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Fortbildung
Neurologische und psychische Erkrankungen
Epilepsie – Krampf im Gehirn
Prof. Dr. Jürgen Bauer, Bonn, stellte die Entstehung, Diagnose und Therapie der Epilepsie vor. Diese Erkrankung des Gehirns ist durch die erhöhte Erregungsbereitschaft von Nervenzellen im Cortex und im limbischen System gekennzeichnet, wobei die Bereitschaft zu punktuellen synchronen Entladungen wesentlich ist. Bei den meisten Patienten zeigt sich dies über viele Jahre in kleinen Anfällen, die oft nicht als solche erkannt werden. Ein großer Anfall tritt oft erst nach vielen Jahren auf, ist unübersehbar und reicht zur Diagnose aus. Ein solcher generalisierter tonisch-klonischer Anfall ("Grand mal") dauert meist nur ein bis zwei Minuten, der Patient ist bewusstlos und tachykard. Das Skelettsystem wird stark belastet, Stürze können zu schweren Verletzungen führen. Begleitpersonen sind hilflos, zumal Arzneimittel nicht schnell genug wirken. Dauert der Anfall ausnahmsweise fünf Minuten an, sollte intravenös ein Benzodiazepin gegeben werden, um den lebensbedrohlichen Status epilepticus zu vermeiden, der nach 30 Minuten eintreten kann.
Pro Jahr erkranken etwa 50 bis 150 von 100.000 Personen an Epilepsie, wobei das größte Risiko in der Altersgruppe über 60 Jahren liegt. Im EEG lassen sich bei Patienten mit einer genetisch bedingten, sogenannten idiopathischen Epilepsie auch außerhalb von Anfällen charakteristische Hirnstrommuster als Zeichen der Disposition finden. Dies betrifft etwa 15 Prozent der Patienten mit Epilepsie. Typisch für diese Patienten sind für sie selbst kaum merkliche Absencen und sehr kurze myoklonisch-impulsive Anfälle, die oft morgens nach dem Erwachen stattfinden. Außer Aufmerksamkeitsstörungen haben diese Patienten meist keine kognitiven Beeinträchtigungen. Bei den übrigen Betroffenen bestehen dagegen strukturelle Veränderungen im Gehirn, die im Kernspintomogramm zu finden sind. Bei zwei Dritteln dieser Patienten ist die Struktur des Schläfenlappens verändert. Dann drohen nicht behandelbare kognitive Störungen als wesentliche Krankheitsfolgen. Wenn der Stirnlappen betroffen ist, laufen bei den Anfällen meist jeweils stereotype Bewegungsmuster ab.
Die Therapie der Epilepsie zielt auf die möglichst weitgehende Verhinderung von Anfällen. Zur Behandlung der genetisch bedingten Form eignen sich nach Darstellung von Bauer nur Valproinsäure, Lamotrigin und Topiramat, während andere Antiepileptika sogar die Anfallsfrequenz erhöhen könnten. Valproinsäure habe die beste Wirkung, aber auch besonders viele unerwünschte Wirkungen. Lamotrigin sei dagegen besser verträglich. Bei Topiramat könne die Verminderung der Aufmerksamkeit ein großes Problem sein. Gegen die strukturell bedingte Epilepsie stehen dagegen alle Antiepileptika zur Wahl, wobei die individuellen Nebenwirkungen die Auswahl prägen sollten.
Als besonders wichtige Entwicklungen der zurückliegenden 20 Jahre hob Bauer Lamotrigin und Levetiracetam hervor. Ersteres sei vergleichsweise gut einstellbar, Letzteres werde nicht enzymatisch abgebaut, mache allerdings etliche Patienten aggressiv. Zur Behandlung könnten bei Bedarf zwei Antiepileptika kombiniert werden, mehr als zwei Kombinationspartner würden dagegen eher die Nebenwirkungen verstärken.
