Toxikologie

Teratogene Arzneimittel – auch nach Contergan ein Problem

Einige Anmerkungen 50 Jahre nach der Marktrücknahme von Contergan

Von Ralf Stahlmann

Vor fünfzig Jahren, im Herbst 1961, wurde der Vertrieb des Arzneimittels Contergan (= Thalidomid) eingestellt, weil es bei Einnahme in der Frühschwangerschaft zu grobstrukturellen kindlichen Fehlbildungen führt. Da Amelien, Phokomelien und andere Fehlbildungen der Extremitäten spontan nur sehr selten auftreten, führte eine Häufung von Fällen zur Identifizierung des ursächlichen Medikamentes. Diese Arzneimittelkatastrophe hat mehrere Tausend fehlgebildete Kinder hervorgebracht und war Anlass für eine striktere Arzneimittelgesetzgebung. Heute werden neue Arzneistoffe in umfangreichen Studien hinsichtlich ihres entwicklungstoxikologischen Potenzials geprüft. Teratogenitätsstudien werden in der Regel an zwei Spezies – bei Ratten und Kaninchen – durchgeführt. Teratogene Wirkungen im Tierexperiment bedeuten jedoch nicht automatisch, dass solche Arzneimittel nicht in den Handel kommen.
Foto: Harald Meyer-Kirk
50 Jahre nach Marktrücknahme von Contergan gehören Fehlbildungen durch Arzneimitteleinnahme in der Schwangerschaft immer noch nicht der Vergangenheit an. Im Gegenteil, es scheint so, als würden solche Risiken zunehmend häufiger in Kauf genommen.

Kindliche Fehlbildungen treten auch heute noch als eine schwerwiegende unerwünschte Wirkung bei zahlreichen Arzneimitteln auf und scheinen zunehmend häufig als ein Bestandteil der generellen Nutzen-Risiko-Bewertung akzeptiert zu werden. Unberücksichtigt bleibt offensichtlich häufig die Tatsache, dass Nutzen und Risiko zwei verschiedene Individuen betreffen. Dabei muss unterschieden werden, ob es sich um eine unvermeidliche, lebensnotwendige Therapie handelt oder ob das Arzneimittel für eine nicht-lebensbedrohliche Erkrankung angewandt wird. Der ungeborene Mensch hat in diesen Fällen keinen Nutzen durch die Behandlung, sondern ist als ein "unbeteiligter Zuschauer" bezeichnet worden, der als Folge der pränatal-toxischen Wirkung des Arzneimittels das Risiko für lebenslange grobstrukturelle Fehlbildungen oder funktionelle Defizite trägt [1].

"Kontraindikation Schwangerschaft" greift zu kurz

Leider ist die einfache Festlegung einer "Kontraindikation Schwangerschaft" bei Arzneimitteln mit teratogenem Potenzial nicht die Lösung des Problems. Da die wesentlichen Prozesse der Organogenese bereits innerhalb der ersten sechs Wochen der pränatalen Entwicklung ablaufen und eine Schwangerschaft oftmals erst nach Wochen erkannt bzw. eindeutig diagnostiziert wird, kann es zu einer "unbeabsichtigten" Therapie mit problematischen Arzneimitteln in der Frühschwangerschaft kommen. Striktere Vorschriften, wie "eine Schwangerschaft soll (oder muss) ausgeschlossen werden" sind möglich; noch weiter geht die Einschränkung der Anwendung, wenn ein Arzneistoff als "kontraindiziert bei Frauen im gebärfähigen Alter" eingeordnet wird.

Nach den Erfahrungen der "Teratogen Information Services (TIS)" besteht bei Ärzten nicht selten eine Fehleinschätzung bei den risikoreichen Arzneistoffen, und eine Aufklärung scheint dringend erforderlich. Das Pharmakovigilanz- und Beratungszentrum für Embryonaltoxikologie in Berlin bietet über die Internetseite www.embryotox.de umfangreiche und ausgewogene Informationen zur Frage möglicher Risiken einer Arzneimitteleinnahme in der Schwangerschaft an. Allerdings können auch hier keine eindeutigen Empfehlungen gegeben werden, wenn keine Daten aus entsprechenden Studien vorliegen – und das ist leider bei sehr vielen Medikamenten der Fall. Dies stellt den verantwortlichen Arzt im Alltag immer wieder vor Probleme [2].

