Arzneimittel und Therapie

Tocilizumab – erstes Biologikum beim Still-Syndrom

Als erstes Biologikum wurde jetzt Tocilizumab (Roactemra®) für die Behandlung der systemischen juvenilen idiopathischen Arthritis zugelassen. Mit dem Interleukin-6-Inhibitor können Kinder ab zwei Jahren behandelt werden. Der Wirkstoff zeigt eine rasche Wirksamkeit und bessert sowohl die Arthritis wie auch die systemischen Manifestationen der sJIA. Er könnte nach Experteneinschätzung rasch zu einem neuen Therapiestandard bei der schwer zu behandelnden und für die betroffenen Kinder und deren Familien enorm belastenden Erkrankung werden.

Bei der systemischen juvenilen idiopathischen Arthritis (sJIA), auch Still-Syndrom genannt, handelt es sich um ein seltenes Krankheitsbild, das meist schon bei Kindern im Alter zwischen 18 Monaten und zwei Jahren auftritt und bis ins Erwachsenenalter fortdauern kann. Die Kinder fallen durch Arthritiden auf und entwickeln meist einen lachsfarbenen Ausschlag sowie ein intermittierendes Fieber.

Die Behandlung der systemischen juvenilen idiopathischen Arthritis, welche die schwerste Form der juvenilen idiopathischen Arthritis (JIA) darstellt und bei jedem zweiten Kind chronisch progredient mit schwer destruierender Arthritis verläuft, ist schwierig. Denn die Kinder sprechen im Allgemeinen auf Methotrexat kaum an, und auch die TNF-Inhibitoren haben sich als weitgehend unwirksam beim Still-Syndrom erwiesen. Es bleibt daher oft nur die Behandlung mit Corticoiden, die bei den betroffenen Kindern zu erheblichen Nebenwirkungen führen kann und praktisch immer mit einer Wachstumshemmung einhergeht.

Neue Therapieoption: Il-6-Hemmung

Große Hoffnungen setzen die Kinderrheumatologen nunmehr auf Tocilizumab. Dessen Zulassung beruht auf den Daten der TENDER-Studie, einer randomisierten Doppelblindstudie bei 112 Kindern, die zusätzlich zu einer Basistherapie mit Corticoiden Tocilizumab oder Placebo erhielten. Primärer Endpunkt der Studie war das ACR-pedi-30-Ansprechen bei gleichzeitiger Fieberfreiheit. Diesen Endpunkt erreichten 85% der Kinder in der Tocilizumab-Gruppe gegenüber nur 24% in der Placebogruppe im Verlauf der dreimonatigen Studiendauer. Es resultierte damit eine signifikante Besserung um 61%. Nur bezogen auf den ACR-pedi erreichten 90% der Kinder ein ACR-pedi-30-Ansprechen sowie 85, respektive 70 und 37% sogar bessere Therapieerfolge mit einem ACR-Pedi-50-, sowie 70- und 90-Ansprechen auf Tocilizumab.

Der doppelblinden Studienphase schloss sich eine offene Extensionsphase bis Woche 52 an, wobei in die Studie generell eine Escape-Möglichkeit integriert war. Damit konnten die betroffenen Kinder oder die Eltern entscheiden, die Studie abzubrechen und direkt in die Extensionsphase zu wechseln. Von dieser Möglichkeit machte nur 1% der Teilnehmer im Tocilizumab-Arm, aber 54% der Patienten im Placebo-Arm Gebrauch, was die gute Wirksamkeit des IL-6-Inhibitors unterstreicht. Es kam unter der Prüfmedikation zudem bei keinem Kind zu einer Exazerbation. Dies war unter Placebo jedoch bei 24% der Kinder der Fall.

Wirkmechanismus Tocilizumab


Tocilizumab

  • ist ein humanisierter monoklonaler Antikörper gegen den humanen Interleukin-6-Rezeptor (IL-6),

  • bindet spezifisch sowohl an den löslichen als auch den membrangebundenen IL-6-Rezeptor,

  • inhibiert die IL-6 vermittelte Signaltransduktion der rheumatoiden Entzündung.

