Feuilleton

Pyrrol-Farbstoffe – ästhetisch bis unappetitlich*


* Herrn Prof. Dr. Ulrich Schlottmann in freundschaftlicher Verbundenheit und in Erinnerung an das gemeinsame Ringen um das Schicksal der Pharmazie in Wissenschaft und Praxis zum 70. Geburtstag gewidmet.


In jedem renommierten Lehrbuch der Biochemie oder der Organischen Chemie findet man die Synthesewege, die Metabolisierung und natürlich auch die Strukturformeln des Häm, der Chlorophylle, des Vitamins B12 und strukturverwandter Verbindungen sowie der wichtigsten Gallenfarbstoffe. Wozu dann weitere Bemerkungen über die bekannten Pyrrol-Farbstoffe?

Hier geht es um die unterschiedliche Farbigkeit dieser Pigmente und um weniger bekannte Pyrrol-Pigmente, um Hintergründiges, quer Gedachtes, Zwischenfragen und Zwischenbemerkungen, einfach um "etwas mehr über Farben".

Die molekularen Strukturen der ringförmigen, symmetrischen Tetrapyrrol-Grundgerüste Porphin, Chlorin und Corrin und ihrer Derivate sind ästhetisch. Hingegen sind jene linearen Tetrapyrrole, die physiologischen und pathophysiologischen Stoffwechselprodukten ihre charakteristische Farbe verleihen, eher unappetitlich. Dazu zählen Bilirubin, Biliverdin, Stercobilin (und andere Koprochrome) und Urobilin.


Abb.1: Phycobiline im Vergleich mit Bilirubin.

Bilirubin (lat. bilis = Galle, ruber = rot) ist ein Gallenfarbstoff und entsteht als Abbauprodukt des Blutfarbstoffs durch oxidative Spaltung des Porphyrinringes (Abb. 1). Verursacht durch pathologische Stoffwechselveränderungen, tritt das offenkettige Tetrapyrrol vermehrt im Blutserum und Harn auf. Die Ablagerung dieses schwerlöslichen Pigments färbt die Haut und die Skleren (Lederhaut) der Augen gelb. Bei intaktem Stoffwechsel wird Bilirubin in der Leber zu einem wasserlöslichen Diglucuronid metabolisiert. Bei Neugeborenen, vor allem bei Frühgeborenen, mangelt es noch an der Bilirubin-Glucuronyl-Transferase, sodass sie das Bilirubin nicht ausreichend eliminieren können (Neugeborenen-Ikterus).


N.B.: Bilirubin ist wie die Ascorbinsäure (Vitamin C) ein natürliches Antioxidans, das Hydroperoxy-Radikale abfängt.


Biliverdin (ital. verde = grün) ist die Vorstufe des Bilirubins bzw. ein Zwischenprodukt beim Abbau von Häm zu Bilirubin; im Serum von Leberkranken tritt es vermehrt auf. Die Farbänderungen, die beim Verlauf eines Hämatoms (Bluterguss) zu beobachten sind, beruhen auf der Reduktion des grünen Biliverdins zum roten Bilirubin.


N.B.: Vögel und Amphibien weisen als Gallenfarbstoff nur Biliverdin auf, kein Bilirubin, d. h. die Hydrierung vom grünen zum roten Pigment unterbleibt. Die dunkelgrüne bis tiefblaue Färbung der Emu-Eier beruht beispielsweise auf der Einlagerung von Biliverdin.


Die Fäkalpigmente oder Koprochrome (griech. κοπρος, kopros = Kot, χρωμα, chroma = Farbe) entstehen im Darm durch den bakteriell-enzymatischen Abbau der Gallenfarbstoffe und nachfolgende Polymerisation. Dabei dominiert Stercobilin, das Endprodukt des Porphyrinabbaus in Warmblütlern. Es entsteht als mikrobielles Oxidationsprodukt des Urobilinogens, das seinerseits aus Bilirubin durch Reduktion gebildet wird.