Fortbildung in Niedersachsen auf LandesebeneDie Apothekerkammer Niedersachsen veranstaltete den Fortbildungskongress in Bad Zwischenahn inzwischen zum vierten Mal. Er findet alle zwei Jahre, jeweils in den Jahren ohne Niedersächsischen Apothekertag statt. Der diesjährige Kongress wurde von zwei Mitgliedern des Fortbildungsausschusses moderiert: Anke Böhmen und Martina Dreeke-Ehrlich führten durch das Programm. Zum Abschluss der Veranstaltung bekräftigte Kammerpräsidentin Magdalene Linz, die Kammer werde 2014 wieder einen Fortbildungskongress in Bad Zwischenahn veranstalten. Zugleich gab sie den Termin für den nächsten Niedersächsischen Apothekertag bekannt: Dieser wird am 8. und 9. Juni 2013 in Wolfsburg stattfinden. |
Multiple Sklerose – es ist nicht vorherzusagen, was als nächstes geschieht
Dr. Norbert Eilers, Oldenburg, berichtete über die multiple Sklerose, bei der Verhärtungen an verschiedenen Stellen des Gehirns auftreten. Davon sind in Deutschland etwas mehr als 120.000 Menschen betroffen. Bei der Diagnose sind die Patienten im Durchschnitt 28 Jahre alt. Die Lebenserwartung ist kaum beeinträchtigt, aber der lange chronische Verlauf kann zu großen Einbußen an Lebensqualität und zu hohen indirekten Kosten durch die Frühverrentung führen. Die autoimmunologisch-entzündliche Erkrankung ist primär durch einen entzündlichen Abbau der Myelinscheiden um die Axone der Nervenzellen ("Entmarkung") und sekundär durch eine degenerative Schädigung der Axone selbst gekennzeichnet. Dabei spielen T‑Lymphozyten, die die Blut-Hirn-Schranke überwinden, eine verhängnisvolle Rolle. Als Ursachen kommen eine genetische Disposition und toxische Einflüsse aus der Umgebung in Betracht.
Das klinische Bild der Betroffenen unterscheidet sich enorm, und die Krankheit kann sich mit sehr unterschiedlicher Geschwindigkeit entwickeln. Die Bandbreite der Symptome ist sehr heterogen und umfasst beispielsweise Sehstörungen, spastische Versteifungen, Störungen des Tastsinns, der Blasen-, Darm- und Sexualfunktion, Sprech- und Gleichgewichtsstörungen sowie kognitive Einschränkungen. Dabei ist nicht vorherzusagen, was als nächstes geschieht.
Bei den meisten Patienten verläuft die Krankheit schubförmig. Ein Schub ist definiert als eine Krankheitsphase mit einem oder mehreren neuen Krankheitszeichen, die unabhängig von Fieber oder anderen Erhöhungen der Körpertemperatur auftreten, über mindestens 24 Stunden andauern und mindestens einen Monat nach dem vorigen Schub einsetzen. Nach dem Schub bilden sich die Störungen ganz oder teilweise zurück. Nach mehr als zehn Jahren geht die multiple Sklerose oft in einen sekundär chronisch-progredienten Verlauf über. Primär chronisch-progrediente Verläufe haben im Vergleich dazu eine besonders schlechte Prognose.
Akute Schübe werden mit 1000 mg Methylprednisolon intravenös über drei bis fünf Tage behandelt, notfalls sogar mit bis zu 2000 mg. Als nächster Schritt ist eine Plasmapherese möglich. Langfristig findet eine Basistherapie statt. Dazu stehen verschiedene Interferone oder Glatirameracetat zur Verfügung, die sich hinsichtlich der Dosierungsfrequenz und der Injektionstechnik unterscheiden. Eilers erklärte, diese Basistherapeutika würden die Schubfrequenz um etwa 30 Prozent vermindern und sollten daher anhand der individuellen Präferenzen der Applikation ausgewählt werden. Viele Patienten würden die einmal wöchentliche Injektion am Wochenende bevorzugen, um die Nebenwirkungen mit grippeähnlichen Symptomen verschlafen zu können. Die früher zur Basistherapie verbreiteten Immunsuppressiva würden heute eher für die Eskalationstherapie eingesetzt. Der monoklonale Antikörper Natilizumab hat in einer Zulassungsstudie die Schubrate um 70 Prozent vermindert. Die anhaltende Wirkung über drei Jahre ist gesichert, inzwischen bestünden Erfahrungen über sechs Jahre. Doch beim Einsatz von Natilizumab drohe die Entstehung einer progressiven multifokalen Leukenzephalopathie, die bei jedem dritten Betroffenen tödlich sei. Das Risiko steige nach zwei Behandlungsjahren und sei besonders hoch, wenn zuvor immunsupprimierende Substanzen eingesetzt wurden, erklärte Eilers.