Im Folgenden sollen einige Arzneistoffe mit humanteratogener Wirkung diskutiert werden, die entweder schon bei der Zulassung als risikoreich für den Menschen angesehen wurden oder deren humanteratogene Wirkungen erst nach jahrelangem Gebrauch und oftmals millionenfacher Verordnung erkannt wurden. Dabei waren Daten aus Schwangerschaftsregistern oftmals wegweisend. Solche Stoffe wurden von der FDA von der Kategorie C (Tierexperiment positiv, keine Studien beim Menschen) nach Kategorie D eingestuft, die auf ein erhöhtes Risiko für kindliche Fehlbildungen durch das Arzneimittel hinweist ("positive evidence of human fetal risk"), wobei allerdings bei lebensbedrohlichen Erkrankungen das Risiko als akzeptabel angesehen wird.

Grundlage ist ein System mit fünf Kategorien (A, B, C, D und X), wobei jene Arzneimittel, die eindeutig teratogen sind und deren Nutzen nicht die teratogenen Risiken rechtfertigt, mit "X" bezeichnet werden. In diese Kategorie gehören z. B. Thalidomid oder die Retinoide (s. Kasten).


Klassifizierung der Teratogenität


Klassifizierung von Arzneimitteln hinsichtlich ihres teratogenen Potenzials durch die US-amerikanische Food and Drug Administration (FDA)

Pregnancy Category A: Adequate and well-controlled human studies have failed to demonstrate a risk to the fetus in the first trimester of pregnancy (and there is no evidence of risk in later trimesters).

Pregnancy Category B: Animal reproduction studies have failed to demonstrate a risk to the fetus and there are no adequate and well-controlled studies in pregnant women or animal studies have shown an adverse effect, but adequate and well-controlled studies in pregnant women have failed to demonstrate a risk to the fetus in any trimester.

Pregnancy Category C: Animal reproduction studies have shown an adverse effect on the fetus and there are no adequate and well-controlled studies in humans, but potential benefits may warrant use of the drug in pregnant women despite potential risks.

Pregnancy Category D: There is positive evidence of human fetal risk based on adverse reaction data from investigational or marketing experience or studies in humans, but potential benefits may warrant use of the drug in pregnant women despite potential risks.

Pregnancy Category X: Studies in animals or humans have demonstrated fetal abnormalities and/or there is positive evidence of human fetal risk based on adverse reaction data from investigational or marketing experience, and the risks involved in use of the drug in pregnant women clearly outweigh potential benefits.

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Thalidomid und Retinoide

Thalidomid (Thalidomid Celgene®) und das nahe verwandte Lenalidomid (Revlimid®) können heute auch in Deutschland unter strengen Auflagen wieder verordnet werden. Problematisch erscheint dabei nicht die Hauptindikation "multiples Myelom bei Patienten ab 65 Jahren", sondern die Tatsache, dass die Spezialrezepte ("T-Rezept") auch eine "Off-label"-Verordnung zulassen, die bereits im ersten Jahr nach Einführung bei jeder vierten Verordnung erfolgte.

Teratogene Risiken bestehen zunehmend auch für Substanzen, die bei nicht vitalen Indikationen eingesetzt werden. Das Retinoid Alitretinoin (Toctino®) wird zum Beispiel seit 2008 in der Dermatologie bei chronischem Handekzem angewandt. Wie bei anderen Retinoiden besteht auch hier ein erhebliches Risiko für teratogene Wirkungen, die aus Tierexperimenten bereits lange bekannt sind. Es wurde ein "Pregnancy Prevention Programm" entwickelt, das eine embryonale Exposition verhindern soll.