Das gelbe Urobilin, das analog Stercobilin als Endprodukt aus der Kaskade Häm > Biliverdin > Bilirubin > Urobilinogen > Urobilin (statt Stercobilin) hervorgeht, verleiht dem Harn seine charakteristische Farbe.

Biomüll oder essenzielle Funktionäre?

Während die Gallenfarbstoffe und ihre Folgeprodukte ausgedient haben und als Biomüll den menschlichen oder tierischen Organismus durch den Darm (fäkal) und über die Nieren (renal) verlassen, übernehmen ähnliche Verbindungen bei den Cyanobakterien (früher: Blaualgen), Rhodophyceen (Rotalgen) und Cryptophyceen biosynthetische Schlüsselfunktionen. Gemeint sind die Phycobiline (griech. φυκος, phykos = Tang), kettenförmige Tetrapyrrole mit den Untergruppen Phycocyanobiline und Phycoerythrobiline, die strukturell den Gallenfarbstoffen gleichen (Abb. 1). In den Cyanobakterien und Algen sind sie nach Art einer 1,4-Addition kovalent an Peptide gekoppelt (Phycobiliproteine) und werden als Phycocyane bzw. Phycoerythrine bezeichnet. Diese sind akzessorische Pigmente der Photosynthese. Ein in grünen Pflanzen und einigen Algen weit verbreitetes, strukturverwandtes Biliprotein ist das Phytochrom.


Abb. 2: Vier strukturverwandte, in ihrer Funktion jedoch sehr unterschiedliche Tetrapyrrole.

Geschlechtsdifferenzierende und methanogene Pigmente

Die Funktionen der ringförmigen Tetrapyrrol-Farbstoffe beschränken sich nicht auf den Sauerstofftransport im Blut und die Photosynthese der Pflanzen. Hinzu kommen auch einige unerwartete Aufgaben. So sorgt das zu den Chlorinen zählende Bonellin für die Geschlechtsdifferenzierung bei dem im Mittelmeer verbreiteten Igelwurm Bonella viridis und das Coenzym F 430 (Faktor F 430) für den letzten Schritt der Methanbildung bei Methan- und Archäbakterien (Abb. 2).

Woher die leuchtend roten Federn des Turako?

Der afrikanische Bananenfresser Turako (Musophaga rossae) und verwandte Vögel fallen durch ihren leuchtend roten Federschopf und rote Schwungfedern auf. Sind die Farbgeber lipophile Carotinoide wie bei den Flamingos? (Hydrophile Anthocyane oder Betalaine dürften dafür kaum infrage kommen.) Tatsächlich wird das schöne Rot durch das Kupfer(II)-chelat des Uroporphyrin III, das Turacin, verursacht, das aus dem Schlüsselbaustein der Porphyrine, dem Uroporphyrinogen III, entsteht (Abb. 2).

Native Pyrrol-Farbstoffe: Farbe und Vorkommen

Pigment
Farbe
Vorkommen
Bacteriochlorophylle
grün
Cyanobakterien u. a. phototrophe Bakterien
Bilirubin
rot bis rotorange
Haut: Patienten mit Hepatitis (Ikterus, Gelbsucht),
Früh- und Neugeborene mit Bilirubinämie
Biliverdin und Vorstufen
grün
Hämatom ("blauer Fleck")
Bonellin
grün
Igelwurm (Bonella viridis)
Chlorophylle
grün
grüne Pflanzen
Cobalamine
violett
Vitamine B12 in Lebensmitteln
Coenzym F 430
gelb
Archäbakterien
Häm im Hämoglobin
rot
Blut
Häm im Myoglobin
rot
Muskulatur
Phycocyanobilin
blau
Cyanobakterien, Rotalgen
Phycoerythrobilin
rot
Cyanobakterien, Rotalgen
Phytochromobilin
rot
als Phytochrom in grünen Pflanzen und Algen
Prodigiosin
rot
Serratia marcescens ("Bluthostien")
Stercobilin u. a. Koprochrome
gelb-orange bis rotbraun
Exkremente (Fäkalpigmente)
Tolyporphin
rot
Cyanobakterien
Turacin
rot
Federn des Turako
Urobilin
gelb
Harn

Strukturelle Unterschiede der Tetra-, Tri- und Dipyrrole

Tetrapyrrole sind als natürliche Pigmente häufig anzutreffen – darunter 16-gliedrige Ringe, 15-gliedrige Ringe, ringoffene Ketten, durchkonjugiert oder teilkonjugiert. Sie üben bemerkenswerte Funktionen aus. Tripyrrole und Dipyrrole sind dagegen als Naturstoffe selten zu finden.

