Meinungsbeitrag

Der Niedergang der öffentlichen Apotheke

Warum wir echte Kooperationen brauchen

Von Franz Stadler

Es gibt viele Gründe, warum der traditionsreiche Apothekerberuf im Umbruch ist. Seitdem der Stauferkaiser Friedrich II. 1241 im Edikt von Salerno den Apotheker- vom Arztberuf getrennt hat (bereits damals gab es Interessenkonflikte), ist der Apothekerberuf reglementiert. Dabei war der Apotheker bisher ein Einzelkämpfer, der sich selbst, seiner Berufsehre und seinen Kunden verantwortlich war. Nun ist die Existenz der vollversorgenden, öffentlichen Apotheke unter der persönlichen Leitung des Apothekers als Inhaber bedroht. Können echte Kooperationsmodelle die inhabergeführte Apotheke retten?

Eine lange und erfolgreiche Tradition ist keine Überlebensgarantie. Der Vorteil der inhabergeführten Apotheke muss tagtäglich gelebt und in unserer modernen Zeit entsprechend dokumentiert und kommuniziert werden. Hier wurden und werden schwerwiegende Versäumnisse begangen, die andere Interessengruppen, aber auch einige Apotheker genutzt und die in der Summe zu zahlreichen Fehlentwicklungen geführt haben.

Steigender Kosten- und Konkurrenzdruck

Die Finanzierung unseres jetzigen Gesundheitssystems, dessen Leistungsfähigkeit weltweit kaum angezweifelt wird, ist nicht zukunftssicher geregelt. Der demografische Wandel (zunehmendes Durchschnittsalter der Bevölkerung) und der medizinische Fortschritt spielen hier eine wichtige Rolle. Entscheidend ist aber, dass der Politik tragfähige Zukunftskonzepte und Durchsetzungskraft fehlen. Die sich immer schneller abwechselnden Lösungsversuche – Erhöhung auf der Einnahmeseite und/oder Sparen auf der Ausgabeseite – haben bei den Leistungserbringern zu sinkenden Einkommen, einer tiefen Planungsunsicherheit und einem enormen bürokratischen Mehraufwand sowie bei den Leistungsempfängern zu steigenden Beiträgen, fortschreitender Gängelung und einer Grundhaltung, die man als ärgerliche Resignation bezeichnen kann, geführt. Die absehbaren und tatsächlichen Defizite sowie die eigene Planlosigkeit erzeugen hektischen Aktionismus und machen Gesetzgeber und Bürokratie empfänglich für allerlei Versprechen interessierter Kreise. Dabei geht der Blick auf die erhaltenswerten Teile unseres Gesundheitssystems verloren. Die grundsätzliche Strukturkrise wird so aber nicht behoben.

Gesetzgeberischer Aktionismus und überbordende Bürokratie

Eine Reihe falscher Weichenstellungen sind getroffen und nie oder nur halbherzig korrigiert worden:

  • Die Distributionswege und damit die Arzneimittelsicherheit wurden immer mehr aufgeweicht. Pick-up-Stellen schießen aus dem Boden, Versandapotheken sind etabliert, Abholterminals werden betrieben – der direkte Kontakt zwischen dem ortsansässigen, verantwortungsbewussten Apotheker und seinem Kunden geht zunehmend verloren. Die Themen Vertrauen und persönliche Beziehungen haben aber bereits bei der Einführung von Filialapotheken keine Rolle gespielt. Die Standesvertreter haben schon damals kaum protestiert (warum wohl?), in der Folge diverse Erleichterungen (z. B. niedrigere Qualifizierungsgebühren) beschlossen, und selbst der Gesetzgeber will die Filialapotheken nun in der Novelle der ApBetrO (noch Entwurfsstadium) weiter fördern (u. a. kein Labor, kein Notdienst mehr). Diese Apotheke light wird dann, eventuell über den Zwischenschritt eines Apothekers light (Bachelor-Studium), den unpersönlichen Apothekenketten mit ständig wechselndem Personal endgültig den Weg bereiten.

  • Angeblich aus Kostengründen wurde eine Reihe marktwirtschaftlicher Instrumentarien eingeführt, obwohl sie für den Gesundheitsbereich ungeeignet sind. Ausschreibungen sowie großräumige exklusive Versorgungsverträge fördern nur große Player (Oligopolbildung) und führen zu Strukturen, die nicht patientenorientiert sind. Besonders im Zytostatika-, aber auch im Hilfsmittelbereich sind die Konzentrierungsprozesse in vollem Gange. Letztlich verschwindet scheibchenweise die vollversorgende Apotheke, die für ihre Kunden, in enger Verzahnung mit dem Großhandel, fast alles medizinisch Notwendige kompetent, engagiert und in kurzer Zeit besorgen bzw. herstellen kann. Alles wird komplizierter und für den betroffenen Kunden/Patienten unverständlicher. Die Gewinne werden neu kanalisiert und konzentriert.

