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AM-Preise
Preisbildung für neue Arzneimittel – Thema verfehlt?
Die Knappheit der Ressourcen in der Gesundheitsversorgung macht es ohne Zweifel erforderlich, die Frage nach dem Nutzen und der Kosteneffektivität neuer Arzneimittel zu stellen. Das gesundheitspolitische Anliegen des AMNOG ist somit im Grundsatz legitim. Es entspricht internationaler Praxis und gesundheitsökonomischer Theorie, den Nutzen bzw. Zusatznutzen eines Arzneimittels zu messen und mit der Zahlungsbereitschaft des Gesundheitssystems abzugleichen. Letztlich wird dabei dem Nutzen ein monetärer Wert beigemessen.
Im Zweifelsfall diktiert die Schiedsstelle
Diese Praxis gilt in der deutschen Gesundheitspolitik jedoch als unethisch oder zumindest gegenüber der Öffentlichkeit nicht vertretbar, und deshalb sind die im Rahmen des AMNOG getroffenen Regelungen dazu angelegt, dieses Dilemma zu vermeiden. Der Gesetzgeber entzieht sich der direkten Verantwortung, indem es den Herstellern und Kassen überlassen wird, einen Preis auszuhandeln, der den vom G-BA festgestellten Zusatznutzen des Arzneimittels adäquat abbilden soll. Kommt es nicht zu einer Einigung, entscheidet eine Schiedsstelle über den sogenannten Erstattungsbetrag.
Der von der Schiedsstelle verfügte Preis kommt einem Preisdiktat gleich, da er – wie auch der verhandelte Preis – sowohl für den GKV-Markt als auch für die PKV und den Selbstzahler verbindlich gilt. Dies stellt insbesondere für ein liberal geführtes Bundesgesundheitsministerium einen bemerkenswerten Paradigmenwechsel dar. Denn in der Vergangenheit wurde von Gesundheitspolitikern aller Couleur stets Wert darauf gelegt, dass nicht in die freie Preisbildung der Hersteller eingegriffen wird.
Betriebswirtschaftliches Risiko verhindert Innovationen
Eine weitere ordnungs- und wettbewerbspolitische Problematik des Systems liegt darin, dass die Kriterien und Rahmenbedingungen für die Preisbestimmung im Zweifel nicht sicherstellen, dass der Erstattungsbetrag aus betriebswirtschaftlicher Sicht für die Arzneimittelhersteller auskömmlich ist. Vielmehr ist nicht ausgeschlossen, dass Preise seitens des GKV-Spitzenverbands gefordert werden, die in der Weise ruinös sind, dass sie die produktspezifischen fixen Kosten, die die meistens sehr hohen Entwicklungskosten mit einschließen, nicht abdecken.
Ein fiktives Szenario illustriert diesen Fall (Abb. 1): Der Hersteller bringt sein innovatives Arzneimittel mit einem von ihm selbst festgesetzten Listenpreis – hier 100 Euro – auf den Markt. Gleichzeitig mit dem Markteintritt beginnt das Verfahren der frühen Nutzenbewertung, auf dessen Basis spätestens nach einem Jahr ein Erstattungsbetrag von 40 Euro festgesetzt wird. Dieser Preis stellt zwar einen Aufschlag von 100% gegenüber der Vergleichstherapie dar, jedoch deckt er die produktspezifischen Kosten nur zur Hälfte. Der Hersteller erleidet also einen finanziellen Verlust und wird möglicherweise das betreffende Arzneimittel aus dem deutschen Markt zurückziehen – auch um der internationalen Referenzpreissituation Rechnung zu tragen; zumindest wird er künftig auf entsprechende Innovationsanstrengungen verzichten. Beides kann weder politisch noch gesellschaftlich und am wenigsten aus Sicht der Patienten gewollt sein.
Solange betriebswirtschaftliche Aspekte des Herstellers nicht als eigenständiges Kriterium Eingang in die Preisverhandlungen mit den Krankenkassen und die eventuelle Preisfestsetzung durch die Schiedsstelle finden, bleiben Situationen der dargestellten Art vorstellbar, bei denen Präparate – selbst wenn sie einen bedeutenden Zusatznutzen haben – nicht adäquat bepreist werden.
