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Notdienst
Neuregelung der Notdienstgebühr
Nach wie vor erwartet die Politik von den Präsenz-Apotheken (!) eine ordnungsgemäße Arzneimittelversorgung der Bevölkerung, flächendeckend und rund um die Uhr, wie es u. a. im Apothekengesetz (ApoG) geregelt ist. Dabei geht die ordnungsgemäße Arzneimittelversorgung (gemäß § 1 (1) ApoG) weit über die Beratung und die (reine) Abgabe von Arzneimitteln hinaus, wie z.B. im Beitrag "Honorar und Abschlag" (s. DAZ Nr. 40/2012, S. 71) dargestellt.
Früher, bis Ende 2003, wurden diese über Beratung und Abgabe hinausgehenden Allgemeinwohl-Verpflichtungen der Apotheken über die degressiv ausgestaltete Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) abgegolten. In den siebziger Jahren äußerten in diesem Zusammenhang selbst höchste Vertreter des Berufsstandes zum Nacht- und Notdienst: "Wer tagsüber absahnt, muss nachts zubuttern".
Spätestens seit Einführung des Kombimodells mit Inkrafttreten des GKV-Modernisierungsgesetzes (GMG) zum 1. Januar 2004 ist diese Mischfinanzierung nicht länger gegeben, orientiert sich die AMPreisV seit diesem Zeitpunkt doch – nur noch – am packungsbezogenen Aufwand. Diese Unterfinanzierung apothekerlicher Leistungen hat aktuell auch die Politik erkannt, hat sie den Apotheken (zumindest) für den Nacht- und Notdienst doch (einen Anspruch auf) eine gesonderte Gebühr fest zugestanden. Mit dieser Notdienstgebühr ist, wie Müller-Bohn in seinem Beitrag "Die neue Notdienstpauschale" (s. DAZ Nr. 40/2012, S. 16 ff.) völlig richtig darstellt, eine strukturelle Weichenstellung verbunden, die es sorgfältig zu analysieren und zu begleiten gilt.
Auch wenn die Frage des "ob" eindeutig mit JA beantwortet ist, ist nach Aussagen des Bundesgesundheitsministers noch vollkommen unklar, wie diese "Notdienst-Zulage" von – in Aussicht gestellten – 120 Mio. Euro p. a. (auf die einzelnen Notdienst leistenden Apotheken) verteilt werden soll.
Diese neue Gebühr sollte folgende Voraussetzungen erfüllen:
- rechtssicher und ordnungspolitisch sauber (per Gesetz oder Verordnung),
- der Höhe nach wirtschaftlich ausgewogen und
- mit dynamischer Anpassung (mit festen Stichtagen).
Zunächst ist festzuhalten, dass der Nacht- und Notdienst eine Gemeinwohlverpflichtung (ausschließlich!) der Präsenz-Apotheken darstellt. Damit kann dieser Dienst im Notfall von allen Bürgern, (auch) unabhängig von der Zugehörigkeit zu einer Krankenkasse, in Anspruch genommen werden.
Will man diese neue Gebühr also ordnungspolitisch sauber ausgestalten, so ist die Vergütung des Nacht- und Notdienstes der Apotheken über das Öffentliche Recht, und nicht die Sozialgesetzgebung, zu regeln. Aufgrund des Versorgungsauftrages (vgl. § 1 (1) ApoG) und der Notdienstregelung (vgl. § 6 AMPreisV) wird deutlich, dass der Gesetzgeber die Notfallversorgung nicht "über Angebot und Nachfrage" (also rein ökonomisch) regeln kann, sondern über die generelle Pflicht der Apotheken zur Dienstbereitschaft (unter Berücksichtigung von § 23 Apothekenbetriebsordnung [Dienstbereitschaft]) regeln müsste.
Nach Angaben der ABDA
- nutzen jede Nacht etwa 20.000 Menschen den Notdienst;
- leisten unter der Woche jede Nacht knapp 1400 Apotheken Notdienst.
Da der Sonn- und Feiertagsdienst "doppelt gerechnet" werden muss, beträgt die Zahl der geleisteten Apotheken-Notdiensteinheiten rund 600.000 pro Jahr.
