Medizin

Wiederbelebung bei Herz-Kreislauf-Stillstand

Etwa 500.000 Menschen erleiden jedes Jahr in Europa einen plötzlichen Herztod. Die sofortige Wiederbelebung durch Notfallzeugen erhöht ihr Überleben um das Zwei- bis Dreifache, wird aber nur bei jedem fünften Menschen mit Kreislaufstillstand geleistet. Seit wenigen Wochen gelten neue Leitlinien zur Reanimation – sowohl der American Heart Association (AHA) als auch des European Resuscitation Council (ERC). Vor allem für medizinische Laien soll die Wiederbelebung erleichtert werden.
Abb. 1: Rettungskette für die Reanimation Erwachsener. [nach American Heart Association, 2010]

Die mit Abstand häufigste außerklinische Ursache eines Kreislaufstillstands in westlichen Industrienationen ist mit über 82% der plötzliche Herztod, bedingt durch Infarkt oder Rhythmusstörungen. Weiterhin können Erkrankungen wie Lungenembolie oder Schlaganfall zum Kreislaufstillstand führen, aber auch äußere Einwirkungen wie Ersticken, Ertrinken, Stromunfall, Vergiftung oder Suizid.

Von den menschlichen Organen reagieren die Nervenzellen des Gehirns am empfindlichsten auf Sauerstoffmangel. Bei einem plötzlichen Kreislaufstillstand mit nachfolgender ischämischer Hypoxie ist die Strukturerhaltungszeit des Gehirns von etwa 5 bis 10 Minuten der limitierende Faktor. Daher ist die Zeit bis zum Beginn effizienter Reanimationsmaßnahmen der wichtigste Prognosefaktor:

  • Pro Minute, die bis zum Beginn der Herz-Lungen-Wiederbelebung (HLW) verstreicht, verringert sich die Überlebenswahrscheinlichkeit des Patienten um etwa 10%.

Da in den europäischen Ländern die Frist bis zum Eintreffen des Rettungsdienstes meist bei acht Minuten oder mehr liegt, sind zunächst die unverzüglich – meist durch Ersthelfer – eingeleiteten Basismaßnahmen der Reanimation (Basic Life Support, BLS) für das Überleben des Patienten entscheidend (Abb. 1; Abb. 2).


Abb. 2: Vereinfachter BLS-Algorithmus für die Reanimation Erwachsener. [nach American Heart Association, 2010]

Geänderte Abfolge: C-A-B statt A-B-C

In den Leitlinien 2010 für Herz-Lungen-Wiederbelebung der American Heart Association wird eine geänderte Abfolge der Basismaßnahmen der Reanimation für Erwachsene, Kinder und Säuglinge (außer Neugeborenen) empfohlen – von A-B-C (airway [Atemwege], breathing [Beatmung], chest compressions [Herzdruckmassage]) in C-A-B (chest compressions [Herzdruckmassage], airway [Atemwege], breathing [Beatmung]). Das bedeutet, dass die Herzdruckmassage vor der Beatmung eingeleitet werden soll.

Die Wahrscheinlichkeit, dass beim Reanimations-pflichtigen Erwachsenen der Kreislaufstillstand kardial bedingt ist, ist sehr hoch. Wird die Wiederbelebung unverzüglich eingeleitet, ist der Sauerstoffgehalt im Blut noch ausreichend. Die Sauerstoffversorgung von Herz und Gehirn wird durch die reduzierte kardiale Auswurfleistung stärker limitiert als durch einen O2 -Mangel in den Lungen oder im arteriellen Blut. Daher sind die wichtigsten BLS-Schritte die sofortige Herzdruckmassage und eine möglichst frühzeitige Defibrillation – zumal die Herzdruckmassage ohne Zeitverlust durchgeführt werden kann, wohingegen das initiale Positionieren des Kopfes und die Verabreichung zweier Beatmungsstöße wertvolle Zeit "verbraucht".