Abb. 3: Ein Tripyrrol und ein Dipyrrol.

Ein Tripyrrol ist das rote bis dunkelrote Prodigiosin (Abb. 3), das von Serratia marcescens und anderen Bakterien produziert wird, die als Kolonien auf kohlenhydrathaltigen Nährböden wachsen. Von der älteren Bezeichnung Monas prodigiosa ist der Name des Pigments abgeleitet (lat. prodigium = Wunderzeichen). Die roten Kolonien suggerierten Blutungserscheinungen, u. a. an Hostien, was als Wunder gedeutet wurde (s. DAZ Nr. 25, S. 76).

Vertreter der Dipyrrole sind die Propentdyopente, die bei Gelbsucht und bestimmten Lebererkrankungen als Abbauprodukte des Bilirubins vermehrt im Harn auftreten (Abb. 3). Die Bezeichnung kommt daher, dass diese Verbindungen unter bestimmten Bedingungen Licht der Wellenlänge 525 nm absorbieren (griech. pente, πεντε = fünf, δυο, dyo = zwei).

Wie alt sind die Tetrapyrrol-Makrozyklen? Diese Frage lässt sich durch den Fund von Porphyrinen im Erdöl und in Archäbakterien oder durch das Vorkommen des Tolyporphins (Abb. 2) in Cyanobakterien näherungsweise beantworten. Das Erdöl dürfte vor etwa 70 Millionen Jahren entstanden sein, Archäbakterien und Cyanobakterien leben seit etwa 3,5 Milliarden Jahren, sie sind so alt wie das Leben auf dieser Erde, und so alt sind auch die Porphyrine.

26 – 27 – 28 – 29 und die 12, die aus der Reihe tanzt

Im Periodensystem werden die chemischen Elemente nach steigender Ordnungszahl horizontal angeordnet. In der vierten Horizontale finden wir vier interessante Übergangs-Elemente mit den Ordnungszahlen 26 bis 29: Eisen, Kobalt, Nickel und Kupfer. Eisen ist das Zentralatom des Häms, das die prosthetische Gruppe des Hämoglobins und Myoglobins darstellt und in vielen wichtigen Enzymen enthalten ist. Kobalt finden wir im Zentrum der Cobalamine (Vitamine B12). Nickel bildet das Zentrum des Coenzyms F 430, das in Archäbakterien und Methan-produzierenden Bakterien anzutreffen ist. Kupfer befindet sich in den roten Federn des Turakos und verwandter Bananenfresser, komplex gebunden an Uroporphyrin III (Turacin).

Den vier Elementen ist gemeinsam, dass sie jeweils in zwei verschiedenen Wertigkeiten auftreten. Magnesium hat dagegen immer die Wertigkeit 2. Es kann also als Kation weder reduziert noch oxidiert werden. Doch dieser Befund ist nicht der Grund für seine Rolle als Zentralatom in den Chlorophyllen und Bacteriochlorophyllen, vielmehr ist es die Eigenschaft eines koordinativ zweifach ungesättigten, elektrophilen Metallzentrums im Makrozyklus.

Porphyrine sind wegen ihrer durchkonjugierten Doppelbindungen relativ starre Komplexbildner, in die am besten Metallionen mit einem Durchmesser von 60 bis 70 pm passen. Die Ionenradien von Eisen und Kobalt (65 pm), Nickel (69 pm), Kupfer (73 pm) und Magnesium (72 pm) liegen nahe beieinander. Das Zentralatom soll eine starke Tendenz zur koordinativen Sättigung zeigen und die Koordinationszahl 6 besitzen. Solche Bedingungen erfüllt das Magnesium.