In diesem Zusammenhang sei angemerkt, dass sich die Zahl der dienstbereiten Apotheken nicht an der Zahl der potenziell Betroffenen im Einzugsgebiet ausrichten kann, sondern – in jedem Einzelfall, denn der Notfall lässt sich nicht planen – an der Erreichbarkeit der Notdienst bereiten Apotheke innerhalb einer angemessenen Zeit. Das gilt z. B. in analoger Weise für die Feuerwehr. Auch sehr dünn besiedelte Regionen, in denen es also rein statistisch sehr selten brennt, brauchen eine eigene (freiwillige) Feuerwehr, um im Fall eines Brandes Schlimmstes zu verhindern. Folglich ist die Zahl der potenziell Betroffenen je Notdienstapotheke auf dem Land z.B. wesentlich geringer als in Großstädten, die Frequenz zur Notdienstbereitschaft auf dem Land also eher höher.
Die Dienstbereitschaft der Apotheken während der Nacht, an Sonntagen und außerhalb der allgemeinen Ladenschlusszeiten bezieht sich definitionsgemäß (nur) auf unvorhergesehene Notfälle. Da der Apotheker den Bereitschaftsdienst zusätzlich zu seiner täglichen Arbeitszeit wahrzunehmen hat, ist an sich selbstverständlich, dass von der Inanspruchnahme der Apotheke ohne zwingenden Grund Abstand genommen werden sollte. Denn: Nachtdienst ist Not-Dienst!
Regelungen im benachbarten Ausland
Nach Angaben der Österreichischen Apothekerkammer leisten in Österreich jede Nacht sowie an Wochenenden und Feiertagen rund 300 Apotheken Bereitschaftsdienst. In Summe kosten diese Bereitschaftsdienste die Apotheken rund 33 Mio. Euro jährlich [Österreichische Apothekerkammer].
Damit errechnet sich, bezogen auf Österreich, eine (pauschalierte) Gebühr je Notdienst und Apotheke von rund 300 Euro. Da die Kostenstruktur österreichischer Apotheken nicht viel anders als die ihrer deutschen Kollegen sein dürfte, fielen auf Deutschland (mit ca. 600.000 Apotheken-Notdiensteinheiten) damit Kosten von rund 180 Mio. Euro jährlich an. Damit liegen die tatsächlichen Kosten rund 50 Prozent über den von der Politik zugestandenen Gebühren.
Bei angenommenen 180 Mio. Euro Notdienst-Kosten jährlich und 20.000 in Anspruch genommenen Notdiensten täglich, müsste die Notdienstgebühr etwa 25 Euro je Inanspruchnahme betragen. Vergleicht man diesen Betrag mit den Kosten eines Schlüsseldienstes, die im günstigen Fall bei 60 Euro liegen, im Einzelfall leicht 300 Euro übersteigen (können), eine akzeptable Größe. Akzeptabel auch sowohl als Schutz vor Missbrauch als auch im Hinblick auf mögliche Verhandlungen mit den Kostenträgern, auf die nachfolgend noch eingegangen wird.
Anregung:
Wie bereits oben dargestellt, ist die Notdienstbereitschaft eine Allgemeinwohl-Verpflichtung der Präsenz-Apotheken, die (einschließlich Gebühr) bisher schon – ordnungspolitisch korrekt – in der AMPreisV und damit über das Arzneimittelgesetz (AMG) geregelt ist.
In der AMPreisV heißt es:
"§ 6 Notdienst
Bei der Inanspruchnahme in der Zeit von 20 bis 6 Uhr, an Sonn- und Feiertagen sowie am 24. Dezember, wenn dieser Tag auf einen Werktag fällt, bis 6 Uhr und ab 14 Uhr können die Apotheken einen zusätzlichen Betrag von 2,50 Euro einschließlich Umsatzsteuer berechnen."
Unter Berücksichtigung des Willens des Gesetzgebers, den Notdienst der Präsenz-Apotheken zu vergüten, und unter Würdigung ökonomischer Gegebenheiten könnte § 6 AMPreisV wie folgt angepasst werden:
"§ 6 Notdienst
(1) Bei der Inanspruchnahme in der Zeit von 20 bis 6 Uhr, an Sonn- und Feiertagen sowie am 24. Dezember, wenn dieser Tag auf einen Werktag fällt, bis 6 Uhr und ab 14 Uhr berechnen die Apotheken pro Inanspruchnahme einen zusätzlichen Betrag (Notdienstgebühr) von 25,00 Euro einschließlich Umsatzsteuer. Bei Vorlage einer ärztlichen oder zahnärztlichen Verordnung zulasten einer gesetzlichen Krankenkasse, die mit dem Vermerk "noctu" versehen ist, entfällt die Notdienstgebühr, sofern die Krankenkasse einem entsprechenden Rahmenvertrag beigetreten ist.
(2) Die Notdienstgebühr wird entsprechend der Entwicklung der allgemeinen Lebenshaltungskosten jährlich (zum Stichtag xx.xx.) angepasst."