Die Erfahrungen mit dem Retinoid Isotretinoin in den USA und anderen Ländern haben jedoch gezeigt, dass offenbar eine 100%ige Vermeidung solcher Fälle nicht möglich ist. Seit der Einführung des Arzneimittels, das zur Behandlung von Patienten mit schwerer Akne indiziert ist, soll es trotz intensiver Aufklärung bei mehr als 2.000 schwangeren Frauen angewandt worden sein. Bei mehr als 1 Million Verordnungen pro Jahr ist dies nur ein Bruchteil von Fehlanwendungen, aber jeder einzelne Fall muss als tragisch angesehen werden, denn für die Betroffenen kann daraus eine lebenslange Behinderung resultieren. Die Aufklärungsprogramme und Kontrollmaßnahmen für dieses Medikament sind mehrfach im Laufe der vergangenen Jahre verschärft worden; aktuelle Auswertungen zeigten, dass es auch unter dem aktuellen, sogenannten iPLEDGE Programm zu Fehlanwendungen kommt [3,4].

Schwangerschaftsregister für Arzneimittel mit teratogenem Potenzial

Zu den positiven Neuerungen auf diesem Gebiet in den vergangenen zwei Jahrzehnten gehört die Einführung von Schwangerschaftsregistern, in denen Fälle von schwangeren Frauen zusammengestellt werden, die ein problematisches Arzneimittel genommen haben. Da die Registrierung vor der Geburt des Kindes erfolgt, werden diese Daten prospektiv erhoben und haben damit eine vergleichsweise hohe Aussagekraft. Derartige Register werden seit den 1980er Jahren zunehmend eingerichtet, um bei Medikamenten mit Verdacht auf teratogenes Potenzial die Erfahrungen aus unbeabsichtigten oder therapeutisch zwingenden Expositionen auszuwerten. Durch diese Register ist ein frühzeitiges Erkennen von humanteratogenen Risiken möglich, die ohne diese gezielte Analyse erst sehr viel später oder gar nicht erkennbar wären. In einem der ersten Register dieser Art wurden die Daten von Mutter-Kind-Paaren nach Behandlung mit Aciclovir (Zovirax u. a.) prospektiv erfasst und ausgewertet. Obwohl Aciclovir bei hohen Dosierungen im Tierexperiment ein teratogenes Potenzial zeigte, waren bei oraler Anwendung beim Menschen keine Hinweise auf teratogene Wirkungen erkennbar gewesen.

Entsprechende Register werden geführt für die folgenden Erkrankungen: Autoimmunerkrankungen, Krebs, Epilepsie, HIV-Infektion und Transplantationen. Darüber hinaus werden Fälle einer Exposition mit einzelnen Arzneimitteln gesammelt, wie zum Beispiel Leflunomid (Arava® u. a.), Sumatriptan (Imigran® u. a.) und andere Triptane, Montelukast (Singulair®) und Bupropion (Zyban® u. a.). Eine Liste aller Register wird auf einer Internetseite der FDA veröffentlicht [5]. Zu den Arzneistoffen, die in den vergangenen drei Jahren von der FDA von der Kategorie C (unzureichende Humandaten) in die Kategorie D (teratogene Wirkung beim Menschen) eingeordnet wurden, gehören das Antiepileptikum Topiramat, das Immunsuppressivum Mycophenolsäure und das Antimykotikum Fluconazol.

Topiramat: Indikation Migräneprophylaxe nicht akzeptabel!

Die meisten Antiepileptika besitzen ein mehr oder weniger ausgeprägtes teratogenes Potenzial. Die FDA weist zum Beispiel darauf hin, dass das Risiko für Neuralrohrdefekte bei Kindern, deren Mütter im ersten Trimenon mit Valproinsäure (Ergenyl® u. a.) behandelt wurden, um das 30- bis 80-fache über der entsprechenden Prävalenz bei der Allgemeinbevölkerung liegt. Wenn eine Behandlung von Frauen im gebärfähigen Alter mit diesem Medikament unumgänglich ist, muss die niedrigst mögliche Dosierung angewandt werden, da die Gefahr für teratogene Schäden mit der Dosis zunimmt. Auch Veränderungen der kognitiven Funktionen werden durch Valproinsäure bei pränataler Exposition offenbar dosisabhängig beeinflusst. Der Intelligenzquotient bei dreijährigen Kindern war signifikant reduziert im Vergleich mit Kindern, deren Mütter mit anderen Antiepileptika, wie Carb amazepin, Phenytoin oder Lamotrigin, behandelt worden waren [6].

