- DAZ.online
- DAZ / AZ
- DAZ 6/2010
- Ältere Krebspatienten ...
Arzneimittel und Therapie
Ältere Krebspatienten oft untertherapiert
Ein weit verbreiteter Irrtum ist die Ablehnung einer onkologischen Therapie aufgrund des fortgeschrittenen Alters eines Patienten. Die prospektive altersbezogene Lebenserwartung betagter Patienten wird meist deutlich unterschätzt. So hat etwa eine 85-jährige Frau eine statistische Lebenserwartung von weiteren sechs Jahren. Bei der Planung einer Tumortherapie muss daher sorgfältig zwischen der altersbezogenen Lebenserwartung und der Überlebenswahrscheinlichkeit ohne eine adjuvante Therapie abgewogen werden.
Ein weiteres Vorurteil ist, dass der betagte Tumorpatient eine Therapie ablehnt. Behandlungswunsch und Lebensqualität sind von familiären und sozialen Bindungen abhängig und durchaus auch bei fortgeschrittener Erkrankung und hohem Alter vorhanden.
Alter ist keine Kontraindikation
Ein ebenfalls weit verbreitetes Missverständnis ist die Annahme, die Therapiefähigkeit eines Patienten sei durch sein biologisches Alter definiert. Dies kann dazu führen, dass vitale krebskranke Patienten untertherapiert werden. Werden altersabhängige physiologische Veränderungen beachtet, können auch beim alten Patienten zytotoxische Therapien durchgeführt werden. Zu beachten sind dabei vor allem die eingeschränkten renalen Eliminationsraten, da viele Zytostatika vorwiegend über die Niere ausgeschieden werden. Zur Einschätzung der Nierenfunktion wird die Kreatinin-Clearance (Ermittlung nach Cockroft und Gault) herangezogen; die Dosierung erfolgt dann unter Berücksichtigung eines Korrekturfaktors. Des Weiteren ist die stark verringerte hämatopoetische Reservekapazität zu beachten.
Die verringerte Granulozytenfunktion darf nicht zu einer Unterdosierung zytotoxischer Wirkstoffe führen, sondern muss durch die Gabe von Wachstumsfaktoren ausgeglichen werden. Zu beachten sind ferner bestehende Komorbiditäten, die kognitiven Fähigkeiten des Patienten sowie seine sozialen und familiären Bindungen. Diese Parameter werden mithilfe validierter Assessment-Instrumente erfasst. Diese beinhalten Anamnese, körperliche Untersuchung, Interviews sowie standardisierte Tests zur Ermittlung funktioneller Einschränkungen. Dann erfolgt die Entscheidung, ob der Patient eine Standardtherapie, eine adaptierte Behandlung oder eine palliative Unterstützung erhält.
Betroffen, aber unterrepräsentiert
Derzeit sind etwa zwei Drittel der Tumorpatienten über 65 Jahre alt. Betrachtet man sich die Altersstrukturen in onkologischen Studien, so sind alte und ältere Probanden unterrepräsentiert. Das hat zur Folge, dass Therapieregime auf eine Patientengruppe übertragen werden, für die sie nicht entwickelt wurden. Das Fehlen adäquater Studien führt zum einen zu einer suboptimalen Behandlung und stärkt möglicherweise die Abwehrhaltung gegenüber einer heilenden oder lindernden zytotoxischen Therapie.
Auch bei der Prävention werden ältere Menschen zu wenig berücksichtigt. Obwohl die meisten Tumorerkrankungen im Alter auftreten – die häufigsten Krebserkrankungen wie etwa Brust-, Darm-, Prostata- und Lungenkrebs sind typische Alterserkrankungen – nimmt die Vorsorge bei älteren Menschen einen geringen Raum ein. So sieht etwa das Sozialgesetzbuch das Mammographiescreening für Frauen nur bis zum 69. Lebensjahr vor. Allerdings werden die meisten Mammakarzinome bei über 70-Jährigen festgestellt. Eine verzögerte Diagnose geht wiederum mit einer schlechteren Prognose und verringerten Heilungschancen einher.
Quelle
Prof. Dr. Dr. Gerald Kolb, Lingen: "Geriatrische Onkologie – Chancen und Risiken". Hamburg, 29. Januar 2010, 18. onkologisch-pharmazeutischen Fachkongress (NZW).
Apothekerin Dr. Petra Jungmayr
InformationenInitiative Geriatrische Hämatologie und Onkologie |
0 Kommentare
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.