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Pharmakovigilanz
Lebererkrankungen durch Phytopharmaka?
Die Leber stellt das Zentralorgan für den endogenen Stoffwechsel und die Verarbeitung der exogen aus dem Magen-Darmtrakt aufgenommenen Substanzen dar. Es ist daher verständlich, dass dieses Organ für mehrere hundert Krankheiten prädisponiert ist und dadurch die Aufgabe des Arztes erschwert, bei Verdacht auf eine Lebererkrankung die richtige Ursache zu erkennen. Teilweise verlaufen Lebererkrankungen ohne Symptome und werden erst im Rahmen einer allgemeinen Untersuchung anhand erhöhter Leberwerte als Zufallsbefund erkannt. Häufig finden sich aber schon frühzeitig Allgemeinsymptome, die nicht selten als harmloser grippaler Infekt fehlgedeutet werden. Abgeschlagenheit, Appetitlosigkeit, Gewichtsabnahme und Oberbauchbeschwerden sind weitere Symptome, später kann auch Dunkelfärbung des Urins, Entfärbung des Stuhls, Hautjucken und eine Gelbsucht hinzukommen.
In der Frühphase der unerkannten Lebererkrankung mit unspezifischen Symptomen greifen die betroffenen Menschen gerne zu Phytopharmaka, um die Beschwerden zu lindern. Mit dem Auftreten des Vollbildes und der Diagnosestellung als Lebererkrankung werden dann nicht selten die eingenommenen pflanzlichen Mittel als Auslöser angesehen, zumal die Symptomatik bei Lebererkrankungen sehr ähnlich ist. Das Erkennen oder Ausschließen einer toxischen Lebererkrankung erfordert eine rasche und kompetente Kausalitätsbeurteilung des Falles.
Die jetzige Arbeit befasst sich mit möglichen Lebererkrankungen durch Phytopharmaka und der regulatorischen Kausalitätsbeurteilung anhand der leberunspezifischen und nicht validierten WHO-Skala, deren Anwendung in den Mittelpunkt der Kritik geraten ist [1 – 4].
Pflanzliche Arzneimittel mit möglichen und seltenen Leberschäden
Für den Arzt und Apotheker gilt es bei einer Meldung zunächst abzuschätzen, ob es für das eingenommene pflanzliche Arzneimittel in der Beipackinformation oder in der Literatur Hinweise auf eine potenzielle Leberschädigung gibt und wie hoch der Kausalitätsgrad ist. Ein positiver Reexpositionstest, also ein Anstieg der Leberwerte bei erneuter Einnahme des primär angeschuldigten Präparats, beseitigt Zweifel an der Existenz einer medikamententoxischen Leberschädigung (Tab. 1) [5].
Wichtig sind für den ersten Überblick auch detaillierte Fallberichte oder Fallsammlungen, bei denen meist jedoch eine genaue Kausalitätsprüfung unterblieben ist [5]. Daher sind solche Fälle nur mit Zurückhaltung als Beleg einer Kausalität anzusehen. In Anbetracht der zahlreichen Unsicherheiten ist für jeden einzelnen betroffenen Patienten eine individuelle Kausalitätsprüfung unerlässlich.
Tab. 1: Reexpositionstest-Ergebnisse bei primär vermuteten Leberschäden durch einzelne pflanzliche Mittel und Mixturen [5] | ||
Pflanzliche Mittel und Mixturen |
Positiver Reexpositions- test |
Sehr wahrscheinliche oder wahrscheinliche Kausalität |
|
Nein |
Nein |
|
Nein |
Ja |
|
Nein |
Nein |
|
Ja |
Ja |
|
Ja |
Ja |
|
Ja |
Ja |
|
Ja |
Ja |
|
Ja |
Ja |
|
Ja |
Ja |
|
Ja |
Ja |
|
Ja |
Ja |
|
Ja |
Ja |
|
Ja |
Ja |
|
Ja |
Ja |
Regulatorische Datenerfassung und …
Die Kausalitätsbewertung beginnt beim behandelnden Arzt, bei einem vermuteten Zusammenhang sollte er das Berichtsformular ausgefüllt weiterleiten. Dieses ist allerdings sehr allgemein gehalten und nicht spezifisch genug auf Verdachtsfälle von toxischen Lebererkrankungen mit ihren speziellen Fragestellungen und klinischen Besonderheiten ausgerichtet [5]. Somit ist und bleibt die regulatorische Datenlage spärlich, sofern nicht aktiv weitere Daten nachgefordert werden.