Eine weitere Therapieoption ist der Sphingosin-1-phosphat-Rezeptorantagonist Fingolimod, der an die Lymphozytenoberfläche bindet. In Deutschland ist dieser nur bei schweren Erkrankungsformen zugelassen. Daneben stehen weitere Arzneimittel zur symptomatischen Behandlung zur Verfügung. Der Cannabis-Extrakt Sativex® wird gegen spastische Beschwerden eingesetzt, allerdings drohen kognitive und psychotrope Effekte. Der Kaliumkanalblocker Fampridin kann nach Erfahrung von Eilers die Gehfähigkeit verbessern. Wenn nach zwei Wochen keine Wirkung festgestellt wird, sei allerdings keine spätere Besserung mehr zu erwarten.
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Morbus Parkinson – schwierige Diagnose ...
Morbus Parkinson ist nach Morbus Alzheimer die zweithäufigste neurodegenerative Erkrankung, erklärte Prof. Dr. Holger Stark, Frankfurt/Main. In Deutschland sind etwa 300.000 bis 400.000 Menschen betroffen, dazu dürfte eine beträchtliche Dunkelziffer kommen. Ab dem 60. Lebensjahr steigt das Erkrankungsrisiko etwa um das Zehnfache. Unbehandelt beträgt die Lebenserwartung etwa neun Jahre nach der Diagnose. Mit einer frühen Diagnose und langfristigen Therapie kann dagegen eine nahezu normale Lebenserwartung erreicht werden. Allerdings wird die progressive Erkrankung des ZNS meist erst spät erkannt, weil das Gehirn viele Ausfälle kompensieren kann und Symptome erst bei schweren Schädigungen deutlich werden. Frühe Symptome sind Verlangsamung, Schmerzen im Haltungsapparat und Riechstörungen. Die typischen motorischen Symptome sind Akinese, Rigor, Ruhetremor und später Haltungsinstabilität. Weitere mögliche Folgen sind orthostatische Störungen und Verstopfung als Folge des relativen Acetylcholin-Überschusses sowie psychische Störungen von scheinbarer Teilnahmslosigkeit bis zu Intelligenzminderungen in späten Stadien. Die Diagnose wird anhand der Symptome gestellt, CT und MRT sind begrenzt aussagefähig.
... und lebenslange Therapie
Typisch für die Erkrankung ist der Mangel an Dopamin und damit die Störung des Gleichgewichts zwischen Dopamin und Acetylcholin. Die Pharmakotherapie verfolgt überwiegend das Ziel, den Dopaminmangel auszugleichen. Als Goldstandard gilt noch immer die Dopaminvorstufe L-Dopa. Da L-Dopa nur im ZNS wirken soll, wird zugleich ein Decarboxylase-Inhibitor gegeben, der die Blut-Hirn-Schranke nicht überwinden kann und die Wirkung in der Peripherie verhindert. L-Dopa sollte in hinreichendem Abstand zu den Mahlzeiten eingenommen werden, weil Proteine seine Resorption verringern. Die Dosis sollte zu Beginn der Therapie so niedrig sein, dass ein gerade befriedigender Zustand eintritt; so lässt sich die Wirksamkeit der Substanz länger erhalten. Denn mit zunehmender Krankheitsdauer wird die Behandlung schwierig.
