Methode 5.1.4 Mikrobiologische Qualität pharmazeutischer Zubereitungen definiert Parenteralia und Ophthalmika als Arzneimittel der Kategorie 1, welche die Anforderungen der Methode 2.6.1 Prüfung auf Sterilität erfüllen müssen. Gemäß einer Richtlinie des Committee for Medicinal Products for Human Use (CHMP) der europäischen Arzneimittelagentur EMA müssen diese Produkte in ihrem Endbehältnis sterilisiert werden [2].
Polymere Wirkstoffträgersysteme (drug delivery systems, DDS) werden meist zu den nicht-wässrigen, halbfesten oder Trockenpulver-Zubereitungen gezählt, die mittels trockener Hitze (160 °C, 120 min) oder Gamma-Strahlen zu sterilisieren sind. Sofern das Arzneimittel oder die Arzneiform nicht zur Hitzesterilisation geeignet ist und die Strahlensterilisation zum Einsatz kommt, sollte die absorbierte Strahlendosis zumindest 25 kGy betragen (Ph. Eur., 5.1.1 Methoden zur Herstellung steriler Zubereitungen).
Strahlensterilisation
Die Sterilisation von Arzneimitteln unter Einsatz von ionisierender Strahlung ist in Deutschland zwar verboten (§ 7 Abs. 1 AMG), aber in bestimmten Ausnahmefällen erlaubt (§ 7 Abs. 2 AMG), die in der Verordnung über radioaktive oder mit ionisierenden Strahlen behandelte Arzneimittel (AMRadV) beschrieben sind [3]. Die AMRadV verbietet für Arzneimittel eine absorbierte Strahlendosis über 32 kGy. Daraus ergibt sich für biotechnologische Produkte und DDS, die in Deutschland hergestellt werden, ein Strahlendosisintervall von 25 bis 32 kGy, dessen technische Umsetzung nicht einfach ist und nur von wenigen spezialisierten Bestrahlungsbetrieben durchgeführt werden kann. Das Strahlendosisintervall von 25 bis 32 kGy gilt nicht für Medizinprodukte; daher ist deren Strahlensterilisation technisch weniger anspruchsvoll [4].
Zur Sterilisation von Produkten werden Beta- und Gamma-Strahlen eingesetzt (s. Glossar). Während die Beta-Strahlen aufgrund ihrer geringen Eindringtiefe nur zur Oberflächensterilisation geeignet sind (z. B. im Lebensmittelbereich zur Vorbehandlung von Joghurtbechern), besitzen Gamma-Strahlen eine hohe Durchdringungstiefe und können nur von sehr dichten Materialien (z. B. Blei) abgeschirmt werden. Gamma-Strahlen werden außerhalb des medizinisch-pharmazeutischen Bereichs für zahlreiche Anwendungen eingesetzt, wie zum Beispiel zur Bestrahlung von Gewürzen und anderen Lebensmitteln (u. a. Inaktivierung von Pilzen oder Abtötung von Insekteneiern) [5], Tierhäuten und Jagdtrophäen zum Zwecke der Konservierung sowie zur Polymerisation von Kunststoffummantelungen von Kabeln oder auch zur Haltbarmachung von antiken Schriften und Büchern.
Die Gamma-Bestrahlung kann mit den Isotopen Cobalt-60 ( 60 Co) oder Caesium-137 ( 137 Cs) erfolgen und wird in der Regel von spezialisierten Bestrahlungsbetrieben durchgeführt. Üblich ist der Einsatz von Cobalt-60 (Abb. 1).
Einsatz von Gamma-Strahlen
Im pharmazeutisch-medizinischen Bereich werden Gamma-Strahlen für verschiedene Zwecke eingesetzt. Zum einen werden sie seit den 1960er Jahren zur Tumorbestrahlung verwendet ("Cobaltkanone"). Das breiteste Einsatzgebiet ist allerdings die Sterilisation von pharmazeutischen und medizinischen Produkten wie Implantaten (z. B. künstliche Knie- oder Hüftgelenke aus Titan-Stahl), Einmalartikeln (Tupfer, chirurgisches Nahtmaterial, Kunststoffbeutel usw.), pharmazeutischen Packmitteln und Trockenmitteln (für aseptische Prozesse) und Laborartikeln. Außerdem werden Wirk- und Hilfsstoffe, wie z. B. Antibiotika oder Pharmapolymere, mittels Gamma-Strahlen sterilisiert, um diese in aseptische Herstellungsprozesse einbringen zu können. Daneben werden auch verschiedene Fertigarzneimittel in ihrem Endbehältnis mittels Gamma-Strahlung sterilisiert.