Besonders aufmerksam werden die Daten für relativ neue Antiepileptika ausgewertet, die in den entsprechenden Registern gesammelt werden. Im März 2011 stuften die Zulassungsbehörden Topiramat (Topamax®), das bei Epilepsie und zur Migräneprophylaxe eingesetzt wird, als humanteratogenen Wirkstoff ein [7, 8]. Insbesondere die Indikation "Migräneprophylaxe" und einige Anwendungen außerhalb der bisher zugelassenen Indikationen sind für ein teratogen wirksames Medikament nicht akzeptabel.

Hinweise auf das teratogene Potenzial des Arzneimittels kamen zunächst aus den routinemäßig durchgeführten Tierexperimenten, die in diesem Fall bei drei Spezies (Maus, Ratte und Kaninchen) Teratogenität zeigten. Die tierexperimentellen Ergebnisse lassen verschiedene Interpretationen zu, da

  • sich die minimalen, teratogenen Dosierungen bei den drei Spezies und beim Menschen deutlich unterscheiden,

  • nach den vorliegenden Informationen kein einheitliches Fehlbildungsmuster auftrat und
  • weil bei den teratogen wirksamen Dosierungen bereits toxische Wirkungen auch beim trächtigen Muttertier auftraten ("maternale Toxizität").

Daher war die Bedeutung der Befunde für den Menschen zunächst nicht klar.

Auch die ersten Fallberichte über kindliche Fehlbildungen wurden zunächst als nicht eindeutig hinsichtlich eines Kausalzusammenhangs mit einer Topiramatbehandlung der Mutter angesehen, wurden später aber aufgrund der Daten aus zwei Registern in den USA und in Großbritannien als relevant eingestuft [8]. Das North American Antiepileptic Drug Pregnancy Registry (NAAED) ermittelte ein um den Faktor 21,3 erhöhtes relatives Risiko von oralen Spaltbildungen (CI95 7,9 - 57,1). Bei 1,4 Prozent aller Kinder kam es nach Exposition im ersten Trimenon zu Spaltbildungen im Bereich von Lippen und Gaumen, bei anderen Antiepileptika betrug die Prävalenz zwischen 0,38 Prozent und 0,55 Prozent. Die Hintergrundprävalenz wird hier mit etwa 0,07 Prozent angegeben. Einschränkend muss allerdings darauf hingewiesen werden, dass die Anzahl der Fälle immer noch niedrig ist und ein Kausalzusammenhang aus den Humandaten allein nicht abzuleiten ist.

Grobstrukturelle Fehlbildungen durch Mycophenolsäure

Drei Jahre zuvor war das Immunsuppressivum Mycophenolsäure (Cellcept®, Myfortic® u. a.) als teratogen wirksam bei Menschen eingestuft worden, nachdem eine gehäufte Assoziation von kindlichen Fehlbildungen und einer Behandlung mit dem Medikament während der Schwangerschaft beobachtet worden war. Hier waren die Daten des "National Transplantation Pregnancy Registry (NTPR)" letztlich ausschlaggebend. Das NTPR berichtete über 68 schwangere, mit Mycophenolsäure-haltigen Arzneimitteln behandelte Frauen. Da einige Frauen mehrfach schwanger wurden oder Zwillinge bekamen, konnten 98 Geburten aufgenommen werden. In 95 Schwangerschaften wurden die Frauen mit CellCept® behandelt, zwei Frauen bekamen Myfortic®. Die Präparate wurden in einer Dosierung von 250 mg täglich bis zu 1500 mg zweimal täglich verabreicht. Die Auswertung zeigte, dass bei 48 der 97 Schwangerschaften spontane Fehlgeburten und 2 Totgeburten zu verzeichnen waren. Von den 48 Lebendgeburten zeigten 11 bzw. 22,9% der Neugeborenen grobstrukturelle Fehlbildungen. Im Vergleich zu der Fehlbildungsrate von 4 bis 5% bei Kindern von Patientinnen, die nicht mit Mycophenolsäure-haltigen Präparaten behandelt wurden, zeigte sich damit sehr deutlich, dass die Inzidenz für grobstrukturelle Fehlbildungen bei Neugeborenen nach pränataler Mycophenolsäure-Exposition steigt. Ohrveränderungen wie z. B. Mikrotie und externe Hörkanalatresie sowie Gesichtsdeformationen traten gehäuft auf. Des Weiteren konnten Anomalien des kardiovaskulären Systems sowie des Gastrointestinaltrakts und Veränderungen an den Extremitäten dokumentiert werden. Vier Kinder hatten multiple Fehlbildungen und starben [9].

