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Fragen aus der Praxis
Schlafmittel keine Kassenleistung?
Die Antwort gebenApothekerinnen und Wissenschaftlerinnen der Arbeitsgruppe "Arzneimittelanwendungsforschung", Zentrum für Sozialpolitik, Bremen. |
Schlafstörungen sind ein häufiges Problem. Besonders Patienten in höherem Lebensalter klagen über Ein- und Durchschlafstörungen. Leichtere Störungen werden meistens selbst behandelt, Patienten mit schweren und häufigen Beschwerden müssen an den Arzt verwiesen werden. Hier sollte eine sorgfältige Diagnostik erfolgen, da Schlafstörungen unterschiedliche Ursachen haben können und manchmal Folge einer nicht erkannten körperlichen Erkrankung sind. Manche Patienten haben einfach auch falsche Vorstellungen über die notwendige Schlafmenge. Deshalb gehören zur Diagnostik eine ausführliche Anamnese, Schlafprotokolle und Fragebögen zur Selbstbeobachtung. Manchmal ist auch die Untersuchung in einem Schlaflabor (Polysomnographie) erforderlich.
Eine Therapie der Insomnien ist nur dann erforderlich, wenn neben dem Nachtschlaf auch die Tagesbefindlichkeit gestört ist. Zunächst kommen meistens nicht-medikamentöse Therapien zum Einsatz. In der Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin [1] wird eine Kombination aus Psychoedukation, Entspannungstechniken, Schlafhygiene, sowie spezifischen kognitiven und verhaltenstherapeutischen Techniken empfohlen. Auch Schlafrestriktionen, wie beispielsweise Weglassen des Mittagsschlafes oder pünktliches Aufstehen können helfen. Manchmal ist jedoch zusätzlich eine medikamentöse Therapie erforderlich, die dann auch von den gesetzlichen Krankenkassen erstattet wird.
Verschiedene Substanzen werden als Hypnotika eingesetzt. Die bekanntesten sind die Benzodiazepine (kurz bis mittellang wirksame), die "Z-drugs" Zopiclon, Zolpidem und Zaleplon (a. V.), sedierende Antidepressiva wie Mirtazapin und Doxepin, niedrigpotente Neuroleptika wie Pipamperon oder Melperon, die Antihistaminika Diphenhydramin und Doxepin, Melatonin, Opipramol, Chloralhydrat und Phytopharmaka wie Baldrian, Hopfen oder Melisse. Der evidenzbasierte Nachweis für die Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der einzelnen Substanzen ist höchst unterschiedlich. Gut ist die Studienlage für Benzodiazepine, schlecht für Chloralhydrat. Von den pflanzlichen Wirkstoffen ist Baldrian am besten untersucht, die Studien zeigen allerdings widersprüchliche Ergebnisse [1]. Antidepressiva sind meist für die Behandlung von Schlafstörungen nicht zugelassen (off-label-use). Die Leitlinie empfiehlt die Kurzzeittherapie (3 – 4 Wochen) mit Benzodiazepinen oder "Z-drugs" und auch die Kurzzeittherapie mit sedierenden Antidepressiva unter der Voraussetzung der Prüfung von Kontraindikationen (ältere Patienten, Arrhythmien). Nicht empfohlen werden Neuroleptika und Phytopharmaka.
Konstant hohe Verordnungen
Das Problem von Reboundsymptomen und Arzneimittelabhängigkeit bei Benzodiazepinen ist seit Langem bekannt. Die Hoffnung, dass die neueren "Z-drugs" diese unerwünschten Wirkungen nicht oder in geringerem Maße aufweisen, erfüllte sich nicht [2]. Das Verordnungsvolumen zulasten der gesetzlichen Krankenkassen ist zwar in den letzten Jahren kontinuierlich zurückgegangen, doch zeigen Analysen, dass die Zahl der insgesamt abgegebenen Packungen auf einem konstant hohen Niveau bleibt [3]. Das bestätigt auch die Erfahrung in der Apotheke: Hypnotika werden vermehrt auf einem Privatrezept verordnet. Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft appellierte deshalb in einem Newsletter im Jahr 2008, Hypnotika-Verordnungen restriktiver zu handhaben, sowie die gesetzlichen Bestimmungen zur Abgabe zu verschärfen [4], mittlerweile gilt für Flunitrazepam nicht mehr die dosisabhängige Ausnahmeregelung des Betäubungsmittelgesetzes.
"Auffälligkeiten melden!"
Aktualität erhielt dieser Appell mit dem Erscheinen der PRISCUS-Liste. Hier sind potenziell inadäquate Medikamente für ältere Patienten verzeichnet, wer einen Blick hineinwirft, findet dort fast alle Hypnotika wieder [5]. Auch an die Apothekerinnen und Apotheker wendet sich der Newsletter: "Apotheken sollten Auffälligkeiten in der Arzneimittelversorgung wie die Verschiebung der Verordnung von Arzneimitteln mit Abhängigkeitspotenzial melden." Häufig ist die sogenannte Niedrigdosisabhängigkeit bei Benzodiazepinen und "Z-drugs". Dabei bleibt die eingenommene Dosis konstant im therapeutischen Bereich, teilweise über Jahre. Die meist älteren Patienten können sich ihr Leben ohne Schlafmittel kaum vorstellen und sind zu einem Entzug nur schwer zu motivieren. Trotzdem profitieren auch ältere Menschen von einem Entzug, da unter chronischer Benzodiazepin-Einnahme das Risiko eines Sturzes mit allen bekannten Folgen steigt.
