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Aus Kammern und Verbänden
Besuch der Alten Raths-Apotheke in Lüneburg
Die Apothekengeschichte der Hansestadt Lüneburg lässt sich bis ins 13. Jahrhundert zurückverfolgen: 1294 wurde erstmals ein Apotheker in Lüneburg urkundlich erwähnt. Ab 1437 befand sich eine Apotheke in der Großen Bäckerstraße Nr. 5, die der Rat der Stadt Lüneburg 1475 kaufte und verwalten ließ. Den Kaufvertrag sowie das komplette Inventarverzeichnis verwahrt heute das Stadtarchiv. Besagte Apotheke wurde 1524 einige Häuser weiter in die Große Bäckerstraße Nr. 9 verlegt. Seither befindet sich die Alte Raths-Apotheke, deren Namen sich seit 1710 einbürgerte, an demselben Standort und ist noch immer in Betrieb.
Das Backsteingebäude, das auf einem gotischen Vorläufer basiert, wurde 1598 fertig gestellt und präsentiert sich mit einem fünfstöckigen Staffelgiebel im Stil der Renaissance. Der Giebel ist durch die Arkaden der Fensterreihen mit Tausteinen (schräg gesetzte Steine, die den Eindruck eines Taus erwecken) und Viertelkreisformsteinen sowie durch Gesimse gegliedert.
Besonders imposant sticht das farbenfrohe Sandsteinportal hervor, das über zwei Stockwerke reicht. Es wurde speziell für die Apotheke geschaffen, denn die beiden den Eingang flankieren-den Figuren tragen je ein Apothekengefäß und symbolisieren die für die organoleptische Prüfung erforderlichen Sinne "olfactus” (Geruch) und "gustus” (Geschmack). Die heutige Farbgestaltung ist dem Original nachempfunden. Es stammt wahrscheinlich von Daniel Freese (1540 – 1611), der seit 1573 in Lüneburg tätig war.
Über dem Portal befindet sich ein Epigramm, das über den Zweck der Apotheke Auskunft gibt. Werbeträchtig werden darin die von den Ärzten Hippokrates und Paracelsus empfohlenen Medikamente angepriesen: "Hic herbae et succi varia et medicamina prostant, quae numero Hippocrates vel Paracelsus habet …” (Hier gibt es Kräuter, Säfte und viele Medikamente, die schon Hippokrates und Paracelsus verwendeten …). Übrigens soll Theophrastus von Hohenheim genannt Paracelsus auf seinen vielen Reisen auch kurzzeitig in Lüneburg verweilt haben.
Apotheker Gert Wellsow, der bis 2000 die Alte Raths-Apotheke geleitet hatte, führte die Besucher hinauf auf den Dachboden. Dort befindet sich eine fast vollständig eingerichtete Kräuterkammer aus dem Erbauungsjahr der Apotheke, unterteilt in zwei Räume. Sie ist eine wertvolle Rarität, die Herr Wellsow professionell konserviert. An den Wänden befinden sich bis zur Decke reichende Schubladenfronten mit unterschiedlich großen Kisten. Während ein großer Arbeitstisch den einen Raum ausfüllt, befinden sich im zweiten Raum zusätzlich drei Reihen großer Klappkisten zur Aufnahme größerer Kräutermengen.
Die Gefäße in den Kammern zeugen aufgrund ihrer unterschiedlichen Stilrichtungen von der langen Tradition des Hauses. Große Teile des Inventars stammen aus den Anfangsjahren der Apotheke. Nach professioneller Entfernung der Übermalung wurden Ornamente im Renaissancestil (Beschlagwerk) sowie pharmazeutische Beschriftungen aus dem 16. Jahrhundert freigelegt. Viele Kisten und Standgefäße enthalten noch heute die obsolete Materia medica vergangener Jahrhunderte und dokumentieren ein Stück Arzneimittelgeschichte. Neben gut erhaltenen Bilsenkrautpflastern zeigte Herr Wellsow unter anderem diverse Pigmente, gebündelte Radixdrogen, Matikoblätter, Bezoarsteine, Harze sowie sehr gut erhaltene Exemplare des Stincus marinus, einer einst offizinellen Eidechse aus der Levante.
Hervorzuheben ist auch die teilweise freigelegte Deckenbemalung aus dem 16. Jahrhundert, die zeitgenössische Ärzte wie Andreas Vesalius (1514 – 1564), Conrad Geßner (1516 – 1565) und Valerius Cordus (1515 –1544) darstellt.
Abgerundet wurde der Nachmittag mit angeregten Diskussionen über das Erlebte in einem nahe gelegenen Café in der historischen Altstadt Lüneburgs. Es bleiben wunderbare Erinnerungen an ein Kleinod mittelalterlicher und neuzeitlicher Apothekengeschichte in Norddeutschland. Die Teilnehmer danken Herrn Wellsow für seine ausführliche und fachkundige Führung.
Birgit Steinke, Ahrensburg
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