Arzneimittel und Therapie

Chronische Schmerzen mit Tai Chi lindern?

Die im alten China entwickelte Kampfkunst Tai Chi, auch Tai Chi Chuan (andere Schreibweise: Taijiquan) oder chinesisches Schattenboxen genannt, wird im Fernen Osten seit mehreren Jahrhunderten praktiziert. Ein zwölfwöchiger Tai-Chi-Intensivkurs führte in einer kleinen randomisierten Studie bei Patienten mit Fibromyalgie zu signifikanten Verbesserungen in der Beweglichkeit und Lebensqualität.

Tai Chi Chuan bedeutet soviel wie "oberstes Prinzip des Faustkampfes". Mitte des vorigen Jahrhunderts verbreitete sich diese ganzheitliche Methode auch in Amerika und Europa. Beim Tai Chi werden Meditation, sanfte, fließende Körperbewegungen und spezielle Atemübungen miteinander kombiniert. Ziel ist es, den Fluss der Lebensenergie Chi durch den Körper zu verbessern. Es gibt mehrere Tai-Chi-Schulen, deren Philosophien sich leicht voneinander unterscheiden.

Ermutigende Ergebnisse aus kleinen Untersuchungen

Kleine Untersuchungen hatten bereits gezeigt, dass Tai Chi bei Fibromyalgiepatienten, aber auch bei Patienten mit anderen chronischen Erkrankungen wie z. B. rheumatoide Arthritis Symptome lindern und die Lebensqualität verbessern kann. Diese Ergebnisse ermutigten Wissenschaftler aus Boston zur Durchführung einer einfach verblindeten Studie mit 66 Fibromyalgiepatienten. Sie wurden auf zwei Gruppen mit je 33 Teilnehmern randomisiert und nahmen über einen Zeitraum von zwölf Wochen zweimal wöchentlich an 60-minütigen Interventionen teil. Die Patienten der Tai-Chi-Gruppe wurden in der ersten Sitzung über die Philosophie der Kampfkunst und ihre Techniken mündlich und schriftlich aufgeklärt. An den folgenden Terminen erlernten sie zehn verschiedene Techniken des Yang-Stils, jede Session begann mit Erwärmung und Selbstmassage. Die Patienten wurden instruiert, die Übungen zu Hause täglich mindestens 20 Minuten lang durchzuführen.

Fibromyalgie – die "unverstandene Krankheit"

Die Fibromyalgie, früher als Weichteilrheumatismus bezeichnet, ist eine Erkrankung mit hohem Leidensdruck, von der weltweit schätzungsweise mindestens 200 Millionen Menschen betroffen sind. Wörtlich übersetzt bedeutet Fibromyalgie "Faser-Muskel-Schmerz". Wegen der vielfältigen, teilweise ungeklärten Ursachen wird der Begriff Fibromyalgiesyndrom (FMS) verwendet.

Die Pathogenese der Erkrankung ist weitgehend ungeklärt. Man vermutet ein Zusammenspiel zwischen lokalen organisch bedingten Schmerzen, körperlichen Grunderkrankungen, genetischen und psychischen Faktoren (z. B. Stress, Lebenskrisen), die in der Kombination beim Patienten zu einer Überforderung und schließlich zu einem chronischen Schmerzerleben führen. Überwiegend sind Körperregionen wie Rücken (Nacken, Brustkorb, Kreuz) sowie Arme und Beine betroffen. Dazu kommen häufig chronische Müdigkeit und Schlafstörungen, Morgensteifigkeit oder Schwellungsgefühle in den Händen, Füßen oder im Gesicht. Viele Betroffene leiden unter Beschwerden der inneren Organe (z. B. Reizmagen-, Reizdarm-, Reizblasensymptome), Kopfschmerzen, Trockenheit bzw. Überempfindlichkeit der Schleimhäute sowie seelischen Beschwerden (z. B. Konzentrationsstörungen, vermehrte Ängstlichkeit oder Depressivität).

Zur Therapie des Fibromyalgiesyndroms kommen eine Vielzahl medikamentöser und nicht-medikamentöser Verfahren zum Einsatz. Die Arbeitsgemeinschaft Wissenschaftlicher Medizinischer Fachgesellschaften (AWMF) empfiehlt eine multimodale Therapie und die Anwendung eines Algorithmus. Der Begriff "multimodale Therapie" bezieht sich in diesem Kontext auf Behandlungsverfahren, die obligat eine aufeinander abgestimmte medizinische Trainingstherapie oder andere Formen der aktivierenden Bewegungstherapie in Kombination mit psychotherapeutischen Verfahren beinhalten. Weitere Verfahren können fakultativ eingesetzt werden.