Weitere Therapieoptionen bieten die Inhibitoren der Catechol-O-Methyltransferase (COMT) Entacapon und Tolcapon. Bei Letzterem ist wegen der Hepatotoxizität die Leberfunktion regelmäßig zu prüfen. Die rötlich-braune Harnfärbung entsteht durch Eisen(III)-Komplexe und ist harmlos. Alternativ können Selegilin oder Rasagilin als Inhibitoren der Monoaminoxidase B (MAO-B) eingesetzt werden. Bei Kombination mit Serotonin-Wiederaufnahmehemmern droht eine Serotonin-Krise. Die viel beachtete ADAGIO-Studie habe zunächst den Eindruck einer verminderten Progression durch Rasagilin vermittelt, aber wegen widersprüchlicher Effekte bei verschiedenen Dosierungen sei die Aussage der Studie unklar, so Stark.
Zu den dopaminergen Substanzen gehören insbesondere die früher verbreiteten Ergolin-Derivate, die als "dirty drugs" an vielen Rezeptoren angreifen, daher viele unerwünschte Effekte haben und in den USA bereits vom Markt genommen wurden. Eine hohe Selektivität bieten dagegen die "Nicht-Ergot"-Dopaminagonisten Ropinirol und Pramipexol. Sie wirken auch anxiolytisch und antidepressiv und sind meist gut verträglich. Apomorphin wird insbesondere als Bedarfsmedikation zur Applikation mit einem Pen in einer Freezing-Phase eingesetzt. Dabei verharrt der Patient praktisch bewegungslos. Rotigotin ist nur kurz wirksam und wird daher als transdermales therapeutisches System oder in einer Retardform eingesetzt, außerdem werde ein Nasenspray entwickelt. Bei allen Dopaminagonisten können Sekundenschlaf und Beeinträchtigungen der Aufmerksamkeit eintreten. Da Dopamin ein physiologisches Belohnungsprinzip ist, können dopaminerge Therapien Suchtneigungen verstärken und zu Spielsucht, Kaufrausch, Alkoholabusus oder Hypersexualität führen.
Einen alternativen Ansatz bieten NMDA-Rezeptorantagonisten wie Memantin, Amantadin oder Budipin, zunächst in Monotherapie, später als Kombinationspartner. Bei Budipin, das an verschiedenen Ionenkanälen angreift, sind kardiale Kontrollen nötig, erklärte Stark. Außerdem berichtete er über eine gut gefüllte Pipeline für diese Indikation, wobei der größere Teil der neuen Substanzen auf die nicht-dopaminerge Therapie und die Behandlung von Begleiteffekten zielt.
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Demenz – massives Problem der Alterung
Die weitaus häufigste neurologische Erkrankung, die Alzheimer-Demenz, erläuterte Prof. Dr. Hans Förstl, München. Nach seiner Einschätzung wird ein Drittel der Menschen im Alter dement, ein weiteres Drittel zeigt beherrschbare Symptome, und ein weiteres Drittel stirbt ohne Demenz. Da das Gehirn 30 Prozent der Energie im Körper umsetzt, liege es nahe, dass eine Beeinträchtigung der Energieversorgung auch die Funktion des Gehirns betrifft.
Alzheimer-Plaques im Gehirn sind das erste Zeichen einer Alzheimer-Erkrankung; sie müssen nicht unbedingt zu Symptomen führen, erhöhen aber das Risiko. Intelligenz schaffe dagegen eine hohe geistige Reserve, mit der Ausfälle lange kompensiert werden können. Daher empfahl Förstl insbesondere geistiges Training. Erst lange nach dem Auftreten der ersten Plaques setzt die Neurodegeneration ein, und noch später manifestieren sich klinische Symptome. "Die Alzheimer-Demenz ist die Spätfolge der Alzheimer-Krankheit", folgerte Förstl.