Die Energie der Gamma-Strahlung führt bei Wechselwirkung mit Materie zur Auftrennung chemischer Bindungen und zu angeregten Molekülzuständen, deshalb spricht man auch von ionisierender Strahlung. Diese sorgt dafür, dass der Stoffwechsel von Zellen (in diesem Fall Mikroorganismen) nicht mehr funktioniert, sodass sie sich nicht mehr vermehren können oder sogar absterben.
Praxis der Gamma-Sterilisation
Die Hersteller liefern ihre Arzneimittel für den finalen Herstellungsschritt an die entsprechenden spezialisierten Bestrahlungsbetriebe, welche die Sterilisation im Endbehältnis vornehmen. Dabei ist es von Vorteil, dass Gamma-Strahlung die üblichen Packmittel durchdringt. So ist es möglich, die Bestrahlung eines bereits vollständig primär- und sekundärverpackten Arzneimittels (Faltschachtel und Packungsbeilage) vorzunehmen. Eine Gamma-Sterilisation nur im Primärpackmittel (meist Applikationssystem oder Glasvial in Kunststoff- oder Aluminiumbeutel) mit anschließender Sekundärverpackung ist sogar die Ausnahme.
Um das enge Strahlendosisintervall von 25 bis 32 kGy (s. o.) einhalten zu können und eine gleichbleibende Strahlenverteilung sicherzustellen, werden die Faltschachteln in einem definierten Packschema in Umkartons verpackt. Die Umkartons werden entweder in Transportkästen verpackt oder auf Paletten gestellt und dann durch die Bestrahlungsanlage transportiert. Über eine Förderanlage werden sie in den Bestrahlungsraum zur 60 Co-Strahlenquelle hin bewegt und wandern gemäß einem definierten Zeitschema an ihr vorbei, um die Gamma-Strahlen zu absorbieren (Abb. 2). Die von den Arzneimitteln absorbierte Strahlendosis ist durch die Packungsdichte, die sich aus dem Packschema ergibt, die aktuelle Aktivität der 60 Co-Strahlenquelle und das Zeitschema relativ genau definiert.
Nach abgeschlossener Gamma-Bestrahlung erfolgt die Endprüfung (v. a. Sterilitätstest an definierter Musterzahl) und Freigabe; danach können die Arzneimittel in ihren Umkartons direkt weiterversendet werden.
Vor- und Nachteile der Gamma-SterilisationVorteile
Nachteile
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Validierung der Gamma-Sterilisation
Mikrobiologische Validierung
Das Arzneibuch (Ph. Eur. 6, Methode 5.1.1) fordert für Zubereitungen, die im Endbehältnis sterilisiert werden, einen Sterilitätssicherheitswert (sterility assurance level, SAL) von 10 – 6 , was gleichbedeutend mit der Wahrscheinlichkeit ist, höchstens einen Mikroorganismus in einer Menge von einer Million Zubereitungen zu finden. Bei der Verfahrensvalidierung muss die Inaktivierung des Indikatorkeims Bacillus pumilus demonstriert werden. Dies geschieht z. B. dadurch, dass Sporenstreifen mit B. pumilus an verschiedenen Stellen in den Umkartons platziert werden, die nach der Bestrahlungsprozedur vollständig inaktiviert sein müssen.
Die niedrigste absorbierte Dosis (Dn , s. u.) sollte mindestens 25 kGy betragen. Wenn ein SAL von 10 – 6 schon bei geringeren Strahlungsdosen erreicht und demonstriert werden kann, können unter Umständen auch geringe niedrigste absorbierte Dosen akzeptiert werden.