Für die Indikation der systemischen juvenilen idiopathischen Arthritis (sJIA) ist Tocilizumab zugelassen in Japan, Mexiko, den USA und nun auch in Europa als bislang erstes und einziges Biologikum in dieser Indikation. Bereits seit 2009 ist Tocilizumab in Deutschland zur Behandlung der rheumatoiden Arthritis zugelassen.

Anhaltend gute Wirksamkeit

In der offenen Extensionsphase stieg zudem das ACR-pedi-30-Ansprechen bei gleichzeitiger Fieberfreiheit weiter an auf 88% nach 52 Wochen. Nach diesem Zeitraum hatten 48,5% der Kinder kein aktiv entzündetes Gelenk mehr, und bei jedem zweiten Kind konnte die Begleittherapie mit Corticoiden abgesetzt werden. Die klinische Effektivität des IL-6-Inhibitors war dabei unabhängig vom Alter der Kinder, von der Zahl der betroffenen Gelenke, dem CRP-Spiegel und auch unabhängig von der Vorbehandlung.

Systemische juvenile idiopathische Arthritis


Die systemische juvenile idiopathische Arthritis (sJIA) wurde erstmals 1896 von Georg F. Still beschrieben und wird häufig auch als Still-Syndrom bezeichnet. Es handelt sich um einen Subtyp der juvenilen idiopathischen Arthritis (JIA) mit chronischen, mindestens sechs Wochen anhaltenden Arthritiden, die vor dem vollendeten 16. Lebensjahr aufgetreten sind. An einer juvenilen idiopathischen Arthritis erkranken rund 100/100.000 Kinder pro Jahr, wobei in 10 bis 20% der Fälle eine sJIA vorliegt. Basis der Erkrankung ist ein autoinflammatorisches Syndrom mit überschießender Freisetzung der Interleukine IL-1β, IL-6 und IL-18 sowie von calciumbindenden S100-Proteinen.

Die systemischen Symptome wie auch die Gelenkmanifestationen können sehr variabel sein. Die Erkrankung beginnt zumeist mit einem intermittierenden Fieber, auffällig sind ein lachsfarbenes Exanthem sowie eine Leber- und Milzvergrößerung. Weitere potenzielle Symptome sind eine Polyerositis, Lymphadenopathie, Anämie, Leuko- und Thrombozytopenie. Es kommt im weiteren Verlauf in aller Regel zu chronischen Arthritiden und bei jedem zweiten Kind zu einer chronisch-progredienten Form mit schwerer Polyarthritis und deutlichem Funktionsverlust. Bei 2 bis 5% der Kinder tritt ein Makrophagen-Aktivierungssyndrom (MAS) auf mit plötzlichem Fieber, Panzytopenie, Hepatosplenomegalie, Leberinsuffizienz, Koagulopathie mit Hämorrhagien und neurologischen Symptomen, das lebensbedrohlich verlaufen kann und einer raschen Intervention bedarf.

Akzeptables Sicherheitsprofil

Die Verträglichkeit des Biologikums war gut, bis dato unbekannte Nebenwirkungen wurden in der Studie nicht beobachtet. Wie erwartet war eine etwas erhöhte Rate an Infektionen zu verzeichnen, wobei jedoch schwere Infektionen nur mit einer Rate von 0,11 pro Patientenjahr auftraten. Bei nur sechs Kindern musste die Behandlung aufgrund einer schwerwiegenden Begleitreaktion abgebrochen werden.

Insgesamt werten die Experten die neue Behandlungsoption daher als wesentlichen Fortschritt bei der Therapie der sJIA, da sie infolge der guten klinischen Wirksamkeit bei akzeptablem Sicherheitsprofil die Krankheitsaktivität und -symptomatik zurückdrängt und es den betreffenden Kindern ermöglicht, zusammen mit ihren Familien zu einem nahezu normalen Leben zurückzufinden.


Quelle

Prof. Dr. Gerd Horneff, St. Augustin: Pressegespräch "Roactemra® – Neuer Standard in der Therapie der sJIA", St. Augustin, 30. Juni 2011, veranstaltet von der Roche Pharma AG, Grenzach-Wyhlen.


Medizinjournalistin Christine Vetter



DAZ 2011, Nr. 30, S. 32

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