Arzneimittel und Therapie

Neue gezielte Strategie gegen Grippeviren

Gegen zahlreiche Virustatika sind Viren – und ganz besonders Influenzaviren – mittlerweile resistent. Wegen der hohen Wandlungsfähigkeit der Viren müssen auch Impfstoffe immer wieder an den aktuellen Stamm angepasst werden. Die "Schweinegrippe", die sich im letzten Jahr innerhalb weniger Wochen weltweit ausbreitete, hat die Dringlichkeit neuer Bekämpfungsstrategien aufgezeigt. Jetzt haben Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie nachgewiesen, wie die sogenannte RNA-Interferenz-Technologie neue Angriffsmöglichkeiten eröffnen könnte.

Von einer Grippeerkrankung sind nach Schätzungen der World Health Organization (WHO) jährlich 10 bis 20% der Weltbevölkerung betroffen. Die saisonale ("interpandemische") Influenza gehört zu den Infektionskrankheiten mit der höchsten Mortalität, wobei vor allem ältere Menschen und Personen mit bestimmten chronischen Grunderkrankungen betroffen sind. In Deutschland wurden in den letzten Jahren für die Wintermonate jeweils zwischen 629 und 1677 Influenzaerkrankungen nachgewiesen. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die tatsächliche Zahl der an einer Grippe Erkrankten deutlich höher liegt. So gehen vorsichtige Schätzungen von mindestens 7000, andere gar von etwa 14.000 Todesfällen pro Jahr aus, deren eigentliche Ursache eine Infektion mit Grippeviren ist.

Die RNA-Referenz-Technologie zeigt neue Wege auf

Zur Verhütung und Behandlung von Grippeinfektionen stehen bislang ausschließlich Impfstoffe und antivirale Medikamente zur Verfügung, die gegen das Virus direkt gerichtet sind. Impfstoffe müssen jedoch immer wieder an den spezifischen Subtyp angepasst werden und gegen zahlreiche Virustatika sind Influenzaviren mittlerweile resistent. Die Berliner Wissenschaftler haben mit der RNA-Referenz-Technologie jetzt neue, wirtseigene Angriffsziele gefunden. RNA-Interferenz ist ein komplexer molekularbiologischer Mechanismus, bei dem Gene stillgelegt werden (gene silencing). In der Zelle dient dieser natürliche Vorgang dazu, nur diejenigen Gene in Proteine zu übersetzen, die in der betreffenden Zelle auch tatsächlich benötigt werden. Bei ihrer eigenen Vermehrung sind Grippeviren von ganz bestimmten Proteinen der infizierten Zelle abhängig. Im automatisierten Verfahren wurde jedes einzelne Gen des Menschen gehemmt und damit auch die Bildung der entsprechenden Proteine verhindert. Anschließend wurden die Zellen mit Influenzaviren infiziert und auf ihre verbliebene Vermehrungsfähigkeit getestet. Unter den etwa 24.000 Genen des Menschen wurden daraufhin 287 Wirtszellfaktoren gefunden, die an der Virusvermehrung beteiligt sind. Viele der identifizierten Proteine sind für unterschiedliche Influenzaviren gleichermaßen wichtig, darunter das neue H1N1-Virus. Aber auch das H5N1-Virus, der Erreger der Vogelgrippe, war von den identifizierten Genen abhängig.

Langfristiges Ziel ist die Entwicklung von Medikamenten, die diese Wirtszellfaktoren blockieren. Man geht davon aus, dass solche neuartigen Virustatika kaum zu einer Resistenzentwicklung führen und sich auch gegen bisher unbekannte Influenzasubtypen als wirksam erweisen. Dies ginge wesentlich schneller als die klassische Entwicklung neuer niedermolekularer Wirkstoffe. Möglicherweise könnten die identifizierten Gene auch direkt durch die RNA-Interferenz-Technologie gehemmt werden.


Quellen

Karlas, A.; et al.: Human host cell factors crucial for influenza virus replication identified by genome-wide RNAi screen. Nature, doi:10.1038, 17.01.2010.

www.rki.de


Dr. Hans-Peter Hanssen

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