Feuilleton

Arzneien aus dem Mittelalter

"Die Arzneien des späten Mittelalters" sind das Thema der diesjährigen Sonderausstellung im Brandenburgischen Apothekenmuseum Cottbus, die bis zum Jahresende zu sehen ist. Gezeigt werden Exponate aus der eigenen Sammlung, Tierpräparate aus dem Naturkundemuseum Cottbus sowie Waagen und Gewichte aus der Sammlung von Apotheker Rolf Laufkoetter in Bad Ems.
"Heilsame Dreck-Apotheke" von Christian Franz Paullini, Frankfurt am Main 1699.
Fotos: Wylegalla

"Im Koth und im Urin liegt GOTT und die Natur. Kuhfladen können dir weit mehr als Balsam nützen. Der blosse Gänsedreck geht Mosch und Ambra für", behauptete Christian Franz Paullini (1643 – 1712). 1696 erschien in Frankfurt am Main die "Heylsame Dreck-Apotheke", in der der Eisenacher Stadtphysikus Arzneien empfahl, die aus inneren Organen, Exkrementen und anderen ekelerregenden Ingredienzien zubereitet sind. Dazu zählten Armesünderfett, Speichel, Nasenschleim, Schweiß, Sperma, Ohrenschmalz, Menstrualblut, pulverisierte Mäusezähne, Spinnenweben und Spulwürmer.

Als bekanntestes von etwa fünfzig Werken Paullinis wurde die "Dreck-Apotheke" mehrfach nachgedruckt. Die letzte Auflage erschien 1847 in Stuttgart, heute ist sie als Reprint verfügbar. Paullini, der der Naturforscherakademie Leopoldina angehörte und drei Jahre lang Leibarzt des Bischofs Bernhard von Galen gewesen war, galt allerdings vielen Kollegen als Scharlatan. Schon Martin Luther hatte die Wirksamkeit von Fäkalarzneien angezweifelt: "profecto mich wundert, das Gott so gute und hohe ertzney in die drecke gesteckt hat", entrüstete sich der Reformator.

Im Licht seiner Zeit betrachtet, ist Paullini jedoch ein ernst zu nehmender, wissenschaftlich arbeitender Arzt gewesen. Seinen aus heutiger Sicht kurios anmutenden Rezepturen lag die antike Humoralpathologie, die Viersäftelehre, zugrunde. Ähnlich wie seinerzeit schon Galenus spezielle Heilmittel weniger begüterten Patienten verordnete, empfahl auch Paullini alternativ zu Arzneien, die aus teuren Gewürzen und Importdrogen hergestellt waren, für Minderbemittelte erschwingliche Heilmethoden.

Diese waren auch keineswegs neu. Papyri belegen, dass schon im zweiten vorchristlichen Jahrtausend im Reich der Pharaonen Kranke mit Medikamenten aus menschlichen und tierischen Ausscheidungen behandelt worden sind. In der Rezeptsammlung des Sextus Placitus Papyrensis (4./5. Jh. n. Chr.) finden sich ebenfalls Medikamente mit Substanzen, die später von Paullini empfohlen wurden.

Antibiotische Wirkung plausibel

In der Münchner Arzneitaxe von 1488 ist zu lesen, dass durch die Einnahme von Mäusekot Obstipation und Harnverhaltung geheilt werden können. Obwohl wenig appetitlich, soll eine entsprechende Rezeptur des Weiteren einen aphrodisierenden Effekt gehabt haben. Menschenfett, Wolfsleber und gebrannte Maulwürfe wurden noch 1761 in der Dresdner Taxe für die Behandlung verschiedener Krankheiten empfohlen. Nach einem Dokument von 1697 wurden sogar die pulverisierten Schädel von gewaltsam zu Tode gekommenen Menschen als Heilmittel gegen Hirnkrankheiten empfohlen.

Der menschliche Glaube an die Heilkraft "absonderlicher" Substanzen resultiert indessen wohl nicht allein aus der Vorliebe für das Magische. Schon die Menschen der Vorzeit beobachteten, dass Tiere durch Lecken den Heilprozess ihrer Wunden zu fördern versuchen. Die – zuweilen durchaus erfolgreiche – Anwendung von Eigenurin bei bestimmten Erkrankungen und die Verwendung von Harnstoff in Dermatika zeigt, dass Paullinis Behauptung, "Gottes Wunder seien auch im kleinsten Dreck", ein Körnchen Wahrheit enthält. Auch die Volksweisheit, dass "Dreck den Magen scheuert", zielt in diese Richtung.