Anstelle der Indizierung an die Lebenshaltungskosten kann auch eine andere Bezugsgröße, wie z. B. die Bruttolohnsumme o. ä., gewählt werden.
Da in der GKV das Sachleistungsprinzip gilt, die Leistungen folglich ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich erbracht werden müssen, sollten die Vertragspartner nach § 129 SGB V "Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung", also Apotheken und gesetzliche Krankenkassen, aufgefordert werden, eine "pauschalierte Erstattung der Notdienstgebühren" durch die GKV zu vereinbaren (Ausgangsbasis: 300 Euro je geleisteter Notdiensteinheit). Eine Differenzierung der Notdienstpauschale nach Bereitschaftsdienst an "normalen" Wochentagen, am Wochenende, an Feiertagen usw. könnte zwischen den Vertragspartnern noch abgestimmt werden.
Praktischer Ablauf:
• Während des Bereitschaftsdienstes erhebt die Notdienst leistende Apotheke je Kunde eine Notdienstgebühr von z. B. 25,00 Euro.
• Legt der Kunde/Versicherte während des Bereitschaftsdienstes eine (tagesaktuelle) ärztliche oder zahnärztliche Verordnung zulasten einer gesetzlichen Krankenkasse vor, die zudem mit dem Vermerk "noctu" gekennzeichnet ist, ist die Notdienstgebühr durch die Pauschale der Krankenkasse (im Rahmen des Sachleistungsprinzips) abgegolten.
• Liegt während des Bereitschaftsdienstes eine privatärztliche Verordnung mit dem Vermerk "noctu" vor, quittiert die Apotheke das Rezept entsprechend. Es liegt dann im Ermessen der privaten Krankenkasse, ob sie ihrem Versicherten die Notdienstgebühr erstattet oder nicht.
Selbstverständlich müssen die für den Notdienst zuständigen Behörden bei Festsetzung des Notdienstplanes bei Abschluss eines Vertrages über eine pauschalierte Erstattung mit den Krankenkassen an einem Strang ziehen. Da Nachdienst aber stets ein wenig lukrativer Not-Dienst ist, dürfte dieses Problem leicht zu lösen sein. An der Erstattung (Auszahlung) im Einzelfall sind naturgemäß
- der Vertrag-schließende Apothekerverband,
- das Apothekenrechenzentrum und
- die zuständige Behörde
zu beteiligen.
Den privaten Krankenkassen bleibt es selbstverständlich unbenommen, in Verhandlungen mit dem Deutschen Apothekerverband einzutreten, um die Notdienstgebühr seiner Versicherten durch eine Pauschale abzubedingen.
Ebenso selbstverständlich ist, dass Kunden, die während des Bereitschaftsdienstes "Präparate ohne ärztliche Verordnung" nachfragen, die Notdienstgebühr in voller Höhe zu entrichten haben.
Aber keine Regel ohne Ausnahme:
Für den Fall, dass Patienten ohne vorhergehende Inanspruchnahme eines Bereitschaftdienst leistenden Arztes direkt ihre Notdienst-Apotheke aufsuchen und dort, aufgrund ihrer Schilderung, ein nicht rezeptpflichtiges Arzneimittel ausgehändigt bekommen (z. B. fiebriges Kleinkind, dem mit der Verabreichung eines Zäpfchens geholfen werden kann), könnte die Apotheke dem Patienten diesen Notfall bescheinigen (z. B. via "Grünes Rezept"). Dabei ist denkbar, dass die Kasse den seitens der Apotheke festgestellten Notfall unmittelbar anerkennt, der Patient gegen Vorlage seiner Krankenversichertenkarte also keine Notdienstgebühr zu entrichten hat, weil diese bereits durch die Krankenkassenpauschale abgegolten ist. Auch aus Dokumentationsgründen reicht die Apotheke das von ihr ausgestellte und vom Versicherten gegengezeichnete grüne Rezept bei ihrem Rechenzentrum ein. (Diese Übernahme von mehr Verantwortung seitens der Apotheker wäre einerseits patientenfreundlich und würde zugleich dem gesundheitspolitischen Anspruch an die pharmazeutische Tätigkeit gerecht.)
Sollte eine Krankenkasse einem solchen Verfahren nicht beigetreten sein, sind im Zuge der Rückerstattung der Notdienstgebühr zwei Fälle denkbar:
1. Die Krankenkasse erstattet dem Patienten die Gebühr direkt aufgrund der Bescheinigung der Apotheke;
2. der Patient lässt sich den Notfall anhand der apothekerlichen Bescheinigung z. B. am nächsten Tag von seinem Arzt bestätigen. Aufgrund dieser Bestätigung erstattet die Kasse dem Patienten dann die Notdienstgebühr.
