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Feuilleton
Erstes Contergan-Denkmal
Die Firma Grünenthal hatte das Schlafmittel Contergan mit dem Wirkstoff Thalidomid seit 1957 hergestellt und auch nach den ersten Anzeichen seiner schweren Nebenwirkungen weiterhin bis November 1961 in Verkehr gebracht. Etwa 10.000 Kinder, deren Mütter das Medikament während der Schwangerschaft eingenommen hatten, kamen mit Missbildungen auf die Welt, davon knapp die Hälfte in Deutschland. Etwa jedes zweite Contergan-Kind starb bereits als Säugling.
Kein Schuldeingeständnis, keine Entschuldigung
Der Hersteller Grünenthal hatte stets den Standpunkt vertreten, dass es sich bei der Contergan-Katastrophe um ein bedauerliches Unglück gehandelt habe, an dem er keine Schuld trage. Ein langjähriges Gerichtsverfahren endete im Jahr 1970 nach einem Vergleich, aufgrund dessen Grünenthal 100 Millionen DM in die Conterganstiftung einzahlte. 2009 hat die Firma nochmals 50 Millionen Euro zugestiftet, aber weiterhin jedes Eingeständnis der Schuld von sich gewiesen und sich folglich auch nicht bei den Opfern entschuldigt, "denn in diesem Wort steckt das Wort Schuld", wie der frühere Geschäftsführer Sebastian Wirtz noch im Jahr 2007 begründete.
InternetRede von Dr. Harald F. Stock zur Einweihung des Contergan-Denkmals: www.grunenthal.de [sic] |
Ende des Schweigens
Harald Stock, der nicht der Eigentümerfamilie Wirtz angehört, hat nun mit dieser Firmenpolitik gebrochen und in der Feierstunde, an der viele Contergan-Geschädigte teilnahmen, gesagt: "Darüber hinaus bitten wir um Entschuldigung, dass wir 50 Jahre lang nicht den Weg zu Ihnen, von Mensch zu Mensch, gefunden haben. Stattdessen haben wir geschwiegen, und das tut uns sehr leid. Wir bitten Sie, unsere lange Sprachlosigkeit als Zeichen der stummen Erschütterung zu sehen, die Ihr Schicksal bei uns bewirkt hat."
Die Anregung für das Denkmal – das erste seiner Art – gab Johannes Igel, der selbst ein Contergan-Geschädigter ist. Es wurde von dem Aachener Bildhauer Bonifatius Stirnberg (* 1933) geschaffen, dessen bekanntestes Werk die Pferdegruppe auf dem Aachener Bahnhofsvorplatz ist, und trägt die Inschrift: "Zur Erinnerung an die Toten und Lebenden der Contergankatastrophe". Diese Widmung ist zugleich Programm für die Darstellung: Auf zwei Podesten, die durch den Inschriftenbalken miteinander verbunden sind, stehen zwei etwa 60 cm hohe Stühle; auf dem einen Stuhl sitzt ein Mädchen mit missgebildeten Armen, während der andere Stuhl leer ist, weil das Kind schon gestorben ist.
Einige Contergan-Geschädigte nutzten die Feierstunde in Stolberg, um für sich eine bessere Versorgung zu fordern. Zum Beispiel sollten die Kosten für Zahnersatz vollständig von den Krankenkassen erstattet werden, weil sie viele Tätigkeiten, die Gesunde mit ihren Händen verrichten, mithilfe ihrer Zähne machen müssen und dabei zwangsläufig ihr Gebiss schädigen.
cae
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