Fragen aus der Praxis

Estrogen-haltige Vaginalcremenach Brustkrebs

Kontraindiziert oder eine Option?

Frage


Kann eine Frau in den Wechseljahren, die Brustkrebs hatte, ein lokales Estrogen-Präparat gegen Scheidentrockenheit anwenden? Sie hat schon diverse Feuchtigkeitscremes probiert, jedoch ohne ausreichende Wirkung. In der Fachinfo von Ovestin®-, Oekolp®- und Xapro®-Creme ist eine Brustkrebsanamnese oder ein familiär erhöhtes Brustkrebsrisiko jeweils als Kontraindikation aufgeführt. Es wird aber auch darauf verwiesen, dass zur lokalen Anwendung keine Studien vorliegen. Kann zu einem Versuch geraten werden, wenn die Creme nur zweimal pro Woche angewendet wird?

Antwort gibt


Dr. Ulrike König, RAIZ der LAK Baden-Württemberg, Apotheke Schwarzwald-Baar Klinikum Villingen-Schwenningen GmbH


Estrogen-haltige Vaginaltherapeutika sind bei Scheidentrockenheit für Frauen ohne Brustkrebsanamnese Mittel der Wahl, bei und nach Brustkrebs aber kontraindiziert. Fotos: Jenapharm, MSD, Dr. Kade; Fotomontage: DAZ/ekr

Vaginale Trockenheit und Reizung ist ein häufiges Problem bei Frauen in den Wechseljahren ebenso wie bei vielen Brustkrebspatientinnen. Durch Estrogen-Mangel wird die Scheidenhaut dünn und verletzlich, man spricht von einer sogenannten vulvovaginalen Atrophie.

Ohne Brustkrebsanamnese Therapie der Wahl

Ist eine Vaginalatrophie bei postmenopausalen Frauen das einzige oder vordergründige Symptom, so ist eine niedrig dosierte vaginale Estrogen-Therapie bei Frauen ohne Brustkrebsanamnese heute die Therapie der Wahl [2]. Durch eine vaginale Estrogen-Therapie kann auch die Häufigkeit rezidivierender Harnwegsinfekte gesenkt werden [7].

Problem Mammakarzinom

Leider kann diese Empfehlung nicht auf Frauen nach einer Brustkrebserkrankung übertragen werden. In der S3-Leitlinie „Hormontherapie in der Peri- und Postmenopause“ heißt es allgemein, dass „eine Hormontherapie nach behandeltem Mammakarzinom kontraindiziert“ ist.

In der aktuellen Leitlinie „Hormonsubstitution nach Mammakarzinom“ wird konkreter auf die Behandlung der Scheidentrockenheit eingegangen. Es heißt dort: „Trockenheit der Scheide kann durch Gleitmittel wirksam therapiert werden. Eine urogenitale Atrophie kann durch lokale Estriol-Anwendung bzw. Estradiol-Vaginalringe effektiv behandelt werden, eine mögliche systemische Wirkung kann aber nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden.“

Hohe Resorptionsrate

Obwohl bei korrekter Dosierung einer Vaginalcreme die systemisch wirksame Hormonmenge gering ist, so ist die Vaginalschleimhaut generell ein gutes Resorptionsorgan für Estrogene. Verglichen mit anderen Applikationsformen ist die Absorptionsrate bei vaginaler Applikation sogar besonders hoch. So zeigten 0,5 mg vaginal verabreichtes Estradiol durch Umgehung des „First-pass-Metabolismus“  10-fach höhere Estradiol-Spitzenspiegel im Serum als nach 2 mg oral appliziertem Estradiol [15].

Es gibt darüber hinaus aber auch große Unterschiede zwischen einzelnen Präparaten.

Nach vaginaler Applikation von 1 mg Estriol wurden mittlere maximale Estriol-Serumkonzentrationen von +/-100 pg/ml (Ovestin® 1 mg Creme), 600 bis 700 pg/ml (Oekolp®-Creme) und 942 pg/ml (Xapro®-Creme) gemessen (Angaben in den Fachinformationen der jeweiligen Präparate). Die maximalen Serumkonzentrationen werden dabei nach ca. 1 bis 3 Stunden erreicht. Dies sind durchaus systemisch relevante Spiegel, die jedoch auch bei einer jeweils sehr hohen Dosierung gemessen wurden.