Fazit:
Eine wie oben dargestellte Regelung unterstreicht die Bedeutung des Arzneimittels als Ware der besonderen Art, und eben nicht als Convenience-Artikel! So könnte mit dieser Form der Notdienstgebühr zeitgleich sichergestellt werden, dass der Notdienst wirklich nur im Notfall in Anspruch genommen wird.
Eine solche Regelung wäre folglich ordnungspolitisch sauber, praktikabel, wirtschaftlich und rechtssicher.
Quelle
Nicht übertreiben!
Der politische Wille steht fest - die Apotheken sollen jährlich 120 Millionen Euro für den Notdienst erhalten. Doch die sachgerechte, praxisnahe und zugleich anreizverträgliche Umsetzung im Detail ist offenbar nicht einfach - sonst hätten die Politiker bereits ein Konzept vorgestellt. Ein besonderes Problem ist die Einbeziehung der PKV, weil die gemeinsame Honorierung einer Leistung durch GKV und PKV ein Novum im System und zugleich ein Sys-tembruch wäre. Dagegen wäre eine getrennte Honorierung durch GKV und PKV mit dem Umweg über Selbstzahler, wie sie im nebenstehenden Beitrag gefordert wird, eine ordnungspolitisch klare Konzeption. Ordnungspolitische Unsauberkeiten hatten in der Vergangenheit schon mehrfach böse Folgen, man denke nur an Pick-up. Für den Vorschlag spricht auch, dass der Wert der apothekerlichen Leistung hier deutlich herausgestellt wird. Das gehört zum Selbstbewusstsein eines Heilberufs.
Doch einiges spricht auch gegen den dargestellten Vorschlag. Die Politik hat gerade keine Vollkostendeckung, sondern ausdrücklich 120 Millionen Euro zugesagt. Offenbar sieht die Politik die Schwächen der Mischkalkulation und will diese entschärfen, aber nicht ganz aufgeben. Das ist durchaus logisch, denn es vermeidet Fehlanreize und erübrigt eine komplizierte Bedarfsplanung. Gegen den Vorschlag im nebenstehenden Beitrag spricht auch, dass dabei die neue Honorierung mit der alten Notdienstpauschale von 2,50 Euro pro Patient vermischt würde. Außerdem droht an vielen Stellen großer Verwaltungsaufwand, besonders im Umgang mit den Patienten. Die Apotheker würden ihre eigene Position im Kampf gegen überzogene Bürokratie schwächen, wenn sie nun selbst ein zusätzliches Abrechnungs- und Erstattungsverfahren etablieren, zumal eine einfache Pauschallösung den gleichen Betrag einbringen könnte.
Noch wichtiger als alle diese Argumente dürfte die Wirkung auf die Patienten sein. Ein Notdiensthonorar von 25 Euro mag gerechtfertigt sein, aber ich möchte es nicht eintreiben müssen, schon gar nicht in der Nacht. Denn die deutschen Apotheken arbeiten in einem Gesundheitssystem, in dem die Patienten über mehr als ein Jahrhundert von marktgerechten Preisen entwöhnt wurden. Die Sozialwissenschaft mag darüber rätseln, warum Menschen Beitragssatzerhöhungen der Krankenversicherungen immer wieder mehr oder weniger klaglos hingenommen haben, während die im Vergleich dazu geradezu lächerliche Praxisgebühr über Jahre ein Aufreger höchsten Ranges bleibt, mit dem sich Politiker auf höchster Ebene beschäftigen. Die aktuelle Diskussion über die Praxisgebühr zeigt gerade jetzt wieder, welche enorme Wirkung eine Zahlung hat, die die Versicherten in bar aus der eigenen Tasche leisten müssen. Die Apotheker sollten diese Erfahrung ernst nehmen und sich nicht einer solchen niemals endenden und fruchtlosen Diskussion mit den Patienten aussetzen. Sicher werden sich die Deutschen früher oder später an höhere Zuzahlungen zu Arzneimitteln und wohl auch anderen Gesundheitsleistungen gewöhnen müssen, die im Ausland schon lange selbstverständlich sind. Doch der Notdienst ist ein denkbar schlechter Einstieg in eine solche Reform. Darum sprechen zwar einige gute theoretische Argumente für den Vorschlag im nebenstehenden Beitrag, aber ich sehe noch stärkere praktische Argumente dagegen.
Thomas Müller-Bohn
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