  • Im Hilfsmittelbereich werden die Anforderungen zur Abgabe ständig in die Höhe getrieben – und das trotz streng reglementierter Preise. Immer mehr Apotheken verzichten ganz auf eine Abgabe. Die Patienten vor Ort stehen im Regen. Eine Krankenschwester anzustellen, um Katheter abgeben zu dürfen, rechnet sich nicht. Über das Monsterwerk einer Präqualifizierung, die jetzt für gestandene Apotheker mit langjähriger Erfahrung notwendig wird und zu deren Erlangung u. a. Fotos von Bohrmaschinen vorgelegt werden müssen, sei der Mantel des Schweigens gebreitet.

  • Im Zytostatikabereich sollen die qualitativen Anforderungen für die versorgenden Apotheken in der geplanten Novelle der ApBetrO auf industriellen Standard angehoben werden, obwohl dies bei einer durchschnittlichen Lebensdauer einer Infusion von unter zwölf Stunden (dabei ohne Lagerzeiten und mit wesentlich kürzeren Transportwegen) kaum zusätzliche Sicherheit bringt. Dafür werden aber die Herstellungskosten, besonders für kleine Einheiten mit geringer Auslastung, enorm in die Höhe getrieben. Während Kosten-Nutzen-Abwägungen für Arzneimittel im AMNOG das große Thema sind, wird hier eine sinnvolle Kosten-Nutzen-Abwägung systematisch verweigert.

  • Auch die ständige Neueinführung zusätzlicher Zwangsrabatte (Herstellerrabatt, Apothekenabschlag und jetzt Großhandelsrabatt) fördert nur die Intransparenz des Systems. Es gibt zwar nach wie vor für Arzneimittel einen offiziellen Verkaufspreis (Lauer-Taxe), aber nur zum Erstellen unseriöser Vergleichsrechnungen und als Referenzpreis für die Industrie im Ausland. Kaum jemand bezahlt diesen Preis noch. Selbst die PKV will jetzt an die Rabatte, die über verschlungene Wege mit einem enormen bürokratischen Aufwand berechnet und abgeführt werden. Es bleibt ein virtueller Arzneimittelpreis, der nur die Verwirrung vergrößert.

  • Die Krankenkassen sind zu mächtig geworden. Retaxationen, ob berechtigt oder unberechtigt, nehmen ständig zu. Externe Dienstleister versuchen so mit allen Mitteln, sich selbst eine Existenzberechtigung und den Krankenkassen Einsparungen zu verschaffen. Selbst vertragliche Vereinbarungen oder klare Schiedsgerichtsentscheidungen werden mittlerweile juristisch angefochten (siehe Apothekenabschlag). Inzwischen setzt die AOK sogar das finanzielle Strafmaß nach eigenem Gutdünken fest (siehe Metoprolol-Rabattvertragsverletzungen). Hier sollen keinesfalls absichtliche Vertragsverstöße verteidigt werden, aber die von der Kasse vorgebrachten Apothekerargumente Arzneimittelsicherheit oder Patientencompliance haben bei den Rabattverträgen auch bisher kaum eine Rolle gespielt. Zudem entscheiden die meist zuständigen Sozialgerichte langsam und in aller Regel zugunsten der Krankenkassen. Je mehr Hängepartien es vor den Gerichten gibt, desto unmöglicher wird eine in die Zukunft gerichtete, wirtschaftliche Planung. Planungsunsicherheit führt – gerade in der von einem persönlich haftenden Inhaber geführten Apotheke – zu einem Investitionsstau, wie er zurzeit zu beobachten ist. Die allgemeine Motivationslage des unterlegenen "Vertragspartners" muss nicht weiter beschrieben werden.

Niemand hat das Wohl des Gesamtsystems im Blick.

Stimmlosigkeit und schweigende Mehrheit

Trotzdem hat sich die Standesvertretung der Apotheker bisher nicht an der Diskussion einer grundlegenden Neuorganisation des Gesundheitssystems beteiligt. Selbst eine Mitgliedschaft im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA), der u. a. für die Bewertung von Arzneimitteln zuständig ist, wird nicht offensiv angestrebt. Man hält sich bedeckt und bleibt leise. Das mag zum einen daran liegen, dass die maßgeblichen Akteure selbst die zu erhaltenden Werte aus dem Auge verloren haben und oft Eigeninteresse vor Standesinteresse geht. Daraus resultiert eine zum Teil unprofessionelle und ineffektive Presse- und Lobbyarbeit. Ursächlich sind aber zum anderen auch die Heterogenität des Berufsstandes, das fehlende (und somit auch nicht gelebte) gemeinsame Leitbild und nicht zuletzt das anhaltende Schweigen der Mehrheit der Apotheker. Die einen denken, sie seien schlauer als der Rest, suchen Gesetzeslücken, nutzen Grauzonen. Die anderen hoffen, dass es schon irgendwie weitergehen wird, oder zählen die verbleibenden Jahre bis zur Rente. Das gemeinsame Berufsethos ist weitgehend verloren gegangen. Verletzungen und Verstöße werden von den Verantwortlichen nur halbherzig und mit großen Verzögerungen verfolgt.