Für Medizin- und Pharmaziehistoriker ist die "Dreck-Apotheke" eine ernst zu nehmende Quelle. Heute kann man zum Beispiel erklären, dass der therapeutische Effekt einer Mixtur aus Schafdung, Käseschimmel und Honig, zwanzig Tage auf Unterschenkelgeschwüre appliziert, aus der antibiotischen Wirkung des Schimmels resultiert. Die lange Behandlungsdauer wirkt vermutlich der Bildung resistenter Bakterienstämme entgegen.

Diese Rezeptur wurde übrigens nicht erst zu Paullinis Zeit, sondern schon um 800 n. Chr. im Lorscher Arzneibuch, dem ältesten erhaltenen Werk der Klostermedizin im deutschsprachigen Raum, niedergeschrieben. Die Klostermedizin löste die griechisch-römische Medizin ab, nachdem das weströmische Reich zusammengebrochen war, und verbreitete sich im gesamten christlichen Abendland.

Einhornpulver als letzte Hoffnung

Nach christlichen Vorstellungen übertrugen nicht – wie früher angenommen – böse Geister die Krankheiten, sondern Gott sandte diese, um die Menschen – wie einst Hiob – zu "prüfen". Eine Heilung war allein durch seine Gnade möglich. Folglich war bis in das Hochmittelalter hinein die medizinische Versorgung als Handwerk und angewandte Theologie gleichermaßen Aufgabe von Ordensleuten. Auch die Ausbildung von Ärzten war allein den Klöstern vorbehalten.

Vom frühmittelalterlichen Arzneischatz sind 120 unter Karl dem Großen aufgelistete Mittel bekannt. Neben Heilpflanzen, die in den Klostergärten angebaut wurden, waren damals auch schon Arsen, Quecksilber und Schwefel als mineralische Drogen bekannt. Wachs, Honig und Öl verwendeten Mönche und Nonnen als Hilfsstoffe.

 

Apothekerskink, Scincus officinalis – ein Erbe der arabischen Medizin. Vor dem Versand ins Abendland wurde diese in den Sandwüsten des Nahen Ostens heimische Glattechse ausgeweidet und in ­Lavendelblüten verpackt. Das Fleisch des Unterleibs galt als Aphrodisiakum.

Obwohl die christliche Lehre den Glauben an magische Kräfte verurteilt, verwendete die abendländische Heilkunde auch Drogen, deren Wirkungsprinzip eine magische Komponente hatte, z. B. das wahre Einhorn, Unicornu verum. Bereits in der Antike hatten Ärzte das spiralförmig gedrehte "Horn", als Pulver genommen, gegen allerlei Krankheiten empfohlen oder sogar als Wundermittel gepriesen. Die Alchemie des Mittelalters sah eine Beziehung zwischen Einhorn und Quecksilber. Einhornpulver sollte entgiftend wirken. Auch glaubte man, dass Tränen des legendenumwobenen Paarhufers Eingeweidesteine auflösen und Tote ins Leben zurückrufen können und dass das Trinken von Einhornblut zu ewigem Leben führt.

Derartige Behauptungen konnten nie bewiesen werden, im Gegenteil: Bereits 1638 hatte der dänische Arzt und Naturforscher Ole Worm dargelegt, dass es sich beim "Ainkhürn" um den Stoßzahn des Narwals handelt und dass die Einnahme des teuren Pulvers therapeutisch wertlos ist. Aber wohlhabende Kranke setzten weiterhin ihre letzte Hoffnung in die Wundermedizin und bezahlten dafür bis zum Zwanzigfachen des Gewichts in purem Gold. Bis ins 19. Jahrhundert wird Unicornu verum immer wieder in der medizinischen Literatur erwähnt.

Paracelsus rechnet mit dem Mittelalter ab

Mit Theophrastus von Hohenheim, genannt Paracelsus, erfuhr die Medizin des späten Mittelalters eine Reformation. 1493 im schweizerischen Einsiedeln als Sohn eines adeligen Arztes und einer Leibeigenen zur Welt gekommen, studierte er an verschiedenen Universitäten und führte auch danach ein unstetes Leben. Er erforschte heimische Heilkräuter, entwickelte aber auch neue Arzneimittel mithilfe der Alchemie.