Zur Therapie werden heute beispielsweise Donepezil als Acetylcholinesterasehemmer oder Memantin als NMDA-Rezeptorantagonist bzw. Glutamat-Modulator eingesetzt. Gemäß einer neuen Studie biete die Kombination beider Stoffe zusätzliche Vorteile. Daneben sei der günstige Effekt der Pflege zu beachten, der aber naturgemäß nicht mit einer verblindeten Studie belegt werden kann. Ein weiterer Ansatz sei, in Gehirnzellen den Abbau der aus Tau-Protein gebildeten Fibrillen und die unphysiologische Zusammenballung von freiem Tau-Protein zu verhindern. Auch eine Impfung, die die Plaque-Ablagerung im Gehirn verhindert, sei bereits möglich, aber sie wirke sich nicht auf den klinischen Verlauf aus; das gelte auch für andere Strategien, die auf die Amyloidplaques zielen. Das Problem sieht Förstl in der bereits abgelaufenen Zerstörung von Zellen, die nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Daher müsse die Therapie viel früher ansetzen. In etwa 20 Jahren könnte es eine effektive Impfung für 40-Jährige geben, prognostizierte Förstl.
Derzeit sei es am wichtigsten, belastende Faktoren zu vermindern, insbesondere die vielen anticholinerg wirksamen Arzneimittel bei Älteren sparsam einzusetzen. Förstl riet, Neuroleptika rechtzeitig abzusetzen und Benzodiazepine bei Älteren möglichst gar nicht anzuwenden. Außerdem sollten Ältere möglichst kein Glutamat zu sich nehmen. Von glutamathaltigen Nahrungsergänzungsmitteln riet Förstl eindringlich ab, der Körper produziere ohnehin mehr als genug Glutamat.
Depression – im Alter besonders häufig
Neben der Demenz ist die Depression die Hauptursache für krank verbrachte Lebenszeit. Oliver Rosenthal, Sehnde, stellte die klinischen Aspekte der Erkrankung vor. Eine Abgrenzung vom vielbeachteten Burn-out sei schwierig, weil es keine allgemein anerkannte Definition des Burn-out-Syndroms und keinen Konsens über dessen Ursachen und Diagnose gebe. Das Vollbild sei von der Depression nicht zu unterscheiden. Die Depression hat eine Punktprävalenz von 5,6 Prozent bei 18- bis 65-Jährigen, doch werde die große Bedeutung der Altersdepression oft übersehen. Gemäß der Berliner Altersstudie haben 27 Prozent der Älteren eine krankheitswertige Depression, bei Älteren mit chronischen somatischen Erkrankungen beträgt der Anteil sogar bis zu 50 Prozent.
Daher fokussierte Rosenthal seinen Vortrag auf die Altersdepression. Diese werde oft als normaler Alterungsprozess oder Folge einer anderen Erkrankung fehlinterpretiert. Wichtigste Auslöser und Risikofaktoren sind der Verlust der Selbstständigkeit bei einer Erkrankung, Vereinsamung und der Rollenwechsel beim Umzug in ein Heim. Im Vergleich zu Jüngeren sei die Gefahr des vollendeten Suizids größer. Vorteilhaft wirkt dagegen soziale Unterstützung.
Rosenthal warnte wegen der Sturzgefahr vor dem Einsatz von Benzodiazepinen bei Älteren. Antidepressiva würden dagegen eher zu selten eingesetzt. Trizyklika seien allerdings wegen der Nebenwirkungen, insbesondere wegen der Störung der Erregungsleitung bei kardialer Vorschädigung wenig geeignet. Gut brauchbare Antidepressiva für Ältere seien Citalopram, Escitalopram, Mirtazapin und Sertralin, im Zusammenhang mit der Schmerzbehandlung auch Duloxetin und Venlafaxin. Auch bei Älteren könne eine ambulante Psychotherapie angewendet werden, aber diese Patienten würden leider meist keinen Therapieplatz erhalten. Zur Frage, wie lange eine antidepressive Pharmakotherapie dauern solle, erklärte Rosenthal, ein Auslassversuch sei in der Regel frühestens nach einem Jahr angebracht.
