Wiedervereinigung

"So kann zusammenwachsen, was zusammengehört."

20 Jahre wiedervereinigtes deutsches Apothekenwesen

Von Christoph Friedrich und Johannes Pieck

Am 7. Oktober 1989 feierte die DDR ihren 40. Geburtstag mit einem Staatsakt, an dem auch der KPdSU-Generalsekretär Michail Gorbatschow teilnahm. Dabei kam es zu Protestdemonstrationen, die die Volkspolizei und die Staatssicherheit mit Gewalt auflösten. Zwei Tage später fanden sich in Leipzig 70.000 Menschen zur Montagsdemonstration zusammen, die aufgrund des Appells sechs prominenter Leipziger Bürger, darunter der Gewandhauskapellmeister Kurt Masur, friedlich verlief. Das sogenannte "Wunder von Leipzig" gilt vielen als Beginn der friedlichen Revolution, die am 9. November mit der Öffnung der Berliner Mauer ihren Höhepunkt erreichte und zur Vereinigung der beiden deutschen Staaten am 3. Oktober 1990 führte. Der langwierige Prozess des Zusammenwachsens dauert in vielen Bereichen noch an – im Apothekenwesen ist er jedoch schon abgeschlossen.
Die Löwen-Apotheke in Weimar, Januar 1990. Aus [36]
Fotos: DAZ-Archiv

Kurze Chronik der friedlichen Revolution

Am 18. Oktober 1989 trat Erich Honecker (1912 – 1994) als SED-Generalsekretär zurück, kurz darauf auch als Staatsratsvorsitzender. Sein Nachfolger Egon Krenz kündigte Reiseerleichterungen an. Dennoch wurden die Demonstrationen in vielen Städten fortgesetzt. Am 4. November 1989 forderten eine halbe Million Menschen auf dem Berliner Alexanderplatz demokratische Mitbestimmungsrechte, Presse-, Meinungs- und Reisefreiheit. Die Mitteilung des Mitglieds des Politbüros Günter Schabowski am 9. November zum sofortigen Inkrafttreten eines neuen Gesetzes für Westreisen führte dazu, dass noch in derselben Nacht Tausende DDR-Bürger nach West-Berlin strömten, womit der Fall der Mauer besiegelt war.

Die Versuche von Hans Modrow, der am 13. November 1989 zum neuen Ministerpräsidenten gewählt worden war, die DDR als selbstständigen Staat zu erhalten, wurden von dem Wunsch der meisten DDR-Bürger, die nun den Ruf "Wir sind ein Volk!" skandierten, übertönt. Die ersten freien Volkskammerwahlen am 18. März 1990 zeigten ein eindeutiges Ergebnis: Mit 48% der Stimmen erhielt Lothar de Maizière den Auftrag, den Weg in die Einheit vorzubereiten. Die DDR sollte gemäß Artikel 23 des Grundgesetzes der Bundesrepublik beitreten. Am 23. August 1990 entschied sich die Volkskammer mehrheitlich für den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik, am 31. August unterzeichneten Wolfgang Schäuble und Günther Krause den Einigungsvertrag, und am 3. Oktober wurde die Einigung feierlich vollzogen.

Damit begann nun allerdings erst der mühsame und zum Teil sehr schwierige Prozess des Zusammenwachsens der vielfältigen wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Bereiche. Der Pharmaziehistoriker kann hier glücklicherweise konstatieren, dass das Zusammenwachsen der beiden Apothekenwesen erfolgreich gelungen ist, obwohl es sehr deutliche und markante Unterschiede zwischen den beiden Systemen gab.

Während das westdeutsche Apothekenwesen aus privat betriebenen und von ihren Besitzern geleiteten Apotheken bestand und die Anzahl der Apotheken nach Verkündung der Niederlassungsfreiheit beträchtlich gestiegen war [1], gab es in der DDR ein gänzlich anders strukturiertes und organisiertes System.


Apothekenschild, Anfang 1990 In das unkonventio­nelle A ist ein kleines Kreuz integriert. Damals war noch offen, ob sich das Apothekenwesen der DDR an dasjenige der Bundesrepublik angleichen würde. Aus [36]

Entwicklung des Apothekenwesens der DDR

Für das DDR-Apothekenwesen war zum einen charakteristisch, dass es weitgehend aus staatlichen Apotheken bestand, und zum anderen, dass es zentralistisch geleitet wurde. Schon 1946 hatte man in Sachsen mit der Überführung von Apotheken in Staatseigentum begonnen. Bereits 1950 befanden sich von den 1696 Apotheken in der DDR 428 in staatlichem Besitz, zehn Jahre später war der Anteil der privaten Offizinen bereits auf 10% gesunken. Die mit sanftem Druck vorangetriebene Verstaatlichung zu Lebzeiten der Besitzer, unterstützt von Entschädigungszahlungen und dem Angebot einer "Intelligenzrente" an diese, trug Früchte, sodass zum Ende der DDR nur noch 26 Privatapotheken existierten.

Nachdem 1952 aufgrund einer Verwaltungsreform 15 Bezirke an die Stelle der bisherigen Länder getreten waren, übernahm jeweils ein Bezirksarzt die Leitung des Gesundheitswesens, dem ein Bezirksapotheker als Verantwortlicher für das Apothekenwesen zur Seite stand. In den 229 gebildeten Kreisen und Stadtkreisen lösten Kreisärzte die Amtsärzte ab und zeichnete der Kreisapotheker für das Apothekenwesen verantwortlich.

Demgegenüber stieg die Apothekendichte nur langsam. Während in den nördlichen Bezirken 13.000 Einwohner auf eine Apotheke kamen, waren es in Ostberlin 7700. Da finanzielle Mittel für den Neubau von Apotheken fehlten, entstanden bis 1963 ca. 160 Zweigapotheken und 351 sogenannte "Arzneimittelausgabestellen", die jeweils einer Vollapotheke angegliedert waren und häufig auch von einem Apothekenassistenten bzw. Pharmazieingenieur geleitet wurden, über weniger Räume verfügten und eigentlich ein Provisorium darstellten. Bis 1980 stieg die Anzahl von Apotheken nur langsam, im Durchschnitt kamen 4717 Einwohner auf eine Offizin.

Nachdem sich der IV. Deutsche Apotheker-Tag der DDR 1966 mit Rationalisierungs- und Zentralisierungsfragen im Apothekenwesen beschäftigt hatte, begann die Bildung von aus mehreren Apotheken eines Territoriums bestehenden Versorgungsbetrieben; 1970 war in Mülhausen in Thüringen der erste Versorgungsbetrieb für Pharmazie und Medizintechnik gebildet worden. Die ab 1974 gegründeten Bezirksdirektionen – die erste entstand in Erfurt – sollten eine einheitliche Entwicklung des Apothekenwesens im Bezirk ermöglichen.