Dosimetrische Validierung
Bei der dosimetrischen Validierung muss gezeigt werden, dass die höchste absorbierte Dosis (Dh) nicht über 32 kGy hinausgeht und die geringste absorbierte Dosis (Dn) nicht unter 25 kGy liegt. Die Gamma-Strahlen sind zwar in der Lage, die Materialien in den Umkartons zu durchdringen, trotzdem wird die Strahlungsenergie durch das Material abgeschwächt. Deshalb ist die Dosis im Zentrum des Bestrahlungsgutes Dn , während in den Randbereichen Dh zu finden ist.
Durch Platzierung von Dosimetern im gesamten Bestrahlungsgut kann die Strahlungsintensität in jeder geometrischen Position festgestellt und kartiert werden (dose mapping). Als Dosimeter können beispielsweise gefärbte Plexiglasstreifen verwendet werden, die ihre Färbung in Abhängigkeit von der absorbierten Strahlendosis verändern. Somit ist eine photometrische Messung der absorbierten Dosis möglich.
Routinebestrahlung nach Verfahrensvalidierung
Da das Packschema der Umkartons nicht verändert werden darf, bleiben die Strahlungsintensitäten im Bestrahlungsgut weitgehend identisch. Somit ist es im Routinebestrahlungsbetrieb möglich, Dosimeter an einer vordefinierten Stelle (in der Regel außen auf dem Karton) anzubringen und auf die Strahlungsintensitäten an anderen Positionen, vor allem auf die Dn, zu schließen.
Gamma-sterilisierte Arzneimittel
Prinzipiell ist die Gamma-Sterilisation verschiedener Arzneiformen der Arzneimittelkategorie 1 (s. o.) möglich, sofern dies gemäß der EMA-Richtlinie [2] gefordert und mit der AMRadV [3] vereinbar ist.
Zurzeit werden zahlreiche Wirkstoffträgersysteme (DDS) in ihrem Endbehältnis Gamma-sterilisiert. Bei Gamma-Strahlen handelt es sich zwar um eine energiereiche Strahlung, ihre Energie ist aber nicht so hoch, dass es zu Wechselwirkungen mit Atomkernen kommen kann; deshalb strahlt ein gamma-sterilisiertes Produkt nicht nach! Weder pharmazeutisches Personal noch Patienten sind somit einer Gefahr bei der Handhabung oder Applikation der Produkte ausgesetzt. Typische Produkte die im Endbehältnis gamma-sterilisiert werden sind DDS auf Polymerbasis, die für Langzeitanwendungen vorgesehen sind (Wirkungs- bzw. Freisetzungszeiträume von mehreren Wochen bis Monaten), zum Beispiel:
- Polymermikropartikel mit niedermolekularen Molekülen (z. B. Risperidon) und Peptiden (z. B. Leuprorelin):
- Risperdal® Consta® (2-Wochendepot bei Schizophrenie)
- Enantone® Monats-Depot (bei Prostatakarzinom)
- Enantone® -Gyn Monats-Depot (bei Endometriose)
- Trenantone® (3-Monatsdepots bei Prostatakarzinom)
- Trenantone® -Gyn (3-Monatsdepots bei Endometriose)
- Sixatone® (6-Monatsdepots bei Prostatakarzinom).
- Polymerimplantate mit Peptidwirkstoffen (Leuprorelin, Buserelin):
- Zoladex® 3,6 mg (1-Monatsdepots bei Prostatakarzinom)
- Zoladex® -Gyn (1-Monatsdepots bei Endometriose)
- Leuprone® Hexal 1-Monat (1-Monatsdepots bei Prostatakarzinom)
- Zoladex® 10,8 mg (3-Monatsdepots bei Prostatakarzinom)
- Leuprone® Hexal 3-Monate (3-Monatsdepots bei Prostatakarzinom)
- Profact® Depot (2- und 3-Monatsdepots bei Prostatakarzinom).
Vor der Applikation der Depotarzneiformen durch medizinisches Personal ist unbedingt darauf zu achten, dass die Kunststoff- oder Aluminiumbeutel um die Fertigspritzen bzw. Glasvials unversehrt und luftdicht sind. Bei Undichtigkeit ist nicht sichergestellt, dass Mikroorganismen eindringen und zur Unsterilität des Produktes führen.