Nur zur Kurzzeittherapie
Hypnotika sind nur für die Kurzzeittherapie zugelassen. Die kontinuierliche Verordnung über einen längeren Zeitraum stellt daher einen Off-label-use dar und ist schon deshalb keine Leistung der gesetzlichen Krankenkasse [siehe auch unter 6]. Trotzdem hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) in den Arzneimittelrichtlinien, Anlage III, noch einmal ausdrücklich darauf hingewiesen (siehe Kasten).
ArzneimittelrichtlinienAnlage III – Übersicht über Verordnungseinschränkungen und -ausschlüsse
– ausgenommen zur Kurzzeittherapie bis zu 4 Wochen – ausgenommen für eine länger als 4 Wochen dauernde Behandlung in medizinisch begründeten Einzelfällen. Eine längerfristige Anwendung von Hypnotika/Hypnogenen oder Sedativa ist besonders zu begründen.
– ausgenommen zur Kurzzeittherapie bis zu 4 Wochen – ausgenommen für eine länger als 4 Wochen dauernde Behandlung in medizinisch begründeten Einzelfällen. Eine längerfristige Anwendung von Tranquillanzien ist besonders zu begründen. |
In manchen Fällen ist trotzdem eine Langzeittherapie erforderlich, beispielsweise, wenn Benzodiazepine als Anxiolytika eingesetzt werden müssen. Der G-BA hat Einzelfälle zugelassen, wenn der Einsatz besonders begründet werden kann. Die kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL) weist darauf hin, dass für Kassenpatienten eigentlich keine Privatrezepte ausgestellt werden dürfen, wenn eine Indikation für die Verordnung von Hypnotika besteht: "Besteht bei gesetzlich Versicherten eine Indikation zur Gabe der Medikamente, ist ein Ausweichen auf Privatrezept nicht zulässig … Das zunehmend beobachtete Ausweichen auf Privatrezepte zur Vermeidung eines Arzneimittelregresses entbindet den Arzt nicht von seiner berufsrechtlichen Verantwortung." [7]
Problem Privatrezept
Die vermehrte Verordnung von Hypnotika auf Privatrezepten konterkariert die Bemühungen um einen sicheren Einsatz der Hypnotika. Hier ist die kompetente Beratung in der Apotheke gefordert. Möglichst schon bei der erstmaligen Einnahme eines Hypnotikums sollte der Patient zur empfohlenen Dauer der Einnahme, zu unerwünschten Wirkungen und dem Reboundphänomen bei Absetzen der Tabletten beraten werden. Patienten, bei denen möglicherweise bereits eine Arzneimittelabhängigkeit vorliegt, sollten zu einem Entzug motiviert werden. Die KVWL stellt auf ihrer Internetseite einen "Benzo-Check" für Patienten zum Selbsttest zur Verfügung [7]. Auch die Weitergabe von Adressen örtlicher Selbsthilfegruppen (z. B. narcotics anonymus) kann hilfreich sein. Lokale Initiativen wie z. B. in Villingen-Schwenningen, wo Ärzte und Apotheker beim ambulanten Entzug von Benzodiazepinen zusammenarbeiten, sind sehr zu begrüßen [8]. Die ABDA hat darüber hinaus einen Leitfaden "Medikamente: Abhängigkeit und Missbrauch" für die apothekerliche Praxis entwickelt [9].
Antwort Kurz gefasst
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Literatur
[1] http://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/063-001.html, letzter Zugriff: 16. 03. 2012
[2] WHO: Pharmacological treatment of mental disorders in primary health care, 2009[3] Hoffmann F, Glaeske G, Scharffetter W: Zunehmender Hypnotikaverbrauch auf Privatrezepten in Deutschland. Sucht 2006; 52: 360 – 366.[4] http://www.akdae.de/Service/Newsletter/Archiv/News/Archiv/2008-127.html, letzter Zugriff: 16.03.2012[5] die Liste findet man unter: http://www.priscus.net/[6] DAZ 36, 08.09.2011: Off-Label und immer wieder Streit um die Kostenübernahme[7] Benzodiazepine: Information und Beratung, http://www.kvwl.de/arzt/verordnung/arzneimittel/info/amb.htm, letzter Zugriff: 19. 03. 2012[8] http://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/az-ausgabe/artikel/articlesingle/2011/45/47838.html, letzter Zugriff: 19. 03. 2012[9] http://www.abda.de/1018.html, letzter Zugriff: 19. 03. 2012Autorinnen
Heike Peters, Daniela Boeschen, Stanislava Dicheva, Insa Heyde, Anna Hinrichs
Apothekerinnen und wissenschaftliche Mitarbeiterinnen in der Arbeitsgruppe "Arzneimittelanwendungsforschung", Zentrum für Sozialpolitik, Universität Bremen
Zum Weiterlesen - Nicht auf RezeptApothekerinnen und Wissenschaftlerinnen des Zentrums für Sozialpolitik beantworten in regelmäßiger Folge Fragen rund um die gesetzliche Krankenversicherung. Hier ein Auszug aus den bislang erschienenen Beiträgen: Privatsache Heuschnupfen? Wann GKV-Patienten Antihistaminika zahlen müssen Ärger um die Zuzahlung: Wie sich Zuzahlung und Mehrkosten errechnen Enterale Ernährung auf Rezept? Wann Lebensmittel verordnungsfähig sind Husten – eine Bagatelle? Wann werden Teststreifen für Typ-2-Diabetiker erstattet? ACC und Co: keine Erstattung bei Apothekenpflicht? |
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