Die Struktur der "Bezirksapothekeninspektion", so der neue Name, und der Pharmazeutischen Zentren, die nunmehr von einem Direktor geleitet wurden, schrieb die 1984 erlassene "Verordnung über die Aufgaben der Apotheken und die Organisation des Apothekenwesens" vor. Die Pharmazeutischen Zentren enthielten neben den einzelnen Apotheken als "Versorgungskomplexe" Querschnittsbereiche wie die Abteilungen Pharmazie, Medizintechnik, Arzneimittelherstellung, Qualitätssicherung und Ökonomie sowie verschiedene Fachgebiete.

Die Abteilung Pharmazie war für die Bedarfsermittlung und Planung zuständig. Diese erfolgte auf Grundlage der verbrauchten Arzneimittel der Vorjahre nach einem starren Schema, das wenig Raum für Korrekturen ließ. Die nur 14-tägige Belieferung mit Fertigarzneimitteln führte häufig zu Versorgungsproblemen, und die Apotheker entwickelten ein hohes Maß an Improvisationsgeschick, um "den Mangel zu verwalten". Dass kein Patient eine Apotheke völlig unversorgt verlassen musste, spricht für ihr Leistungsvermögen [2].

Die Eigenherstellung spielte in DDR-Apotheken eine große Rolle. Sie füllte die Lücken im Sortiment der Fertigarzneimittel und trug etwa zehn Prozent zum Umsatz bei. Aus [39]

Erwähnung verdient, dass in den Herstellungsabteilungen der Pharmazeutischen Zentren eine quasi industrielle Produktion von "Salben in Tonnenmengen, Zäpfchen zu Tausenden, Augentropfen, Infusionslösungen, bis hin zu von Bandagisten nebenan genähten Leinensäcken, die wir mit Heilschlamm füllten", erfolgte, wie sich Dr. Helmut Wittig erinnert [3]. Und er berichtet weiter: "Ich habe heute noch Herstellungsprotokolle und wundere mich erst jetzt, wie wir das damals gemacht haben. All das, um die Lücken der Industrieproduktion und der sehr begrenzten Importe zu schließen." [3]

Charakteristisch für das Apothekenwesen der DDR war aber auch eine sehr gute Zusammenarbeit der Kollegen untereinander sowie mit den Ärzten, die bei ihrer Therapie von den Apothekern abhängig waren [4].

Eine Besonderheit des DDR-Apothekenwesens stellte ferner der Beruf des Pharmazieingenieurs dar, der 1968 als Nachfolger des Apothekenassistenten konzipiert worden war. Die Ausbildung erfolgte ab 1971 an der Ingenieurschule für Pharmazie in Leipzig. Sie konnte als dreijähriges Direktstudium, als Fernstudium oder für Apothekenassistenten im Zusatzfernstudium erfolgen. Die Ausbildung umfasste neben allgemeinbildenden Fächern Pharmakologie, Pharmazeutische Technologie, Pharmazeutische Chemie und sozialistische Betriebswirtschaft. Das dritte Studienjahr im Direktstudium wurde in der Apotheke absolviert. Das Fernstudium betrug viereinhalb Jahre. Alle vor 1970 ausgebildeten Apothekenassistenten konnten sich in einem zweijährigen Zusatzfernstudium zum Pharmazieingenieur qualifizieren. Den Abschluss des Studiums bildete die Verteidigung einer Ingenieurarbeit.

Da die Kapazität der Ingenieurschule in Leipzig für den Gesamtbedarf nicht ausreichte, wurden schrittweise Außenstellen in zehn Bezirksstädten der DDR geschaffen. Sie dienten der Ausbildung von Pharmazieingenieuren im Fernstudium, im Zusatzfernstudium sowie der Durchführung von Konsultationen für Direktstudenten im dritten Studienjahr. Diese Außenstellen, die zunächst unterschiedliche Organisationsformen aufwiesen, wurden in den folgenden Jahren den Bezirksakademien für Gesundheitswesen der jeweiligen Bezirke angegliedert [5]. Der Anteil der Pharmazieingenieure am Apothekenpersonal wuchs stetig; kamen 1976 noch 1,5 Ingenieure auf einen Apotheker, so waren es 1980 bereits 1,8 [6]. Noch zur Wendezeit wurden 600 Apotheken von Pharmazieingenieuren geleitet [7].

Erste Überlegungen nach der Wende

Die Ereignisse des 9. November führten bei vielen Apothekern in der DDR zu neuen Überlegungen. Dr. Helmut Wittig erinnert sich rückblickend:

Wir hatten das Gefühl, nun auch unsere beruflichen Probleme über die reinen Versorgungsleistungen hinaus selbst in die Hand nehmen zu können und zu müssen. Wir fanden uns schnell zusammen in kleinen Diskussionsgruppen, um nun auch für unsere Interessenvertretung etwas zu tun, und wir hatten auch das Selbstbewusstsein, daran zu glauben, dass wir auch die Arzneimittelversorgung in eigenständig geführten Apotheken früher oder später in die eigene Hand nehmen könnten. [...] Unabhängig voneinander bildeten sich Gruppierungen von Apothekern, die Konzepte und Vorstellungen niederschrieben, um endlich auch einen eigenen unabhängigen Weg zu gehen. [8]

Er berichtet auch von einem Brief des Ministeriums für Gesundheitswesen vom 5. Dezember 1989, der auf viereinhalb Seiten kleingedruckt mitteilte, was besser werden sollte, ohne dass man allerdings das System ändern wollte. Als Antwort darauf hatten aktive Apotheker in Ostthüringen bereits am 2. Januar 1990 ein Konzept zur Organisation und Struktur eines Apothekerverbandes der DDR erarbeitet, worüber sie auch am 4. Januar in Gera diskutierten, sodass die fünf thüringischen Teilnehmer sehr gut auf die Sitzung des Verbandes der Apotheker der DDR vorbereitet waren und dort ihre Vorstellungen einbringen konnten.

Erste Kontakte zwischen Apothekern aus Ost und West

Schon bald nach der Öffnung der Mauer gab es erste Kontakte zwischen Apothekern aus der DDR und der Bundesrepublik. Diese erfolgten zunächst vor allem auf privater Basis. Dabei zeigten diese Apotheker aus der DDR großes Interesse an der Struktur des westdeutschen Apothekenwesens sowie an der Arbeitsweise einer privat betriebenen Apotheke. Viele Pharmazeuten aus der DDR – die meisten hatten nur notgedrungen die politisch-ideologischen Aufgaben eines staatlichen Leiters er-füllt und der Anteil der Parteigenossen war unter Apothekern wesentlich niedriger als bei anderen Akademikern – erkannten schnell, dass in einem geeinten Deutschland ein staatliches Apothekenwesen keinen Platz mehr finden würde und es zur Privatisierung der DDR-Apotheken keine Alternative gäbe. Bald wandten sich DDR-Apotheker daher auch an die Landesapothekerkammern und -vereine in der Bundesrepublik. Ostthüringische Kollegen wie Dr. Helmut Wittig nahmen sehr schnell Kontakt zu bayerischen Apothekern auf, während Apotheker des Bezirkes Suhl, vermittelt durch die ABDA, die sie in einem Brief um Unterstützung gebeten hatten, bei den Kollegen des Hessischen Apothekerverbandes und ihrem Geschäftsführer Jürgen Schneider sowie dem Präsidenten der Hessischen Apothekerkammer, Jürgen Funke, Hilfe fanden. Der spätere Präsident der Apothekerkammer Thüringen, Dr. Egon Mannetstätter, berichtet darüber:

Wir fühlten fast körperlich die Nähe, den Zusammenhalt der Kollegen, und genau der war es, der uns in Thüringen zu Vorreitern der Privatisierung des sozialistischen Apothekenwesens in der DDR werden ließ. Sehr schnell haben wir erkannt, dass es in einem geeinten Deutschland auch für Apotheken keinen Sonderweg geben kann, wie etwa die Überführung der Pharmazeutischen Zentren in GmbHs. [9]

Apotheker aus der DDR zu Gast bei einem Pharmagroßhändler in der Bundesrepublik, Februar 1990. Aus [38]

Die bayerischen Apotheker unterstützten die Pharmazeuten aus Thüringen und Sachsen gern. Wie Dr. Hermann Vogel, damals Präsident der Bayerischen Landesapothekerkammer, berichtet, gab es eine "erfreuliche Welle der Aufgeschlossenheit und Hilfsbereitschaft". Bayerische Apothekerinnen und Apotheker erklärten sich bereit, Kolleginnen und Kollegen aus der DDR für eine Woche bei sich aufzunehmen, um ihnen einen Eindruck zu vermitteln, wie eine Apotheke freiberuflich-marktwirtschaftlich geführt wird [10].

Bereits am 19. Dezember 1989 lud Dr. Vogel Kollegen aus Thüringen nach München ein, wo diese am 23. Januar 1990 an einer Kammervorstandssitzung teilnehmen und auch Apotheken und den pharmazeutischen Großhandel besichtigen konnten, wobei die Bayerische Landesapothekerkammer die Aufenthaltskosten übernahm.

Dr. Jörn Graue, damals wie heute Vorsitzender des Hamburger Apothekervereins, berichtet, dass er schon bald nach dem Fall der Mauer bemüht war, den Kollegen in der DDR den Weg in die Privatisierung zu erleichtern. Mit einer Delegation der Handelskammer Hamburg unter Leitung des damaligen Bürgermeisters Henning Voscherau reiste er schon Anfang Januar 1990 nach Dresden, der Partnerstadt von Hamburg, und konnte hier auch erste Kontakte zu Apothekern und Krankenhausapothekern knüpfen. Schon bald entwickelte sich ein enger Kontakt zwischen den Apothekern Hamburgs und Sachsens. Dr. Graue hielt einen Vortrag in der Technischen Hochschule, an dem sehr viele Apotheker teilnahmen, in dem er den Aufbau des westdeutschen Apothekenwesens erläuterte und auch einen Vergleich zum schwedischen System vornahm. Er betonte zwar, dass das Erhalten der Pharmazeutischen Zentren auch eine Option sei, versuchte aber zugleich, den Kollegen im Osten die Angst vor der Privatisierung zu nehmen, und konnte sie beruhigen, dass niemand durch das "soziale Netz" fallen werde [11].

Der Vorstand des Apothekerverbandes Westfalen-Lippe beschloss bereits am 27. September 1990, wie der damalige Geschäftsführer des Verbandes, Dr. Rötger v. Dellingshausen, berichtete, "dem zukünftigen Apothekerverband Brandenburg eine möglichst umfangreiche Hilfestellung zu leisten, und zwar ungeachtet etwaiger Probleme aufgrund der räumlichen Entfernung" [12].

Der damalige Präsident der ABDA, Klaus Stürzbecher, betonte, dass von Seiten der westdeutschen Kollegen eine außerordentlich große Bereitschaft zum Helfen bestand, um den ostdeutschen Kollegen die von ihnen gewünschte Privatisierung zu erleichtern. Die Apothekerkammer Berlin führte besonders häufig Veranstaltungen durch, um den ostdeutschen Kollegen eine kurze Anreise zu ermöglichen. Generell war die Bereitschaft im Westen sehr groß, die Kollegen im Osten zu unterstützen. Wie Stürzbecher hervorhob, startete eine regelrechte Hilfswelle: Zum einen versorgten die Apothekerkammern und -verbände die neu entstandenen Apothekerverbände im Osten mit Faxgeräten und anderen technischen Apparaten, mit Literatur, Gesetzen, Satzungen usw. Zum anderen gab es auch eine überaus große Hilfsbereitschaft einzelner Apotheker in den westlichen Bundesländern, die keine Funktionen in den Berufsorganisationen hatten. Sie sprachen spontan Einladungen an Kollegen im Osten aus, und es wurden zahlreiche persönliche Freundschaften geschlossen, die zum Teil bis heute anhalten. Umgekehrt gab es auch Einladungen für westdeutsche Kollegen nach Thüringen, nach Mecklenburg-Vorpommern, nach Sachsen, und auch hier entstanden zahlreiche enge persönliche Kontakte [13].

Werner Trockel, damals Vorsitzender des Saarländischen Apothekervereins, berichtet darüber: "Die Besucher aus dem Westen hat in diesen Anfangstagen so manches tief berührt: die Menschlichkeit und Wärme, die den noch Fremden entgegengebracht wurde, mit der man auch untereinander umging und der Ellbogenmentalität anscheinend fremd war." [14] Insgesamt gab es eine Kollegialität in einem Maße, wie dies zuvor kaum vorstellbar war und danach auch nie wieder beobachtet werden konnte.

Dr. Jörn Graue sorgte dafür, dass seine Hamburger Kollegen jeweils eine Patenschaft für eine Apotheke in Mecklenburg-Vorpommern übernahmen und die Kollegen dort bei der Privatisierung unterstützten. So entwickelten sich zahlreiche persönliche Kontakte, und die Apotheker konnten später relativ schnell ihre Schulden tilgen [15].


Thüringische Apotheker trafen sich am 17. Februar 1990 in Kulmbach mit bayerischen Kollegen. Mit dabei waren Dr. Egon Mannetstätter (vorn, 2. v. li.), Dr. Helmut Wittig (vorn, 3. v. li.), Dr. Walter Hubmann (direkt dahinter) und Dr. Hermann Vogel (2. v. re.).Foto: Wittig

