Selbstmedikation

"Gesundheitstees" in der Kritik

Sind die schlechten Bewertungen von Öko-Test nachvollziehbar und gerechtfertigt?

Die Zeitschrift Öko-Test hat 23 Kräutertees für vier Anwendungsgebiete untersuchen lassen und die Ergebnisse in der aktuellen Ausgabe vom Oktober 2012 publiziert. Abgesehen von vier Blasen- und Nierentees, erhielten die Tees die Note "ausreichend" oder (in zwei Fällen) "ungenügend". Wir fragten Herrn Professor Heinz Schilcher, einen ausgewiesenen Experten der Phytotherapie, ob er die Testergebnisse nachvollziehen kann.
Prof. Dr. Heinz Schilcher


DAZ: Ist die Arzneiform Tee heute überhaupt noch zeitgemäß, oder sollte man Tee allenfalls noch als gesundheitsförderndes Lebensmittel betrachten?

Schilcher: Drogenextrakte mit definierten Wirkstoffgehalten sind in pharmakologischer Hinsicht natürlich höher einzustufen, aber die psychischen Komponenten der Tee-Therapie sind nicht zu übersehen: Der Patient, der sich seinen Tee selbst zubereitet (oder von der Mutter oder seinem Partner zubereiten lässt), konzentriert sich auf seine Krankheit und aktiviert dabei seine Selbstheilungskräfte. Die Tee-Therapie erfährt seit kurzer Zeit sogar eine Renaissance in Universitätskliniken mit einer Abteilung für Naturheilkunde. So gehören im Klinikum Blankenstein der Ruhr-Universität Bochum 16 Medizinalkräutertees zum arzneilichen Standardsortiment.


DAZ: Öko-Test behauptet, moderne klinische Studien zu Kräutertees seien Mangelware. Ist das richtig?

Schilcher: Diesen Satz kann man so nicht stehen lassen. Ich selbst habe z. B. an einer multizentrischen klinischen Prüfung eines Blasen- und Nierentees an 120 Patienten in 15 urologischen Praxen teilgenommen (s. Schilcher et al., Leitfaden Phytotherapie, 4. Aufl., S. 738). Auch die Ergebnisse vieler Anwendungsbeobachtungen der 60er bis 80er Jahre sind aussagekräftig und heute noch aktuell. Dagegen halte ich die kategorische Forderung, Medizinalkräutertees gemäß der seit 1994 etablierten Good Clinical Praxis (GCP) zu prüfen, für ein "Schreibtischansinnen" von Theoretikern, die keinen Bezug zur Praxis haben. Medizinalkräutertees erfüllen mit wenigen Ausnahmen den Satz des Hippokrates "primum nil nocere". Übrigens ist zurzeit eine Anwendungsstudie über drei Jahre im Gange.


DAZ: Bei Blasen- und Nierentees kommt Öko-Test zu dem Schluss, der eigentliche Wirkstoff sei das Wasser – im Sinne der Durchspülungstherapie. Die bakteriostatisch wirksamen Bärentraubenblätter werden hingegen unter Krebsverdacht gestellt. Wird hier die therapeutische Wirkung einer Teedroge durch ihre fatale Nebenwirkung konterkariert?

Schilcher: Sowohl klinische Elektrolytbilanzuntersuchungen als auch experimentelle Studien am Hund belegen die Wirksamkeit der Durchspülungstherapie. Wenn ein Patient mit einer Infektion in den ableitenden Harnwegen 1 1/2 bis 2 Liter Blasen- und Nierentee am Tag trinkt, reduziert sich die Anzahl der Keime im Urogenitaltrakt von 1010 auf 105. Die aquaretische (!) Wirksamkeit der Tees, die durch eine vermehrte glomeruläre Harnausscheidung bedingt ist (während die Diuretika die tubuläre Harnausscheidung steigern), basiert in erster Linie auf den in den Teedrogen enthaltenen Flavonoiden, die in heißem Wasser gut löslich sind. Die von Öko-Test behauptete krebsauslösende Wirkung des im Bärentraubenblättertee enthaltenen Arbutins ist weder im Tierversuch nachgewiesen noch beim Menschen beobachtet worden. Das Hydrochinonglucosid Arbutin wird zwar im Darmtrakt zu Hydrochinon hydrolysiert, aber sofort danach mit Glucuron- oder Schwefelsäure konjugiert. Diese Verbindungen zeigten im Ames-Test keine genotoxischen Eigenschaften! Ihre bakteriostatische Wirksamkeit beruht darauf, dass sie von den Bakterien in den abführenden Harnwegen aufgenommen werden und dann in den Bakterien enzymatisch hydrolysiert werden. Eine kanzerogene Wirkung von (nicht gebundenem) Hydrochinon wurde bisher nur an der Haut (nicht an Schleimhäuten) nachgewiesen – und auch das nur in hohen Konzentrationen. Allerdings lagen die im Pharmakologischen Institut von Lübeck (Prof. Claus-Peter Siegers) gewonnenen Erkenntnisse über den Hydrochinon-Metabolismus noch nicht vor, als die beim früheren Bundesgesundheitsamt (jetzt beim BfArM) tätige Kommission E die Bärentraubenblätter-Monografie erstellt hat und dabei aus theoretischen Risikoüberlegungen eine zeitliche Anwendungsbeschränkung empfohlen hat. Ich betone nochmals, dass die genannten Hydrochinonverbindungen nicht krebserregend sind.


