Fragen aus der Praxis

ACC und Co: keine Erstattung bei Apothekenpflicht?

?Eine in der Apotheke gut bekannte COPD-Patientin hat bisher immer ein verschreibungspflichtiges Acetylcystein-Präparat auf Kassenrezept bekommen. Nun ist der Ärger groß: Der Arzt hat ihr mitgeteilt, dass sie in Zukunft kein ACC mehr auf Kassenrezept bekommen kann, sondern sich das ACC zukünftig in der apothekenpflichtigen Form selbst kaufen muss. Ist das so korrekt?

Die Antwort geben

Apothekerinnen und wissenschaftliche Mitarbeiterinnen der Arbeitsgruppe "Arzneimittelanwendungsforschung", Zentrum für Sozialpolitik, Bremen


Von einigen Wirkstoffen sind sowohl apothekenpflichtige als auch verschreibungspflichtige Wirkstoffe im Handel (siehe Kasten). Hier stellt sich regelmäßig die Frage, wann ein solches Arzneimittel vom Patienten selbst erworben werden muss und wann es auf einem Rezept zu Lasten der GKV verordnet werden kann.

Ein Blick in die Arzneimittelrichtlinie (AMR) hilft für diese Fälle nur bedingt weiter. Dort heißt es zwar, dass der Arzt wirtschaftlich verordnen muss. Das umfasst auch die Maßgabe, dass er ein nicht verschreibungspflichtiges Arzneimittel verordnen soll, wenn dies zur Behandlung der Erkrankung zweckmäßig und ausreichend ist. Meist sind die apothekenpflichtigen Arzneimittel für diese Fälle insbesondere für Erwachsene nicht verordnungsfähig, so dass dies regelmäßig darauf hinauslaufen wird, dass der Patient das betreffende Arzneimittel selbst bezahlen muss.

Kann der Arzt nun statt des apothekenpflichtigen Arzneimittels nicht einfach das verschreibungspflichtige verordnen, etwa damit der Patienten Kosten sparen kann? Dies wird in der Regel als unwirtschaftlich angesehen werden, und die Krankenkassen gehen zunehmend dazu über, in diesen Fällen Regressanträge (gegenüber dem Arzt) zu stellen. Insbesondere besteht dann eine Regressgefahr, wenn der Arzt die rezeptpflichtige Variante zulasten der GKV verordnet, das entsprechende apothekenpflichtige Arzneimittel aber ebenfalls eine Zulassung für die beim Patienten vorliegende Erkrankung hat.

Aufschlussreich ist ein Blick in die Beipackzettel der betreffenden Arzneimittel. In der Regel sind die apothekenpflichtigen Varianten der Wirkstoffe bei akuten Beschwerden zugelassen, die verschreibungspflichtigen jedoch bei chronischen Erkrankungen oder in erweiterten Indikationsgebieten.


Erstattungsfähig oder nicht?


Von folgende Wirkstoffen bzw. Wirkstoffgruppen gibt es sowohl verschreibungs- als auch apothekenpflichtige Präparate. Hier stellt sich die Frage nach der wirtschaflichen Verordnungsweise:

  • ACC
  • Diclofenac
  • Ibuprofen
  • Loperamid
  • Naproxen
  • Aciclovir
  • Selen
  • Clotrimazol
  • Triptane
  • Antihistaminika (diese Wirkstoffgruppe wird in einer späteren Folge separat aufgegriffen)

Erläuterungen zu den einzelnen Wirkstoffen

N-Acetylcystein (NAC, ACC). Die verschreibungspflichtige Variante kann zumindest laut Zulassung bei akuten und chronischen bronchopulmonalen Erkrankungen eingesetzt werden, die apothekenpflichtige wird zur Erleichterung des Abhustens bei Erkältungshusten eingesetzt.

Die einzige zweifelsfrei gesicherte Anwendung von N-Acetylcystein ist die Vermeidung von Leberzellnekrosen bei einer Paracetamol-Intoxikation. Ob Patienten mit einer COPD oder anderen Lungenerkrankungen von einer NAC-Medikation profitieren, ist nach wie vor durch Studien nicht gesichert. Insbesondere die Beeinflussung klinisch relevanter Parameter wie die Lungenfunktion (FEV1) oder die Exazerbationsrate bei COPD ist unklar, wenngleich viele Patienten die Sekretolyse mit NAC als angenehm empfinden. In vielen anderen Ländern ist die Anwendung von NAC ungebräuchlich, da es als unwirksam eingestuft wird. Wegen unzureichender Nutzenbelege werden Mukolytika wie NAC in der Leitlinie der Global Initiative for Chronic Obstructive Lung Disease (GOLD) nicht empfohlen. Auch die aktuelle Leitlinie nimmt die schlechte Evidenz auf und empfiehlt, die Entscheidung für Sekretolytika kritisch zu stellen – auch wenn die oben genannte Patientin jetzt sehr verärgert ist.

