Arzneimittel und Therapie

Methämoglobinämie durch Lokalanästhetika

Todesfälle durch unsachgemäße Anwendung

Eine lokalanästhesierend wirkende Lidocain-Prilocain-Creme (Emla®, Anesderm®) kann bei großflächiger Applikation eine toxische Methämoglobinämie verursachen. Aus Spanien sind Todesfälle im Zusammenhang mit der Anwendung von Emla® Creme beschrieben, die auf eine unsachgemäße Anwendung zurückzuführen sind [1].

Weitere Fallberichte zeigen, dass die Indikation und Dosierungsempfehlungen von Emla® Creme, insbesondere bei Kindern, nicht eingehalten werden. Trotz genauer Dosierungs- und Anwendungshinweise in der Fachinformation [2] erfolgte die Applikation auf verletzter Haut oder auf Schleimhäuten sowie in zu hoher Dosis [3 – 7]. Eine intensivmedizinische Behandlung der toxischen Methämoglobinämie ist in allen Fällen erforderlich gewesen.

Pharmakologischer Hintergrund

Eine Methämoglobinämie entsteht, wenn zweiwertiges Eisen des roten Blutfarbstoffs Hämoglobin (Hb) zu dreiwertigem Eisen (Methämoglobin (Met-Hb)) oxidiert wird. Die Erkrankung kann erblich bedingt oder durch (medikamentöse) Auslöser erworben sein. In letzterem Fall spricht man von einer toxischen Methämoglobinämie. Die Hauptaufgaben des Hämoglobins, Sauerstoffbindung und

-transport, können nicht von Met-Hb übernommen werden. Folglich ist die Erkrankung durch eine Sauerstoffunterversorgung gekennzeichnet, die sich je nach Met-Hb-Konzentration des Blutes in unterschiedlichen Symptomen äußert. Beträgt der Anteil von oxidiertem Hämoglobin (Met-Hb) mehr als 10%, so sind eine bläulich-graue Verfärbung (Zyanose) der Haut, Lippen, Schleimhäute und Akren, bei höheren Konzentrationen Unruhe, Übelkeit, Schwindel, Kopfschmerz, Tachykardie und Atemnot zu beobachten. Met-Hb-Spiegel über 70% sind potenziell tödlich. Das Vorkommen von Met-Hb im Blut ist in geringen Mengen physiologisch und wird ständig durch das Enzym NADH-Cytochrom-b5-Reduktase (früher: Methämoglobin-Reduktase) kontrolliert, welches Met-Hb zu Hb reduziert. Bei Neugeborenen ist die Aktivität dieses Enzyms noch nicht ausreichend, weshalb bei ihnen eine erhöhte Gefahr der Ausbildung einer Methämoglobinämie besteht [3]. Zudem lässt sich das Hb von Neugeborenen leichter oxidieren [4]. Als Antidot einer toxischen Methämoglobinämie wird Toluidinblaulösung intravenös verabreicht (früher auch Methylenblau), es wirkt als Reduktionsmittel und reduziert Fe3+ zu Fe2+. Eine zusätzliche Sauerstoffzufuhr sollte gewährleistet werden, ebenso ist eine Elimination der auslösenden Substanz erforderlich (z. B. Gabe von medizinischer Kohle bei oraler Aufnahme von Methämoglobinbildnern, Abwaschen von Emla® Creme). Die Eliminationshalbwertszeit von Met-Hb beträgt ca. 15 bis 20 Stunden, durch Applikation von Methylenblau kann diese auf 40 bis 90 Minuten reduziert werden [5].

Resorption von Emla® Creme

Eine Lidocain-Prilocain-haltige Creme ist zum Beispiel indiziert zur Lokalanästhesie auf intakter Haut vor kleineren dermatologischen Eingriffen (z. B. Nadeleinstich, der Einführung von i.v.-Kathetern, chirurgische Behandlung lokal begrenzter Läsionen), vor Eingriffen auf großflächigen Hautarealen (z. B. Spalthauttransplantation) oder auf der Genitalschleimhaut vor der chirurgischen Behandlung lokal begrenzter Läsionen. Das Lokalanästhetikum enthält pro Gramm Creme 25 mg Lidocain und 25 mg Prilocain. Beide Wirkstoffe sind als Methämoglobinbildner bekannt. Bei topischer Anwendung scheint die Resorption im Falle einer großflächigen Anwendung bzw. auf geschädigter Haut (z. B. durch Hitzeeinwirkung) ausreichend groß zu sein, so dass systemische Nebenwirkungen auftreten können [8]. Bei kurzfristiger und flächenmäßig begrenzter Anwendung auf intakter Haut sind die Resorptionsmengen gering.

Dosierungs- und Anwendungshinweise

Um systemische Nebenwirkungen zu vermeiden, sind in der Fachinformation detaillierte Dosierungs- und Anwendungshinweise enthalten [2]. Generell wird empfohlen, eine dicke Cremeschicht auf die zu behandelnden Hautareale aufzutragen und anschließend mit einem Okklusivverband (TegadermTM) für mindestens eine Stunde Einwirkzeit zu bedecken. Am Ende der Einwirkdauer wird die Creme mit einer Kompresse vorsichtig wieder entfernt. Die damit erreichte Betäubung hält ein bis zwei Stunden an. Für Kinder unter einem Jahr muss die Einwirkzeit begrenzt werden. Von entscheidender Bedeutung ist, die Maximaldosis von Emla® Creme und die Größe des zu behandelnden Hautareals, in Abhängigkeit vom Alter des Patienten, nicht zu überschreiten (siehe Tabelle).


Dosierungsempfehlungen für Emla® Creme in Abhängigkeit vom Alter (nach [2]).

