- DAZ.online
- DAZ / AZ
- DAZ 29/2012
- Methylphenidat bei ...
Arzneimittel und Therapie
Methylphenidat bei Parkinson
Hilfe für Patienten in fortgeschrittenem Stadium?
Morbus Parkinson betrifft in Deutschland bis zu 300.000 Patienten. Beim idiopathischen Parkinson-Syndrom, dem die überwiegende Mehrheit der Fälle zuzuordnen ist, finden sich Symptome erst nach dem 50. Lebensjahr. Sie fallen meist erst bei einem organischen Verlust von ca. 60% der dopaminergen Zellen in der Substantia nigra auf und beginnen oft mild und einseitig. Mit individuell sehr unterschiedlicher Geschwindigkeit nehmen sie dann über die Jahre zu.
Gerade bei Parkinson im fortgeschrittenen Stadium sind die Therapieoptionen jedoch recht begrenzt. Nach teilweise jahrelanger Dosissteigerung der typischen Dopamin-Substitutionstherapie mit zunächst Dopaminagonisten, dann mit L-Dopa, evtl. noch kombiniert mit den MAO-B-Hemmern Selegilin und Rasagilin, kommt es im Therapieverlauf früher oder später zum sogenannten ‚ceiling effect‘. Weitere Dosissteigerungen sind nun nicht mehr möglich, die Nebenwirkungen der Medikamente treten in den Vordergrund. Fluktuationen zwischen Phasen mit guter Beweglichkeit (on) und Phasen mit schlechter Beweglichkeit (off) nehmen mit abnehmendem L-Dopa Blutspiegel zum Dosisende hin stark zu ("end of dose effect"). Das Gleiche gilt für das plötzliche Versteifen oder Einfrieren beim Laufen ("freezing of gait") oder auch bei anderen Bewegungen. Einhergehend mit den ohnehin belastenden Folgen wie z. B. Standunsicherheit, Tremor, Sprachschwierigkeiten, Nackenschmerzen durch Spastik, Mimik-, Motorik- und Geruchsverlust sinkt die Lebensqualität oft auf ein Minimum, der Patient ist zunehmend auf fremde Hilfe angewiesen und wird zum Pflegefall.
In der Praxis sucht man daher dringend nach Möglichkeiten zur Behandlung dieser "austherapierten" Parkinson-Patienten. In auf Parkinson spezialisierten neurologischen Stationen versucht man diesen Patienten dann noch zu helfen.
Tiefe Hirnstimulation
Sofern die Patienten noch auf L-Dopa ansprechen (L-Dopa-Test) gibt es zur Verringerung der "off-Phasen" die Möglichkeit der Implantation von stimulierenden Elektroden (auch "Hirnschrittmacher" genannt), die sogenannte Tiefe Hirnstimulation (DBS, deep brain stimulation). Je nach vorherrschender Symptomatik werden die Elektroden in verschiedene Hirnbereiche, meist aber in den Subthalamus implantiert. Mittels dauerhafter elektrischer Impulse bessern sich speziell die motorischen Symptome in aller Regel zunächst wieder, Off-Phasen verringern sich um ca. 50%, Dyskinesien um durchschnittlich bis zu 70%. Nach einer Phase der Besserung nehmen die Symptome dann mit fortschreitender Krankheit wieder zu, bis dann die Therapiemöglichkeiten letztendlich nicht mehr mithalten können. Das Risiko für einen bleibenden Schaden durch die Operation ist zwar mit ca. 1% gering, Nebenwirkungen der tiefen Hirnstimulation sind aber häufig, es kann z. B. zu einer starken Antriebssteigerung bis hin zu manischem Verhalten kommen. Die Schwere der Parkinson-Krankheit wird zur Beurteilung des Krankheits- und Therapieverlaufes nach sogenannten Hoehn-und-Yahr-Stadien von 1 (leicht, einseitig) bis 5 (bettlägerig) eingestuft, ein genaueres Messsystem zur Beurteilung der Patienten ist der Unified Parkinson Disease Rating Scale (UPDRS 1 – 199 Punkte), welcher wiederum in seinem dritten Abschnitt die motorischen Fähigkeiten testet.
Versuche mit Methylphenidat
Im Lancet Neurology wurde jüngst eine Multicenter-Studie zur hochdosierten Gabe von Methylphenidat bei Patienten mit fortgeschrittenem Parkinson zusätzlich zur Standardmedikation und zusätzlich zu einer bereits erfolgten tiefen Hirnstimulation veröffentlicht. Diese Studie basiert auf den bereits 2007 von Devos et al. beobachteten positiven Effekten von Methylphenidat, die damals in einer einfachen Beobachtungsstudie an 17 Patienten beschrieben wurden. Methylphenidat hemmt die präsynaptische Wiederaufnahme von Dopamin, Noradrenalin und anderen Transmittern und führt so zu einer verstärkten Neurotransmitter-Wirkung im synaptischen Spalt.