Pharmakotherapie der Depression
Prof. Dr. Thomas Herdegen, Kiel, stellte die Pharmakotherapie der unipolaren Depression ausführlicher dar. Die Erkrankung beruht auf diversen neurobiologischen Veränderungen. Die Therapie setzt insbesondere beim funktionellen Mangel von Serotonin und Noradrenalin an. Serotonin entsteht nur in einem Hirnkern, muss über lange Wege transportiert werden und stellt daher einen neurochemischen Schwachpunkt dar. Die Pharmakotherapie ist ähnlich wie die Elektro-Krampf-Therapie als Anstoß zu verstehen, nach dem sich das Gehirn reorganisiert.
Der Neurotransmitter Serotonin wirkt depressionslösend, vermittelt aber auch diverse unerwünschte Effekte. Im Alter besonders problematisch sind Unruhe, Angst, Schlaflosigkeit, Übelkeit, Obstipation, Diarrhö und Gerinnungsstörungen. Weitere unerwünschte Effekte können Kopfschmerz, sexuelle Störungen und das Serotonin-Syndrom sein. Der Neurotransmitter Noradrenalin wirkt zusätzlich zum depressionslösenden Effekt auch analgetisch. Unerwünschte Effekte sind Tremor, Tachykardie, Hypertonie, Harnverhalt, Schwitzen und die Senkung der Krampfschwelle. Allerdings seien die Nebenwirkungen von Antidepressiva oft nicht von den Symptomen der Depression zu unterscheiden.
Das älteste Neuroleptikum Chlorpromazin ist nach Einschätzung von Herdegen ein "anticholinerger Querschläger", der zwar depressionslösend wirkt, aber auch Unruhe, Delir, Tachykardie, Kognitionsstörungen und andere anticholinerge Effekte auslöst. Diese Nebenwirkungen können auch bei gängigen trizyklischen Antidepressiva auftreten, doch diese hätten auch die stärkste antidepressive Wirkung. Besonders problematisch seien die kardialen Nebenwirkungen, vor allem bei Vorhofflimmern. Amitriptylin wirkt eher antriebshemmend, Nortriptylin eher antriebssteigernd. Doxepin ist ein starker H1 -Blocker und eigne sich zur Behandlung von Kindern, die sich bei Neurodermitis stark kratzen.
Häufiger werden selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) als Antidepressiva eingesetzt. Nach Einschätzung von Herdegen sind Citalopram und Escitalopram gut verträglich, obwohl ihre Dosierung kürzlich wegen möglicher QT-Zeit-Verlängerungen begrenzt wurde. Diese Nebenwirkung trete aber nur selten und praktisch nur bei Risikopatienten auf, so Herdegen. Weitere unerwünschte Wirkungen von SSRI sind ein erhöhtes Osteoporose-Risiko und Störungen der Blutgerinnung. Die Medikation sollte nie eigenmächtig abgesetzt werden, weil der Patient dann nicht abgedeckt sei und die Suizidgefahr steige. Die Noradrenalin-und-Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (NSRI) Duloxetin und Venlafaxin würden im Therapieverlauf zu mehr Vollremissionen führen, seien aber wegen der unerwünschten Effekte eher Mittel der zweiten Wahl, erklärte Herdegen. Mögliche unerwünschte Wirkungen sind Schwindel, Müdigkeit, Unruhe, Übelkeit, Obstipation, Diarrhö und Wechselwirkungen aufgrund der Biotransformation.
Unter den sonstigen Antidepressiva hob Herdegen Mirtazapin mit einem guten Wirkprofil hervor. Es führt zwar bei manchen Patienten zu einer starken Gewichtszunahme, bei Älteren ist dies jedoch viel seltener der Fall. Eine weitere depressionslösende Alternative bietet Johanniskraut, wobei die Photosensibilität zu beachten ist. Wegen der Hemmung des Enzyms CYP3A4 droht der Wirkungsverlust oraler Kontrazeptiva, doch seien in der Literatur nur wenige solcher Fälle beschrieben worden, so Herdegen.
Anschließend vertieften Herdegen und Rosenthal ihre theoretischen Darstellungen anhand von zwei Fallpräsentationen. Dabei wurden auch die Grenzen der Pharmakotherapie deutlich. Als grundsätzliches Problem hob Herdegen hervor, dass die Probleme schwieriger Patienten multifaktoriell sind, während Arzneimittel möglichst auf einen monofaktoriellen Effekt ausgelegt werden.