DAZ: Zwischen apothekenexklusiven Teepräparaten und Produkten aus Drogeriemärkten hat Öko-Test keine prinzipiellen Qualitätsunterschiede gefunden. Allerdings wurden die Erzeugnisse auch nicht chemisch-analytisch untersucht. Meinen Sie, dass die Apothekenware hier besser abgeschnitten hätte?

Schilcher: Im Gegensatz zu Öko-Test hat mein Arbeitskreis an der FU Berlin seinerzeit sorgfältige phytochemische Analysen von 21 Nieren- und Blasentees durchgeführt (s. DAZ 1992, Heft 47, S. 2549 – 2555). Wir ermittelten die Gehalte an Gesamtflavonoiden, Saponinen, Phenolcarbonsäuren, Iridoiden, Gerbstoffen und ätherischem Öl und stellten große qualitative Unterschiede der Produkte fest, wobei die Apothekerware deutlich besser abgeschnitten hat. Die von Öko-Test am Schreibtisch – ohne exakte Kenntnis der Gehalte an wirksamkeitsmitbestimmenden Inhaltsstoffen – vorgenommene Qualitätsbewertung ist oberflächlich, wenig aussagekräftig und aus meiner Sicht unseriös. Da die in den Tees enthaltenen Drogen allesamt von der Kommission E positiv monografiert worden sind und auch die Anzahl der Kombinationspartner in Ordnung ist, müsste das Gesamturteil überall "gut" bis "sehr gut" lauten – ausgenommen die Präparate mit erhöhten Pestizidgehalten.


DAZ: Damit geben Sie mir ein neues Stichwort: Sind Sie der Meinung, dass Öko-Test zu Recht die Kontamination einiger Tees mit Pestiziden kritisiert hat?

Schilcher: Im Prinzip teile ich die Kritik. Ich möchte jedoch betonen, dass laut Öko-Test bei keinem Produkt die gesetzlich vorgeschriebenen Höchstmengen überschritten wurden. Hinzu kommt, dass man einen Arzneitee nur so lange trinkt, wie man krank ist. Es besteht deshalb kaum die Gefahr, dass die Pestizide im Körper des Patienten toxikologisch bedenklich sind. Zudem sind die Höchstwerte bei Arzneimitteln viel niedriger als bei Lebensmitteln und mit einem hohen Sicherheitsschwellenwert versehen. Voraussetzung für eine toxikologisch sachliche Bewertung der Teepräparate ist die Kenntnis, welche Pestizide jeweils in welchen Mengen auftreten.


DAZ: Zu welchem Resümee kommen Sie? Was lernt der Apotheker oder der Verbraucher aus diesem Test?

Schilcher: Heilkräutertees oder "Gesundheitstees", wie Öko-Test sie nennt, besitzen traditionell einen hohen Stellenwert in der Phytotherapie und erfahren zurzeit eine Renaissance in bestimmten Universitätskliniken. Alle von Öko-Test untersuchten Tees erfüllen die Vorgabe der Kommission E, dass ein Medizinalkräutertee nicht mehr als sechs Drogen enthalten soll, und alle in den Tees enthaltenen Drogen wurden von der Kommission E positiv monografiert. Die hier geschehene Qualitätsbewertung "vom Schreibtisch aus" – ohne phytochemische Analysen der Präparate – ist unwissenschaftlich und unseriös. Weder Apotheker noch Verbraucher können sachliche Rückschlüsse aus diesem Öko-Test ziehen.


DAZ: Vielen Dank für das Gespräch!


Die Fragen stellte Dr. Wolfgang Caesar.



DAZ 2012, Nr. 42, S. 105

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