Paracelsus widersprach entschieden der Lehre von Avicenna (980 – 1037), die sich durch die Schule von Salerno im Abendland ausgebreitet hatte. Der persische Universalgelehrte hatte die medizinischen Traditionen der Perser, Römer und Griechen vereint und in seinem fünfbändigen "Kanon der Medizin" unter anderem über die Prüfung, Wirksamkeit und Anwendung von 760 Medikamenten geschrieben. Ferner hatte Avicenna einen Zusammenhang zwischen Gefühlen und dem körperlichen Zustand erkannt und sich mit dem positiven Einfluss von Musik auf die physische sowie auf die psychische Verfassung von Patienten beschäftigt.

Ebenso bekämpfte Paracelsus die Lehre des Galenus von Pergamon (129 – 216), der die widersprüchlichen Konzepte des Hippokrates – dieser verstand den Körper vor dem Hintergrund der Viersäftelehre – und der alexandrinischen Medizin, die in den festen Bestandteilen des Körpers nach Krankheitsursachen suchte (Solidarpathologie), vereint hatte. Wegen seines Antiarabismus und noch mehr wegen seines Antigalenismus wurde Paracelsus sein Leben lang durch die etablierte Ärzteschaft der "Ketzerei" bezichtigt. Doch er fand auch viele Anhänger für seine Ideen, die größtenteils erst posthum publiziert wurden.

Paracelsus starb 1541, nachdem er eine Mittelohrentzündung mit Blei therapiert hatte.

Walnuss, Herbstzeitlose und Schöllkraut

Paracelsus entwickelte die Signaturenlehre weiter, die bereits im alten Ägypten – wie auch in China und Indien – und im Abendland in rudimentärer Form verbreitet war. Er und der Neapolitaner Giambattista della Porta (1538 – 1615) waren indessen die ersten europäischen Ärzte, die anhand von "Signaturen", d. h. sichtbaren Merkmalen, ein System der Zusammenhänge zwischen Pflanzen, Tieren, Gestirnen und dem Menschen schriftlich formulierten. Dabei galt der Mensch als Mikrokosmos oder als Abbild des ihn umgebenden Makrokosmos.

Insbesondere sah Paracelsus einen Zusammenhang zwischen einer Arzneipflanze oder -droge und der Krankheit, für die sie indiziert ist: Eine Krankheit entsteht, wenn ein "äußerer" Stoff seinen "Zwilling" im menschlichen Körper entzündet, und eine Arznei wirkt, wenn eine entsprechende Beziehung zwischen ihr und dem Mikrokosmos besteht.

 

Fledermaus Der Papyrus Ebers empfahl, bei Halsleiden eine gespaltene Fledermaus auf den Hals zu legen. In Öl gekochte Fledermäuse sollten bei den Arabern Ischias und im europäischen Mittelalter das Podagra kurieren.

Obwohl die christliche Lehre den Glauben an magische Kräfte verurteilt, verwendete die abendländische Heilkunde auch Drogen, deren Wirkungsprinzip eine magische Komponente hatte, z. B. das wahre Einhorn, Unicornu verum. Bereits in der Antike hatten Ärzte das spiralförmig gedrehte "Horn", als Pulver genommen, gegen allerlei Krankheiten empfohlen oder sogar als Wundermittel gepriesen. Die Alchemie des Mittelalters sah eine Beziehung zwischen Einhorn und Quecksilber. Einhornpulver sollte entgiftend wirken. Auch glaubte man, dass Tränen des legendenumwobenen Paarhufers Eingeweidesteine auflösen und Tote ins Leben zurückrufen können und dass das Trinken von Einhornblut zu ewigem Leben führt.

Derartige Behauptungen konnten nie bewiesen werden, im Gegenteil: Bereits 1638 hatte der dänische Arzt und Naturforscher Ole Worm dargelegt, dass es sich beim "Ainkhürn" um den Stoßzahn des Narwals handelt und dass die Einnahme des teuren Pulvers therapeutisch wertlos ist. Aber wohlhabende Kranke setzten weiterhin ihre letzte Hoffnung in die Wundermedizin und bezahlten dafür bis zum Zwanzigfachen des Gewichts in purem Gold. Bis ins 19. Jahrhundert wird Unicornu verum immer wieder in der medizinischen Literatur erwähnt.

Paracelsus rechnet mit dem Mittelalter ab

Mit Theophrastus von Hohenheim, genannt Paracelsus, erfuhr die Medizin des späten Mittelalters eine Reformation. 1493 im schweizerischen Einsiedeln als Sohn eines adeligen Arztes und einer Leibeigenen zur Welt gekommen, studierte er an verschiedenen Universitäten und führte auch danach ein unstetes Leben. Er erforschte heimische Heilkräuter, entwickelte aber auch neue Arzneimittel mithilfe der Alchemie.