Das Kulmbacher Papier

Am 17. Februar 1990 fand in Kulmbach eine gemeinsame Arbeitstagung zwischen Vertretern der bayerischen Berufsorganisationen sowie thüringischen Kollegen, darunter Dr. Helmut Wittig und Dr. Mannetstätter, statt. Wittig hatte auf einer Veranstaltung, zu der der bayerische Sozialminister Gebhard Glück (1930 – 2009) an Veränderungen interessierte Thüringer Bürger geladen hatte, den Kulmbacher Apotheker Dr. Walter Hubmann kennengelernt. Hubmann lud anschließend Apotheker aus Thüringen und Bayern zu einer gemeinsamen Beratung nach Kulmbach ein. An dem Treffen nahmen neun Thüringer Apothekerinnen und Apotheker, zwei Kollegen aus dem Vogtland, der bayerische Kammerpräsident Dr. Vogel sowie die Geschäftsführer von Kammer und Verein, Dr. Michael Platzer und Dr. Stefan Weber, teil. Ziel war es, ein Strategiepapier für die weitere Entwicklung des Apothekenwesens zu entwerfen, in das Wünsche und Vorstellungen einflossen, ohne dass allerdings die wirtschaftlichen oder juristischen Voraussetzungen dafür bereits existierten [16]. Wichtiger Grundsatz war, das Arzneimittelmonopol der Apotheke zu erhalten. Apotheken sollten nur von einem Apotheker persönlich und eigenverantwortlich geleitet werden, und der Staat sollte die Apotheken (nur) an Apotheker verkaufen. Weitere Schwerpunkte bildeten die Niederlassungsfreiheit und die Festlegung einer Übergangszeit von fünf Jahren, die sicherstellte, dass die Erlaubnis zum Betrieb einer Apotheke innerhalb dieses Zeitraumes nur an Personen erteilt werden sollte, die in den letzten zehn Jahren mindestens fünf Jahre in der DDR ansässig gewesen waren – später wurden es dann konkret zwei Jahre. Auch die Schaffung eines Heilmittelgesetzes und die Gründung einer Landesapothekerkammer sowie eines Apothekerverbandes finden sich bereits als Ziele im Kulmbacher Papier [17].

Am Montag nach dem Kulmbacher Treffen gab es eine Beratung von Apothekern der DDR in der Berliner Charité mit Vertretern des Gesundheitsministeriums, und hierfür sollte das Kulmbacher Papier als Diskussionsgrundlage nach Möglichkeit vorliegen. Dr. Vogel brachte für die ostdeutschen Kollegen ein kleines Wunder zustande, indem er den Text diktierte, in München schreiben ließ und dann via Apothekerhaus für die Beratung in der Charité zur Verfügung stellte. Die in Kulmbach vereinbarten Punkte dienten dann als Grundlage für die weiteren Beratungen und für die Privatisierung der Apotheken und besaßen daher für die Apotheker der ehemaligen DDR eine historische Bedeutung. Das Kulmbacher Papier hat den Einigungsvertrag wesentlich beeinflusst und kann als ein Meilenstein für die Entstehung einer Selbstverwaltung der Apotheker im Osten gelten [18].

Auf Länderebene gab es in der Folgezeit zunehmend Einladungen für DDR-Kollegen zu Veranstaltungen in den westlichen Bundesländern, wie auch umgekehrt Berufspolitiker aus dem Westen Veranstaltungen im Osten besuchten. Auf dem Fortbildungskongress in Meran am 20. Mai 1990 konnte Dr. Hermann Vogel, der damals auch Vizepräsident der Bundesapothekerkammer war, erstmals eine größere Gruppe von Kolleginnen und Kollegen aus der DDR begrüßen [19].


Die Leipziger Löwen-Apotheke im März 1990, außerhalb der Betriebszeiten. Es gibt Sitzplätze (und noch mehr Stehplätze) für wartende Kunden, aber keine Freiwahl. Aus [39]

Gründung von Apothekerverbänden

Am 24. Januar 1990 trafen sich 300 Apothekerinnen und Apotheker der DDR in Leipzig, um eine freie, von staatlichen Organisationen unabhängige Apothekervereinigung, den "Verband der Apotheker der DDR (VDA)", zu gründen. Ein Aufruf zur Gründung war bereits im Oktober 1989 erfolgt, und in den einzelnen Bezirken hatten sich Initiativgruppen gebildet, die ein Gründungsstatut ausarbeiten wollten. Dr. Mannetstätter hatte am 3. Dezember 1989 in einem Brief an die ABDA um Unterstützung bei der Bildung der Selbstverwaltung gebeten und daraufhin aus Hessen entsprechende Unterlagen von Apothekerkammer und -verband erhalten. Er stellte sie dem Magdeburger Krankenhausapotheker Dr. sc. nat. Manfred Falk zur Verfügung, der sie für die Gründung des VDA nutzte. Dr. Falk umriss die Ziele des Verbandes und ermahnte seine Kollegen, nicht alles "über Bord zu werfen", was erhaltenswert sei. Zugleich gab es auch eine verbale Abrechnung mit systemtreuen Kollegen [20].

Dieselbe Apotheke werktags an einem frühen Nachmittag (14.10 Uhr). Aus [39]

Nach längerer Diskussion sprachen sich die Anwesenden einstimmig für die Gründung des Verbandes aus und wählten 15 Personen in den Vorstand, die ihrerseits Dr. Falk zum Vorsitzenden nominierten. Der Verband sollte sich in Regional- und Fachverbände gliedern. Obwohl eine Länderstruktur auf dem Gebiet der DDR noch nicht existierte, wollte man damit bereits dem föderativen Gedanken Rechnung tragen.

Enttäuscht über die zu zögerliche Haltung des Verbandes zur Privatisierungsfrage, verfasste Dr. Mannetstätter einen offenen Brief an die Apotheker der DDR, den er während einer Fortbildungsveranstaltung der Gruppe Thüringen der Pharmazeutischen Gesellschaft am 5. und 6. Februar 1990 in Jena allen Teilnehmern übergab. Darin hieß es:

Fast alle politischen Parteien, die sich vielleicht schon im März zur Wahl stellen, fordern die staatliche Einheit Deutschlands und soziale Marktwirtschaft. Glauben die Apotheker im Ernst, daß die politische und wirtschaftliche Entwicklung unseres Landes an ihnen vorbeigeht? In dem Teil Deutschlands, mit dem wir uns vereinigen wollen, haben sich in vielen Jahren erfolgreichen Wirkens aber bereits zwei berufspolitische Vereinigungen herausgebildet, die Apothekerkammern und die Apothekerverbände. Diese haben Programm, Statut, Geschäftsordnung... Mußten wir da alles neu erfinden? [...]

Wir brauchen also zuerst die Kammern, die wir zwar derzeit nicht bilden können, da uns ein Heilberufegesetz fehlt. Gemeinsam mit den Ärzten, Zahnärzten und Tierärzten müssen wir aber von allen Parteien und der neuen Regierung das sogenannte Kammergesetz fordern [...].

Die anstehende Wirtschaftsreform mit sozialer Marktwirtschaft bedeutet für das Apothekenwesen der DDR das Ende der Pharmazeutischen Zentren. Sie bedeutet aber auch Niederlassungsfreiheit und allmähliche Reprivatisierung der Apotheken, des Großhandels und kleiner pharmazeutischer Betriebe. Gute Entwicklungen sollten dabei bewahrt werden, z. B. die Zusammenarbeit mit den Ärzten. Aber die Marktwirtschaft mit ihrem Zwang zur höheren Effektivität wird zur Niederlassungsfreiheit führen, die man anfangs einschränken kann. Die Niederlassungsfreiheit bedeutet aber auch die Gefahr der Niederlassung von Kollegen aus der BRD. Daher muß der Apothekerverband schnellstens Rahmenbedingungen für die o. g. Prozesse fordern und erarbeiten. [21]

Nachdem Dr. Mannetstätter seinen offenen Brief am 6. Februar mit glühenden Worten vorgetragen hatte, folgte eine sehr emotional geführte Diskussion, an der sich auch Kollegen aus der Bundesrepublik beteiligten. Darauf beschlossen die 250 Teilnehmer dieser Fortbildungsveranstaltung spontan, den Thüringischen Apothekerverband zu gründen.


