Medizin

Krumm gewachsen – Die Skoliose des Jugendlichen

Wie sich die Wirbelsäule "gerade ziehen" lässt

Von Thomas Randau und Robert Pflugmacher

Ist die Wirbelsäule zur Seite hin verbogen und verdreht, spricht man von einer Skoliose. Weder ist bekannt warum es gerade bei Mädchen in der Pubertät oft zu einer solchen Verkrümmung der Wirbelsäule kommt, noch sind sich operativ und konservativ tätige Orthopäden einig, ob und wann eine operative Therapie der meist schmerzfrei beginnenden Wachstumsstörung nötig und sinnvoll ist. Die wissenschaftliche Studienlage bleibt, trotz der langen Bekanntheit der Krankheit, dünn.

Die Haltungskorrektur der krummen (Skolios, altgr. "krumm") Wirbelsäule bei Kindern ist wohl eines der ältesten Anliegen des Faches der Orthopädie (Orthopädie – "gerade ziehen"). Zwischen 1% und 5% der Kinder im pubertären Wachstumsschub, darunter hauptsächlich Mädchen, entwickeln eine Skoliose. Die häufigste Form der Skoliose entsteht, ohne dass ein Grund für die Erkrankung gefunden werden kann, also primär und idiopathisch, man spricht auch von der adoleszenten idiopathischen Skoliose (AIS). Im Gegensatz dazu zeigen sich die sekundären Skoliosen als Symptom einer vorbestehenden Grunderkrankung, z. B. einer neurogenen Anlagestörung (Bogenschluss-Störungen oder Auffälligkeiten im Neuralrohr), bei verschiedenen Syndrom-Erkrankungen oder durch knöcherne Fehlbildungen (z. B. Halbwirbel, Blockwirbel).

Die Diagnose der adoleszenten idiopathischen Skoliose geschieht daher erst nach Ausschluss anderer Ursachen. Meistens thorakal lokalisiert und fast immer rechtskonvex, ist sie keine einfache Seitausbiegung der Wirbelsäule, sondern in der Regel als "Rotationslordose" eine dreidimensionale Wachstumsstörung. Dabei überwiegt das Wachstum der vorderen Säule der Wirbelsäule das Wachstum der hinteren Säule. Das Ergebnis ist eine Längenzunahme der vorderen Säule, welche sich für ihre vermehrte Ausdehnung einen Platz sucht: zunächst in einer Zunahme des Hohlkreuzes, bzw. im thorakalen Bereich durch eine Verringerung des physiologischen Rundrückens, dann durch ein Ausweichen zur Seite hin. Die Wirbelsäule rotiert um ihre Längsachse, die längere Vorderseite dreht sich zur Konvexseite einer Kurve hin, die hinteren Dornfortsätze zeigen zur Konkavseite hin. Mit der Rotation entsteht das, was sich in der radiologischen Bildgebung dann als Skoliose zeigt, nämlich die Seitausbiegung. Entsprechend kommt die Störung mit dem Wachstumsabschluss und dem Verschluss der stammnahen Wachstumsfugen (z. B. am Beckenkamm) meist zum Stillstand, und zeigt nur in Ausnahmefällen eine weitere Progredienz [1].

Zahlreiche Theorien

Verschiedene Theorien wurden entwickelt, um das ungleiche Wachstum der jugendlichen Wirbelsäule zu erklären. Von mechanischen Wachstumshindernissen im Bereich der hinteren Wirbelsäule durch verstärkten muskulären und ligamentären Zug, oder die Ausschüttung wachstumshemmender Substanzen durch das Rückenmark, das dem vermehrten Wachstumsreiz in der Pubertät entgegenzuwirken versucht (eine Störung im Melatonin-Stoffwechsel), bis zu unerkannten Störungen in der Neuroanatomie oder den Wachstumsfugen, sind zahlreiche Theorien entwickelt, und für bestimmte Fälle der AIS verifiziert worden. Auch ist eine familiäre Veranlagung hochwahrscheinlich, und verschiedene Gene sind ins Ziel der Forscher geraten – ein Skoliose-Gen scheint es aber nicht zu geben. Wesentlich wahrscheinlicher scheint es, dass die Erkrankungen, die als idiopathische Skoliose zusammengefasst werden, zahlreiche verschiedene Ursachen haben können, die erst nach und nach entschlüsselt werden [2].