Fluconazol nur in höherer Dosierungals humanteratogen eingestuft

Vor einigen Monaten wurde mit Fluconazol ein weiteres Medikament als "Humanteratogen" in die Kategorie D eingestuft. Die routinemäßig durchgeführten tierexperimentellen Untersuchungen zeigen für alle Triazolantimykotika, die zur systemischen Therapie im Handel sind, ein teratogenes Potenzial. Dies betrifft Fluconazol (Diflucan® u. a.), Itraconazol (Sempera® u. a.), Voriconazol (Vfend®) und Posaconazol (Noxafil®). Die Dosierungen, die im Tierexperiment angewandt werden, sind meist deutlich höher als die humantherapeutischen Dosen. Unterschiede im pharmakokinetischen Verhalten und im Metabolismus der Substanzen bei Mensch und Tier müssen bei einem Vergleich allerdings berücksichtigt werden – ein einfacher Vergleich der Dosierungen reicht für eine Risikoabschätzung nicht aus. Damit ist die Interpretation der toxikologischen Daten auch für diese Substanzen schwierig, und die Bedeutung der Befunde für den Menschen blieb zunächst unklar. Die Beurteilung änderte sich im Laufe der Zeit, weil zunehmend Fallberichte publiziert oder den Behörden mitgeteilt wurden.

Für Fluconazol hat die US-amerikanische Zulassungsbehörde FDA im August 2011 eine Neueinstufung vorgenommen [10]. Es ist bemerkenswert, dass bei der jetzigen Neubewertung auch die Dosierung des Arzneimittels berücksichtigt wurde. Die Therapie mit einer niedrigen Einzeldosis von 150 mg Fluconazol, die zur Therapie einer vaginalen Candida-Infektion angewandt werden kann, bleibt in Kategorie C und wird damit anders als die mehrfache Gabe des Azols in Dosierungen von 400 bis 800 mg täglich als risikofrei angesehen. Eine epidemiologische Studie in Dänemark hat gezeigt, dass bei insgesamt mehr als 1.000 Frauen, die während des ersten Trimenons mit Fluconazol ganz überwiegend in Dosierungen von 150 oder 300 mg behandelt wurden, kindliche Fehlbildungen nicht signifikant vermehrt auftraten. Die Studie war allerdings nicht umfangreich genug, um eine Risikoerhöhung spezifischer Fehlbildungen erkennen zu können [11].

In Deutschland existiert ein Klassifizierungssystem, wonach die Arzneimittel insgesamt 11 Risikogruppen (Gr1 bis Gr11) zugeordnet werden können. In den Informationen der "Roten Liste" findet sich bei Fluconazol-haltigen Arzneimitteln aber keine Zuordnung zu einer dieser Gruppen, sondern es gibt die Hinweise "kontraindiziert in der Schwangerschaft" bzw. "vor Therapiebeginn muss eine Schwangerschaft ausgeschlossen werden und bis 7 Tage nach Behandlungsende verhindert werden". In den ausführlicheren Fachinformationen wird dagegen auf die widersprüchliche Datenlage hingewiesen und die folgende, weniger strikte Empfehlung ausgesprochen: "Die Verwendung während der Schwangerschaft sollte vermieden werden". Bei den anderen Azol-Präparaten findet sich dagegen der Hinweis auf die Risikogruppe Gr. 6 (siehe Tabelle).