… das Problem der Transparenz
Dies ist dann aber die Basis, auf der Statements zu Lebererkrankungen durch Phytopharmaka auch mit letztendlich fragwürdiger Kausalität publiziert und regulatorische Konsequenzen gezogen werden [1, 6, 7]. Spätestens zu diesem Zeitpunkt ist regulatorische Transparenz durch Bereitstellung von anonymisierten Falldaten an interessierte und anfragende Wissenschaftler für weiterführende Analysen unabdingbar. Wird eine solche regulatorische Bereitstellung vollständig oder partiell verweigert, kann der Vorwurf der regulatorischen Verschleierung aufkommen [8 – 15]. Immer hilfreich waren in dieser Situation angefragte Pharmafirmen, die wissenschaftliche Analysen unsererseits durch deren Daten ermöglichten [12, 14, 15].
Dem Gebot der Transparenz auch bei regulatorisch relevanten Entscheidungen ist erfreulicherweise vereinzelt durchaus auch Folge geleistet worden [14, 16, 17]. Dies galt z. B. international für die amerikanische USP (United States Pharmacopeia) bei Verdachtsmeldungen zu Actaea cimicifuga [16], national für das BfArM (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte) bezüglich Schöllkraut [17] und für die AkdÄ (Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft) betreffend Pelargonium sidoides [14]. Im Falle von Pelargonium sidoides wurde allerdings unerwartet und wohl wegen der desolaten Datenqualität der angesprochenen regulatorischen Verdachtsmeldungen der Abdruck wissenschaftlich-kritischer Leserbriefe als eingereichte Stellungnahmen verweigert [5], die sich auf eine vorangegangene Veröffentlichung der AkdÄ bezogen [6]; und auch mit dem BfArM gab es Probleme [5, 14, 15]. Anfragen an das BfArM unsererseits auf Einsicht der Pelargonium-sidoides- Falldaten in anonymisierter Form wurden schleppend beantwortet und schließlich mit dem inakzeptablen Hinweis beschieden, die Daten könnten nur bei Zahlung eines bestimmten Betrags herausgesucht und bereitgestellt werden. Allerdings wurden später Daten einzelner zusätzlicher Meldungen vom BfArM spontan und kostenlos übermittelt [15]. Diese Beispiele zeigen die allgemeinen Schwierigkeiten, dem Gebot der regulatorischen Transparenz nachzukommen, belegen aber nicht, warum die Datenbereitstellung von Nachteil sein soll.
Dilemma Qualität versus Quantität
Unter Aspekten der Pharmakovigilanz sind regulatorische Verdachtsmeldungen nur dann wertvoll, wenn deren Kausalität einwandfrei gesichert wurde [18 – 21]. So nahm die EMA (European Medicines Agency) bei initial 31 spontanen Verdachtsmeldungen aus der EU letztendlich nur in einem einzigen Verdachtsfall eine "mögliche" Kausalität bezüglich Actaea cimicifuga an [18]. Auch bei 30 Verdachtsmeldungen betreffend Pelargonium sidoides [1– 6] konnte eine Kausalität letztendlich nicht etabliert werden [3, 5, 14, 15]. Da auch aufgrund mangelnder Daten Kausalität oft schwer belegt werden kann, wird regulatorischerseits die Qualität der Kausalitätsbewertung zugunsten der Quantität von Meldungen vernachlässigt, d. h. das reine Zusammenzählen von Meldungen erscheint regulatorisch wichtiger als deren qualifizierte Analyse [3 – 5, 14, 15, 19 – 21].