Diclofenac. Zumindest bei den oralen Diclofenac-Darreichungsformen gibt es kaum Probleme. Bei rheumatischen Erkrankungen oder nach einer Operation sind Diclofenac-haltige Arzneimittel zulasten der Krankenkasse verordnungsfähig, während die apothekenpflichtigen Varianten nur bei leichten bis mittelstarken Schmerzzuständen für bis zu vier Tage eingesetzt werden dürfen – und dann der Patient diese auch selbst bezahlen muss. Häufigere Probleme macht die topische Form, insbesondere die Frage, ob das jahrelang von den gesetzlichen Krankenkassen erstattete Voltaren Emulgel® nach wie vor auf Rezept verordnet werden darf. In der Regel wird dies nicht möglich sein, es sei denn, der Patient hat eine oberflächliche Venenentzündung (Thrombophlebitis superficialis). In allen anderen Fällen (rheumatische Erkrankungen, Verletzungen) muss der Arzt den Patienten auf das apothekenpflichtige Voltaren Schmerzgel® mit identischer Zusammensetzung (und gleichlautenden Anwendungsgebieten) verweisen oder auf andere Diclofenac-haltige topische Arzneimittel. Zudem sind über die Anlage III der Arzneimittelrichtlinie (AM-RL) im Punkt Nr. 40 verschreibungspflichtige Rheumamittel zur externen Anwendung von der Verordnungsfähigkeit ausgeschlossen.


Wirtschaftliche Verordnungsweise


Arzneimittelrichtlinie (AMR) § 12 Absatz 11


Die Verpflichtung der behandelnden Ärztin oder des behandelnden Arztes zur wirtschaftlichen Verordnungsweise von nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln bleibt von diesen Regelungen unberührt. Die behandelnde Ärztin oder der behandelnde Arzt soll nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel zulasten des Versicherten verordnen, wenn sie zur Behandlung einer Erkrankung medizinisch notwendig, zweckmäßig und ausreichend sind. In diesen Fällen kann die Verordnung eines verschreibungspflichtigen Arzneimittels unwirtschaftlich sein.


Naproxen. Auch hier wird die apothekenpflichtige Form bei leicht bis mäßig starken Schmerzen und bei Regelschmerzen eingesetzt, bei rheumatischen Erkrankungen sind die verschreibungspflichtigen Arzneimittel (die auch höher dosiert sind) verordnungsfähig.

Aciclovir. Die Verordnung einer verschreibungspflichtigen 2-g- oder 5-g-Tube für die Therapie eines einfachen Lippenherpes kann von der gesetzlichen Krankenkasse als unwirtschaftlich eingestuft werden.

Loperamid wird häufig in der Selbstmedikation zur symptomatischen Behandlung bei akuten Durchfallerkrankungen oder beispielsweise im Rahmen einer Reiseapotheke eingesetzt. Die apothekenpflichtigen Loper-amidpräparate dürfen nur für maximal zwei Tage verwendet werden. Die verschreibungspflichtigen Formen dürfen laut Anlage III der Arzneimittelrichtlinie (AM-RL) Nr. 12 nur nach kolorektalen Resektionen in der postoperativen Adaptionsphase oder bei schweren und länger anhaltenden Durchfällen (auch, wenn diese therapieinduziert sind) eingesetzt werden, wenn eine kausale oder spezifische Therapie nicht ausreichend ist. Wird ein banaler Durchfall, der in der Regel nach einigen Tagen verschwindet, mit einem verschreibungspflichtigen Loper-amidpräparat zulasten der GKV behandelt, besteht die Gefahr eines Regressantrages.

Selen. Selen ist ein essenzielles Spurenelement, das Bestandteil vieler antioxidativer Enzyme ist. Hier gibt es eine ganze Bandbreite von Nahrungsergänzungsmitteln bis hin zu verschreibungspflichtigen Arzneimitteln. Einziges Anwendungsgebiet für die apotheken- und verschreibungspflichtigen Selenpräparate ist ein "Selenmangel, der ernährungsmäßig nicht behoben werden kann". Dies wird in unseren Breiten in der Regel nur komplett parenteral ernährte Patienten betreffen. Alle anderen Anwendungsgebiete, insbesondere die häufig von Ärzten empfohlene Einnahme bei bestimmten Krebserkrankungen oder einer Hashimoto-Thyreoiditis, stellen einen Off-label-use dar, also einen Gebrauch außerhalb der Zulassung, und sind damit auch in der verschreibungspflichtigen Form nicht verordnungsfähig.