Gemäß der Dosierungsempfehlungen für alle drei genannten Präparate sollte 1 mg Estriol nur ausnahmsweise angewendet werden. Die Standarddosierung lautet für die ersten 3 Wochen 1 x täglich 0,5 mg Estriol mit einer nachfolgenden Erhaltungsdosis von 0,5 mg Estriol zweimal pro Woche.

Nach vaginaler Gabe von 0,5 mg Estriol wurden in entsprechenden Studien deutlich geringere Estriol-Spiegel von bis zu 100 pg/ml [7] im Serum gemessen. Eine systemische Wirkung ist aber auch in der Standarddosierung möglich. Hinzu kommt eine gewisse interindividuelle Schwankungsbreite, Unterschiede zwischen den verschiedenen Präparaten sowie eine möglicherweise höhere Resorption z. B. durch Verletzungen der Vaginalschleimhaut.

Mehr Sicherheit durch niedrige Dosierung

Die nur zweimal wöchentliche vaginale Anwendung von weniger als 25 μg Estradiol bzw. < 0,5 mg Estriol führte in einer entsprechenden Studie nicht zu einer Erhöhung des Serum-Estrogens [15]. Aus diesen und weiteren Daten scheint eine niedrig-dosierte lokale Hormontherapie eine Therapieoption für Patientinnen mit Brustkrebsanamnese zu sein. Dies wird in der internationalen Fachliteratur auch so diskutiert.

Einfluss auf Aromataseinhibitor-Therapie

Dass jedoch auch eine vaginale Estradiol-Therapie messbare systemische Effekte haben kann, zeigte eine Studie mit Patientinnen, die im Rahmen ihrer Brustkrebstherapie Aromataseinhibitoren erhielten und zusätzlich mit Vagifem®-Vaginaltabletten (25 μg Estradiol pro Tablette) behandelt wurden. Bei sechs Patientinnen zeigte sich ein signifikanter Anstieg der Serum-Estradiol-Spiegel nach zweiwöchiger Behandlung mit Vagifem®. Nach längerer Behandlungsdauer (7 – 12 Wochen) waren die Serum-Estradiol-Spiegel zwar bei den meisten Patientinnen gegenüber dem Wert nach zwei Wochen wieder gesunken, erreichten jedoch nur bei zwei Patientinnen wieder die vor Beginn der Vagifem®-Therapie erzielten Werte. Zwei von sieben Patientinnen zeigten nach längerer Behandlung sogar wieder erhöhte Serum-Estradiol-Werte. Dies deutet darauf hin, dass vaginal applizierte Hormonpräparate vermutlich die durch Aromataseinhibitoren erreichte Hormonsuppression zumindest teilweise aufheben können. Die Autoren schlussfolgern daraus, dass vaginale Hormonpräparate bei Frauen während einer Therapie mit Aromataseinhibitoren nicht angewendet werden sollten.

Studiendaten fehlen

Zusammenfassend haben die unterschiedlichen Studien gezeigt, dass bei einer niedrigen Dosierung vaginaler Estradiol- oder Estriol-Präparate meist keine bzw. nur eine sehr geringe Erhöhung der Serum-Estradiol- oder -Estriol-Spiegel gemessen werden. Es gibt jedoch neben präparatespezifischen Unterschieden auch große individuelle Unterschiede.

Zudem kann eine vaginale Hormontherapie möglicherweise die durch Aromataseinhibitoren erzielte Hormonsuppression zumindest teilweise aufheben.

