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Vitalsana: Verstoß gegen das Apothekenrecht

STUTTGART (ks). Das Oberlandesgericht Stuttgart (OLG) hat dem Konzept der Schlecker-Apotheke Vitalsana eine Absage erteilt: Die niederländische Versandapotheke darf ihren Apothekenbetrieb in Deutschland ohne die erforderliche Apothekenbetriebserlaubnis nicht unterhalten, urteilten die Richter vergangene Woche. Das gelte selbst dann, wenn sie nur einzelne Arbeitsgänge, die dem pharmazeutischen Bereich unterfallen, in Deutschland durchführe. Zudem darf die Schlecker-Tochter ihre pharmazeutische Beratung nicht nur über eine kostenpflichtige Telefon-Hotline zur Verfügung stellen. Das Urteil ist jedoch noch nicht rechtskräftig – das letzte Wort wird wohl der Bundesgerichtshof sprechen.

(Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 17. Februar 2011, Az. 2 U 65/10)

Stein des Anstoßes ist unter anderem die Tatsache, dass Vitalsana eine pharmazeutische Beratung nur über eine kostenpflichtige Hotline anbietet.

Bei der Wettbewerbszentrale freut man sich über den Etappensieg. Mit Unterstützung der bayerischen sowie der baden-württembergischen Apothekerkammer hatte sie das Verfahren gegen Vitalsana in die Wege geleitet. Sie hatte beanstandet, dass Vitalsana maßgebliche Teile ihrer Geschäftsaktivitäten als Apotheke nicht von den Niederlanden, sondern von Deutschland aus erbringe. So nutzt Vitalsana hierzulande unter anderem ein Call-Center zur Arzneimittelberatung, wickelt Vertragsverhandlungen über eine eigene Niederlassung auf dem Konzerngelände von Schlecker ab und organisiert die Rezept-, Bestell- und Retourenannahme in Deutschland. Dafür ist aus Klägerinnensicht eine deutsche Apothekenbetriebserlaubnis nötig, über die Vitalsana B.V. jedoch nicht verfügt. Die Klage auf Unterlassung dieses Geschäftsmodells war in der ersten Instanz zunächst nur teilweise erfolgreich. Das Landgericht Ulm vertrat die Auffassung, die Schlecker-Tochter bedürfe keiner deutschen (Teil-)Betriebserlaubnis (siehe hierzu auch AZ 2010, Nr. 21, S. 1). Es hatte Vitalsana lediglich hinsichtlich ihrer Werbung in die Schranken gewiesen. Der 2. Zivilsenat des OLG Stuttgart bestätigte nun das Urteil der Vorinstanz, soweit es um diese Werbung ging. Hier war moniert worden, dass die Werbung den Eindruck erwecke, nicht der niederländische Apotheken-Ableger von Schlecker, sondern Schlecker selbst werde Vertragspartner bei einer Bestellung. Auch wenn die konkret beanstandete Werbung mittlerweile eingestellt sei, bestehe doch Wiederholungsgefahr, so das OLG.

BMG-Liste kein Freibrief

Klar gegen das Landgericht stellte sich der OLG-Senat aber bei der Frage, ob Vitalsana einer deutschen Apothekenbetriebserlaubnis bedürfe. Dabei machen die Richter in ihrem 45-seitigen Urteil keine allzu großen Umschweife. Grundsätzlich, so räumen sie ein, bedürfe eine niederländische Versandapotheke keiner deutschen Betriebserlaubnis. Die Niederlande stehen auf der vom Bundesgesundheitsministerium herausgegebenen und für die Gerichte bindenden Übersichtsliste von Mitgliedstaaten, in denen für den Versandhandel dem deutschen Recht entsprechende Sicherheitsstandards bestehen. Allerdings betonen die Richter, dass man die Zulässigkeit des Versandhandels nicht unabhängig davon festschreiben könne, welche Tätigkeiten über eine gewerbliche Niederlassung in Deutschland erledigt werden. Dies könne zu "Schutzlücken" führen, da eine lückenlose Kontrolle nach dem Maßstab des deutschen Apothekenrechts aufgrund der Aufspaltung der Kontrolle auf Behörden zweier – noch dazu verschiedensprachiger – Staaten nicht gewährleistet wäre. Dies wäre mit dem Grundgedanken des deutschen Apothekengesetzes unvereinbar und auch von der amtlichen Übersicht nicht mehr gedeckt, heißt es im Urteil.