Zusatznutzen wird unterschiedlich belohnt
Eine weitere Irrationalität bzw. methodische Inkonsistenz des Systems besteht darin, dass für einen bestimmten Zusatznutzen, z. B. eine um zwei Jahre längere Lebenserwartung, höchst unterschiedliche Euro-Beträge vergütet werden, je nachdem, in welcher Präparate- oder Indikationsgruppe die innovativen Arzneimittel Anwendung finden (Tab. 1).
Tab. 1: Je nach Indikation wird dem identischen Zusatznutzen zweier innovativer Arzneimittel (AM 1 und AM 2) ein unterschiedlicher monetärer Wert beigemessen (Differenz der Erstattungsbeträge von Vergleichstherapie und innovativer Therapie). | ||
AM 1 |
AM 2 |
|
Zusatznutzen |
2 Lebensjahre |
2 Lebensjahre |
Vergleichstherapie |
20 Euro |
200 Euro |
Innovative Therapie |
50 Euro |
500 Euro |
Differenz |
30 Euro |
300 Euro |
Der – im AMNOG bewusst vorgenommene – Verzicht auf einen absoluten Bewertungsmaßstab für den Zusatznutzen gegenüber der Vergleichstherapie impliziert ein "Denken in Aufschlägen" auf den Preis dieser Vergleichstherapie. Damit wird der Preis des Zusatznutzens von dem Preisniveau der Vergleichstherapie abhängig gemacht. Dieses beruht jedoch häufig auf einer von Zufällen, Marktmacht und Regulierungsgrad abhängigen Preishistorie. Ein Beispiel hierfür sind die festbetragsgeregelten generischen Arzneimittel, deren niedriges Preisniveau vor dem Hintergrund zahlreicher Absenkungen der Festbeträge und der Zuzahlungsbefreiungsregelung gesehen werden muss.
Somit wird die Preisbestimmung eines neuen Arzneimittels beliebig und inkonsistent, und es ist möglich, dass in einer Indikationsgruppe ein zusätzlich gewonnenes Lebensjahr 10.000 Euro "wert" ist, während in einer anderen Indikationsgruppe ein Preis festgesetzt wird, der einem Lebensjahr lediglich einen Wert von 2000 Euro beimisst.
Neben dem gefühlten Widerspruch wird hier auch ein fundamentales ökonomisches Gesetz verletzt: Ein effizientes Preissystem ist dann gegeben, wenn der Grenznutzen, im vorliegenden Fall der Zusatznutzen, eines eingesetzten Euro bei alternativen Mittelverwendungen jeweils gleich hoch ist.
Bewertungen des Zusatznutzens intransparent und ethisch bedenklich
Mit dem Preisbildungsmodell wird auch die ethische Problematik der monetären Bewertung gesundheitlicher Effekte weder vermieden noch gelöst: Der Verzicht auf Konzepte wie das qualitätskorrigierte Lebensjahr (QUALY) oder die explizite Bestimmung von Zahlungsbereitschaften kann nicht verhindern, dass auch infolge des AMNOG implizit solche Bewertungen vorgenommen werden. Ob gewollt oder nicht, Zahlungsbereitschaft und Schwellenwerte müssen durch die gelebte Praxis der Preisverhandlungen zukünftig offenbar werden. Konkret bedeutet dies: Wenn eine Reihe von Preisfestsetzungen erfolgt ist, lässt sich ablesen, wie viel im Durchschnitt in diesem System für einen bestimmten Nutzen bezahlt wird.
Im Gegensatz zu expliziten Bewertungen sind die "AMNOG-Zahlungsbereitschaften" aber nicht transparent; sie sind weder öffentlich diskutiert noch legitimiert und daher bedenklich. Der politische Wille, keine Aussage darüber treffen zu müssen, was der Gesellschaft ein konkreter Zusatznutzen, z. B. ein Lebensjahr, wert ist, erweist sich vor diesem Hintergrund als Illusion.
Unter ethischen Gesichtspunkten wäre es geboten, die Zahlungsbereitschaft in einer öffentlichen Debatte mit dem Ziel eines gesellschaftlichen Konsens zu ermitteln.
Somit bleibt festzuhalten, dass mit dem AMNOG die zu bearbeitende Thematik verfehlt wurde und drängende Fragen unbeantwortet geblieben sind.
Autoren
Cosima Bauer, Dr. Uwe May, Dr. Frank Münchberg, Abteilung Gesundheitsökonomie und Grundsatzfragen Selbstmedikation Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller e. V. (BAH), Ubierstraße 71 – 73, 53173 Bonn, bah@bah-bonn.de
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