Das größte Problem für die endgültige Bewertung der Sicherheit einer lokalen Hormontherapie bei Brustkrebspatientinnen besteht jedoch darin, dass es bisher keine Studiendaten gibt, die eindeutig belegen können, dass eine rein lokale Estrogen-Therapie bei Brustkrebspatientinnen wirklich sicher ist. In einer Studie aus dem Jahr 2003 [12] wurde zwar gezeigt, dass das Rückfallrisiko bei Brustkrebspatientinnen, die ausschließlich unter Vaginalsymptomen litten und nur mit topischem Estrogen behandelt wurden, nicht erhöht war. Allerdings war die Fallzahl in der Studie zu klein, um Rückschlüsse auf die Überlebenszeit ziehen zu können. Wir wissen also bis zum derzeitigen Zeitpunkt tatsächlich nicht, ob eine lokale Estrogen-Behandlung bei Patientinnen mit einer Brustkrebsanamnese unkritisch ist oder doch Risiken birgt. Daher wird die „Brustkrebsanamnese“ auch in den entsprechenden Fachinformationen vaginal-applizierter Hormonpräparate zur Behandlung der Scheidentrockenheit weiterhin als Kontraindikation aufgeführt und auch in unserem Klinikum werden bei Frauen mit Brustkrebsanamnese grundsätzlich keine vaginalen Hormonpräparate eingesetzt.

Promestrin in der Schweiz

In der Schweiz und einigen anderen Ländern wird zur Behandlung der Scheidentrockenheit bei Patientinnen nach einer Brustkrebserkrankung, bei denen Feuchtigkeitscremes nicht ausreichend wirksam sind, z. T. die Anwendung des synthetischen Estrogenderivats Promestrien (Colpotrophine®) empfohlen. In üblicher Dosierung wurden aufgrund der sehr geringen Penetration (< 1% der Wirkstoffmenge wird resorbiert) keine Hinweise auf eine systemische Estrogen-Wirkung gefunden. Trotzdem wird in der Fachinformation für Colpotrophine® auch darauf hingewiesen, dass z. B. bei verletzter oder stark atrophischer Schleimhaut eine minimale Penetration von Promestrien nicht ausgeschlossen werden kann. Systemische Wirkungen wurden jedoch in keiner Studie festgestellt. Da Colpotrophine® in Deutschland nicht zugelassen ist, kann die Anwendung auch nicht empfohlen werden und darf nur in begründeten Einzelfällen erfolgen. Kontraindikation für Colpotrophine® ist u. a. "erwiesenes oder vermutetes Brustkarzinom".

Tipps zur Beratung

In der Apotheke könnte man ggf. noch einmal besprechen, inwieweit die bisher getesteten Feuchtigkeitscremes richtig und ausreichend lang angewendet wurden und weitere Präparate anbieten (z. B. Gynomunal® Vaginal-Gel, Multi-Gyn LiquiGel® oder Replens® sanol). Erfahrungen zu den einzelnen Präparaten liegen uns jedoch nicht vor. Da Parfümstoffe bei Frauen mit vulvovaginaler Atrophie eine Kontaktdermatitis auslösen können, sollten parfümiertes Toilettenpapier oder Seifen mit Parfümstoffen gemieden werden. Für die weitere Beratung und Begleitung der Kundin sollte man auch wissen, dass Sexualprobleme oft nicht hauptsächlich durch Scheidentrockenheit bedingt sind. Es gibt verschiedene gute Patientenratgeber zum sensiblen Thema „Weibliche Sexualität und Krebs“ (siehe Literaturverzeichnis), mit denen die Apotheke die Patientin bei Bedarf ebenfalls sinnvoll unterstützen kann. Empfehlen kann man darüber hinaus auch eine ergänzende Beratung durch den Krebsinformationsdienst in Heidelberg.

Soll die Anwendung eines lokalen Estrogen-haltigen Präparates aufgrund eines z. B. sehr starken Leidensdruckes der Patientin oder aufgrund rezidivierender Harnwegsinfekte nach Ausschöpfung aller anderen Möglichkeiten doch erfolgen, so ist dies eine Einzelfallentscheidung, die nach sorgfältiger Nutzen-Risiko-Abwägung und nur gemeinsam mit dem behandelnden onkologischen Gynäkologen oder Onkologen erfolgen sollte. Die Dosis sollte dabei möglichst niedrig gewählt werden. Eventuell besteht auch die Möglichkeit der begleitenden Messung der Serum-Estrogen-Spiegel.

Fazit

Obwohl in vielen Studien gezeigt wurde, dass eine niedrig-dosierte vaginale Hormontherapie nicht bzw. nur zu einer geringen Erhöhung der Serum-Estrogen-Spiegel führt, können systemische Wirkungen nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden. Es fehlen Studiendaten, die die sichere Anwendung vaginaler Hormonpräparate bei Brustkrebspatientinnen belegen. Daher gilt eine Brustkrebsanamnese bei den in Deutschland verfügbaren vaginalen Hormonpräpaten generell als Kontraindikation.