Die Flagge Mecklenburgs (blau-gelb-rot mit Stierkopf). Schnappschuss von der Gründungsversammlung des Verbandes der Apotheker(innen) Mecklenburg-Vorpommern im Februar 1990 in Rostock. Aus [37]

Gründung regionaler Apothekerverbände

Auch in anderen Teilen der DDR waren bereits regionale Apothekerverbände entstanden. So erfolgten am 27. Januar 1990 die Gründung des Apothekerverbandes Sachsen-Anhalt und am 1. Februar 1990 die Gründung des Landesverbands Brandenburg, der die Apotheker der Bezirke Cottbus, Frankfurt und Potsdam vertrat. Am 7. Februar 1990 folgte in Rostock der Apothekerverband Mecklenburg-Vorpommern [22]. Am 10. März 1990 konstituierte sich in Saalfeld der Thüringische Apothekerverband neu, da die spontane Gründung im Februar letztlich ungültig war. Nach geheimer Wahl übernahm Dr. Mannetstätter das Amt des ersten Vorsitzenden, und Dr. Wittig wurde sein Stellvertreter. Am 31. März 1990 entstand der Apothekerverband Ost-Berlin, der die Interessen von 374 Mitgliedern vertrat und gleichfalls die Reprivatisierung der Apotheken anstrebte [23]. Die Gründung des Sächsischen Apothekerverbandes erfolgte schließlich am 21. April 1990 in Dresden; als Vorsitzender wurde Bruno Herold, Lößnitz, damals Bezirksapotheker von Karl-Marx-Stadt (Chemnitz), gewählt.

Nach der Gründung der Landesapothekerverbände und ihrer föderalistischen Anbindung an den Dachverband VDA gab es umfangreiche inhaltliche Diskussionen. Schon bald zeigte sich, dass für den Übergang zur Marktwirtschaft entsprechende Rahmenbedingungen geschaffen werden mussten. Nicht wenige Apotheker forderten daher ein eigenes, modifiziertes Heilberufsgesetz, eine neue Apothekenbetriebsordnung, einen übergreifenden oder länderspezifischen Niederlassungscodex, ein Apothekenförderungsgesetz sowie natürlich eine schrittweise Entflechtung der Pharmazeutischen Zentren und die Möglichkeit der Privatisierung der Apotheken [24].

Deutsch-deutsches Apothekertreffen in Berlin

Am 22. April 1990 fand in Berlin das von der ABDA organisierte, erste deutsch-deutsche Apothekertreffen statt, an dem 2000 Apotheker überwiegend aus der DDR, aber auch aus der Bundesrepublik teilnahmen. Der damalige ABDA-Präsident Klaus Stürzbecher begrüßte im Internationalen Congress Centrum (ICC), sichtlich berührt von der eindrucksvollen Kulisse nach 40 Jahren Trennung, Apotheker aus beiden Teilen Deutschlands zu einem freien Meinungs- und Informationsaustausch. Viele Teilnehmer erinnern sich noch heute an die starken Emotionen, die sie auf dieser Veranstaltung empfanden.

Prof. Dr. Rainer Braun, damals Geschäftsführer Pharmazie der ABDA, stellte die Berufsfelder der Apotheker in der Bundesrepublik Deutschland vor. Der damalige Vizepräsident der ABDA, Dr. Albert Peterseim, erläuterte in seinem Referat die Organisation und den Betrieb der Apotheken in der Bundesrepublik Deutschland.

Im Mai 1990 nahmen viele DDR-Apotheker an der Interpharm Stuttgart teil. Im Bild sitzen die Verbandsvorsitzenden Dr. Manfred Falk (links) und Bruno Herold (Sachsen, rechts) neben DAZ-Chef­redakteur Peter Ditzel. Aus [40]

Dr. Mannetstätter, zu dieser Zeit noch Vorsitzender des Thüringischen Landesapothekerverbandes, erklärte stellvertretend für die Mehrzahl der DDR-Kollegen unter dem Beifall des Auditoriums, dass diese künftig eigenständig als freie Heilberufe ohne staatliche Gängelung arbeiten wollten. Er plädierte zugleich für ein gemeinsames Apothekenrecht in einem geeinten Deutschland, da nur dies den Weg in die Selbstständigkeit ebnen könne. Zugleich erklärte er Plänen zur Umwandlung der Pharmazeutischen Zentren der DDR in GmbHs, die sowohl von den Mitarbeitern der Hauptabteilung Pharmazie und Medizintechnik im Ministerium für Gesundheitswesen wie auch von einigen Mitgliedern des VDA vertreten wurden, eine eindeutige Absage.

Gegen das Ziel einer dubiosen Dresdner Maklerfirma, im Osten Apothekenketten zu gründen, wandte sich der damalige Sprecher der Geschäftsführung der ABDA, Dr. Johannes Pieck: "Das bundesdeutsche Apothekenwesen ist in einer sozialen Marktwirtschaft eingebettet und wird maßgeblich durch den Apotheker als freien Heilberuf charakterisiert. Anonyme Kapitalgesellschaften wie eine GmbH finden hier keinen Platz." [25] Dr. Pieck stellte auch die Verbände- und Organisationsstruktur der Apotheker in der Bundesrepublik vor.

Kontrovers wurde indes die künftige Stellung der Pharmazieingenieure der DDR diskutiert. Zum Abschluss verabschiedete man eine Resolution, die Dr. Mannetstätter vortrug und in der es hieß:

Die zum deutsch-deutschen Apothekertreffen am 22. April 1990 in Berlin versammelten 2000 Apotheker aus der DDR und aus der Bundesrepublik Deutschland begrüßen und unterstützen alle Bemühungen, die beiden Teile Deutschlands alsbald in einem gemeinsamen deutschen Staat zusammenzuführen. Sie sind auch als Angehörige eines Heilberufs bereit, hierzu ihren konstruktiven Beitrag zu leisten. Die Teilnehmer des deutsch-deutschen Apothekertreffens fordern die politisch Verantwortlichen in beiden deutschen Staaten auf, durch geeignete Maßnahmen die geordnete Arzneimittelversorgung der Bevölkerung in Deutschland sicherzustellen. Auf der Grundlage eines einheitlichen Apothekenrechtes soll die freie, selbständige, eigenverantwortliche und sozialadäquate Berufsausübung aller Kollegen gewährleistet sein. Die Apothekerverbände der DDR, die sich in jüngster Zeit nach den Grundsätzen der Freiheit, der Demokratie und der Selbstverantwortung konstituiert haben, sowie die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände – ABDA – sollen unverzüglich Möglichkeiten der kollegialen Zusammenarbeit und des organisatorischen Zusammenschlusses finden, damit die Interessen aller Apotheker, in welcher beruflichen Funktion sie auch tätig sind, in einem freiheitlichen Deutschland gemeinsam, glaubwürdig und erfolgreich wahrgenommen werden können. So kann zusammenwachsen, was zusammengehört. [26]