InfoDauer und Kosten einer üblichen Bestrahlungsprozedur
Die typische Durchlaufzeit durch eine Bestrahlungsanlage beträgt vier bis fünf Stunden und hängt von der aktuellen Aktivität der Strahlenquelle ab. Dabei kann es unter Umständen zur leichten Erwärmung (bis 40 °C) des Bestrahlungsgutes kommen. Dies kann aber z. B. durch Trockeneiskühlung verhindert werden. Die Kosten für diesen Herstellungsschritt belaufen sich auf ca. 3 bis 10 Euro pro Arzneimittelpackung. |
Fazit
Die Gamma-Sterilisation stellt eine elegante Methode zur Sterilisation von empfindlichen Arzneimitteln im Endbehältnis dar. Aufgrund der rechtlichen Rahmenbedingungen darf sie allerdings nur in begründeten Ausnahmefällen angewendet werden. Die Hersteller müssen nachweisen, dass alle verwendeten Materialien (Packmittel, Applikationssystem, Hilfsstoffe und Wirkstoffe) gegenüber der Gamma-Sterilisation unempfindlich sind. Vor etwa 30 bis 40 Jahren herrschte eine regelrechte Euphorie, und es keimte die Hoffnung, die Gamma-Bestrahlung zur Sterilisationsmethode der Wahl zu machen. Da aber zahlreiche Packmittel, Hilfsstoffe und Wirkstoffe empfindlich gegen Gamma-Sterilisation sind – z. B. können Kunststoffe porös werden oder sich verfärben; zwischen Wirk- und Hilfsstoffen können kovalente Bindungen auftreten – und die Bestrahlungsprozeduren nur von spezialisierten Bestrahlungsbetrieben ausgeführt werden können, ist man von diesem Gedanken abgekommen. Heute stellt die Methode ein wichtiges Verfahren zur Sterilisation von Medizinprodukten, pharmazeutischen Ausgangsmaterialien und (hitze-)empfindlichen Depotarzneiformen dar. Eine Strahlengefährdung für pharmazeutisches oder medizinisches Personal bei der Anwendung, sowie für Patienten ist vollständig auszuschließen.
Literatur [1] Weidenauer U. Neue Arzneiformen – Bilanz, aktuelle Trends und Ausblick. In: Mäder K, Weidenauer U (Eds). Innovative Arzneiformen. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 2009, pp 345 – 363. [2] Decision Trees for the Selection of Sterilization Methods; Annex to Note for Guidance on Development Pharmaceutics. 1998, Dokument des CPMP, Quality Working Party (QWP) 054/98. [3] Verordnung über radioaktive oder mit ionisierenden Strahlen behandelte Arzneimittel (AMRadV) in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. 01. 2007. BGBl I S. 48. [4] Hübner G, Zyball A. Strahlensterilisation – Die Sterilisation von Medizinprodukten mit Strahlen. Dtsch Apoth Ztg 1997;137:1802 – 1805. [5] Schulte U. Bestrahlung von Lebensmitteln – Ist die Angst vor bestrahlten Produkten begründet? Dtsch Apoth Ztg 2000; 140: 3473 – 3480.
Autor
Dr. Uwe Weidenauer
Fachapotheker für Pharmazeutische Technologie
Beethovenstraße 5, 69469 Weinheim
uwe.weidenauer@gmx.de
GlossarGray ist eine von den SI-Einheiten Joule und Kilogramm abgeleitete Größe. Sie gibt allgemein die durch ionisierende Strahlung absorbierte Energie pro Masse an. Die Einheit Gray ist der Quotient aus der aufgenommenen Energie und der Masse des Körpers: 1 Gy = 1 J/kg Für Menschen sind Dosen ab ca. 20.000 Gy (20 kGy) tödlich. Beta-Zerfall: Umwandlung von Neutronen (n) in Protonen (p) unter Emission von Beta-Strahlen. Beta-Strahlen bestehen aus Elektronen (e–) und Antineutrinos (ν) (s. Grafik) oder aus Positronen (e+) und Neutrinos (ν). |
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