- DAZ.online
- DAZ / AZ
- DAZ 14/2011
- Schizophrenie im Spiegel ...
Interpharm 2011
Schizophrenie im Spiegel der Literatur
Der Verlauf einer Schizophrenie wird in zwei Phasen unterteilt: in die akute und in die chronische Phase (Tab.). Die akuten Symptome sind durch mangelnde Krankheitseinsicht, akustische Halluzinationen, Beziehungs- und Wahnideen, Misstrauen und Affektverflachung, Wahnstimmung und Verfolgungswahn, Gedankeneingebungen sowie depressiv-affektive Symptome gekennzeichnet. In der chronischen Phase dominieren der soziale Rückzug, verminderte oder vermehrte Aktivitäten, Verlangsamung, seltsame Ideen und merkwürdiges Verhalten, Drohungen, Gewalttätigkeiten, eine Vernachlässigung der eigenen Person sowie wiederum depressive und affektive Symptome. Es besteht keine Korrelation zwischen dem Ausmaß dieser Symptome und dem Verlauf der Erkrankung, die Symptome – akut oder chronisch – wirken sich aber auf das Ansprechen therapeutischer Maßnahmen aus. So ist die Erkrankung in der akuten Phase relativ gut zu therapieren, in der chronischen Phase ist der Therapieerfolg geringer.
Teilweise werden die Symptome einer Schizophrenie auch mit dem Positiv-Negativ-Konzept beschrieben. In diesem Modell wird das Auftreten von "zuviel" wie Halluzinationen oder Wahnvorstellungen als Plus- oder Positiv-Symptomatik bezeichnet. Der Mangel an normalen Funktionen wie Sprachverarmung, Freudlosigkeit, sozialer Rückzug oder Affektverflachung werden unter der Bezeichnung Negativ- oder Minus-Symptomatik zusammengefasst.
Tab.: Vergleich von Positiv- mit Negativ-Symptomen | ||
Positiv-Symptome |
Negativ-Symptome |
|
Symptome |
Lautwerden von
Gedanken, imperative Stimmen,
Wahn,
Halluzinationen
|
sozialer Rückzug,
Motivations- und
Antriebsarmut, Affektverflachung,
Freudlosigkeit
|
Beginn |
akut |
chronisch |
Funktionsniveau vor Krankheitsausbruch |
gut |
schlecht |
CT |
unauffällig |
abnorme Strukturen |
dominante Symptome |
plus/positiv |
minus/negativ |
Prognose |
günstig |
schlecht |
Ansprechen auf medikamentöse Therapie |
gut |
schlecht |
Gibt es Krankheitsvorstufen?
Da eine frühzeitig eingeleitete Therapie den Krankheitsverlauf günstig beeinflusst, stellt sich die Frage nach frühen Warnsymptomen oder Vorstufen der Erkrankung. Erste Hinweise auf eine Erkrankung sind Ruhelosigkeit, Schlaflosigkeit, Nervosität, aufgeregtes Verhalten, Schwierigkeiten bei der Arbeit, das Gefühl, von anderen nicht verstanden oder ausgelacht zu werden, Halluzinationen, Konzentrations- und Gedächtnisschwierigkeiten, Verlust an Aktivität und Angst vor der Zukunft. Ein schlechtes Abschneiden bei Intelligenztests und kognitive Defizite können ebenfalls auf einen späteren Krankheitsausbruch hinweisen. Die Frage, ob Drogenmissbrauch zu einem vermehrten Auftreten von Schizophrenie führt oder als eine Art Eigentherapie zu sehen ist, ist noch nicht beantwortet.
Pathogenese
Bei der Krankheitsentstehung scheinen genetische Faktoren eine untergeordnete Rolle zu spielen. Zwar steigt das Risiko einer Erkrankung, wenn Verwandte an Schizophrenie leiden, aber bei mehr als 90% der Betroffenen liegt keine familiäre Häufung der Erkrankung vor. Eine größere Rolle spielen organische strukturelle Veränderungen. So leiden schizophrene Patienten unter einem progredienten Verlust und einer Schrumpfung neuronaler Fortsätze (Axonkollateralen, Dendriten) im frontotemporalen Kortex und im limbischen System. Die Vergrößerung der Ventrikel (in diesen Hohlräumen im Großhirn wird unter anderem die Hirnflüssigkeit gebildet) korreliert mit der Schwere der Erkrankung. Einer weiteren Vorstellung zufolge liegt bei schizophrenen Patienten ein unvollständiges Pruning (Pruning = das funktionell notwendige Absterben eines Teils der Dendriten im Lauf der Hirnentwicklung) vor, so dass die Präzision des Informationsflusses gestört ist. Ferner liegt bei der Schizophrenie eine gestörte Dopamin-Transmission vor. Die dopaminerge Aktivität ist im limbischen System erhöht und im Frontalhirn erniedrigt. Die neurochemischen Befunde zum Serotonin-Metabolismus bei schizophrenen Patienten sind noch unklar.
Neuroleptika
Neuroleptika können in typische (syn. klassische oder konventionelle) und atypische Vertreter eingeteilt werden. Sie unterscheiden sich in ihrem Wirkmechanismus und bedingt in ihrem klinischen Verhalten. Typische Neuroleptika hemmen ausschließlich oder überwiegend den D2 -Rezeptor und rufen dosisabhängig extrapyramidale Nebenwirkungen hervor. In rund 5% aller Fälle entwickeln sich Spätdyskinesien. Atypische Vertreter hemmen den 5-HT2A-Rezeptor bereits in einer Dosierung, in der nur ein Teil der D2-Bindungsstellen besetzt wird. Sie mindern die Negativ-Symptome etwas besser als die konventionellen Wirkstoffe und verursachen deutlich weniger extrapyramidale Begleiterscheinungen. Sie führen aber zu einer deutlichen Gewichtszunahme und sind mit einem diabetogenen Risiko behaftet. Das Risiko für Spätdyskinesien liegt bei etwa 1%.
Auswahl nach Nebenwirkungen
In der Praxis orientiert man sich bei der Auswahl eines Neuroleptikums an den auftretenden und vom Patienten tolerierten Nebenwirkungen sowie an möglichen Spätfolgen und Komorbiditäten. Da es keine prädiktiven Parameter für das Ansprechen auf einen bestimmten Wirkstoff gibt, müssen unter Umständen mehrere Wirkstoffe erprobt werden. Ein ungenügendes Ansprechen kann aber auch an der mangelnden Compliance, der falschen Diagnose, Unterschieden bei der Metabolisierung oder am Rauchverhalten des Patienten liegen (schizophrene Patienten sind häufig starke Raucher). Vorrangige Ziele sind die Stärkung der Compliance, um den Patienten in der Remission zu halten und das Rückfallrisiko zu reduzieren. In der chronischen Krankheitsphase darf die Bedeutung sozialer Beziehungen, eines intakten Umfelds und der umsorgten Betreuung nicht unterschätzt werden.
pj
Zum Weiterlesen
PHARMAKO-LOGISCH! Schizophrenie – Wenn die Lebensmaßstäbe verrückt sind
von Prof. Dr. Thomas Herdegen
Zurück zum Inhaltsverzeichnis "Interpharm 2011"
DAZ 2011, Nr. 14, S. 74
0 Kommentare
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.