Anerkannte leberspezifische und validierte Kausalitätsbewertung
Bei Verdacht auf eine toxische Lebererkrankung durch die Einnahme eines pflanzlichen Mittels erfolgt die Kausalitätserfassung idealerweise nicht mittels der WHO-Skala [22] oder der Naranjo-Skala [23], sondern eines diagnostischen Algorithmus, der leberspezifisch und für Lebertoxizität validiert ist und strukturiert und quantitativ die Daten beurteilt (Tab. 2) [3 – 5, 19, 24 – 26].
Tab. 2: Methoden der Kausalitätsevaluierung [5, 19, 22 – 26]. | |||||
Methoden |
Kriterien |
||||
struk- turiert |
quali- tativ |
quanti- tativ |
leber- spezifisch |
leber- validiert |
|
WHO-Skala |
Ja |
Ja |
Nein |
Nein |
Nein |
Naranjo-Skala |
Ja |
Nein |
Ja |
Nein |
Nein |
CIOMS-Skala |
Ja |
Nein |
Ja |
Ja |
Ja |
Alle diese Kriterien werden von der Skala des CIOMS (Council for International Organizations of Medical Sciences, auch RUCAM-Skala genannt) erfüllt [24 – 26], die weltweit angewandt wird [19, 24] und auch von der EMA benutzt wurde [18]. Die erhobenen Daten können transparent dargestellt, veröffentlicht und diskutiert werden [12 – 19]. Das Ausfüllen des Fragebogens dauert nur wenige Minuten, die detaillierten Fragen können verschiedenen Publikationen entnommen werden [24 – 26]. Die Vorteile gegenüber der WHO-Skala sind unübersehbar [22 – 26]. Weitere Informationen bieten die detaillierten Darstellungen der Skalen von WHO (s. Kasten) [22, 24, 27] und CIOMS (Tab. 3 und 4) [24 – 26].
Kriterien der WHO-Skala1. Sichere Kausalität Ein klinisches Ereignis, einschließlich eines pathologischen Labortests, das in einem plausiblen zeitlichen Zusammenhang zur Anwendung eines Arzneimittels aufgetreten ist und das nicht durch eine gleichzeitig bestehende Krankheit oder andere Arzneimittel oder Chemikalien erklärt werden kann. Die Reaktion auf das Absetzen des Arzneimittels sollte klinisch plausibel sein. Das Ereignis muss pharmakologisch oder phänomenologisch eindeutig sein, unter Anwendung eines befriedigenden Reexpositionstests falls notwendig.
2. Wahrscheinliche Kausalität Ein klinisches Ereignis, einschließlich eines pathologischen Labortests, das in einem nachvollziehbaren zeitlichen Zusammenhang zur Anwendung eines Arzneimittels steht und das nicht durch eine gleichzeitig bestehende Krankheit oder andere Arzneimittel oder Chemikalien erklärt werden kann. Dem Ereignis sollte eine klinisch nachvollziehbare Antwort auf das Absetzen folgen. Eine Information über eine Reexposition ist kein notwendiges Kriterium.
3. Mögliche Kausalität Ein klinisches Ereignis, einschließlich eines pathologischen Labortests, das in einem nachvollziehbaren zeitlichen Zusammenhang zur Anwendung eines Arzneimittels steht, das aber auch durch eine gleichzeitig bestehende Krankheit oder andere Arzneimittel oder Chemikalien erklärt werden kann. Information zum Verlauf nach Absetzen kann fehlen oder unklar sein. 4. Unwahrscheinliche Kausalität Ein klinisches Ereignis, einschließlich eines pathologischen Labortests, mit einem zeitlichen Zusammenhang zur Anwendung eines Arzneimittels, der eine kausale Beziehung unmöglich macht, wobei andere Arzneimittel oder Chemikalien oder gleichzeitige Krankheiten plausible Erklärungen liefern. 5. Nicht klassifizierte Kausalität Ein klinisches Ereignis, einschließlich eines pathologischen Laborwerts, das als unerwünschte Reaktion gemeldet wurde, bei der mehr Daten für eine angemessene Beurteilung notwendig sind oder weitere Daten in der Überprüfung sind.
