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Arzneimittel und Therapie
Paracetamol und das Allergie- und Asthmarisiko
DAZ: Frau Professor von Mutius, inzwischen sind zwei Studien innerhalb des ISAAC-Programms erschienen, die einen Zusammenhang zwischen Paracetamol-Gebrauch und der Entstehung von Asthma und Allergien nahe legen. Wie bewerten Sie diese Studien?
Von Mutius: Bei diesen Studien gibt es ein ganz gravierendes Problem. Es handelt sich in beiden Fällen um Querschnittsstudien, also Studien, bei denen bei Auftreten von Asthma gefragt wird, wie die Paracetamol-Exposition gewesen ist. Das schränkt die Aussagekraft ein. Hinzu kommt, dass Paracetamol häufig zur Fiebersenkung gegeben wird, also dann, wenn Infekte vorliegen. Da aber auch Infekte das Asthmarisiko erhöhen, ist bei einer nachträglichen Befragung nicht mehr zu unterscheiden, ob das Asthma die Folge der Paracetamol-Gabe oder des Infektes gewesen ist. Wir haben also das Problem eines Bias by Indication.
DAZ: Gilt das gleichermaßen auch für ein erhöhtes Risiko für Allergien und Ekzeme?
Von Mutius: Das kann auch für Ekzeme und Allergien zutreffen, da diese häufig zusammen mit einem Asthma auftreten.
DAZ: Gibt es denn Studien, die einen Zusammenhang zwischen Paracetamol und Allergie- und Asthmarisiko belegen, bei denen man die Erkrankung als Ursache ausschließen kann?
Von Mutius: Bislang gibt es nicht ausreichend publizierte prospektive Studien zu diesem Thema. In einer prospektiven Studie erfasst man erst die Exposition zu Paracetamol, z. B. in der Schwangerschaft oder den ersten Lebensmonaten, und dann das Auftreten von Asthma. Man kann in solchen Studien also einen klaren zeitlichen Zusammenhang untersuchen. In einer kürzlich publizierten Studie aus Oslo war der Zusammenhang zwischen Paracetamol und Asthma schon nicht mehr so eindeutig. Andere Daten aus England, die kürzlich auf einem Kongress gezeigt wurden, aber bislang noch nicht publiziert wurden, legen ebenfalls keinen Zusammenhang nahe. Allerdings weisen einige Studien auf einen Zusammenhang zwischen einem erhöhten Allergie- und Asthmarisiko bei Kindern hin, wenn die Mütter in der Schwangerschaft Paracetamol eingenommen haben.
DAZ: Wie hoch war hier das Risiko?
Von Mutius: Das Risiko war nur geringfügig erhöht. In der ALSPAC-Studie (Avon longitudinal study of pregnancy and childhood), einer großen Kohortenstudie, wurde errechnet, dass das Asthmarisiko der Kinder um etwa 40% stieg, wenn die Mutter in der Schwangerschaft Paracetamol bekommen hatte.
DAZ: Sollten Schwangere vor diesem Hintergrund auf Paracetamol verzichten?
Von Mutius: Auch hier muss man sagen, dass der ursächliche Zusammenhang zwischen Asthma bei Kindern nach Paracetamol-Einnahme in der Schwangerschaft nicht erwiesen ist. Generell sollten Schwangere natürlich so wenig Arzneimittel wie möglich einnehmen und zunächst bei Beschwerden prüfen, ob nicht alternative Maßnahmen reichen. Erst wenn damit nicht geholfen werden kann, sollten möglichst risikoarme Arzneimittel eingesetzt werden, und das kann dann auch mal Paracetamol sein.
DAZ: Welche Konsequenzen ergeben sich denn aus den ISAAC-Studien für die Schmerz- und Fieberbehandlung bei Kindern, speziell bei Säuglingen und Kleinkindern?