"Was eine Nebenwirkung ist, sagt nicht die Rote Liste, sondern der Patient, indem er das Arzneimittel absetzt." Prof. Dr. Thomas Herdegen, Kiel |
Schizophrenie – wo beginnt die Krankheit?
Die Schizophrenie war das Thema des Vortrags von Prof. Dr. Marc Ziegenbein, Hannover. Er beschrieb die Schizophrenie als eine vielfältige Symptomatik, die sich im Denken, in der Affektivität und im Verhalten äußert. Daher sei sie keine einheitliche Erkrankung und keine "Spaltung der Seele" in mehrere Persönlichkeiten. Schizophrenie mache nicht grundsätzlich unzurechnungsfähig und sei nicht ansteckend. Zur Diagnose gehört sowohl eine definierte Anzahl von Symptomen als auch ein Zeitkriterium. Weltweit treten jährlich etwa 20 Neuerkrankungen pro 100.000 Personen auf, meist im Alter zwischen 15 und 30 Jahren. Als Ursachen gelten genetische Disposition und Umweltfaktoren. Bei Drogenkonsumenten, Migranten und Personen, die in Großstädten aufgewachsen sind, ist die Schizophrenie häufiger.
Zur Erkrankung können "Plus-Symptome" wie Wahn, Denkstörungen und Halluzinationen gehören. Als "Minus-Symptome" werden dagegen emotionaler Rückzug und mangelnde Bewegungsfähigkeit ähnlich wie bei einer Depression bezeichnet. Ein Wahn ist eine unkorrigierbare falsche Beurteilung der Realität, die für den Patienten zu einer lebensbestimmenden Wirklichkeit werden kann. Dazu können Sinnestäuschungen, Halluzinationen und Stimmen gehören, die im eigenen Kopf oder im Raum wahrgenommen werden und die in extremen Fällen dem Patienten "Befehle" erteilen. Weitere Formen sind Ich-Störungen, bei denen die Patienten die Eingebung oder den Entzug von Gedanken durch andere Personen oder die Ausbreitung ihrer eigenen Gedanken im Raum unterstellen.
Neuroleptika – Typika und Atypika im Vergleich
Die Pharmakotherapie zielt in der Akutphase auf die Senkung der Plus-Symptome und die Prävention von Selbst- und Fremdgefährdung. Ziegenbein kritisierte die verbreitete Bezeichnung verschiedener Gruppen von Neuroleptika als "klassisch" und "modern". Dies impliziere eine Wertung, doch seien die neueren Substanzen nicht unbedingt besser wirksam. Die CUtLASS-Studie habe in einem Vergleich zwischen typischen und atypischen Neuroleptika über 56 Wochen keine signifikanten Vorteile für Atypika gezeigt. Weder bei der Lebensqualität noch bei kognitiven Symptomen sei eine klare Überlegenheit festgestellt worden.
Ein wesentliches Problem der typischen Neuroleptika sind die extrapyramidalen motorischen Nebenwirkungen wie Frühdyskinesien, insbesondere Zungen-Schlund-Krämpfe, Sitzunruhe und Spätdyskinesien. Allerdings würden solche Effekte dosisabhängig und individuell unterschiedlich auch bei Atypika auftreten, weil alle diese Substanzen an D2-Rezeptoren angreifen. Daneben können Atypika diverse weitere unerwünschte Effekte haben, wie QT-Zeit-Verlängerung, sexuelle Störungen, massive Gewichtszunahme und Stoffwechselstörungen von der Insulinresistenz bis zum metabolischen Syndrom.