Dr. Pieck erklärte in einem Vortrag auf dem o. g. Fortbildungskongress in Meran am 20. Mai 1990, zwei Tage nach Wegfall der Passkontrolle zwischen beiden deutschen Staaten, dass die rechtliche Grundlage für eine dauerhafte Neuordnung nur ein gemeinsames Gesetz sein könne, das sowohl die Prinzipien des EG-Rechts als auch der Verfassung der Bundesrepublik berücksichtigt. Ausführlich erläuterte er die Elemente des DDR-Apothekenwesens wie beispielsweise die Überwachung der Apotheken durch Bezirksapotheker und Bezirksärzte nach dem "Prinzip der doppelten Unterstellung". Zu den nötigen strukturellen Veränderungen gehörte nach seiner Auffassung neben der Abschaffung der staatlichen Apotheken die Garantie der Niederlassungsfreiheit und eine schrittweise Erhöhung der Apothekendichte in der DDR, um eine bessere Versorgung mit Arzneimitteln zu ermöglichen [27].

Am 29. Mai 1990 trafen sich die Vertreter des Dach- und der Länderverbände der Apotheker der DDR mit dem Vorstand und der Geschäftsführung der ABDA. Thema des "Runden Tisches" der Apotheker war die Harmonisierung des Apothekenwesens beider deutscher Staaten und die Frage, wie sie ihre berufspolitischen Forderungen auf dem Weg zur deutschen Vereinigung gemeinsam vertreten sollten. Beide Seiten kamen überein, dass nur ein einheitliches Apothekenrecht gelten könne, das die Niederlassungsfreiheit einschließt [28].

Auf der Sitzung des Sächsischen Apothekerverbandes am 7. Mai wurde eine Arbeitsgruppe "Privatisierung" gegründet. Dr. Graue war zutiefst überzeugt, dass das Niederlassungsrecht in der DDR schnell akzeptiert werde. Auf ein Telegramm eines DDR-Apothekers, der ihn im März / April 1990 um Rechtshilfe bat, erklärte er, dass er sich einfach niederlassen, also nun seine Apotheke privat betreiben solle. Dr. Graue hoffte, dass man so Druck auf die Politik ausüben könne, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen [29].

Die Regelung der Verkaufspreise der staatlichen Apotheken in der DDR wurden unter Beteiligung der ABDA, insbesondere von Dr. Johannes Pieck und einigen Vertretern der ABDA-Mitgliedsorganisationen, wie beispielsweise Dr. Jörn Graue, in Gesprächen mit der Treuhand ausgehandelt.

Dr. Manfred Falk, Vorsitzender des Verbandes der Apotheker der DDR, während seiner Rede auf dem Apothekertag DDR im September 1990 in Leipzig. Aus [32]

In diesem Zusammenhang wurde unter anderem dargelegt, wie im Falle eines Verkaufs von Apotheken in der Bundesrepublik deren Wert durch Gutachten oder Einvernehmen zwischen den Partnern eines Kaufvertrages nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen ermittelt wird. Die Treuhand konnte gleichwohl überzeugt werden, dass DDR-Apotheker, obwohl sie die zu kaufenden Apotheken in den meisten Fällen bereits leiteten, keine Möglichkeit hatten, ein so umfangreiches Kapital anzusparen, und dass die Banken kaum bereit wären, ihnen solche Kredite zu gewähren. Der ausgehandelte Kaufpreis von 1 bis 4,5% des Umsatzes (je nach Größe der Apotheke) plus Warenlager, verteilt auf drei Jahre, kam den DDR-Apothekern sehr entgegen und führte dazu, dass viele von ihnen viel schneller als erhofft den Betrag bar bezahlen konnten. Damit war die wirtschaftliche Seite der Privatisierung gesichert.

Nachdem die ABDA bereits im Februar 1990 gegenüber dem Gesundheitsministerium der damaligen DDR die Forderung nach einem Kammergesetz nachdrücklich unterstützt hatte, wurde am 13. Juli das Kammergesetz der DDR erlassen. Dies schuf die Voraussetzungen für die Konstituierung von Apothekerkammern auf Länderebene und stellte, wie Dr. Pieck feststellte, "eine kaum zu überschätzende politische Grundsatzentscheidung dar, die allerdings noch der Weiterentwicklung durch die Kammergesetze in den einzelnen neuen Bundesländern bedarf." [30] In den neuen Bundesländern sollten Kammern als Körperschaften des öffentlichen Rechts tätig werden, wobei die Mitgliedschaft obligatorisch für alle Apotheker war [31]. Auf dem letzten DDR-Apothekertag am 22. und 23. September 1990 löste sich der Verband der Apotheker der DDR auf [32].

Der Einigungsvertrag

Am ersten "Tag der Deutschen Einheit", am 3. Oktober 1990, trat mit dem "Pharmazeutischen Paket" des Einigungsvertrages zwischen der DDR und der Bundesrepublik Deutschland auch das Apothekengesetz aus dem Jahre 1960 für das Gebiet der bisherigen DDR in Kraft. Das Prinzip der Niederlassungsfreiheit gilt seither bundesweit und bundeseinheitlich für jeden deutschen Apotheker ohne Unterschied von Aachen bis Frankfurt/Oder, von Greifswald bis Freiburg im Breisgau. Der Einigungsvertrag bestimmte insbesondere, dass die Privatisierung der ca. 2000 staatlichen Apotheken bis zum 31. Dezember 1991 zu erfolgen hatte; lediglich Apotheken, deren Privatisierung rechtlichen Schwierigkeiten begegnete, konnte die Treuhandanstalt bis längstens 31. Dezember 1995 durch einen Apotheker verwalten lassen. Bei der Privatisierung blieben bis zum 31. Dezember 1992 die Apotheker der bisherigen DDR gewissermaßen unter sich; nach diesem Zeitpunkt waren im Rahmen von Ausschreibungsverfahren alle deutschen Apotheker gleichermaßen berechtigt, sich um den Kauf einer bisher staatlichen Apotheke zu bewerben.