Tab. 1: Klassifizierung der Azolantimykotika hinsichtlich ihrer teratogenen Risiken durch die US-amerikanische FDA im Vergleich zu den deutschen Empfehlungen, die aus der "Roten Liste" entnommen werden können.

Azol
FDA Kategorie
Rote Liste
Fluconazol
C (einmalig
150 mg)
D (mehrfach
400 bis 800 mg)
  • kontraindiziert
  • vor Therapiebeginn muss eine Schwanger schaft ausgeschlossen werden
  • Verwendung sollte vermieden werden
Itraconazol
C
Gr. 6
Voriconazol
D
Gr. 6
Posaconazol
C
Gr. 6

Gr. 6 = Ausreichende Erfahrungen über die Anwendung beim Menschen liegen nicht vor. Der Tierversuch erbrachte Hinweise auf embryotoxische/teratogene Wirkungen.

In den deutschen Empfehlungen findet sich die unterschiedliche Bewertung in Abhängigkeit von der Dosierung bisher nicht. Die diversen Bewertungen durch die Behörden und die Hersteller der Präparate erschweren den Umgang mit diesen Arzneimitteln. Die neue Bewertung von Fluconazol durch die FDA sollte Anlass zu einem noch strikteren Umgang mit diesen Medikamenten bei Frauen im gebärfähigen Alter sein. Dies gilt selbstverständlich auch für Arzneimittel wie Topiramat, Mycophenolsäure oder die Retinoide.


Literatur

[1] Mitchell AA. Adverse drug reactions in utero: perspectives on teratogens and strategies for the future. Clin Pharmacol Ther. 2011 Jun;89(6):781 – 3.

[2] Schäfer, C. Drug Safety in Pregnancy: Utopia or achievable Prospect? Con Anomal 2011;51:6 – 11

[3] Abroms L, Maibach E, Lyon-Daniel K, Feldman SR. What is the best approach to reducing birth defects associated with isotretinoin? PLoS Med. 2006;3:e483

[4] Shin J, Cheetham TC, Wong L, Niu F, Kass E, Yoshinaga MA, Sorel M, McCombs JS, Sidney S. The impact of the iPLEDGE program on isotretinoin fetal exposure in an integrated health care system. J Am Acad Dermatol. 2011; [Epub ahead of print]

[5] FDA,www.fda.gov/scienceresearch/specialtopics/womenshealthresearch/ucm134848.htm

[6] Meador, K.J. et al. Cognitive function at 3 years of age after fetal exposure to antiepileptic drugs. N Engl J Med 2009;360:1597 – 1605

[7] NN, Gaumenspalten durch Antiepileptikum Topiramat. Dtsch Ärztebl 7. 3. 2011 (online)

[8] www.aedpregnancyregistry.org/index.htm

[9] Nguyen, T.D.K. et al. Pregnancy Outcomes with Exposure to the Mycophenolic Acid Products (MPA)" (2010). Department of Surgery Faculty Papers & Presentations. Paper 27. (URL: http://jdc.jefferson.edu/surgeryfp/27)

[10] http://www.fda.gov/Drugs/DrugSafety/ucm266030.htm

[11] Nørgaard M, Pedersen L, Gislum M, Erichsen R, Søgaard KK, Schønheyder HC,Sørensen HT. Maternal use of fluconazole and risk of congenital malformations: a Danish population-based cohort study. J Antimicrob Chemother. 2008;62:172 – 176


Autor

Prof. Dr. med. Ralf Stahlmann

Leiter des Masterstudiengangs Toxikologie

Institut für Klinische Pharmakologie und Toxikologie

Charité – Universitätsmedizin Berlin

Luisenstr. 7

10117 Berlin



DAZ 2011, Nr. 49, S. 57

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