Praxis

Tränen- und Speichelflüssigkeit für Kassenpatienten?

? Der Einsatz von künstlicher Tränen- oder- Speichelflüssigkeit ist oftmals die einzige Möglichkeit, die Beschwerden bei trockenen Augen zu lindern. Können solche Präparate von Gesetzlichen Krankenkassen erstattet werden und wenn ja, unter welchen Voraussetzungen?

Die Antwort geben Apothekerinnen und wissenschaftliche Mitarbeiterinnen der Arbeitsgruppe "Arzneimittelanwendungsforschung", Zentrum für Sozialpolitik, Bremen

Trockene Augen sind ein weit verbreitetes Problem, dessen Prävalenz derzeit nur geschätzt werden kann und bei einer Population im Alter von 50 Jahren oder darüber mit 5 bis 30% angegeben wird [1]. Das liegt unter anderem am recht bunten Beschwerdebild der Erkrankung; die Definition, was unter dem "trockenen Auge" zu verstehen ist, ist nicht einheitlich. Ein standardisiertes Testverfahren zur Diagnostik besteht nicht. Mit dem Schirmer-Test kann die Tränenflüssigkeitsmenge bestimmt werden. Mit Fluoreszin-Lösung kann der Lipidfilm, der die Tränenflüssigkeit vor Verdunstung bewahrt, angefärbt und seine Aufreißzeit bestimmt werden. In den meisten Fällen jedoch wird sich die Diagnose auf das klinische Beschwerdebild der Patienten stützen.

Patienten mit trockenen Augen leiden häufig unter folgenden Symptomen: Fremdkörpergefühl, Brennen, Druckgefühl, Lidschwellung, Bindehautrötung, Lichtscheu, Schleimabsonderungen und verklebte Lider [2]. Auch ein vermehrter Tränenfluss kann auf ein trockenes Auge hindeuten, hierbei ist die Viskosität des Tränenfilms vermindert, die Hornhaut wird ungenügend benetzt. Das trockene Auge kann die Sehfunktion beeinträchtigen. Im Gegensatz zur Sehschärfe (Kontrast) beschreibt die Sehfunktion die Fähigkeit zur Wahrnehmung sehintensiver Aufgaben, wie Bildschirmarbeit, Lesen oder Autofahren [1].

Vielfältige Ursachen …

Es gibt vielfältige Ursachen für ein trockenes Auge. Jeder kennt das abendliche Gefühl der müden Augen ("der Sandmann kommt"), das Nachlassen der Tränenproduktion in den Abendstunden ist ein physiologischer Vorgang. Ältere Menschen und Frauen sind häufiger betroffen. Bei Frauen nehmen die Beschwerden in der Menopause zu. Eine Hormontherapie ist allerdings kontraproduktiv, da sie die Beschwerden noch verstärkt [3]. Das trockene Auge kann verschiedene Erkrankungen begleiten (Gesichtslähmungen, Diabetes, Allergien, Rheuma, Autoimmunerkrankungen, z. B. das Sjögren-Syndrom) oder auch durch äußere Faktoren verursacht werden (Umweltverschmutzung, Heizungsluft, Verletzungen, Fehlen oder Schädigung der Tränendrüse). Auch Medikamente können die Ursache sein (u. a. Anticholinergika, Betablocker, Neuroleptika, Diuretika, Zytostatika). Häufig besteht gleichzeitig ein verminderter Speichelfluss, der Entzündungen der Mund- und Rachenschleimhaut fördern kann.

… symptomatische Behandlung

Da eine ursächliche Behandlung oft unmöglich ist, kommt der Einsatz von künstlicher Tränen- oder Speichelflüssigkeit infrage. Hier ist eine gute Beratung in der Apotheke unumgänglich, denn die Produktpalette ist sehr groß. Die Präparate enthalten Filmbildner, z. B. Hypromellose, Povidon oder Hyaluronsäure, außerdem noch verschiedene Stabilisatoren oder Konservierungsstoffe. Sie unterscheiden sich in der Viskosität, es gibt Tropfen, Sprays oder auch Gels, die besonders nachts angewendet werden können. Allergiker sollten Präparate ohne Konservierungsstoffe erhalten (4).

Einige Präparate sind als apothekenpflichtige Arzneimittel zugelassen, andere als arzneimittelähnliche Medizinprodukte. Patienten, die das 12. Lebensjahr vollendet haben (in Ausnahmefällen das 18.), müssen sich diese selbst kaufen. Kindern unter 12 Jahren kann der Arzt eine künstliche Tränenflüssigkeit, soweit sie eine Arzneimittelzulassung hat, unbeschränkt verordnen. Möchte er ein Medizinprodukt für diese Altersgruppe verordnen, kann er das nur für die Indikationen, die auf der Anlage V der Arzneimittelrichtlinien (AMR) gelistet sind.