Antwort kurz gefasst


  • Lokale Estrogen-Präparate zur Behandlung der Scheidentrockenheit sind bei Frauen mit Brustkrebsanamnese grundsätzlich kontraindiziert, da auch nach vaginaler Applikation systemisch relevante Estrogen-Blutspiegel erreicht werden.

  • Es fehlen Daten, die eindeutige Antworten zur Frage des Rückfallrisikos von Brustkrebspatientinnen nach lokaler Estrogen-Behandlung geben können.

  • Wird im Einzelfall nach sorgfältiger Nutzen-Risiko-Abwägung eine lokale Estrogen-Therapie erwogen, sollte die Dosis so gering wie möglich gewählt werden.


Literatur: Fachinformation, BPI Service GmbH; [1] Konsensusempfehlung der Deutschen Gesellschaft für Senologie. Hormonsubstitution nach Mammakarzinom, 2002 [2] Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e.V. Interdisziplinäre S3-Leitlinie "Hormontherapie in der Peri- und Menopause (HT)" (Stand: September 2009) [3] Krebsinformationsdienst Deutsches Krebsforschungszentrum, Heidelberg "Weibliche Sexualität und Krebs" Ein Ratgeber für Patientinnen und ihre Partner, 2011 [4] Krebsinformationsdienst Deutsches Krebsforschungszentrum, Heidelberg. Brustkrebs:Behandlungsfolgen vorbeugen und lindern, Kapitel: Beeinträchtigung der Sexualität [5] Frauenselbsthilfe nach Krebs Bundesverband e.V. "Krebs und Sexualität" Informationen für Betroffene und Partner [6] Fachinformation Colpotrophine (http://www.oddb.org) [7] Ortmann, O, Lattrich, C. Therapie von Beschwerden in den Wechseljahren. Deutsches Ärzteblatt 2012; 109(17): 316 – 324 [8] Carter, J, Goldfrank D, Schover LR. Simple strategies for vaginal health promotion in cancer survivors. J Sex Med 2011;8:549 – 559 [9] Pruthi S, Simon JA, Early AP. Current overview of the management of urogenital atrophy in women with breast cancer. Breast J. 2011; 17(4):403 – 408 [10] Melisko ME, Goldman M, Rugo Hope S. Amelioration of sexual adverse effects in the early breast cancer patient. J Cancer Surviv 2010; 4:247 – 255 [11] Daniels R. Estrogene-Spielwiese für Galeniker. Pharmazie in unserer Zeit. 2004;5:392 – 397 [12] Dew JE, Wren BG, Eden JA. A cohort study of topical vaginal estrogen therapy in women previously treated for breast cancer. Climacteric. 2003;6(1):45 – 52 [13] Santos I, Clissold S. Urogenital disorders associated with oestrogen deficiency: the role of promestriene as topical oestrogen therapy. Gynecol Endocrinol 2010;26(9): 644 – 651 [14] Kendall A, Dowsett M, Folkerd E, Smith I. Caution: Vaginal estradiol appears to be contraindicated in postmenopausal women on adjuvant aromatase inhibitors. Annals of Oncology 2006;17:584 – 587 [15] Krause M, Wheeler II, TL, Richter HE, Snyder TE. Systemic effects of vaginally administered estrogen therapy. Female Pelvic Med Reconstr Surg 2010;16:188 – 195 [16] Moegele M, Buchholz S, Seitz S, Ortmann O. Vaginal estrogen therapy in postmenopausal breast cancer patients with aromatase inhibitors. Arch Gynecol Obstet 2012; 285(5): 1397 – 1402 [17] Münstedt K (Hrsg.) Komplementäre und alternative Krebstherapien. 2012, Ecomed Medizin, 3. Auflage


Autorin

Dr. Ulrike König, Fachapothekerin für Arzneimittelinformation – Onkologische Pharmazie, Schwarzwald-Baar Klinikum Villingen-Schwenningen GmbH, Apotheke, Vöhrenbacherstr. 23, 78050 Villingen-Schwenningen



DAZ 2012, Nr. 32, S. 38

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