 

Paracelsus verwendete u. a. Asphalt, Mennige und "Krebsaugen" (lapis cancrorum).

Paracelsus widersprach entschieden der Lehre von Avicenna (980 – 1037), die sich durch die Schule von Salerno im Abendland ausgebreitet hatte. Der persische Universalgelehrte hatte die medizinischen Traditionen der Perser, Römer und Griechen vereint und in seinem fünfbändigen "Kanon der Medizin" unter anderem über die Prüfung, Wirksamkeit und Anwendung von 760 Medikamenten geschrieben. Ferner hatte Avicenna einen Zusammenhang zwischen Gefühlen und dem körperlichen Zustand erkannt und sich mit dem positiven Einfluss von Musik auf die physische sowie auf die psychische Verfassung von Patienten beschäftigt.

Ebenso bekämpfte Paracelsus die Lehre des Galenus von Pergamon (129 – 216), der die widersprüchlichen Konzepte des Hippokrates – dieser verstand den Körper vor dem Hintergrund der Viersäftelehre – und der alexandrinischen Medizin, die in den festen Bestandteilen des Körpers nach Krankheitsursachen suchte (Solidarpathologie), vereint hatte. Wegen seines Antiarabismus und noch mehr wegen seines Antigalenismus wurde Paracelsus sein Leben lang durch die etablierte Ärzteschaft der "Ketzerei" bezichtigt. Doch er fand auch viele Anhänger für seine Ideen, die größtenteils erst posthum publiziert wurden.

Paracelsus starb 1541, nachdem er eine Mittelohrentzündung mit Blei therapiert hatte.

Walnuss, Herbstzeitlose und Schöllkraut

Paracelsus entwickelte die Signaturenlehre weiter, die bereits im alten Ägypten – wie auch in China und Indien – und im Abendland in rudimentärer Form verbreitet war. Er und der Neapolitaner Giambattista della Porta (1538 – 1615) waren indessen die ersten europäischen Ärzte, die anhand von "Signaturen", d. h. sichtbaren Merkmalen, ein System der Zusammenhänge zwischen Pflanzen, Tieren, Gestirnen und dem Menschen schriftlich formulierten. Dabei galt der Mensch als Mikrokosmos oder als Abbild des ihn umgebenden Makrokosmos.

Insbesondere sah Paracelsus einen Zusammenhang zwischen einer Arzneipflanze oder -droge und der Krankheit, für die sie indiziert ist: Eine Krankheit entsteht, wenn ein "äußerer" Stoff seinen "Zwilling" im menschlichen Körper entzündet, und eine Arznei wirkt, wenn eine entsprechende Beziehung zwischen ihr und dem Mikrokosmos besteht.

An sichtbaren Merkmalen der Drogen wollte Paracelsus ihre therapeutischen Qualitäten erkennen. Beispiele für die Praxis der Signaturenlehre sind die Anwendung von Bohnen bei Nierenerkrankungen und der Walnuss bei Erkrankungen des Gehirns. Als Weiterentwicklung der Signaturenlehre gilt die von Samuel Hahnemann (1755 – 1843) aufgestellte Ähnlichkeitsregel der Homöopathie: "Similia similibus curentur" – Ähnliches werde mit Ähnlichem geheilt.

Wie einige Mittel der "Dreck-Apotheke" plausibel sind, gibt es auch bei der Signaturenlehre manchen Treffer. So enthält die Walnuss Lecithin und relativ viel α-Linolensäure, die für das Gehirn besonders wertvoll sind. Die Zwiebel der Herbstzeitlose, die einer Gichtzehe ähnelt, lindert aufgrund ihres Colchicingehalts akute Gichtanfälle. Und bestimmte gelbe Arzneidrogen wie Schöllkraut, Löwenzahn und Kurkumawurzel helfen bei Gallenbeschwerden, weil sie choleretisch, cholekinetisch und spasmolytisch wirken.

Reinhard Wylegalla

Museum


Brandenburgisches Apothekenmuseum

Altmarkt 24, 03046 Cottbus

Tel. (03 55) 2 39 97, Fax 3 83 18 48

www.niederlausitzer-apothekenmuseum.de

Führungen dienstags bis freitags um 11 und 14 Uhr, samstags und sonntags 14 und 15 Uhr sowie nach Vereinbarung

Kräuterverkauf dienstags bis freitags von 10 bis 17 Uhr

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