6. Nicht bewertbare Kausalität Ein Bericht, der eine unerwünschte Reaktion vorschlägt, die nicht beurteilt werden kann, da die Information unzureichend oder widersprüchlich ist, und die nicht ergänzt oder verifiziert werden kann. Zusammenstellung der Details aus verschiedenen Publikationen [22, 24, 27] |
Tab. 3: Essenzielle Daten für die Kausalitätsbewertung durch die WHO-Skala und die CIOMS-Skala im Vergleich. Latenzperiode bezieht sich auf die Zeit von Behandlungsbeginn bis zum Auftreten von Symptomen, alternativ bis zur Erfassung erhöhter Leberwerte. Zusammenstellung aus verschiedenen Publikationen [5, 19, 22, 24 – 26]. | ||
Details der Methoden |
WHO- Skala |
CIOMS- Skala |
genauer Zeitrahmen der Latenzperiode |
Nein |
Ja |
detaillierter Zeitrahmen der Einnahme |
Nein |
Ja |
genauer Zeitrahmen des Absetzens |
Nein |
Ja |
erneuter Anstieg von GPT oder AP |
Nein |
Ja |
Definition von Risikofaktoren |
Nein |
Ja |
Details zum Ausschluss alternativer Diagnosen |
Nein |
Ja |
Beurteilung von HAV, HBV, HCV |
Nein |
Ja |
Beurteilung von CMV, EBV, HSV, VZV |
Nein |
Ja |
Bildgebung von Leber und Gallenwegen |
Nein |
Ja |
Farbdopplersonographie der Lebergefäße |
Nein |
Ja |
Punktzahl für vorbestehende Erkrankungen |
Nein |
Ja |
Erfassung einer herzbedingten Leberkrankheit |
Nein |
Ja |
individuelle Punktzahl für alternative Diagnosen |
Nein |
Ja |
qualifizierte Punktzahl für einzelne Comedikation |
Nein |
Ja |
Punktzahl für bekannte frühere Leberschädigung |
Nein |
Ja |
Definition einer unbeabsichtigten Reexposition |
Nein |
Ja |
qualifizierte Punktzahl für Reexposition |
Nein |
Ja |
Laborkriterien für toxische Lebererkrankung |
Nein |
Ja |
Laborkriterien für Schädigungstyp |
Nein |
Ja |
leberspezifische Methode |
Nein |
Ja |
strukturierte, leberspezifische Methode |
Nein |
Ja |
quantitative, leberspezifische Methode |
Nein |
Ja |
validierte Methode für toxische Lebererkrankung |
Nein |
Ja |
Tab. 4: CIOMS-Skala für hepatozelluläre Schädigung. | ||
Kriterien |
Mögliche Punktzahl |
Punkte für Patienten |
1. Latenzzeit bis Auftreten der Reaktion | ||
|
+2
+1
|
................... ................... |
2. Auftreten der Reaktion nach Therapieende | ||
|
+1 |
................... |
3. Verlauf GPT nach Therapieende
Differenz zwischen höchster GPT und Wert der oberen Normgrenze | ||
|
+3
+2
0
0
-2
|
...................
...................
...................
...................
...................
|
4. Risikofaktor Alkohol | ||
|
+1
0
|
...................
...................
|
5. Risikofaktor Alter | ||
|
+1
0
|
...................
...................
|
6. Comedikation | ||
|
0
0
-1
-2
-3
|
...................
...................
...................
...................
...................
|
7. Suche nach Arzneimittel-unabhängigen Ursachen Gruppe I | ||
|
||
Gruppe II | ||
|
||
Auswertung von Gruppe I und II | ||
|
+2
+1
0
-2
-3
|
...................
...................
...................
...................
...................
|
8. Frühere Information über Hepatotoxizität des Arzneimittels | ||
|
+2
+1
0
|
...................
...................