Abb. 1: Die Bedeutung des Krümmungswinkels für die Prognose der idiopathischen Skoliose: Je jünger der Patient ist und je höher der Krümmungswinkel in jungem Alter ist, desto eher ist das Risiko einer Progredienz der Kurve gegeben (modifiziert nach [1]).

Schmerzfreier Beginn

Ebenso vielseitig wie die Gründe der Skoliose können dementsprechend die Symptome und der Verlauf der Erkrankung sein. Die Erkrankung beginnt zumeist schmerzfrei, was für die Betroffenen positiv ist, die frühzeitige Erkennung allerdings deutlich erschwert. Der weitere Verlauf gestaltet sich dann sehr unterschiedlich, und hängt vom Ausmaß der Deformität ab. Selbst stark ausgeprägte Verkrümmungen können, auch ohne spezifische Therapie, teils erstaunlich wenige Probleme verursachen. Auf der anderen Seite stehen vor allem ältere Schilderungen von dramatischen Verläufen, die schon nach kurzer Zeit stärkste Beschwerden verursachen und massive Einschränkungen in Lebensqualität und Funktionalität bedeuten können. Die objektivere Einschätzung des natürlichen Krankheitsverlaufes kann erst mit Studien der letzten 20 Jahre erfolgen, seit die Trennung der idiopathischen von den sekundären Skoliosen in moderner Diagnostik und Bildgebung zuverlässig gelingt. Demnach gehören zu den häufigsten Folgebeschwerden der AIS chronische Rückenschmerzen, eine stetige Zunahme des Neigungswinkels, sowie im Extremfall Einschränkungen der kardiopulmonalen Belastbarkeit. Neurologische Schäden oder eine signifikante Erhöhung der Mortalität können der AIS jedoch nicht zugeschrieben werden [3]. Die mögliche Progredienz der Krümmung hängt dabei stark vom Alter des Patienten und vom Ausmaß der bestehenden Krümmung ab: Je stärker die Krümmung und je jünger der Patient ist, desto wahrscheinlicher ist eine weitere Progredienz (s. Abb. 1).

Umstrittenes Screening

Da auch die Häufigkeit und Schwere von Folgeschäden mit dem Ausmaß des Krümmungswinkels zu korrelieren scheinen, ist es das oberste Ziel aller Therapien, die Krümmung bei Wachstumsabschluss so gering wie möglich zu halten. Je früher die Therapie beginnt, umso höher sind die Aussichten, dieses Ziel zu erreichen. Ein Routine-Screening für Skoliose wird bisher nicht durchgeführt – auch wenn mit der J1-Untersuchung in Deutschland eine Gesundheitsvorsorge existiert, bei der Risikopatienten identifiziert werden könnten. Der Sinn von Reihenscreening-Untersuchungen ist seit Langem Gegenstand kontroverser Diskussionen, und die Studienlage ist widersprüchlich. Durch Screening-Untersuchungen mittels Vorneigetest oder nicht-invasive bildgebende Verfahren kann ein früherer Behandlungsbeginn von Betroffenen zulasten einer hohen Rate an falsch-positiven Ergebnissen mit kostenintensiven Untersuchungen und unnötigen Röntgenbildern erkauft werden [4].