Von der Rotationssymmetrie zur bilateralen Symmetrie und zur Asymmetrie

Abb. 4: Tetrapyrrol-Chromophore.

Bemerkungen zur molekularen Ästhetik der Porphyrine

Porphyrine (griech. πορφυρα, porphyra = Purpur(schnecke)) ist der Sammelbegriff für die in der Natur weit verbreiteten Pigmente mit dem Porphin als Grundkörper (Abb. 4).

Porphin ist ein Tetrapyrrol-Makrozyklus, von dem sich die verschiedenen Porphyrine durch Substitution mit Methyl-, Vinyl-, Acetyl-, Propionyl- und anderen funktionellen Gruppen ableiten. Es besitzt ein völlig durchkonjugiertes ringförmiges Chromophor und ist als ebene Scheibe rotationssymmetrisch.

Das Chromophor der Chlorophylle, das Chlorin , ist um eine Doppelbindung ärmer und nur noch spiegelsymmetrisch. Dem als Corrin bezeichneten Chromophor der Cobalamine fehlt im Vergleich mit dem Porphin eine Methingruppe. Es enthält nur noch sechs konjugierte Doppelbindungen, weist aber auch Spiegelsymmetrie auf.

Abb. 5: Die teils Acetyl-, teils Propionyl-substituierten Uroporphyrine haben sehr unterschiedliche Symmetrieeigenschaften.

Eine molekulare Symmetrie bleibt den Pophyrinen erhalten, wenn die Substituenten einem Ordnungsprinzip unterliegen. Zur Verdeutlichung sollen die vier unterschiedlichen Uroporphyrine (Abb. 5) betrachtet werden. Sie sind durch je vier Reste der Essigsäure und der Propionsäure substituiert. Dabei sind vier unterschiedliche Typen möglich, von denen U I (U = Uroporphyrin) rotationssymmetrisch ist, U II (zweifach) und U IV spiegelsymmetrisch sind, während U III keine Symmetrie aufweist. Ausgerechnet die Vorstufe des nicht mehr symmetrischen U III, das Uroporphyrinogen III, ist das Schlüsseledukt der Porphyrin-Biosynthese, aus der alle bekannten nativen Tetrapyrrole gebildet werden. U II und U IV sind ohne physiologische Bedeutung. U I ist ein pathophysiologischer Metabolit der Porphyrinsynthese, den Porphyrie-Erkrankte infolge eines Enzymdefekts bilden und mit dem Harn ausscheiden.

Zu asymmetrischen Verbindungen werden die Porphyrine dann, wenn ein substituierter Pyrrolring teilhydriert ist oder die Substituenten Asymmetriezentren tragen. Das durchkonjugierte Häm enthält keine asymmetrisch substituierten C-Atome, im Bonellin sind es zwei, im Chlorophyll fünf, im Tolyporphin (Abb. 2) verstecken sich zehn, im Coenzym F 430 sind es elf, und Cobalamin enthält 15 Chiralitätszentren.

… zu Verbindungen, die nicht in den einschlägigen Lehrbüchern zu finden sind:

Phycobiline und
Phycobiliproteine

Angew. Chem. 101, 849, 872 (1989)

Bonellin

Liebigs Ann. Chem. 1990, 412 und 1991, 709

Phytochrom

Naturwissenschaften 75, 132 (1988)

Coenzym F 430

Chimia 41, 277 (1987) und 48, 50 (1994)

Tolyporphin

J. Am. Chem. Soc.114, 385 (1992)

Mg im Chlorophyll

W. Kaim und B. Schwederski: Bioorganische Chemie. Teubner Studienbücher Chemie, Stuttgart 1991.



Literatur

The Chemistry of Linear Olygopyrrols and Bile Pigments. Springer, Wien 1989.

Autor

Prof. Dr. rer. nat. Dr. h. c. Hermann J. Roth, Friedrich-NaumannStr. 33, 76187 Karlsruhe, www.h-roth-kunst.com, info@h-roth-kunst.com



DAZ 2011, Nr. 36, S. 77

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