...................
|
9. Resultate einer (ungewollten) Reexposition | ||
|
+3
+1
-2
0
|
...................
...................
...................
...................
|
Gesamtpunkte des Patienten |
................... |
|
Gesamtpunkte/Kausalität: < 1/ausgeschlossen; 1-2/nicht wahrscheinlich; 3-5/möglich; 6-8/wahrscheinlich; > 8/sehr wahrscheinlich. Details zur Definition der hepatozellulären Schädigung der Leber und der angewandten modifizierten CIOMS-Skala wurden früher publiziert [26]. Abkürzungen: GOT: Glutamat-Oxalacetat-Transaminase; GPT: Glutamat-Pyruvat-Transaminase; HAV: Hepatitis-A-Virus; HBc: Hepatitis B core; HBV: Hepatitis-B-Virus; HCV: Hepatitis-C-Virus; Ig: Immunglobulin; PCR: Polymerase Chain Reaction. |
Inakzeptable Methoden der Kausalitätsbeurteilung
Vereinzelt wird leider immer noch die Naranjo-Skala oder die WHO-Skala angewandt. Sie sind für die Bewertung toxischer Lebererkrankungen international heftig umstritten, da sie nicht leberspezifisch ausgerichtet und daher nicht für Lebertoxizität validiert sind (Tab. 2) [24]. Zudem ist interessanterweise die WHO-Skala selbst für allgemeine unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAWs) nicht validiert, auch fehlt ihr ein quantitativer Ansatz der Evaluierung [22]. Somit ist die Aussagekraft dieser Methode wissenschaftlich nicht haltbar und regulatorisch zu bezweifeln [2 – 5]. Vorteile der WHO- Skala im Vergleich zur CIOMS-Skala sind nicht zu erkennen (Tab. 3) [3, 24], auch wenn das BfArM dies anders sieht [2, 4].
Regulatorische Kausalitätsevaluierung ohne Validierung
Das BfArM hält bei toxischen Lebererkrankungen eine Kausalitätsbewertung nach WHO für adäquat [2, 4], trotz der bekannten Unzulänglichkeiten (Tab. 2 und 3). Es steht damit im Widerspruch zur allgemein gültigen wissenschaftlichen Meinung und zu der Forderung, eine leberspezifische und für die toxische Lebererkrankung validierte Methode wie die CIOMS-Skala anzuwenden [24]. Das BfArM kritisiert diese Skala mit dem Hinweis, dass für die Bewertung anhand dieses Summenscores sehr detaillierte Informationen erforderlich sind [2]. Neben der Abklärung aller Differenzialdiagnosen und Störfaktoren wie Comedikation seien Informationen zum zeitlichen Zusammenhang zwischen der Arzneimitteleinnahme und dem Auftreten der Lebererkrankung, zu dem Zeitverlauf der Leberwerte, zu Reexposition etc. notwendig. In praxi enthalte die Mehrheit der Spontanberichte nicht diese detaillierten Informationen und sei von schlechter Qualität. Das BfArM beschreibt somit klar das Dilemma der derzeitigen Meldepraxis und der Versuche regulatorischer Evaluierungen.
Lebererkrankungen durch Phytopharmaka sind definitionsgemäß Ausschlussdiagnosen, d. h. andere Ursachen müssen hinreichend ausgeschlossen sein. AkdÄ und BfArM haben bei ihren Pelargonium-sidoides-Verdachtsmeldungen [1, 2, 4, 6] Alternativdiagnosen jedoch ganz ignoriert [14, 15], ebenso das Problem unzureichender Ausschlusskriterien [2, 6]. So wurden bei den von uns eingehend analysierten 28 Fällen in 20 Fällen selbst eine Hepatitis A und in 19 Fällen eine Hepatitis B und eine Hepatitis C überhaupt nicht ausgeschlossen; für Infektionen durch Cytomegalie-Virus, Epstein-Barr-Virus, Herpes-simplex-Virus und Varizella-Zoster-Virus lagen die fehlenden Ergebnisse mit 25, 24, 27 und 28 Fällen noch deutlich darüber [3, 14, 15]. Kann unter diesen Bedingungen die Kausalität einer Lebererkrankung durch PS wirklich belegt werden, so wie es das BfArM und die AkdÄ mit der WHO-Skala versuchen [2, 4, 6]? Ist nicht auch die Zeit gekommen, regulatorisch das Bewertungsproblem der WHO-Skala anzugehen, die nicht einmal für allgemeine UAWs, geschweige denn für solche die Leber betreffend, validiert ist [22]? Mit der validierten CIOMS-Skala ergaben sich jedenfalls in keinem der analysierten 28 Fälle Hinweise für einen Kausalzusammenhang zwischen Lebererkrankung und Pelargonium sidoides [14, 15].