Abb. 2: Diagnostisches Instrumentarium für die Skoliose-Ambulanz: Beckenwaage, Inklinometer nach Bunnell (Skoliometer), Lotschnur, Winkelmesser. Eine gute klinische Untersuchung, möglichst durch stets den selben Untersucher, ist bei jeder Vorstellung des Patienten erforderlich, die Dokumentation über den Verlauf erlaubt eine Abschätzung der Progredienz des Krümmungswinkels.
Foto: Klinik und Poliklinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, Uni Bonn

Markant: asymmetrisches Rückenprofil

Am häufigsten wird der Verdacht auf eine Skoliose durch die Eltern der Betroffenen oder im Rahmen anderer Untersuchungen als Zufallsbefund gestellt. Als markanteste sichtbare Zeichen fallen meist die Asymmetrie der Schultern und der Taillendreiecke, eine Lotabweichung der Dornfortsatzreihe, sowie im Vorneigetest ein Rippenbuckel auf der Konvexseite der Krümmung auf – dabei heben sich die Rippen durch die Fehlrotation der Wirbelsäule meist rechts deutlich über die Rückenebene, wenn der Patient sich nach vorne überneigt. Der Verdacht der Skoliose bedarf der weiteren Abklärung durch den Orthopäden oder eine spezialisierte Fachambulanz, die meistens den Universitätskliniken angeschlossen sind. Dabei gehört, außer einer Beschwerde- und Risikoanamnese und der objektiven Vermessung der Asymmetrien in der klinischen Untersuchung (s. Abb. 2) auch die radiologische Diagnostik zum festen Bestandteil der Diagnostik. Die Bildgebung sollte dabei als Wirbelsäulen-Ganzaufnahme im postero-anterioren (pa) und im lateralen Strahlengang erfolgen, ein vorbestehender Beckenschiefstand wird für die Aufnahmen ausgeglichen. Gegebenenfalls kann eine radiologische Bestimmung des Skelettalters oder die Beurteilung der Wachstumsfugen des Beckenkammes (sog. Zeichen nach Risser) für die Planung des weiteren Prozedere erforderlich sein. In der pa-Aufnahme kann die objektive Vermessung des Skoliosewinkels nach Cobb, sowie die Bestimmung der Rotation des Scheitelwirbels im Apex der Kurve nach Nash/Moe oder Raimondi erfolgen (s. Abb. 3), die seitliche Aufnahme dient der Beurteilung des sagittalen Profils und dem Ausschluss knöcherner Anlagestörungen [5].


Abb. 3: Vermessungen am Röntgenbild In der Wirbelsäulenganzaufnahme A werden die am stärksten geneigten Wirbel, die sog. Endwirbel der Kurve, identifiziert und der Winkel zwischen einer zu den Deckplatten der Wirbelkörper senkrecht stehenden Geraden bestimmt (im Beispiel 45°). Im Scheitel der Kurve (B) steht meist der Wirbel mit der größten Rotation, die über die Projektion der Bogenwurzel (rot markiert) im Röntgenbild vermessen werden kann. Der Schnittpunkt einer Geraden durch die Bogenwurzel im Verhältnis zur Gesamtbreite des Wirbels bestimmt die Rotation nach Raimondi (hier ca. 28°) oder nach Nash/Moe (II°). In den Röntgenbildern der Beckenkamm-Apophyse nach Risser (C) lässt sich der Schluss der stammnahen Wachstumsfugen dokumentieren. Die Apophyse ist im Beispiel voll verknöchert, aber noch nicht verschmolzen, entsprechend Risser Grad 3 (nach der europäischen Klassifikation).
Foto: Klinik und Poliklinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, Uni Bonn