Zukunft und echte Kooperationen

Der schweigenden Mehrheit der selbstständigen Apotheker steht ein böses Erwachen bevor. Die von ihr gewählte und oft auch nur geduldete Standesvertretung hat keine langfristige Strategie und auch deshalb nur geringen Einfluss. In aller Regel reagiert sie erst, wenn Vorschläge oder Gesetzentwürfe anderer auf dem Tisch liegen, und versucht dann mehr oder weniger erfolgreich, das Schlimmste zu verhindern. Der übliche Postenschacher und das Am-Stuhl-Kleben tun ein Übriges.

Angesteckt von der Planlosigkeit der Politik und der Ellenbogenmentalität des Wirtschaftslebens, haben wir unsere Standesehre verkauft. Aber nur sehr selten ist der kurzfristige Vorteil ein langfristiger Gewinn. Die Apotheker waren immer Freiberufler, die zwar auch Kaufleute, aber vorrangig ihren Kunden verpflichtet waren. Das schließt Gewinnmaximierung aus. Außerdem sind Arzneimittel ein besonderes Gut. Das wiederum schließt Wucher, aber auch umsatzsteigernde Werbemaßnahmen aus. Eigentlich. Aber nur eigentlich.

Die Begehrlichkeiten anderer, z. T. sehr finanzstarker und gut vernetzter Interessengruppen werden zudem immer zahlreicher. Deshalb wären eine starke Standesvertretung und/oder ein gemeinsames Vorgehen der selbstständigen Apothekenleiter notwendig. Da aber hier viele Egoismen eine Rolle spielen (manche Apotheker wollen sogar Boni bei Rx-Arzneimitteln gewähren), bleibt dieser Wunsch wohl ebenso Illusion.

Aber auch das altbewährte Einzelkämpfertum ist in einem derartigen Marktumfeld aussichtslos. Da es kaum mehr möglich ist, sich allein um alle Teilbereiche administrativ korrekt zu kümmern, bleibt entweder der fortschreitende Verzicht auf immer mehr Marktsegmente und die Rolle eines Lückenbüßers oder der Zusammenschluss zu echten Kooperationen.

Unter einer echten Kooperation ist eine apotheken- und kartellrechtlich korrekte Zusammenarbeit weiterhin unabhängiger Apotheken zu verstehen, die aber weit über die unverbindlichen Formen, wie etwa Großhandelskooperationen oder Erfa-Gruppen, hinausgeht. Notwendig ist eine gemeinsame Backbone-Struktur, die Synergieeffekte hebt, Strategien vorgibt, sich in der öffentlichen Diskussion zu Wort meldet, aber auch unter der gemeinsamen Kontrolle der einzelnen Mitglieder steht. Durch diese Konstruktionen können Projekte angegangen und gestemmt werden, die allein nicht zu bewältigen wären und die ein loser Verband nicht angehen würde.

Bisher gab es in dieser Richtung fast nur Genossenschaften. Eine neue Form, die nicht nur aus Apotheken besteht, könnte aber einen darüber hinausgehenden Mehrwert erzeugen: Im Zytostatikabereich entstand vor Kurzem branchenübergreifend die neue Omnicare Pharma aus einem pharmazeutischen Unternehmen, der alten Omnicare Pharma, und bundesweit zurzeit etwa 40 Zytostatika zubereitenden Apothekern. Das Unternehmen soll in Zukunft für den Erhalt der wohnortnahen Zytostatikaversorgung kämpfen – ein Beispiel, das auch in anderen Bereichen (Hilfsmittel, Impfstoffe, Diabetes) Schule machen könnte.

Zusammenfassung

Der Apothekenmarkt ist im Umbruch. Auch bedingt durch Fehler in der Vergangenheit, ist der Einfluss der Apothekenvertreter auf die Zukunft eher gering. Kurzfristiges, wenig strategisches Denken macht die Sache nicht besser. Dadurch wird es für Apotheker, die ihre Selbstständigkeit und ihre weitgehende Unabhängigkeit behalten wollen, zu einer existenziellen Frage, sich so zu organisieren, dass sie wieder Gehör finden und in einem hart umkämpften, aber zukunftsträchtigen Marktumfeld bestehen können. Zu diesen Organisationsformen werden echte Kooperationen gehören – auch im Interesse der Kunden.


Autor Dr. Franz Stadler, Gestütring 19, 85435 Erding, dr.stadler@sempt-apotheke.de



DAZ 2011, Nr. 38, S. 76

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