Insgesamt lässt nicht nur das Verfahren der Kausalitätsevaluierung durch das BfArM zu wünschen übrig, auch die fehlende Präsentation der Resultate ist kritisch anzumerken [1, 2]. So werden Kausalitätsgrade für verschiedene Verdachtsmeldungen nicht dezidiert angegeben, was zu Spekulationen einlädt [3, 4]. Allerdings präsentiert die AkdÄ für einzelne Fälle individuelle Kausalitätsgrade auf der Grundlage der WHO-Skala, wobei jedoch niemals eine wahrscheinliche oder sehr wahrscheinliche Kausalität erreicht wurde; für zwei Fälle wurde eine mögliche/wahrscheinliche Kausalität beschrieben [14]. Diese Zwischengraduierung ist nach WHO allerdings nicht vorgesehen [22].
Die vom BfArM beklagte schlechte Dokumentation der Pelargonium-sidoides -Fälle [2] bestätigt unsere Einschätzung [14, 15]. Sie darf aber nicht dazu führen, dass diesem Problem eine unzureichende Kausalitätsevaluierung hinzugefügt wird, wie dies durch die Anwendung der WHO-Skala geschieht (s. Kasten, Tab. 2 und 3). Die Kombination zweier Probleme führte unweigerlich zum dritten Problem von nicht nachvollziehbaren Ergebnissen, dass die so generierten regulatorischen Kausalitäten und Konsequenzen nun im Zentrum der wissenschaftlichen Kritik stehen [2 – 4]. Regulatorisches Krisenmanagement war und ist auch in Zukunft gefragt!
Perspektiven
Künftige Kausalitätsbewertungen sollten leberspezifisch und mit validierten Skalen erfolgen [24 – 26] und auf der Analyse von ausgewiesenen Leberspezialisten mit klinischer Erfahrung bei der Diagnostik und Behandlung von Lebererkrankungen basieren [5, 19, 21]. Dabei ist ein Höchstmaß an Transparenz zu gewährleisten. Zur Verbesserung der Datenqualität sind vorab regulatorische Maßnahmen unerlässlich, die auch die Etablierung eines leberspezifischen Meldeformulars und das Ausfüllen des CIOMS-Fragebogens durch den meldenden Arzt vorsehen [5, 19].
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Autoren
Priv-Doz. Dr. Axel Eickhoff, Prof. Dr. Rolf Teschke, Dr. Jutta Herzog,
Medizinische Klinik II, Klinikum Hanau,
Akademisches Lehrkrankenhaus der
Medizinischen Fakultät der
Goethe Universität Frankfurt/ Main
Dr. Christian Frenzel,
1. Medizinische Klinik und Poliklinik,
Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
Dr. Dr. Albrecht Wolff,
Klinik für Innere Medizin II, Abteilung Gastroenterologie,
Hepatologie, Infektiologie,
Friedrich Schiller Universität Jena
Dr. Xaver Glass, Prof. Dr. Johannes Schulze,
Dekanat der Medizinischen Fakultät der
Goethe Universität Frankfurt/ Main
Korrespondierender Autor:
Professor Dr. Rolf Teschke,
Medizinische Klinik II, Klinikum Hanau,
Leimenstraße 20, 63450 Hanau
E-Mail: rolf.teschke@gmx.de
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