Dementsprechend wird in den aktuellen AHA-Leitlinien auch auf die bisherige Anweisung "Nach Atmung sehen, hören und fühlen" verzichtet. Erst nach den initialen 30 Thoraxkompressionen sollen die Atemwege freigemacht und zwei Atemspenden durchgeführt werden (s. unten).

Wiederbelebung ohne Atemspende

Kürzlich veröffentlichte gepoolte Daten einer Metaanalyse stützen die Empfehlung, dass (nicht geschulte) Laienhelfer bei Erwachsenen mit Kreislaufstillstand bis zum Eintreffen geschulter Rettungshelfer zumindest bzw. ausschließlich eine Herzdruckmassage durchführen sollten ("Hands-OnlyTM "-Prinzip). Studien zu Laienreanimationen bei Kreislaufstillstand zeigten ähnliche Überlebensraten für Patienten, bei denen eine Hands-OnlyTM -Wiederbelebung durchgeführt wurde, wie für Patienten, bei denen eine herkömmliche Herz-Lungen-Wiederbelebung durchgeführt wurde (d. h. mit Beatmung). Außerdem ist das "Hands-OnlyTM "-Prinzip für einen Laienhelfer einfacher zu realisieren.

Herzdruckmassage

Die Herzdruckmassage erzeugt durch Erhöhung des Drucks im Thorax und durch direkte Kompression des Herzens einen Blutfluss. Bei korrekter Technik kann ein systolischer Blutdruck von 60 bis 80 mmHg erreicht werden, allerdings bleibt der diastolische Druck niedrig, und der arterielle Mitteldruck steigt selten über 40 mmHg. Dennoch bewirkt die kontinuierliche Herzdruckmassage eine geringe, jedoch entscheidende zerebrale und koronare Perfusion und steigert nicht zuletzt die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Defibrillation. Aktuelle Empfehlungen zur Durchführung s. Kasten "Herzdruckmassage".

Thoraxkompressionsfrequenz: mindestens 100 pro Minute

Die Anzahl der pro Minute durchgeführten Kompressionen während einer HLW ist ein entscheidender Faktor für die Rückkehr des Spontankreislaufs (return of spontaneous circulation, ROSC) und für eine Überlebenschance mit guten neurologischen Funktionen. In einer außerklinischen Studie erreichten Ersthelfer zwar Kompressionsfrequenzen von 100 bis 120 pro Minute, jedoch reduzierte sich die durchschnittliche Anzahl von Kompressionen durch Unterbrechungen (z. B. Beatmung, Defibrillation) auf ca. 65 pro Minute.

Thoraxkompressionstiefe: mindestens 5 cm

Es gibt gesicherte Erkenntnisse dafür, dass eine Kompressionstiefe von 5 cm und mehr bei Erwachsenen zu einem höheren ROSC-Anteil führt und ein höherer Prozentsatz der Patienten lebend die Notfallambulanz erreicht. Zwar liegen keine Studien vor, die Aussagen zu einer maximalen Drucktiefe ermöglichen, dennoch wird empfohlen, selbst bei kräftigen Erwachsenen eine Kompressionstiefe von 6 cm nicht zu überschreiten.

Die vollständige Entlastung des Thorax nach jeder Kompression ermöglicht einen besseren venösen Rückstrom zum Herzen und kann somit die Effizienz der Wiederbelebung steigern.


Abb. 3: Handposition bei Herzdruckmassage.
Grafik: ERC-Leitlinien

Herzdruckmassage –
aktuelle Empfehlungen


Seitlich am Patienten knien. Den Ballen einer Hand auf die untere Hälfte des Sternums legen (entspricht der Mitte der Brust) und den Ballen der anderen Hand auf die erste Hand. (Abb. 3)

Mit geraden Armen das Brustbein des Patienten mindestens 5 cm nach unten drücken (jedoch nicht mehr als 6 cm).

Nach jeder Kompression den Thorax des Patienten vollständig entlasten, ohne den Kontakt zwischen den Händen und dem Sternum zu verlieren. Druck und Entlastung sollten gleich lang andauern.