Wegen der unerwünschten Wirkungen werden einige typische, bereits seit Jahrzehnten etablierte Neuroleptika heute sehr viel niedriger dosiert als früher üblich. Während bei Haloperidol früher Dosierungen von 20 mg verbreitet waren, werden jetzt oft nur 3 oder 4 mg eingesetzt. Der Einsatz des hoch potenten Fluspirilen hat deutlich abgenommen. Wegen seiner vielen unerwünschten Wirkungen sollte es nur vorsichtig verwendet werden, empfahl Ziegenbein. Der Einsatz von Depotneuroleptika könne eine Hilfe bei schlechter Compliance sein, doch seien einige Patienten nur schwer dazu zu bewegen, weil sie eine Depotspritze als erniedrigenden Eingriff wahrnehmen.
Gemäß Leitlinien sollte bei der Schizophrenie eine Monotherapie bevorzugt werden, aber dies hält Ziegenbein für unrealistisch. Vier Wochen nach Beginn der Therapie sollten die Wirksamkeit und die Verträglichkeit überprüft werden, doch sei dies in unserem Gesundheitswesen kaum praktikabel. Helfen könne dagegen ein verbesserter Informationsaustausch zwischen Apotheke, Hausarzt und Facharzt.
Botulinumtoxin – nicht nur für die Schönheit
Dr. Klaus Tiel-Wilck, Berlin, beschrieb die medizinische Anwendung von Botulinumtoxinen. Das stärkste bekannte Gift ist von Injektionen für kosmetische Zwecke bekannt und kann nach dem gleichen Konzept medizinisch eingesetzt werden, indem es einzelne Muskeln gezielt schwächt. Meist sollen dabei Ungleichgewichte ausgeglichen werden, die durch die Fehlfunktion einzelner Muskeln entstehen. Die verschiedenen Handelspräparate sind nach unterschiedlichen Verfahren standardisiert, sodass die als Dosierung angegebenen Einheiten zwischen den meisten Präparaten nicht übertragbar sind. Zudem ist zwischen Botulinumtoxin A, das drei Monate lang wirkt, und dem etwas kürzer wirksamen Botulinumtoxin B zu unterscheiden.
Zugelassene Anwendungen für Injektionen von Botulinumtoxinen sind beispielsweise Dystonien. Dies sind Bewegungsstörungen mit unwillkürlichen Bewegungen oder Haltungsstörungen. Dazu gehören Schiefhals, Blepharospasmus (Lidkrampf) und Schreibkrampf. Weitere zugelassene Indikationen sind beispielsweise der hemifasziale Spasmus, die Migräneprophylaxe, neurogene Harnblasenstörungen und Spastiken, allerdings nur am Arm oder an der Hand und nur nach einem Schlaganfall. Daneben bestünden viele Möglichkeiten für den Off-label-Einsatz, insbesondere bei Anwendungen, die den zugelassenen Indikationen nahestehen.
Nach Einschätzung von Tiel-Wilck hat sich im Zusammenhang mit dieser Therapieoption das pathophysiologische Verständnis vieler Krankheiten geändert, und früher empfohlene, in diesen Fällen wirkungslose Psychotherapien sind entfallen. Als unerwünschte Wirkungen von Botulinumtoxinen drohen Lähmungen der betroffenen Muskel bei einer Überdosierung oder Effekte auf benachbarte Muskeln. Bei Anwendungen an den Augen sind Doppelbilder möglich, bei Schiefhals kann Mundtrockenheit entstehen. Mögliche generalisierte Effekte sind grippeähnliche Symptome durch Verunreinigungen sowie Müdigkeit, Verstopfung, Muskelerkrankungen oder sogar Atemlähmung.
Sportliches Rahmenprogramm
Im Mittelpunkt des Rahmenprogramms beim Fortbildungskongress der Apothekerkammer Niedersachsen stand die Bewegung. Die Teilnehmer konnten am späten Nachmittag nach dem ersten Vortragstag zwischen Nordic Walking, einer Joggingrunde rund um das Zwischenahner Meer und sportlichen Koordinationstests wählen. Als Alternative bestand jedoch auch die Möglichkeit, das Zwischenahner Meer vom Rundfahrtenschiff aus zu erkunden, und nach dem anstrengenden Tag wurde selbstverständlich ein gemütliches gemeinsames Abendessen geboten, an dem 80 Tagungsgäste teilnahmen.
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