Feuilleton

Wasserstand und Wasserlauf im Homo sapiens*

Für heute habe ich ein uns alle angehendes, unsere Existenz bestimmendes und bewegendes Thema gewählt, nämlich die Stationen und Bewegungen des Wassers im menschlichen Körper.

Die erste Frage, die in diesem Zusammenhang zu stellen ist, lautet:

Wie viel Wasser beherbergt unser Körper?

Die einen wissen es, die anderen wird es überraschen, zusammen mit der Feststellung, dass sich Mann und Frau auch hinsichtlich des Wassergehaltes unterscheiden. Nehmen wir noch den Säugling hinzu, so ergeben sich folgende Unterschiede. Ein Mann mittleren Alters von 70 kg Körpergewicht besteht zu 60% aus Wasser und zu 40% aus anderer Materie. Bei einer Frau mittleren Alters von 60 kg Gewicht ist das Verhältnis 50: 50, beim Säugling 75: 25.

Ökonomisch gesehen, wenn man das Wasser als preisgünstige Ware und die körpereigenen Substanzen als teuer einstuft, ist die Frau kostbarer als der Mann und der Greis wertvoller als der Säugling.

Wenn man annimmt, das meiste Körperwasser befinde sich in den zirkulierenden Flüssigkeiten Blut und Lymphe, so unterliegt man einem Irrtum. 40% des Gesamtkörperwassers beim Mann und beim Säugling und 30% bei der Frau befinden sich innerhalb der Zellen. Als extrazelluläre Flüssigkeit treten bei Mann und Frau nur 20% des Gesamtwassers in Funktion, beim Säugling sind es 35%.


Warum ist bei Frauen der Wassergehalt deutlich geringer als bei Männern?

Bei Frauen ist das Fettgewebe, das nur wenig Wasser enthält, relativ stärker ausgebildet als bei Männern. Bezieht man den Wassergehalt des Organismus auf die fettfreie Körpermasse, so ergeben sich praktisch keine Unterschiede zwischen Mann und Frau.


Wie hoch ist der tägliche Wasserbedarf eines Menschen?

Hier zeigen sich nach Alter und Körpergewicht deutliche Unterschiede:

  • Kleinkind, ein Jahr alt, 9,5 kg schwer: 1300 ml
  • Kind, 6 Jahre, 20 kg: 2000 ml
  • Teenager, 14 Jahre, 45 kg: 2500 ml
  • Erwachsener, 70 kg: 2750 ml

Während der absolute Wasserbedarf des Menschen im Laufe seiner Entwicklung steigt, sinkt der relative Wasserbedarf, d. h.der Quotient von Wassermenge und Körpermasse (ml/kg). Er beträgt beim Einjährigen 120 bis 135, beim 6-Jährigen 90 bis 100, beim Teenager 50 bis 60, beim Erwachsenen 21 bis 43.


Wie kommt das Wasser in den Körper, wie verlässt es ihn?

Ganz einfach – meint der brave Mann – durch Essen und Trinken hinein, durch "Wasserlassen" und "Stuhlgang", vielleicht auch durch ein bisschen Schwitzen wieder hinaus. Was er dabei nicht bedacht hat, sind zwei Faktoren der Wasserbilanz, von welchen sich der eine – das Oxidationswasser – positiv, der andere – der insensible Wasserverlust – negativ auswirkt.

Das Oxidationswasser entsteht im Körper durch die Verbrennung der Nährstoffe. Während unverdauliche Ballaststoffe mit dem Stuhl eliminiert werden und lösliche Metall-Ionen über den Urin den Körper verlassen, werden Eiweiß, Kohlenhydrate und Fett zu Kohlendioxid und Wasser abgebaut. CO2 wird als schädliches Stoffwechselprodukt über die Lunge abgeatmet, H2 O verbleibt als nützliches Produkt (mit der Bezeichnung Oxidationswasser) im Körper. Die Verbrennung von 1 g Eiweiß liefert 0,44 ml Wasser, 1 g Kohlenhydrat ergibt 0,6 ml Wasser, und die Verstoffwechselung von 1 g Fett führt zu 1,09 ml Wasser.

Im Begriff insensibler Wasserverlust (Perspiratio insensibilis) bedeutet "insensibel" die "unmerkliche" Abgabe von Wasserdampf, der durch die Haut und Schleimhäute von innen nach außen diffundiert. Dieser Wasserverlust ist weder durch passive Einwirkungen (wie sommerliche Hitze) noch durch aktive körperliche Anstrengungen (wie sportliche Leistungen) verursacht.


Wie steht es mit der Wasserbilanz im menschlichen Körper?

In der Regel besteht beim gesunden Menschen ein dynamisches Gleichgewicht zwischen Wasseraufnahme und Wasserabgabe. Die Bilanzsumme pro Tag beträgt beim Erwachsenen im Schnitt 2750 ml.

Auf der Haben-Seite stehen: 1500 ml durch das Trinken, 900 ml in der Nahrung, 350 ml in Form von Oxidationswasser. Auf der Verlust-Seite stehen: 1500 ml Urin, 150 ml im Stuhl, je 500 ml insensibler Wasserverlust über die Lunge und über die Haut, 100 ml Schweiß.

Beim Säugling beträgt die tägliche Wasserzufuhr etwa 700 ml, davon 620 ml über Nahrung und Trinken sowie 80 ml als Oxidationswasser. Die Abgabe erfolgt zu 500 ml als Urin, zu 30 ml im "pastösen Windelprodukt", zu 150 ml durch den insensiblen Wasserverlust und zu 20 ml als Schweiß.

Kleine individuelle Abweichungen aller Daten vorbehalten.


Autor
Prof. Dr. rer. nat. Dr. h. c. Hermann J. Roth, Friedrich-Naumann-Str. 33, 76187 Karlsruhe
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* Frau Dr. Riitta Saranthaus-Zimmermann in anerkennender und freundlicher Verbundenheit zum 65. Geburtstag gewidmet.

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