Clotrimazol. Für gynäkologische Anwendungen gibt es die 3-Tage- und die 6-Tage-Packungen. Je nach Anwendungsdauer liegt hier ein apothekenpflichtiges Arzneimittel (für die einmalige oder dreitägige Anwendung) oder ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel (für die sechstägige Anwendung) vor. Auch hier sind von Krankenkassen bereits Regressanträge gestellt worden, mit der Maßgabe, Patientinnen auf die apothekenpflichtigen dreitägigen Anwendungsformen zu verweisen, anstatt zulasten der GKV die verschreibungspflichtigen Präparate zu verordnen.

Triptane. Die beiden Migränetherapeutika Naratriptan und Almotriptan unterliegen in Kleinpackungen zu zwei Tabletten lediglich der Apothekenpflicht. Hier liegt der Sonderfall vor, dass die Beipackzettel kein unterschiedliches Anwendungsgebiet aufführen: Alle Triptane sind, ungeachtet ihres Rezeptstatus, zugelassen "zur akuten Behandlung der Kopfschmerzphasen von Migräneanfällen mit und ohne Aura". Dies macht offenbar die Abgrenzung, ob ein Triptan jetzt zulasten der GKV verordnungsfähig ist oder der Patient auf die freiverkäuflichen Formen verwiesen werden muss, schwieriger. Auf apothekenpflichtige Triptane ist dann durch den Arzt zu verweisen, wenn sie zur Behandlung ausreichend sind – so zumindest haben die Informationen einiger Kassenärztlicher Vereinigungen an ihre Ärzte gelautet. Eine schwierige Abgrenzung, die in einzelnen Fällen offenbar schon dazu führte, dass schwer an Migräne leidende Patienten ihre Triptane nicht mehr auf Rezept erhalten haben.


Die Antwort kurz gefasst


  • Verordnen Ärzte verschreibungspflichtige Arzneistoffe, die bei gleicher Indikation und Wirkstoffkonzentration auch als apothekenpflichtige Präparate erhältlich sind, drohen ihnen wegen unwirtschaftlicher Verordnung Regresse der Krankenkasse.

  • Im Falle von N-Acetylcystein (NAC, ACC) ist zudem der Nutzen eines Einsatzes bei COPD nicht erwiesen.

  • Das Vorgehen des Arztes ist korrekt.


Quellen

Allgemein:

www.g-ba.de, Arzneimittelrichtlinie, letzter Zugriff 21. September 2011

KV Berlin: Berliner Budget-Bulletin 04/2006, 01/2007, 04/2007

KV Thüringen: Rundschreiben 05/2007

KV Nordrhein: KVNO extra: Arznei- und Heilmittelregresse 2009

KV Sachsen: KVS-Mitteilungen 2/2008, 7-8/2010

NAC:

arzneitelegramm Arzneimitteldatenbank (www.arznei-telegramm.de, letzter Zugriff 21. September 2011)

Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft AkdÄ: Arzneiverordnungen in der Praxis (AVP) 3/2006, "N-Acetylcystein (NAC), was wissen wir über seine Wirkung?"

Lemmer, B. in Schwabe, U., Paffrath, D. (Hrsg.): Arzneiverordnungsreport 2010, "Antitussiva und Expektorantien"

Global Initiative for Chronic Lung Di-sease: Global strategies for the diagnosis, management, and prevention of chronic obstructive pulmonary disease, Update 2009

Diclofenac:

www.g-ba.de, Arzneimittelrichtlinie, Anlage III, Nr. 40, letzter Zugriff 21. September 2011

diverse Beipackzettel

Naproxen:

diverse Beipackzettel

Loperamid:

www.g-ba.de, Arzneimittelrichtlinie, Anlage III, Nr. 12, letzter Zugriff 21. September 2011

Selen:

diverse Beipackzettel

arzneitelegramm Arzneimitteldatenbank (www.arznei-telegramm.de), letzter Zugriff 21. September 2011

Mengel, K.; Zawinell, A. in Schwabe, U., Paffrath, D. (Hrsg.): Arzneiverordnungsreport 2010, "Vitamine und Mineralstoffpräparate"

Clotrimazol:

Arzneimittel-Verschreibungsverordnung (AMVV), unter www.gesetze-im-internet.de (Bundesministerium für Justiz), letzter Zugriff 21. September 2011

diverse Beipackzettel

Triptane:

diverse Beipackzettel


Autorinnen
Insa Heyde, Heike Peters, Stanislava Dicheva, Dörte Fuchs,
Apothekerinnen und wissenschaftliche Mitarbeiterinnen in der Arbeitsgruppe "Arzneimittelanwendungsforschung", Zentrum für Sozialpolitik, Universität Bremen



DAZ 2011, Nr. 40, S. 114

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