Problem Strahlenexposition

Der Strahlenhygiene kommt bei den jugendlichen Patientinnen eine besondere Bedeutung zu. Untersuchungen historischer Kollektive zeigen eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für maligne Erkrankungen und eine Einschränkung der Reproduktionsrate bei Frauen, die als Jugendliche vermehrten Röntgen-Verlaufskontrollen ausgesetzt waren. Moderne digitale Röntgenanlagen reduzieren die nötige Strahlendosis deutlich, die Aufnahme im postero-anterioren Strahlengang schützt zudem die empfindlichen Organe Schilddrüse und Brust [6]. Gute Daten über die Folgen der Strahlenexposition heutzutage untersuchter Jugendlicher liegen bisher nicht vor. Eine strahlenfreie dreidimensionale Körpervermessung mittels Moiré-Topographie erreicht inzwischen zwar eine gute Korrelation mit den röntgenologischen Befunden, kann aber die radiologische Bildgebung nicht ersetzen. Die durch Lichtprojektion und -reflektion gewonnenen 3D-Informationen des Moiré-Verfahrens entsprechen denen, die ein erfahrener Untersucher auch in einer klinischen Untersuchung erheben kann, mit dem Vorteil einer besseren Objektivierbarkeit [7]. Das Verfahren wird von den gesetzlichen Krankenkassen jedoch in der Regel nicht übernommen, und ist nicht flächendeckend verfügbar. Die Magnetresonanztomographie (MRT) kann in Ausnahmefällen eine Röntgenuntersuchung ersetzen, zeigt aber durch die Anfertigung im Liegen nicht die physiologische Situation der belasteten Wirbelsäule und ist für die Vermessung und Prognoseabschätzung nicht zu verwenden.

Eine Skoliose liegt definitionsgemäß vor, wenn der Krümmungswinkel nach Cobb die 10° überschreitet. In der klinischen Praxis sollte die Rotation mit berücksichtigt werden – eine strukturelle, also knöchern fixierte Skoliose geht aufgrund ihres Entstehungsmechanismus in der Regel mit einer Verdrehung der Wirbel einher. Bei geringeren Krümmungswinkeln oder gänzlich fehlender Rotationskomponente liegt die Differentialdiagnose einer primär muskulären skoliotischen Fehlhaltung nahe, die beobachtet und Symptom-adaptiert therapiert werden kann. Wird eine Skoliose diagnostiziert, so ist die Therapie abhängig vom Ausmaß der Krümmung. Das oberste Therapieziel ist immer, eine Progredienz im weiteren Wachstum zu verhindern, und den Krümmungswinkel bis zum Wachstumsabschluss stabil zu halten. Eine Verbesserung des Krümmungswinkels gelingt in konservativer Therapie leider häufig nicht.

Muskelkräftigung durch regelmäßige Bewegung

Bei Krümmungswinkel unter 20° wird mit einer haltungskorrigierenden Krankengymnastik begonnen. Hierbei ist die oft angewandte Methode nach Lehnert-Schroth diejenige, die wissenschaftlich am besten untersucht ist. Auch andere Therapien auf neurophysiologischer Basis, z. B. nach Vojta, kommen infrage. Generell gilt die Ansicht, dass jede regelmäßige körperliche Betätigung – sportlich oder physiotherapeutisch – durch die damit verbundene Muskelkräftigung und Aktivität einen positiven Einfluss auf den Verlauf der Skoliose haben kann [8]. Für den lange diskutierten Zusammenhang zwischen Leistungssport und Skoliose gibt es keine schlüssigen Hinweise [9]. Die Sportfähigkeit ist bei beschwerdefreien Patienten daher nicht eingeschränkt, und ein Sportverbot für bestimmte Sportarten, so sie denn physiologisch ausgeübt werden, wird heute nicht mehr ausgesprochen.


Abb. 4: Gipsabdruck und fertiges Cheneau-Korsett Der Abdruck für das 23-h-Korsett wird im Stehen am Patienten anmodelliert, anschließend wird ein Gipsmodell des Torsos hergestellt und die Druckzonen bestimmt. Das Korsett aus thermoplastischem Kunststoff wird an den Gipstorso anmodelliert, die "Feinabstimmung" erfolgt dann mit dem Patienten zusammen, am besten über einen kurzen stationären Aufenthalt (Fotos mit freundlicher Genehmigung von Herrn Klasen, rahm-Zentrum für Gesundheit).
Foto: Klasen, rahm-Zentrum für Gesundheit

