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Arzneimittel und Therapie
Rückfall-Schutz durch Antipsychotika
Rund 1% der Weltbevölkerung erleidet im Laufe des Lebens eine schizophrene Episode. Zu ihrer Behandlung stehen Antipsychotika der ersten (z. B. Haloperidol, Fluphenazin) und der zweiten Generation, die so genannten atypischen Neuroleptika (z. B. Quetiapin, Ziprasidon) zur Verfügung. Doch die Therapie ist kostenintensiv: 2010 wurden weltweit 18,5 Milliarden US-Dollar dafür ausgegeben. Noch teurer wird es allerdings dann, wenn ein Schizophrenie-Patient nach der Remission nicht weiter behandelt wird, einen Rückfall erleidet und ins Krankenhaus eingeliefert werden muss. Zwar sind antipsychotische Wirkstoffe zur Rezidivprophylaxe schizophrener Episoden zugelassen; zu deren Dauer sowie zum Nutzen-Risiko-Verhältnis sind die Erkenntnisse aus bisherigen Reviews nach Expertenansicht jedoch noch nicht ausreichend.
Review über mehr als 50 Jahre
Die Ergebnisse einer groß angelegten Metaanalyse, die von Wissenschaftlern der TU München mit finanzieller Unterstützung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) durchgeführt worden war, sprechen für eine bis zu zweijährige Behandlung von Schizophreniepatienten mit Antipsychotika, um das Rückfallrisiko zu senken. Dabei ist es unerheblich, ob die Betroffenen mehrere oder nur eine einmalige Krankheitsepisode hatten. Unterschiede zwischen Neuroleptika der ersten und zweiten Generation wurden nicht beobachtet. Es fand sich auch kein Unterschied zwischen abrupter oder ausschleichender Beendigung der Behandlung.
Ausgewertet wurden Daten von 6493 Patienten aus 65 Studien des Zeitraums 1959 bis 2011. Ihr mittleres Alter betrug 40,8 Jahre, die mittlere Krankheitsdauer 13,6 Jahre. Primärer Endpunkt war ein Rezidiv im Zeitraum zwischen sieben und zwölf Monaten nach einer schizophrenen Episode. Bezogen auf ein Jahr erlitten 27% der mit Antipsychotika Behandelten einen Rückfall, unter Placebo dagegen 64% (relative Risikoreduktion RR 0,40, 95% CI 0,33-0,49). Zu Klinikeinweisungen kam es unter einer Medikation seltener als unter Placebo (10% vs. 26%, RR 0,38, 95% CI 0,27-0,55). Hinweise, wenn auch in begrenztem Umfang, gab es außerdem darauf, dass die Lebensqualität der Patienten unter Antipsychotika anstieg und ihre Aggressivität nachließ.
Weniger Rückfälle, aber stärkere Nebenwirkungen
Eine Behandlung mit Antipsychotika ist mit nicht unerheblichen Nebenwirkungen verbunden. Während bei Wirkstoffen der ersten Generation vor allem Bewegungsstörungen auftreten, stehen bei denen der zweiten Generation Gewichtszunahmen im Vordergrund. Diese unerwünschten Wirkungen zeigten sich auch in den ausgewerteten Studien: Gewichtszunahme trat unter Antipsychotika bei 10% versus 6% unter Placebo auf (RR 2,07, 95% CI 2,31 bis 3,25). Außerdem kam es unter der Medikation häufiger als unter Placebo zu Bewegungsstörungen (16% vs. 9%, RR 1,55, 95% CI 1,25 bis 1,93) und Benommenheit (13% vs. 9%, RR 1,50, 95% CI 1,22 bis 1,84). Depotpräparate (i.m.) schützten wirksamer vor einem Rückfall als orale Medikamente, wobei Haloperidol und Fluphenazin die größten Effekte hatten. In den unverblindeten Studien waren die Effekte stärker ausgeprägt als in den verblindeten, und der Unterschied zwischen Medikation und Placebo verringerte sich mit der Studiendauer.
Offene Fragen bleiben
Nach Ansicht von Kommentatoren der Studie sowie auch der Autoren selbst rechtfertigen die Ergebnisse des Reviews jedoch nicht den kritiklosen Langzeiteinsatz von Antipsychotika bei Schizophrenie-Patienten. Denn abgesehen von den starken Nebenwirkungen der Substanzen gibt es noch nicht genügend Erkenntnisse zur Morbidität und Mortalität nach längerfristiger Gabe. Außerdem ist unklar, zu welchen Veränderungen im dopaminergen System, dem Hauptangriffspunkt der Antipsychotika, die Langzeitgabe führt. Außerdem ist beispielsweise noch nicht genügend erforscht, weshalb viele Patienten einen Rückfall erleiden, obwohl sie ihre Medikamente regelmäßig einnehmen. Zudem müsste das Augenmerk nicht nur auf die psychotischen Symptome, sondern auch auf Komorbiditäten wie kognitive Veränderungen oder Antriebsstörungen gerichtet werden, so die Kommentatoren. Die Autoren regen an, den Fokus zukünftiger Studien außerdem stärker darauf zu richten, wie eine medikamentöse Therapie die sozialen Fähigkeiten der Patienten verbessert.
Quelle
Apothekerin Dr. Claudia Bruhn
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