Die neue Studie von Moreau et al. ist nun eine Placebo-kontrollierte Doppelblindstudie, die den modernen statistischen Anforderungen entspricht. Gemessen wurde als primärer Endpunkt eine Änderung im sogenannten "Stand-Walk-Sit-Test". Die Messung erfolgte morgens nach dem Aufstehen und somit zu einer Zeit, in der keine L-Dopa-Wirkung mehr zu vermuten war. Dopaminagonisten wurden ebenfalls 24 Stunden vor dem Test abgesetzt. Eine erneute Messung wurde eine Stunde später bei voller Levo-Dopa-Wirkung vorgenommen. Die 33 Patienten in der Verum-Gruppe wiesen unter diesen Bedingungen eine statistisch signifikante Verbesserung in bestimmten motorischen Fähigkeiten gegenüber den 32 Patienten in der Placebo-Gruppe auf. Besonders das Freezing besserte sich bei den Patienten der Verumgruppe. Die entsprechenden Episoden traten unter Methylphenidat und ohne L-Dopa nur noch in 67% statt in 88% der Fälle auf, unter L-Dopa auch nur noch in 61% statt in 68% der Fälle. Sie waren somit wesentlich seltener. Die Tagesmüdigkeit besserte sich erwartungsgemäß deutlich, apathisches Verhalten wurde seltener beobachtet. Teil 3 der für die Verlaufsbeobachtung bei Parkinson-Patienten herangezogenen UPDRS, in dem wie erwähnt die motorischen Fähigkeiten erfasst werden, verbesserte sich um 3 Punkte. Verbessert war auch die Aktivität am Tage.
Nebenwirkungen des Methylphenidats waren wie vermutet ein Anstieg der Herzfrequenz und eine Gewichtsabnahme sowie bei jedem dritten Patienten Übelkeit, Erbrechen oder Gastritis. Die Studie wurde nur über 90 Tage durchgeführt. Zudem war die Teilnehmerzahl mit insgesamt 65 Patienten ziemlich klein. Damit bleiben unter anderem Fragen zur Sicherheit einer Methylphenidat-Langzeittherapie offen (s. a. DAZ-Interview auf der nächsten Seite). Dass einige der Besserungen vorwiegend in der "Off-L-Dopa-Phase" gemessen wurden, ist ebenfalls eine mögliche Einschränkung, da man diesen Zustand bei einer Standardtherapie möglichst zu minimieren versucht.
Quelle
Apotheker Olaf Rose, PharmD
DAZ-Interview
"Keine Basis für generellen Methylphenidat-Einsatz"
Weil die Therapiemöglichkeiten im fortgeschrittenen Parkinson-Stadium sehr begrenzt und der Leidensdruck hoch ist, wird händeringend nach Alternativen gesucht. Ob Methylphenidat eine geeignete Option ist, darüber haben wir mit dem Neurologen PD Dr. Tobias Warnecke gesprochen. PD Dr. Warnecke ist Facharzt für Neurologie und Leiter der Ambulanz für Parkinson-Syndrome am Universitätsklinikum Münster.
DAZ: Herr Doktor Warnecke, wie ist die Studie von Moreau et al. einzuordnen?
Warnecke: In der Studie von Caroline Moreau und Mitarbeitern wurden Parkinson-Patienten im fortgeschrittenen Stadium untersucht, die an einer schweren Gangstörung und Freezing ("Einfrieren") litten. Beim Freezing kommt es zu einer plötzlichen Unterbrechung der Fortbewegung. Die Betroffenen verharren starr in der gerade eingenommenen Körperposition. Freezing tritt am häufigsten beim Gehen auf und kann zu Stürzen mit schweren Verletzungen führen. Die derzeit zum Einsatz kommenden therapeutischen Strategien umfassen eine Optimierung der medikamentösen, also dopaminergen Behandlung, Physiotherapie sowie bestimmte Hilfsmittel, wie den Anti-Freezing-Stock. Häufig sind die dadurch zu erzielenden Verbesserungen klinisch allerdings unbefriedigend. Leider lassen sich Gangstörungen und insbesondere das Freezing auch mit der tiefen Hirnstimulation, die im fortgeschrittenen Krankheitsstadium eine sehr effektive Therapie darstellt und auch bei allen eingeschlossenen Studienpatienten zum Einsatz kam, oft nur unzureichend beeinflussen.
DAZ: Haben die neuen Studienergebnisse zu Methylphenidat bei den Neurologen in Deutschland bereits ein Echo gefunden?