Ausnahmen vom Verordnungsausschluss

In bestimmten Fällen können künstliche Tränenflüssigkeit oder synthetischer Speichel jedoch auch für Erwachsene auf einem Kassenrezept verordnet werden. Voraussetzung ist eine Arzneimittelzulassung, dann gilt die OTC-Ausnahmeliste, Anlage I der AMR (siehe Kasten). Die Apotheke ist aber nicht zur Überprüfung der Indikation verpflichtet, bei einer Verordnung auf einem Kassenrezept kann das Präparat abgegeben werden.

Zugelassene Ausnahmen


Anlage I zum Abschnitt F der Arzneimittel-Richtlinie, Gesetzliche Verordnungsausschlüsse in der Arzneimittelversorgung und zugelassene Ausnahmen zum gesetzlichen Verordnungsausschluss nach § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V (OTC-Übersicht)

40. Synthetischer Speichel nur zur Behandlung krankheitsbedingter Mundtrockenheit bei onkologischen oder Autoimmun-Erkrankungen.

41. Synthetische Tränenflüssigkeit bei Autoimmun-Erkrankungen (Sjögren-Syndrom mit deutlichen Funktionsstörungen [trockenes Auge Grad 2], Epidermolysis bullosa, okuläres Pemphigoid), Fehlen oder Schädigung der Tränendrüse, Fazialisparese oder bei Lagophthalmus.

Medizinprodukte müssen gelistet sein

Medizinprodukte dürfen nur dann zulasten der Kasse verordnet und abgegeben werden, wenn sie auf der Anlage V der AMR gelistet sind (siehe auch: 5, der jeweilige Liefervertrag muss beachtet werden!). Hat der Arzt ein nicht gelistetes Medizinprodukt auf einem Kassenrezept verordnet, empfiehlt sich eine Rücksprache mit der Arztpraxis und ein Alternativvorschlag. Es gibt Präparate, die früher eine Arzneimittelzulassung hatten und jetzt als Medizinprodukt zugelassen sind. Dahinter steht oft der Wunsch des Herstellers, sein Produkt auch europaweit zu vermarkten, was bei Medizinprodukten weniger aufwendig ist als bei Arzneimitteln. Eine Listung des Medizinprodukts auf der Anlage V der AMR ist für den Hersteller mit hohen Kosten verbunden, deshalb ist derzeit nur ein Produkt mit künstlicher Tränenflüssigkeit und ein Produkt mit künstlichem Speichel (HYLO-Gel® und Saliva natura®) gelistet [6].

Cave Dexpanthenol-Zubereitungen

Dexpanthenol-haltige Zubereitungen (z. B. Corneregel®, Panophthal®) werden oft als künstliche Tränenflüssigkeit verordnet, haben aber ein anderes Anwendungsgebiet. Diese Präparate sind für Patienten über 12 Jahre (in Ausnahmefällen 18 Jahre) nicht verordnungsfähig. Werden sie dennoch verordnet, dürfen sie in der Apotheke nicht abgegeben werden (§ 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V).


Die Antwort kurz gefasst


  • Künstliche Tränen- oder Speichelpräparate können nur in Ausnahmefällen von der GKV erstattet werden.

  • Voraussetzung ist eine Zulassung als Arzneimittel.

  • Medizinprodukte werden nur erstattet, wenn sie in Anlage V der Arzneimittelrichtlinien gelistet sind.



Literatur

[1] The Epidemiology of Dry Eye Disease (2007). (No authors listed) The Ocular Surface, Apr;5(2):93 – 107

[2] Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft: Das Trockene Auge. Patienteninformation. www.dog.org/wp-content/uploads/2009/12/Trockenes_Auge_Internet-Stand-02-2011.pdf, (letzter Zugriff: 21. 4. 2011)

[3] Schirra, F., Ruprecht, K.W. (2004) Das trockene Auge. Ophthalmologe, Jan;101(1):10 – 8

[4] Apothekerkammer und DPHG Hamburg: Pharmazeutische Aspekte rund um das Auge. DAZ 2011, Nr. 8, S. 80

[5] Heyde I et al.: Wann Medizinprodukte eine GKV-Leistung sind. DAZ 2011, Nr. 13, S. 38

[6] Gemeinsamer Bundesausschuss: Arzneimittelrichtlinien: www.g-ba.de/informationen/richtlinien/zum-unterausschuss/2/#3/, (letzter Zugriff: 21. 4. 2011)


Heike Peters, Stanislava Dicheva, Insa Heyde, Dörte Fuchs, Apothekerinnen und wissenschaftliche Mitarbeiterinnen in der Arbeitsgruppe "Arzneimittelanwendungsforschung", Zentrum für Sozialpolitik, Bremen

Zum Weiterlesen


Nicht auf Rezept!

Bislang sind folgende Beiträge der Apothekerinnen der Arbeitsgruppe "Arzneimittelanwendungsforschung, Zentrum für Sozialpolitik, Bremen, erschienen:



DAZ 2011, Nr. 24, S. 52

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