Nach zwölf Wochen erhielten sie eine Instruktions-DVD und wurden aufgefordert, die Übungen bis zur Follow-up-Visite nach 24 Wochen selbstständig fortzusetzen. Die Patienten der Kontrollgruppe nahmen zweimal wöchentlich an 40-minütigen Vorträgen teil, in denen sie von Experten ausführlich über ihre Erkrankung, deren Diagnostik und Behandlungsmöglichkeiten aufgeklärt wurden. Im Anschluss an diese Vorträge führten die Teilnehmer unter Anleitung Dehnübungen durch und wurden dazu angehalten, diese nach Möglichkeit zu Hause für täglich 20 Minuten zu praktizieren.

"Der zeitlich befristete Einsatz von Tai Qi und QiGong kann innerhalb multimodaler Therapiekonzepte erwogen werden. "

 

(aus: AWMF-Leitlinie Fibromyalgiesyndrom, Patientenversion) 

Primärer Endpunkt der Studie waren Veränderungen in einem Fibromyalgie-spezifischen Fragebogen (Fibromyalgia Impact Questionnaire, FIQ, Score von 0 bis 100, höhere Punktzahlen stehen für schwerwiegendere Symptome) nach zwölf Wochen. Dieser validierte, multidimensionale Fragebogen dient der Einschätzung der Schwere der Erkrankung – vor allem in Bezug auf die Einschränkungen in Beruf und Alltag – aus Sicht des Patienten. Die sekundären Endpunkte umfassten Einschätzungen der physischen und mentalen Verfassung der Teilnehmer (z. B. nach dem Short-Form Health Survey, SF-36). Die Patienten nahmen weiterhin ihre üblichen Medikamente ein und waren angehalten, jegliche Veränderungen bezüglich der Einnahme z. B. von Analgetika, Antidepressiva, Antikonvulsiva oder Benzodiazepinen zu dokumentieren.

Nach 24 Wochen wurden alle Untersuchungen wiederholt mit dem Ziel, die Beständigkeit des Ansprechens zu erfassen.

Ergebnisse der Studie

Bei den Patienten der Tai-Chi-Gruppe waren klinisch bedeutsame Verbesserungen im FIQ-Gesamtscore und in der Lebensqualität zu verzeichnen. Ihre mittleren FIQ-Scores betrugen zu Studienbeginn (Baseline) 62,9 ± 15,5 Punkte, nach zwölf Wochen 35,1 ± 18,8 Punkte. In der Kontrollgruppe dagegen kam es nur zu geringfügigen Verbesserungen (von 68,0 ± 11 auf 58,6 ± 17,6 Punkte). Der Unterschied zwischen beiden Gruppen, das heißt die beobachteten Veränderungen in den beiden Scores, waren statistisch signifikant (-18,4, p < 0,001).

Auch bei den sekundären Endpunkten kam es bei den Teilnehmern der Tai-Chi-Kurse zu signifikanten Verbesserungen.

Die Verbesserungen hielten über 24 Wochen an (Gruppendifferenz im FIQ-Score -18,3 Punkte, p < 0,001), Nebenwirkungen wurden nicht beobachtet.

"Bemerkenswerte Studie"

Die Studie von Wang und Mitarbeitern ist nicht die erste, die den Einsatz von Tai Chi bei Fibromyalgie untersucht. Obwohl man in früheren Untersuchungen Behandlungserfolge wie Schmerzreduktion oder Verbesserungen in der Beweglichkeit der Patienten beobachtet hatte, waren diese nicht besser als in den jeweiligen Vergleichsgruppen. Kommentatoren halten die Ergebnisse der Studie daher für bemerkenswert. Sie werfen jedoch die Frage auf, wie groß der Nutzen des Tai Chi im Vergleich zu Placebo ist und welches eine angemessene Kontroll-Intervention für Tai Chi sein könnte. Sie regen an, weitere Studien mit längeren Beobachtungszeiträumen und größeren Patientenzahlen durchzuführen. Auch Vergleiche mit anderen Therapieformen wie Yoga sowie Berechnungen der Kosten-Effektivität wären ihrer Ansicht nach hilfreich. Ihr Fazit: Die Zeit ist noch nicht reif dafür, dass ein Arzt für einen Fibromyalgiepatienten auf dem Rezeptformular "Tai Chi" verordnet.

Quelle Wang, Ch., et al.: A randomized trial of Tai Chi for fibromyalgia. N Engl J Med (2010) 363: 8; 743 – 754. Yeh, GY, et al.: Prescribing Tai Chi for fibromyalgia – are we there yet? N Engl J Med (2010) 363: 8; 783 – 784.


 

Leitlinie "Definition, Pathophysiologie, Diagnostik und Therapie des Fibromyalgiesyndroms" (Langfassung und Patientenversion), AWMF-Leitlinien-Register Nr. 041/004 und 041/004p, www.leitlinien.net/, letzte Überarbeitung jeweils 07/2008.

 

www.chirurgie-portal.de

 


 

Apothekerin Dr. Claudia Bruhn

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