Arzneimittel und Therapie

Körpereigener Abwehrstoff bindet Viren an die Zelle

Der körpereigene Eiweißstoff Tetherin (CD317) spielt eine wichtige Rolle beim Schutz menschlicher Zellen vor einer Infektion mit Viren, indem es die Freisetzung von Viruspartikeln verhindert. CD317 ist vor allem gegen Viren wirksam, die eine Hülle besitzen, unter anderem gegen das Grippevirus, das HI- und das Lassa-Virus. Wie Heidelberger Wissenschaftler jetzt zeigten, wird Tetherin – anders als bislang angenommen – fast überall im Körper gebildet. Die Ergebnisse stellen Behandlungskonzepte infrage und zeigen neue Anwendungsmöglichkeiten auf.
Der Viren-Abwehrstoff CD 317 findet sich fast überall im menschlichen Körper: Gewebeschnitte von Milz (links) und Lunge (rechts): Zellen, die den Abwehrstoff bilden, färben sich rotFoto: Universitätsklinikum Heidelberg

CD317 ist ein zelluläres Protein, das durch Interferon α induziert wird. Als Bestandteil der angeborenen Immunabwehr des Menschen verhindert der Eiweißstoff nach der Expression an der Zelloberfläche vorwiegend eine Infektion mit behüllten Viren wie Grippeviren oder Retroviren, indem er die Freisetzung neu gebildeter Viren aus infizierten Zellen inhibiert. Diese neuen Viren, die ihre Wirtszelle verlassen, um neue Körperzellen zu befallen, umgeben sich beim Austritt aus der Zelle mit einer Eiweißhülle. Tetherin lagert sich in diese Hülle ein und bildet eine Eiweißbrücke aus, die die Virushülle mit der äußeren Wirtszellmembran verbindet. An dieser Brücke hängen die umhüllten Viren einzeln, gelegentlich auch in Traubenform fest und können sich nicht von der Zelle lösen. Die festgebundenen Viren können somit keine weiteren Körperzellen befallen und sich auch nicht weiter vermehren. Damit kann eine Ausbreitung der Infektion weiterer Zellen wirkungsvoll unterbunden werden.

Selektive Immuntherapie beim Myelom fraglich

Bislang war CD317 vor allem in B-Lymphozyten sowie in Krebszellen nachgewiesen worden. Wie Heidelberger Wissenschaftler jetzt zeigen konnten, wird der Abwehrstoff fast überall im Körper gebildet. Sie untersuchten 468 Gewebeproben von 25 verschiedenen menschlichen Organen. In allen Proben konnte Tetherin nachgewiesen werden, allerdings in verschiedenen Geweben unterschiedlich häufig. Er wurde vor allem in solchen Zellen in großer Menge gebildet, die hoch spezialisiert und als Angriffsziel umhüllter Viren bekannt sind, z. B. in der Leber, Lunge und in Blutgefäßen. Die Untersuchungen zeigen neue Anwendungsmöglichkeiten auf, stellen allerdings auch geplante Behandlungskonzepte infrage.

Nach diesen Ergebnissen sollte die CD317-basierte selektive Immuntherapie des multiplen Myeloms neu überdacht werden, so Prof. Dr. Oliver Keppler, Arbeitsgruppenleiter im Department für Infektiologie, Abteilung Virologie, des Universitätsklinikums Heidelberg. Beim multiplen Myelom sind B-Zellen bösartig verändert, und die Patienten sollten in therapeutischen Studien mit Antikörpern behandelt werden, die speziell CD317 auf den B-Zellen angreifen. An die Antikörper könnte dann ein Wirkstoff gekoppelt werden, der die entarteten B-Zellen gezielt vernichtet. Da CD317 aber nicht nur von B-Zellen, sondern von vielen verschiedenen Körperzellen gebildet wird, würde ein CD317-Antikörper danach auch eine Vielzahl gesunder Körperzellen angreifen.

Neben möglichen Therapieoptionen gehe es künftig allerdings auch darum, so Keppler, welche spezifischen Gegenmaßnahmen bestimmte Viren entwickelt haben, die dann selektiv bekämpft werden könnten.


Quelle

Erikson, E.; et al.: In vivo expression profile of the antiviral restriction factor and tumor-targeting antigen CD317/BST-2/HM1.24/tetherin in humans. PNAS 2011; doi: 10.1073/pnas.1101684108; Vorabveröffentlichung vom 1. August 2011.

Universitätsklinikum Heidelberg: Viren an die Zelle festbinden. Pressemitteilung vom 9. August 2011.

Dr. Hans-Peter Hanssen



DAZ 2011, Nr. 33, S. 44

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