Korsett muss akzeptiert werden

Bei einem Krümmungswinkel von über 20° und noch vorhandenem Wachstumspotenzial ist eine Stütztherapie im Korsett indiziert. Das Cheneau-Korsett, nach Maß und Abdruck von einem im Korsettbau erfahrenen Orthopädietechniker für den Patienten individuell gefertigt und in Zusammenarbeit mit dem behandelnden Arzt angepasst, ist die Therapie der Wahl (Abb. 4). Obwohl die wissenschaftliche Datenlage auch hier noch immer spärlich ist [10], ist eine positive Wirkung der Therapie belegbar [11]. Die Druckstellen der im Korsett platzierten Pelotten liegen knapp unterhalb des Apex der Kurve und wirken, durch die Abstützung am Becken, der Rumpfrotation entgegen. Der Patient wird durch den Druck zu einer aktiven Gegenrotation ermahnt, während passiv das weitere Wachstum der Kurve entgegengelenkt wird. Aussicht auf Erfolg der Behandlung besteht nur, wenn die Entscheidung zur Korsetttherapie gemeinsam mit dem Patienten getroffen wird und nicht über seinen Kopf hinweg bestimmt wird. Der Tragecompliance kommt dabei wesentliche Bedeutung zu. Auch wenn ein nur zeitweise getragenes Korsett eine positive Wirkung erzielen kann [12], wird eine Tragedauer von 23 Stunden täglich empfohlen. Getragen wird das Korsett jedoch nur, wenn es vom Patienten auch als notwendige Therapiemaßnahme akzeptiert wird. Gerade im peripubertären Alter kann es mitunter schwierig bis unmöglich sein, diese Einsicht zu erreichen. Soziale und psychosoziale Faktoren müssen mit ins Gewicht genommen werden, die Indikation ist stets im Einzelfall mit Patient(in) und Familie zu diskutieren, und gemeinsam zu stellen.

Regelmäßig werden neue oder modifizierte Korsettkonzepte entwickelt und evaluiert, z. B. das SpineCor® , das Cheneau-Light Brace oder das Dresdner Night-Time Brace. In der Tat können leichtere und unauffällige Modelle sowie solche mit geringerer Tragedauer pro Tag die Compliance und Akzeptanz deutlich erhöhen. Die Studiendaten zur Effektivität der Therapie sind jedoch noch rar, und diese Variationen sollten Einzelindikationen, Studienpopulationen oder grenzwertig korsettpflichtigen Befunden vorbehalten bleiben.

Operative Korrektur mit Risiken

Insgesamt kann die konservative Therapie der Skoliose, wenn sie rechtzeitig begonnen und korrekt durchgeführt wird, erfolgreich eine Kurvenprogredienz verhindern [13]. Dennoch bleibt auch die operative Therapie fester Bestandteil der Skoliose-Behandlung. Die Meinungen darüber, welche Befunde operationswürdig oder gar operationspflichtig sind, gehen weit auseinander [14]. Krümmungen, welche 40° – 50° überschreiten, können eine weitere Zunahme im Laufe des späteren Lebens zeigen, auch nach definitivem Abschluss des Längenwachstums. Die Indikation zur OP ergibt sich daher aus dem Gesamtbild – besteht eine ausgeprägte Deformität verbunden mit dem hohen Risiko einer weiteren Progredienz, so ist die operative Korrektur neben den anderen Behandlungsalternativen zu diskutieren, um die Wirbelsäule wieder aufzurichten, definitiv zu stabilisieren und Spätfolgen vorzubeugen. Auf der anderen Seite stehen die Bedenken, die einer so großen Operation entgegenzubringen sind. Ein in der Regel beschwerdefreier, nicht selten minderjähriger Patient wird einer Prozedur unterzogen, die in jedem Falle unwiderruflich und lebensverändernd, im schlimmsten Falle auch lebensbedrohlich ist. Obwohl heute die moderne Wirbelsäulenchirurgie vergleichsweise sichere und gute Ergebnisse liefern kann, fehlen in der Tat nach wie vor Studien zur systematischen Erfassung von Risiken, Komplikationen, Spätfolgen und Langzeitergebnissen [15]. Präsentieren sich erwachsene Patienten, auch mit einer ausgeprägten Skoliose, so ist es entscheidend zu klären, ob diese eine weitere Progredienz zeigt, oder nicht. Zudem ist es maßgeblich, ob der erwachsene Patient Beschwerden beklagt, die durch eine Operation verbessert werden können.