Pharmazeutische Kerntätigkeit Sache des Inhabers

Der Senat verweist in seiner Entscheidung darauf, dass das Apothekengesetz die Befugnis zum Betrieb einer öffentlichen Apotheke an eine personengebundene Erlaubnis knüpfe: der Erlaubnisinhaber ist zur persönlichen Leitung in eigener Verantwortung verpflichtet. Dabei gehe der Gesetzgeber davon aus, dass der Erlaubnisinhaber die ihm als Apothekenleiter obliegende pharmazeutische Tätigkeit nicht aus der Hand geben dürfe. Damit lasse sich nicht vereinbaren, den Apothekenbetrieb zeitweise einer Gesellschaft und deren Personal oder von der Gesellschaft vermittelten anderen Apothekenleitern zu überlassen. Arbeitsgänge, die dem pharmazeutischen Betrieb der Apotheke zuzurechnen sind, müssten unter der direkten Kontrolle des verantwortlichen Apothekers ausgeführt werden. Lässt eine ausländische Versandapotheke solche Tätigkeiten in Deutschland ausführen – was hier unstreitig der Fall ist – bedürfe sie dazu einer deutschen Apothekenbetriebserlaubnis. So hat die Beklagte etwa eingeräumt, dass sie Anrufe zur Bestellannahme und Beratung von einer Drittfirma in Deutschland entgegennehmen und bearbeiten lässt, wenn die Kapazitäten in Holland erschöpft sind. Das Gericht betont, dass es sich hierbei um pharmazeutisch bedeutsame Tätigkeiten handele – auf die Zahl der tatsächlich in Deutschland abgearbeiteten Anrufe komme es dabei gar nicht an. Vielmehr berühre jeder einzelne Anruf den Schutzzweck der hier in Rede stehenden Normen, nämlich die Arzneimittelsicherheit und damit die Volksgesundheit zu wahren.

Kostenpflichtige Hotline nicht hinnehmbare Hürde

Was die Telefon-Hotline betrifft, für die Kunden Entgelte zu zahlen haben, so führt das OLG aus, dass diese nicht mit der in der Apothekenbetriebsordnung verankerten Beratungspflicht vereinbar sei. Zwar bestehe für Versandapotheken eine Ausnahme von der Beratungspflicht, um den tatsächlichen Besonderheiten des Versandhandels Rechnung zu tragen. Jedoch dürfe eine Versandapotheke "keinerlei Hürden aufrichten, die geeignet sein könnten, den Kunden (Patienten) davon abzuhalten, sich den Rat einzuholen, den er sich einholen möchte". Sollte das Urteil in diesem Punkt auch vor dem Bundesgerichtshof Bestand haben, so hat dies auch für deutsche Versandapotheken Folgen: Auch sie müssten ihre Hotlines umstellen, sofern sie kostenpflichtig sind.

Erleichterung auf Klägerinnenseite

Die Wettbewerbszentrale begrüßte das Urteil – auch wenn es vorläufig nur ein Etappensieg ist. Es schaffe Klarheit, dass das Betreiben wesentlicher apothekentypischer Geschäftsverläufe nicht nur für in Deutschland ansässige Apotheker erlaubnispflichtig ist, sondern auch für "pro forma" im benachbarten Ausland angesiedelte Versandapotheken, deren wesentliche Tätigkeiten aber von Deutschland aus erfolgen. Auch Dr. Günther Hanke, Präsident der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg, freut sich über die Entscheidung: Sie sei "ein wichtiger Schritt, um die Rosinenpickerei des Versandhandels einzuschränken". Hanke: "Dass Versandapotheken ihren Sitz im Ausland haben bedeutet nicht, dass sie in Deutschland Narrenfreiheit genießen." Auch andere Marktteilnehmer müssten sich den hohen Standards beugen, die bei der Arzneimittelabgabe gelten.

Schlecker verständnislos

Schlecker selbst sieht das Kerngeschäft seiner niederländischen Apotheken-Tochter Vitalsana durch das Urteil des OLG Stuttgart dagegen nicht tangiert. In einer Stellungnahme erklärte das Unternehmen, dass Vitalsana in Deutschland "entgegen der Annahme des OLG Stuttgart in keinem eine Apothekenbetriebserlaubnis erfordernden Umfang pharmazeutische Tätigkeiten erbringt". Es handele sich im Wesentlichen um untergeordnete Servicetätigkeiten. Auch darüber hinaus erscheine die Stuttgarter Entscheidung "zu weitgehend und in Teilen problematisch". Die Urteilsbegründung werde man nun sehr sorgfältig prüfen, so Schlecker. Rechtsmittel sind bereits angekündigt.


DAZ.online - Urteil im Wortlaut


Das Urteil im Wortlaut finden Sie hier



DAZ 2011, Nr. 8, S. 18

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