Dr. Johannes Pieck und Klaus Stürzbecher (von links) während der Schlussveranstaltung des Deutschen Apothekertags 1990; oben die Wappen von Hessen bis Sachsen. Da das neue Wappen von Mecklenburg-Vorpommern noch nicht zur Verfügung stand, wählte man das alte Wappen von Mecklenburg. Aus [33]

Vor dem Hintergrund der politischen Entwicklung im Laufe des Jahres 1990 konnte man diese Grundsatzentscheidungen als bare Selbstverständlichkeit bezeichnen, zu der es keine politischen Alternativen gab. Während der ersten Monate des Jahres ergab sich jedoch noch ein anderes Bild: Maßgebliche Vertreter des Gesundheitsministeriums der DDR hatten sich theoretisch und besuchsweise mit dem damaligen Apothekenwesen in Schweden beschäftigt und darin ein Modell gesehen, um 2000 staatliche Apotheken in einem großen Verbund zusammenzuhalten, also sowohl deren individuelle Privatisierung als auch die unbeschränkte Niederlassungsfreiheit auf dem Gebiet der DDR zu verhindern. Es gab dort und bei ideologisch verwandten Gruppierungen in der Bundesrepublik immer wieder Attacken gegen die Privatisierung der Apotheken, mit der Begründung, das Apothekenwesen der Bundesrepublik habe seine Bewährungsprobe nicht bestanden. Als Reflex auf die Forderung der erkennbar übergroßen Mehrheit der Apotheker in der DDR nach Privatisierung wurde in der Folgezeit zwar die Entstaatlichung der Apotheken erwogen, zugleich jedoch die Überführung der einzelnen Betriebe oder ganzer Gruppen von Apotheken, womöglich unter der fortbestehenden Oberhoheit von Pharmazeutischen Zentren, in die Rechtsform einer GmbH angestrebt. Dies hätte bedeutet, dass das Apothekenwesen der DDR unter dem Tarnmantel einer GmbH weiterhin als ein quasi staatliches fortbestanden hätte und keineswegs ein freiberuflich geprägtes geworden wäre.

Nicht wenige Apotheker in der DDR strebten ursprünglich als Alternative zu einer konsequenten Privatisierung auch die Möglichkeit an, eine staatliche Apotheke zu pachten. Die Apotheke wäre dann, formal vergleichbar mit der Apothekenpacht in der Bundesrepublik, zwar von einem Apotheker betrieben, im Übrigen jedoch weiterhin im Eigentum des Staates verblieben. Die Apothekenpacht als ein Prinzip der Bequemlichkeit für potenzielle Pächter, weil von deren Seite lediglich Kapital für das Warenlager hätte beschafft werden müssen, hätte eine umfassende Privatisierung der Apotheken tendenziell verhindert und denjenigen Argumente geliefert, die bereits damals das System unseres Apothekenwesens infrage stellen und erreichen wollten, dass etwa der Staat, Kommunen, Krankenkassen, vor allem aber Pharmagroßhandlungen Apotheken hätten betreiben und gegebenenfalls verpachten dürfen.

Weiterhin gab es in der DDR unter dem Diktat einer hektischen politischen Entwicklung eine Tendenz, nur die Grundsatznormen des deutschen Apothekengesetzes zu übernehmen, so etwa das Prinzip der Niederlassungsfreiheit sowie die Voraussetzungen für die Erteilung einer Betriebserlaubnis, auf scheinbar weniger wichtige Vorschriften jedoch zu verzichten. Dies hätte u. a. bedeutet, dass die wirtschaftliche Fremdbeteiligung an Apotheken, beispielsweise durch Umsatzmietverträge und stille Gesellschaften, auch in der DDR zumindest zeitweise zulässig gewesen wäre. Dass diese Besorgnis durchaus begründet war, erwies sich in der Folgezeit insbesondere durch das robuste Vorgehen einer in Stuttgart ansässigen Pharmagroßhandlung, die – im Hinblick auf die eindeutige Gesetzeslage vergeblich – Verträge mit Apothekeninhabern abgeschlossen hatte, denen nur noch die Rolle eines folgsamen und fügsamen "Strohmannes" oder einer "Strohfrau" zugedacht war.

Die ABDA hatte kontinuierlich Gespräche mit den Apothekern in der DDR sowie mit dem Bundesgesundheitsministerium und dem Gesundheitsministerium der DDR geführt und trat konsequent für die vollständige und uneingeschränkte Übernahme des bundesdeutschen Apothekenrechts ein. Ein gesondertes Apothekenrecht, das in einem vereinigten Deutschland für das Gebiet der beigetretenen Bundesländer Geltung gehabt und sozialistisch oder kapitalistisch akzentuierte ordnungspolitische Abweichungen zum bundesdeutschen Apothekenwesen aufgewiesen hätte, konnte so verhindert werden.

Mit dem Einigungsvertrag wurde auch die Rechtsstellung der Pharmazieingenieure zur allseitigen Zufriedenheit dieser Berufsgruppe und der Apotheker in den beigetretenen Ländern neu geordnet. Der Pharmazieingenieur zählt zum Pharmazeutischen Personal im Sinne der Apothekenbetriebsordnung und darf unter den gleichen Voraussetzungen, die für Apothekerassistenten ("Vorexaminierte") gelten, den Apothekenleiter vertreten.

Seit dem 1. Januar 1996 müssen Apotheken in den beigetretenen Ländern, die am 3. Oktober 1990 bestanden, nach Grundfläche, Anordnung und Ausstattung uneingeschränkt den Anforderungen der Apothekenbetriebsordnung entsprechen.

Erster gesamtdeutscher Apothekertag

Vom 4. bis 7. Oktober 1990, also einen Tag nach der Wiederherstellung der deutschen Einheit, fand in Düsseldorf der erste gesamtdeutsche Apothekertag statt. An der Podiumswand des Kongresssaales hatte man als äußeres Zeichen die Wappen der 16 Bundesländer, umrahmt von zwei Deutschlandfahnen, angebracht. Auch wenn die Anzahl der teilnehmenden Apotheker aus den östlichen Bundesländern noch relativ gering war, demonstrierte dieser Apothekertag, was der Berufsstand unter "Einigkeit und Recht und Freiheit" verstehen wollte.

Erster gesamtdeutscher Apothekertag am 4. bis 7. Oktober 1990 in Düsseldorf. Über dem Podium die Wappen aller 16 Bundesländer in alphabetischer Reihenfolge von Baden-Württemberg bis Thüringen (von links). Aus [33]

Im Mittelpunkt stand die Erarbeitung gemeinsamer Standpunkte für die Apothekerinnen und Apotheker aller 16 Bundesländer. So ging es unter anderem um die Vereinheitlichung des Apothekenrechts, Perspektiven einer Gesundheits- und Sozialpolitik vor dem Hintergrund des Gesundheits-Reformgesetzes, um die Apotheker auf dem Weg zum EG-Binnenmarkt sowie um Chancen und Risiken einer Arzneimittel-Positivliste [33]. Das Grußwort der ostdeutschen Kollegen überbrachte die Zwickauer Apothekerin Dr. Brigitte Schilling, die mit bewegenden Worten ihre Freude zum Ausdruck brachte, dass die Apotheker aus Ost-Berlin, Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Sachsen "nun nicht mehr als Gäste, sondern als Partner" am Apothekertag teilnehmen konnten [34].