Patientengruppe
Alter
maximale
Dosis
maximales
Hautareal
maximale
Einwirkzeit
Säuglinge
0 bis 2 Monate
1 g
10 cm²
1 Stunde
Säuglinge
3 bis 11 Monate
2 g
20 cm²
4 Stunden
Kleinkinder
1 bis 5 Jahre
10 g
100 cm²
5 Stunden
Kinder
6 bis 11 Jahre
20 g
200 cm²
5 Stunden
Jugendliche und
Erwachsene
ab 12 Jahren
60 g
600 cm²
5 Stunden

Alle in der Tabelle dargestellten Empfehlungen gelten für die Anwendung auf intakter Haut! Nach Applikation der maximalen Dosierung sollte bei Neugeborenen und Säuglingen bis zu drei Monaten vor einer wiederholten Anwendung ein Zeitintervall von mindestens acht Stunden eingehalten werden. Bei ihnen wurde bis zu zwölf Stunden nach der Applikation von Emla® Creme ein vorübergehender, klinisch nicht signifikanter Anstieg der Methämoglobinspiegel beobachtet.

Anwendungsbeschränkungen

Bei gewissen Patientengruppen besteht eine erhöhte Gefahr einer Arzneimittel-induzierten Methämoglobinämie [2]. Eine Anwendungsbeschränkung von Emla® Creme liegt vor bei

  • Frühgeborenen, die vor der 37. Schwangerschaftswoche geboren wurden,
  • Säuglingen bis zu zwölf Monaten und einer gleichzeitigen Behandlung mit Methämoglobinbildnern (z. B. oxidierende Substanzen wie Sulfonamide, Glyceroltrinitrat, Metoclopramid, Phenytoin, Dapson),

  • Patienten mit angeborener oder erworbener Methämoglobinämie,
  • Patienten mit einem Glucose-6-phosphat-Dehydrogenasemangel.

Grundsätzlich sollte die gleichzeitige Anwendung von Emla® Creme mit Methämoglobinbildnern (Arzneimittel s. o., Nitrit- und Nitrat-haltige Lebensmittel) vermieden werden, da es zu einer Verstärkung ihrer methämoglobinbildenden Wirkung kommen kann.

Vorsicht bei Photo- und Laserepilation

Die topische Anwendung von Emla® Creme wird von den meisten Dermatologen und Kosmetikstudios zur Schmerzreduktion bei Laser-Haarentfernung (sogenannte Laserepilation) und Pulslichtenthaarung (sogenannte Photoepilation) empfohlen. Beiden Enthaarungstechniken ist gemein, dass Licht vom körpereigenen Farbpigment Melanin absorbiert wird, welches dadurch stark erhitzt wird. Es kommt zu einer Zerstörung der Haarwurzel. Nicht nur die Haarwurzel, sondern auch die Haut ist dabei einem thermischen Reiz ausgesetzt, welcher zu einer unkalkulierbar erhöhten dermalen Absorption von Emla® Creme führt. Zum großflächigen Auftragen auf frisch rasierter Haut, z. B. zur Laser-Haarentfernung, beträgt die Maximaldosis bei Jugendlichen und Erwachsenen 60 g auf maximal 600 cm² Hautareal. Emla® Creme ist in einer Packungsgröße von 30 g rezeptfrei in Apotheken erhältlich, folglich beträgt die Maximaldosis für Jugendliche und Erwachsene zwei Tuben. In Spanien wurde nun über neun Fälle einer Methämoglobinämie nach Photo- und Laserepilation berichtet [1], auch aus den USA ist dieser Zusammenhang bekannt [7, 9]. Dabei wurde beispielsweise der Inhalt von fünf Tuben Emla® Creme auf beiden Unterschenkeln appliziert, dies entspricht einer massiven Überdosierung.


Quelle

[1] Spanische Arzneimittelbehörde AEMPS (15.06.2012): Utilization de Emla® Crema (Lidocaina y Prilocaina) Sobre superficies extensas de piel: Riesgo de metahemoglobinemia (Zugriff am 8. September 2012).

[2] Fachinformation Emla® Creme, AstraZeneca GmbH, August 2011 (Zugriff am 17. September 2012).

[3] Couper R.T.L.: Methaemoglobinaemia secondary to topical lignocaine/prilocaine in a circumcised neonate. J Paediatr Child Health (2000) 36: 406 – 407.

[4] Book A., et al.: Methämoglobinintoxikation durch Prilocain in Emla® - Akzidentelle Intoxikation bei einem Kleinkind mit Verbrühungen. Anaesthesist (2009) 58: 370 – 374.

[5] Mintegi Raso S. et al.: Methemoglobinemia and CNS toxicity after topical application of EMLA to a 4-year old girl with Molluscum Contagiosum. Pediatric Dermatology. (2006) 23 (6): 592 – 593.

[6] Touma S. und Jackson J. B.: Lidocaine and prilocaine toxicity in a patient receiving treatment for mollusca contagiosa. J Am Acad Dermatol (2001) 44: 399 – 400.

[7] Hahn I-H., et al.: Emla® -induced met-hemoglobinemia and systemic topical anesthetic toxicity. Journal of Emergency Medicine (2004) 26 (1): 85 – 88.

[8] Juhlin L., et al.: Absorption of lidocaine and prilocaine after application of a eutectic mixture of local anesthetics (Emla) on normal and diseased skin. Acta Derm Venereol (1989) 69: 18 – 22.

[9] FDA Public Health Advisory: FDA Alerts Public about Danger of Skin Numbing Products Serious and lifethreatening risks associated with improper use. www.fda.gov/NewsEvents/Newsroom/PressAnnouncements/2009/ucm109068.htm (Zugriff am 19. September 2012)


Apothekerin Dr. Verena Stahl



DAZ 2012, Nr. 39, S. 42

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