Wiederholung des Vorgangs mit einer Frequenz von mindestens 100 pro Minute (jedoch nicht mehr als 120 pro Minute).

Unterbrechungen der Herzdruckmassage vermeiden oder zumindest minimieren, damit der Patient nicht weniger als 60 Kompressionen pro Minute erhält.

Kombination Herzdruckmassage und Beatmung

Die Wiederbelebung beginnt mit der Herzdruckmassage gemäß der C-A-B-Sequenz. Die Atmung wird bei diesem Vorgehen im Rahmen der Feststellung des Herzstillstands kurz überprüft. Nach den ersten 30 Thoraxkompressionen wird die Beatmung durchgeführt (s. Kasten "Durchführung der Beatmung").

Verhältnis Herzdruckmassage zu Beatmung: 30: 2.

Wenn zwei Helfer vor Ort sind, entfällt der Helfer-Positionswechsel zwischen Herzdruckmassage und Beatmung. Unmittelbar nach den 30 Thoraxkompressionen durch den einen Helfer macht der andere die Atemwege frei und führt zwei Atemspenden durch – auch bei einer Reanimation durch zwei Helfer beträgt das Kompressions-zu-Ventilations-Verhältnis 30: 2.


Abb. 4: Atemspende Grafik: ERC-Leitlinien

Durchführung der Beatmung


Die Atemwege durch Überstrecken des Halses und Anheben des Kinns freimachen.

Mit Daumen und Zeigefinger der auf der Stirn liegenden Hand die Nase durch Zusammendrücken der weichen Nasenflügel verschließen.

Selbst normal einatmen, die Lippen um den Mund des Patienten legen, dabei auf eine gute Abdichtung achten (Abb. 4).

Gleichmäßig in den Mund des Patienten blasen, dabei beobachten, wie sich dessen Thorax – als Zeichen einer effektiven Beatmung – in rund einer Sekunde hebt.

Den Mund von dem des Patienten nehmen (dabei den Hals überstreckt und das Kinn angehoben halten) und beobachten, wie sich der Brustkorb beim Entweichen der Luft wieder senkt.

Selbst erneut einatmen und noch einmal in den Mund des Patienten blasen, um insgesamt zwei effektive Beatmungen zu erzielen. Für beide Beatmungen sollten nicht mehr als fünf Sekunden aufgewendet werden.

Ohne weitere Verzögerung die Herzdruckmassage wieder fortsetzen und 30 weitere Thoraxkompressionen durchführen.

Elektrotherapie/Defibrillation

Wichtig ist die Unterscheidung von hyperdynamen (defibrillierbaren) und hypodynamen (nicht defibrillierbaren) Kreislaufstillständen. Bei der hyperdynamen Form findet keine koordinierte Herzarbeit und damit kein wesentlicher Auswurf von Blut in den Kreislauf mehr statt, Ursachen sind Kammerflimmern bzw. -flattern (ventricular fibrillation, VF) und pulslose ventrikuläre Tachykardie (ventricular tachycardia, VT).

Ohne Wiederbelebung mit Defibrillation geht die hyperdyname nach wenigen Minuten unweigerlich in die hypodyname Form über, bei der keine elektrische Herzaktivität mehr nachweisbar ist und die als Asystolie bezeichnet wird.

Unter Defibrillation versteht man den Durchgang einer kontrollierten Strommenge durch das Myokard, um die flimmernde oder pulslos tachykarde Myokardmasse zu depolarisieren. Ziel ist die Wiederherstellung einer geordneten elektrischen Aktivität, idealerweise eines Sinusrhythmus, und einer Spontanzirkulation.