Von Mutius: Die beiden Querschnittsstudien belegen in keiner Weise, dass Paracetamol ursächlich für ein erhöhtes Asthmarisiko verantwortlich ist. Sie äußern einen Verdacht. Eine schlüssige Antwort können nur prospektive Doppelblindstudien liefern, in denen beispielsweise Ibuprofen mit Paracetamol verglichen wird. Diese Studien stehen derzeit aber aus. Bei Fieber, gerade bei Säuglingen und Kleinkindern, empfehle ich, genau zu klären, ob eine bakterielle oder eine virale Infektion vorliegt. Bei bakteriellen Infektionen sind eventuell Antibiotika indiziert, so dass sich hier der Einsatz fiebersenkender Medikamente schnell erübrigt. Bei viralen Infektionen kommt es auf die Höhe des Fiebers an. Erst ab Temperaturen über 39 °C ist eine Fiebersenkung erforderlich. Dazu wird immer noch gerne Paracetamol dem Ibuprofen vorgezogen, weil es eine bessere antipyretische Wirkung hat. Das halte ich vor dem Hintergrund der doch schwachen Datenlage für ein potenziell erhöhtes Allergie- und Asthmarisiko nach wie vor für vertretbar.
DAZ: Frau Prof. von Mutius, vielen Dank für das Gespräch!
Prof. Dr. med. Erika von Mutius
Kinderklinik und Poliklinik im Dr. von Haunerschen Kinderspital
Lindwurmstraße 4
80337 München
Interview: Dr. Doris Uhl
Die ISAAC-StudienDie International Study of Asthma and Allergies in Childhood (ISAAC) sucht seit 1991 nach Erklärungen für die weltweit steigende Allergie- und Asthmaprävalenz. 2008 wurden die Ergebnisse einer in diesem Rahmen durchgeführten Querschnittsbefragung von Eltern und Erziehern publiziert, nach denen Kinder mit einem Paracetamolgebrauch im ersten Lebensjahr im Alter von sechs bis sieben Jahren ein um 46% erhöhtes Asthmarisiko hatten. Insgesamt waren für diese Studie Eltern und Erzieher von 205.487 Kindern aus 73 Zentren in 31 Ländern befragt worden. Jetzt wurden Ergebnisse einer ISAAC-Studie publiziert, in der 322 959 Jugendliche im Alter von 13 und 14 Jahren aus 113 Zentren und 50 Ländern nach Vorliegen von Asthma und Allergien und ihrem Paracetamolgebrauch befragt worden sind. Paracetamol ließ dabei das Asthmarisiko im Vergleich zur Nichtanwendung dosisabhängig steigen. Bei mittlerer Exposition (mindestens einmal im vergangenen Jahr) lag die Odds Ratio bei 1,43, bei hoher (mindestens einmal im letzten Monat) bei 2,51. Eine ähnliche Assoziation wurde auch für Heuschnupfen und Ekzeme festgestellt, und zwar sowohl in dieser als auch in der Studie zu den sechs- bis siebenjährigen Kindern. Diese Assoziation war unabhängig von dem Vorliegen von Asthma. Nach Ansicht der Autoren lässt diese Beobachtung vermuten, dass Paracetamol systemische entzündliche Eigenschaften haben könnte. Als möglichen Mechanismus diskutieren sie einen gesteigerten oxi-dativen Stress als Folge einer Überlastung Glutathion-abhängiger Enzyme, verbunden mit einer verstärkten TH2 vermittelten allergischen Immunantwort. Eine weitere Möglichkeit ist eine Unterdrückung der Immunantwort durch Paracetamol, die die Bekämpfung viraler Rhinovirusinfekte erschwert. Solche Infektionen gelten als wichtige Ursache für Asthmaexazerbationen sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen. In der Kindheit erhöhen sie das Risiko für Asthma. Quelle Beasley et al: Lancet 2008; 3072: 1039 – 48 Beasley R et al: Am J Respir. Crit. Care Med 2010, doi: 10.1164/rccm. 201005-0757OC du |
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