Warnecke: Die Studienergebnisse werden unter Neurologen und bei uns im Team bereits diskutiert. Ein besonderes Interesse gilt der Frage, weshalb in der aktuellen Studie ein positiver Therapieeffekt nachweisbar war, wohingegen eine im letzten Jahr publizierte Placebo-kontrollierte, doppelblinde Studie keine Gangverbesserung unter Methylphenidat finden konnte. In dieser Studie, die von Alberto J. Espay und Mitarbeitern durchgeführt wurde, fand sich sogar ein Trend hin zu einer Verschlechterung von motorischen Funktionen und Lebensqualität unter Methylphenidat. Allerdings sind hier keine Parkinson-Patienten mit tiefer Hirnstimulation untersucht worden.
DAZ: Mit Methylphenidat soll zusätzliches Dopamin freigesetzt werden. Ist dieser Ansatz theoretisch sinnvoll?
Warnecke: Im Unterschied zu anderen Parkinson-Medikamenten erhöht Methylphenidat nicht nur den Dopaminspiegel im Striatum, sondern auch die Norepinephrinkonzentration. Da angenommen wird, dass das Freezing insbesondere durch die Parkinson-bedingte Degeneration des Locus coeruleus und dem daraus resultierenden noradrenergen Defizit resultiert, ist Methylphenidat aus biochemisch-theoretischer Sicht ein geeigneter Wirkstoff.
DAZ: Wie bewerten Sie die Studie insgesamt?
Warnecke: In der Studie wurde die Wirkung des Methylphenidats bei einem ganz spezifischen Patientenkollektiv untersucht, nämlich Parkinson-Patienten im fortgeschrittenen Stadium, die bereits mit einer tiefen Hirnstimulation des Nucl. subthalamicus behandelt wurden. Die Patientenzahl ist dementsprechend relativ klein und der Beobachtungszeitraum mit drei Monaten kurz. Daher sind keine Aussagen zur generellen und langfristigen Wirkung von Methylphenidat im fortgeschrittenen Stadium der Parkinson-Krankheit möglich.
DAZ: Der UPDRS-Score in der Off-Levodopa-Gruppe sinkt unter Methylphenidat von 27 auf 24, was gegenüber der Placebo-Gruppe signifikant ist. Ist diese Verbesserung klinisch überhaupt relevant?
Warnecke: Diese Reduktion entspricht einem milden klinischen Effekt und zeigt, dass Methylphenidat auch eine dopaminerge Wirkung besitzt. Entscheidender für die Bewertung der Studienergebnisse ist aber die Verringerung der Schrittzahl sowie die Abnahme von Freezing-Episoden unter der Therapie mit Methylphenidat, die ja wahrscheinlich auf dem noradrenergen Wirkeffekt beruht.
DAZ: Rechtfertigt eine solche kleine Studie derzeit den versuchsweisen Einsatz von Methylphenidat bei fortgeschrittenem Parkinson?
Warnecke: Aufgrund der widersprüchlichen Studienlage, wie ich sie oben beschrieben habe, ist ein genereller Einsatz von Methylphenidat bei Parkinson-Patienten im fortgeschrittenen Stadium derzeit sicher nicht gerechtfertigt. Weitere Studien sind erforderlich, um zu klären, ob eine Behandlung mit Methylphenidat auch bei Patienten ohne tiefe Hirnstimulation und/oder in früheren Krankheitsstadien zu einer Gangverbesserung und einer Reduktion von Freezing-Episoden führen kann.
DAZ: In der Studie wurde über den Zeitraum von 90 Tagen das hochdosierte Methylphenidat von den Patienten relativ gut vertragen. Kann man das Risiko einer längerfristigen Behandlung mit Methylphenidat in dieser Indikation eingehen?
Warnecke: Auch wenn noch keine Langzeitdaten für Methylphenidat bei Parkinson-Patienten vorhanden sind, weisen die klinischen Erfahrungen bei ADHS-Patienten darauf hin, dass eine langfristige Gabe relativ sicher ist. Es gilt allerdings zu bedenken, dass Parkinson-Patienten sich ja meist in einem höheren Lebensalter befinden. Hier könnte Methylphenidat möglicherweise zu einem erhöhten Risiko kardiovaskulärer Erkrankungen führen.
DAZ: Wann könnten Sie sich einen Off-label-Einsatz von Methylphenidat vorstellen?
Warnecke: Bei Parkinson-Patienten im fortgeschrittenen Stadium mit tiefer Hirnstimulation des Nucl. subthalamicus, die trotz Anwendung der herkömmlichen therapeutischen Optionen an klinisch relevanten Freezing-Episoden leiden, kann nach den Ergebnissen der hier vorgestellten Studie im Einzelfall ein Off-label-Einsatz von Methylphenidat erwogen werden.
DAZ: Herr Dr. Warnecke, vielen Dank für das Gespräch!
Interview: Olaf Rose, PharmD
0 Kommentare
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.