Automatisierte externe Defibrillatoren (AEDs) sind hochentwickelte computergestützte Geräte, die zunehmend im öffentlichen Bereich vorgehalten werden. Sie geben akustische bzw. visuelle Anweisungen für einen sicheren Defibrillationsvorgang. Nach Analyse des Herzrhythmus wird der Ersthelfer aufgefordert, einen Schock abzugeben, sofern ein Kammerflimmern oder eine pulslose ventrikuläre Tachykardie erkannt wird. Standard-AEDs sind geeignet für den Einsatz bei Erwachsenen und Kindern ab acht Jahren. Empfohlener Handlungsablauf siehe Kasten "Automatisierter externer Defibrillator".


Abb. 5: Platzierung der Defibrillator-Klebeelektroden. Grafik: ERC-Leitlinien

Automatisierter externer Defibrillator – Handhabung


Sobald verfügbar, den automatisierten externen Defibrillator (AED) einschalten und die Klebeelektroden auf der entblößten Brust des Patienten anbringen (falls mehr als ein Helfer anwesend ist: Fortsetzung der Wiederbelebung, während der AED vorbereitet und die Klebeelektroden angebracht werden).

Empfohlene gängige Platzierung der AED-Elektrodenpads: rechter infraklavikulärer Brustbereich (unterhalb des rechten Schlüsselbeins), linker inferior-lateraler Brustbereich (Abb. 5).

Unverzüglich den gesprochenen/ visuellen Anweisungen des Defibrillators folgen.

Während der Rhythmusanalyse durch den AED sicherstellen, dass niemand den Patienten berührt.

Falls ein Schock indiziert ist, wiederum sicherstellen, dass niemand den Patienten berührt, und nach Aufforderung durch den AED den Auslöseknopf drücken (cave: Vollautomatische Geräte geben den Schock automatisch ab).

Nach dem Schock unverzügliche Fortsetzung der BLS-Maßnahmen (Herzdruckmassage) bis zur nächsten AED-Anweisung (nach 2 Minuten), den Herzrhythmus erneut zu analysieren.

Falls kein Schock indiziert ist, ebenfalls unverzügliche Fortsetzung der BLS-Maßnahmen im Verhältnis 30 Thoraxkompressionen zu 2 Beatmungen.

Gegebenenfalls den Anweisungen des AEDs folgen, bis qualifizierte Hilfe eintrifft und den Patienten übernimmt.


In verschiedenen Studien konnte gezeigt werden, dass die Überlebenschance mit einem sogenannten 1-Schock-Defibrillations-Protokoll wesentlich höher ist als mit einem 3-Schock-Sequenz-Protokoll, d. h. die Daten unterstützen die Empfehlung zur Abgabe einzelner Schocks, gefolgt von einer unverzüglichen Fortsetzung der Wiederbelebung, anstelle mehrerer rasch aufeinanderfolgender Stromabgaben. In Bezug auf den Beginn der Defibrillation konnten verschiedene Studien nachweisen, dass mit jeder Minute Verzögerung bis zur Defibrillation die Überlebensrate bei Kammerflimmern um 10 bis 12% sinkt.

Bei außerklinischem Kreislaufstillstand durch Kammerflimmern kann die kardiopulmonale Reanimation plus Defibrillation in 3 bis 5 Minuten nach dem Zusammenbruch Überlebensraten in Höhe von 49 bis 75% erreichen. Alles in allem kann eine sofortige kardiopulmonale Reanimation durch Ersthelfer die Überlebensrate nach beobachtetem Kreislaufstillstand verdoppeln bis verdreifachen.


Quellen

http://www.grc-org.de. ERC_Leitlinien_2010_Sektion02BLS_AED_neu.pdf

http://www.american-heart.at/fileadmin/downloads/Guidelines2010-Highlights_D

http://circ.ahajournals.org/cgi/content/full/122/18_suppl_3/S685

Hüpfl M, Selig HF, Nagele P. Chest-compression-only versus standard cardiopulmonary resuscitation: a meta-analysis. DOI:10.1016/S0140-6736(10)61454-7


Autor
Clemens Bilharz, Facharzt für Anästhesiologie und Intensivmedizin, Stuttgart

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