Abb. 5: Instrumentierung der Wirbelsäule am Beispiel von Pedikelschrauben und Stab-System, von rückseitig aus eingebracht (oben) sowie in Doppelstabtechnik von der Seite aus (unten). Schrauben in den Wirbelkörpern und winkelstabile Verbindungen zu den zwei Längsstäben sichern das Repositionsergebnis, bis eine knöcherne Heilung erreicht ist.

Bilder mit freundlicher Genehmigung der Peter Brehm GmbH, Weisendorf.

Richtiger Zeitpunkt ist Gratwanderung

Der ideale Zeitpunkt zur OP ist ebenfalls individuell zu bestimmen. Wenn bereits im jugendlichen Alter operiert wird, so besteht aufgrund der höheren Flexibilität der Wirbelsäule häufig eine gute Chance zur Wiederaufrichtung der bestehenden Deformität – ein Vorteil, der mit zunehmendem Alter der Patienten verloren geht. Zudem zeigt der klinische Alltag, dass junge Patienten die häufig langen und aufwendigen Operationen wesentlich besser verkraften, und deutlich rascher wieder mobilisierbar sind. Andererseits ist es erstrebenswert, ein Ende des Größenwachstums abzuwarten, da die Versteifung ein Wachstumshindernis darstellt.

Wird die Entscheidung zur Operation getroffen, so stehen, abhängig vom Befund, verschiedene Möglichkeiten der Herangehensweise zur Verfügung. Ziel der Operation ist stets die Korrektur und Versteifung des betroffenen Wirbelsäulenabschnittes im Sinne einer Korrekturspondylodese. Im Wesentlichen finden zwei Verfahren Anwendung. Die dorsale Spondylodese mit Pedikelschrauben oder -haken ist das häufigste Vorgehen (Abb. 5). Hierbei werden über einen dorsalen Schnitt in der Linie der Dornfortsätze die Wirbelbögen dargestellt, und die Bogenwurzeln oder Wirbelbögen mit Schrauben oder Haken instrumentiert. Die Entfernung der rückseitigen Band- und Gelenkstrukturen der Wirbelsäule erhöht die Flexibilität und erlaubt so eine Reposition und Wiederaufrichtung der Krümmung, die dann über zwei in die Pedikelschrauben eingesetzten Stäbe gehalten wird. Die knöcherne Fusion der operierten Segmente wird durch die Anlagerung von patienteneigenem Knochenmark an die eröffneten Wirbelbögen erreicht [16]. Alternativ kann über einen ventrolateralen Zugang vorgegangen werden, ggf. auch endoskopisch gestützt. Dabei kann über einen Schnitt zwischen den Rippen hindurch die Wirbelsäule von der Seite aus adressiert werden. Im Vergleich zur dorsalen Technik soll durch die Entfernung der vorderen Bänder und der Bandscheiben eine bessere Korrektur und Wiederaufrichtung möglich sein. Zusätzlich kann die Instrumentierung und Versteifung ggf. über weniger Bewegungssegmente erfolgen. Dafür ist der Zugang komplikationsträchtiger und schwieriger durchzuführen, die Nähe der großen Gefäße und empfindlichen Thoraxorgane können zusätzlich intraoperativ Probleme bereiten [17]. Nur in Ausnahmefällen ist eine Kombination beider Verfahren notwendig.

Ungeklärte Fragen

Zusammenfassend müssen wir erkennen, dass das Krankheitsbild der idiopathischen Skoliose des Jugendlichen nach wie vor zahlreiche ungeklärte Fragen bereit hält. Weitere Studien, sowohl im Bereich der Grundlagenforschung, als auch in der klinischen Forschung, sind notwendig um zur Klärung beizutragen, und die Erkrankung besser zu verstehen.

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Autoren
Thomas Randau, Dr. Robert Pflugmacher, Klinik und Poliklinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, Universitätsklinikum Bonn, Sigmund-Freud-Str. 25, 53127 Bonn

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