Vollendung der Einheit

Waren die ostdeutschen Kollegen in Düsseldorf noch ohne Stimmrecht, so änderte sich dies mit der Vollendung der Einheit des Berufsstandes am 14. Dezember 1990. An diesem Tag wurden auf der Mitgliederversammlung der ABDA in Frankfurt am Main die Beitrittsgesuche der Apothekervereine und -verbände sowie der Apothekerkammern der ostdeutschen Länder einstimmig angenommen. Die Anzahl der Mitgliedsorganisationen der ABDA hatte sich dadurch von 24 auf 34 erhöht, und damit war gesichert, dass die ABDA auch weiterhin für die Apothekerschaft mit einer Stimme sprechen konnte [35].

Quellen und Literatur [1] Ch. Friedrich u. W.-D. Müller-Jahncke: Von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart (Geschichte der Pharmazie / R. Schmitz 2). Eschborn 2005, S. 948 – 953. [2] Ch. Friedrich: Arzneimittel- und Apothekenwesen in der NS-Zeit und in der DDR: Pharmazie im "Dienste des Volkes"? Österr. Apoth.-Ztg. 64 (2010), S. 539 – 543. [3] Ausführliches Rohmanuskript zur Ansprache zum 20-jährigen Jubiläum der Thüringer Apotheker-Organisationen am 09.06.2010 von Dr. Helmut Wittig. [4] W. Fürtig: Kooperation zwischen Arzt und Apotheker, eine neue Qualität in der Arbeit. Ein Beitrag zur Erhöhung der Qualität und Effektivität der Arbeit im Gesundheitswesen. Pharm. Praxis 41 (1986), S. 213 – 215. [5] R. Clar: 30 Jahre Ingenieurschule für Pharmazie. Entwicklung der Lehrgebiete – Teil I. Pharm. Praxis 37 (1982), S. 12 – 16; K.-G. Petzold u. G. Taube: 25 Jahre Ingenieurschule für Pharmazie Leipzig. Pharm. Praxis 31 (1976), S. 229 f. [6] U. Schneidewind: Entwicklung und Aufgaben der materiell-medizinischen Versorgung bis 1985. Pharm. Praxis 37 (1982), S. 95 – 103. [7] (bra): Bundesrepublik und DDR: Wie läßt sich das Apothekenrecht zusammenführen? Dtsch. Apoth. Ztg. 130 (1990), S. 1215 – 1217, hier 1217. [8] Wie [3]. [9] Rede von Dr. Egon Mannetstätter auf der Festveranstaltung zum 20. Jahrestag der Apothekerkammer Thüringen. [10] H. Vogel: Mixtum compositum 1974 – 1998. Beiträge zur Verbandspolitik und Berufsgeschichte aus der Tätigkeit als Präsident der Bayerischen Landesapothekerkammer. Eschborn 1998. [11] Persönliche Mitteilung von Dr. Jörn Graue am 28.06.2010. [12] R. v. Dellingshausen: Die Patenschaft des Apothekerverbandes Westfalen-Lippe für Brandenburg. In: Zukunft braucht Erinnerung. Zehn Jahre Apothekerverband Brandenburg e.V. Potsdam 2000, ohne Paginierung. [13] Persönliche Mitteilung des ehemaligen ABDA-Präsidenten Klaus Stürzbecher am 21.06.2010. [14] W. Trockel: Wirtschaftliche Freiheit und Selbständigkeit erfordern einen freien Verband. In: Zukunft (wie [12]). [15] Wie [11]. [16] Persönliche Mitteilung von Dr. Helmut Wittig am 05.07.2010. [17] Vogel (wie [10]), S. 244 – 246. [18] E. Mannetstätter: Die Landesapothekerkammer Thüringen. 75 Jahre Apothekerkammer, o. O. u. J. [2002], S. 34. [19] W. P. Hilbig: Zum ersten Mal: DDR-Kollegen beim traditionellen Kongreß der Apotheker. Pharm. Ztg. 135 (1990), S. 1387 – 1388. [20] Mannetstätter (wie [18]), S. 31. [21] Mannetstätter (wie [18]), S. 71. [22] W. P. Hilbig u. H. Morck: Apotheker-Verband der DDR gegründet. Pharm. Ztg. 135 (1990), S. 246 – 248. [23] Ch. Berg: Apothekerverband in Ost-Berlin gegründet. Pharm. Ztg. 135 (1990), S. 960. [24] J. Hessler: DDR-Verbände: Jetzt die Feinarbeit. Pharm. Ztg. 135 (1990), S. 644. [25] W. P. Hilbig: 2000 Pharmazeuten aus Ost und West diskutierten die gemeinsame Zukunft. Pharm. Ztg. 135 (1990), S. 1086 – 1091, hier 1087. [26] Resolution des deutsch-deutschen Apothekertreffens am 22. April 1990 in Berlin. Pharm. Ztg. 135 (1990), S. 1086. [27] W. P. Hilbig: Alte Strukturen überwinden. Pharm. Ztg. 135 (1990), S. 1388 f. [28] H. Morck: "Runder Tisch" der Apotheker. Pharm. Ztg. 135 (1990), S. 1526. [29] Wie [11]. [30] Bericht des Sprechers der Geschäftsführung der ABDA, der Bundesapothekerkammer und des Deutschen Apotheker-Vereins, Dr. Johannes Pieck. Pharm. Ztg. 135 (1990), Sonderbeilage zu Nr. 43, S. 8. [31] J. Becker: DDR: Weg zu Kammern frei. Pharm. Ztg. 135 (1990), S. 1984. [32] P. Ditzel: Apothekertag DDR und Interpharm Leipzig. Der Auftakt für ein gesamtdeutsches Apothekenwesen. Dtsch. Apoth. Ztg. 130 (1990), S. 2101 – 2104, hier 2104. [33] R. Berger et. al.: Standpunkte. Erster gesamtdeutscher Apothekertag 1990. Dtsch. Apoth. Ztg. 130 (1990), S. 2235. [34] S. Löffler: Editorial. Pharm. Ztg. 135 (1990), S. 2731. [35] Ch. Friedrich: Die Geschichte der ABDA von 1950 bis 2000. Eschborn 2000, S. 293 f. [36] L. Bäucker: Steinharte "Sowjetkohle" und Revolution. Dtsch. Apoth. Ztg. 130 (1990), S. 14 – 16. [37] K. G. Brauer: Eindrücke aus dem anderen Deutschland: Tristesse im Sonnenschein. Dtsch. Apoth. Ztg. 130 (1990), S. 411 – 414. [38] U. Pohl: Gäste aus der DDR in Kassel. Dtsch. Apoth. Ztg. 130 (1990), S. 425 f. [39] R. Berger: "Von unserem Staat haben wir nichts mehr zu erwarten" – Besuch im Pharmazeutischen Zentrum Leipzig. Dtsch. Apoth. Ztg. 130 (1990), S. 563 – 567. [40] (diz). Bilder von der Interpharm [Stuttgart]. Dtsch. Apoth. Ztg. 130 (1990), S. 1036 f.


 

Autoren
Prof. Dr. Christoph Friedrich
Institut für Geschichte der Pharmazie 
Roter Graben 10, 35032 Marburg
ch.friedrich@staff.uni-marburg.de


 

Rechtsanwalt Dr. Johannes Pieck
Schumannstraße 23, 60325 Frankfurt

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