Arzneimittel und Therapie

Verstopfung nach Stufenschema behandeln

Wie soll eine chronische Obstipation behandelt werden? Antwort auf diese Frage gibt eine S2k-Leitlinie von DGNM und DGVS, die auf dem diesjährigen Kongress für Viszeralmedizin 2012 in Hamburg vorgestellt wurde. Sie empfiehlt eine Therapie nach Stufenschema, bei dem Allgemeinmaßnahmen und Ballaststoffe die Basis bilden. Es folgen Laxanzien, allen voran Makrogole, Bisacodyl und Natriumpicosulfat und, auf der nächsten Stufe, das Prokinetikum Prucaloprid. Vor der Therapie steht allerdings die Diagnose. Das gilt auch für die chronische Obstipation.

Die chronische Obstipation ist eine weit verbreitete gastrointestinale Störung, die die Lebensqualität erheblich beeinträchtigt. Die Inzidenz ist steigend, auch wegen der stetig zunehmenden Lebenserwartung. Denn im Alter steigt die Zahl von Erkrankungen, die eine sekundäre Obstipation zur Folge haben, ebenso wie die Zahl der einzunehmenden Medikamente, die den Darmtransit hemmen. Insbesondere eine Schmerztherapie mit Opiaten geht nahezu regelhaft mit einer Verstopfung einher. Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der chronischen Obstipation wurden in Form einer S2k-Leitlinie gemeinsam von DGNM (Deutsche Gesellschaft für Neuromodulation) und DGVS (Deutsche Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten) erarbeitet, unter Mitwirkung der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie, der Deutschen Gesellschaft für Coloproktologie und der Deutschen Reizdarmselbsthilfe. Einen Überblick gab Dr. Viola Andresen vom Israelitischen Krankenhaus Hamburg auf einem Satellitensymposium der Shire Deutschland GmbH auf dem Kongress für Viszeralmedizin 2012 in Hamburg. Ziel der Leitlinie war es, den aktuellen Kenntnisstand zu Epidemiologie und Pathophysiologie zusammenzufassen und Empfehlungen zu Diagnostik und Therapie nach aktueller Evidenzlage und Expertenmeinung im Konsensusprozess zu geben. Es gab aber auch ein übergeordnetes Ziel, so Andresen, nämlich die Obstipation als Krankheit zu würdigen und sie nicht als Befindlichkeitsstörung abzutun.

Ante portas: Linaclotid für RDS-O


Schon bald kann auch in Europa ein weiteres Präparat zur Therapie der chronischen Obstipation im Rahmen eines Reizdarmsyndroms (RDS) zur Verfügung stehen: Linaclotid, ein Peptid aus 14 Aminosäuren, ist der erste Vertreter der Guanylatcyclase-C-Agonisten. Es aktiviert in der Darmschleimhaut den "cystic fibrosis transmembrane conductance regulator" und führt so zu einer vermehrten Sekretion von Chlorid und Bicarbonat, die Natrium und Wasser nachziehen. Ende August wurde Linaclotid bereits in den USA für die Therapie des Obstipationsprädominanten Reizdarmsyndrom sowie für die chronische Obstipation zugelassen. In Europa steht die Zulassung für das Reizdarmsyndrom mit Obstipation bevor.

Stuhlfrequenz als Marker zu wenig

Neu formuliert wurde die Definition der Obstipation. Die klassische Einteilung wurde anhand der Stuhlfrequenz vorgenommen, wobei eine Stuhlentleerung seltener als jeden dritten Tag als Obstipation galt. Nach der neuen Definition liegt eine chronische Obstipation vor, wenn vom Patienten unbefriedigende Stuhlentleerungen berichtet werden, die seit mindestens drei Monaten bestehen und mindestens zwei der folgenden Leitsymptome aufweisen:

  • starkes Pressen

  • klumpiger oder harter Stuhl

  • subjektiv unvollständige Entleerung

  • subjektive Obstruktion oder

  • manuelle Manöver zur Erleichterung der Defäkation bei 25% der Stuhlentleerungen oder

  • < 3 Stühle pro Woche

Als Basisdiagnostik für alle Patienten werden eine ausführliche Anamnese mit Erfassung unter anderem von Stuhlverhalten und Medikamenteneinnahme empfohlen sowie eine körperliche Untersuchung einschließlich Anusinspektion und rektal-digitaler Untersuchung mit Prüfung des Sphinktertonus. Eine erweiterte Diagnostik, zu der Laboruntersuchungen, Stuhluntersuchungen (Calprotectin als Marker für eine entzündliche Erkrankung) oder auch eine Abdomen-Sonographie gehören, ist notwendig bei Patienten mit Alarmsymptomen oder Bauchschmerzen, bei Patienten mit hohem Leidensdruck und starken Beschwerden bereits zu Beginn der Obstipation sowie bei allen Patienten mit persistierenden Beschwerden trotz Therapie.

Selten hilfreich: übermäßig viel trinken

Die Therapie der chronischen Obstipation erfolgt nach einem Stufenschema. Basis sind Allgemeinmaßnahmen (Stufe Ia) wie ausreichende Flüssigkeitszufuhr, Bewegung und ballaststoffreiche Ernährung sowie die Zufuhr zusätzlicher Ballaststoffe (Stufe Ib) wie Flohsamenschalen oder Weizenkleie. Allerdings steht deren Nutzen nicht immer auf wissenschaftlich sicheren Beinen. Ballaststoffe können laut Andresen zwar eine leichte Obstipation bessern, sind dagegen bei schwerer Obstipation oder bei Entleerungsstörungen kaum wirksam. Zudem verursachen sie häufig Blähungen. Widersprüchlich ist die Datenlage zum Nutzen körperlicher Aktivität. Ein substanzieller Effekt scheint aber eher nicht zu erwarten zu sein. Und die Flüssigkeitszufuhr? Hier sollte eine Normalisierung der Trinkmenge angestrebt werden, eine Steigerung darüber hinaus bringt eher keinen Effekt. Wenn Basismaßnahmen keinerlei Wirkung zeigen, muss auch an eine Entleerungsstörung gedacht werden. Klären lässt sich dies mit dem Hinton-Test. Bei positivem Befund können Klysmen und Suppositorien eingesetzt werden. Mittels Spezialdiagnostik wird dann auch nach strukturellen und funktionellen Ursachen geforscht, die chirurgisch bzw. mittels Biofeedback behandelt werden können.

Erste Wahl: Makrogol – Bisacodyl – Natriumpicosulfat

Bei der häufigeren Obstipation ohne Entleerungsstörung, bei der Ballaststoffe nicht ausreichend wirken, sind Laxanzien indiziert (Stufe II). Makrogol, Bisacodyl und Natriumpicosulfat gelten laut Leitlinie als Medikamente der ersten Wahl, Zuckerstoffe wie Lactulose und Anthrachinone als zweite Wahl. Möglich ist auch eine Kombination von Ballaststoffen und Medikamenten (Stufe Ib plus II) sowie von Medikamenten innerhalb der Stufe II. Auch Suppositorien und Klysmen können eingesetzt werden.

Als Stufe III erstmals in eine Leitlinie aufgenommen wurde das Prokinetikum Prucaloprid (Resolor®), ein selektiver Serotonin-5-HT4-Rezeptoragonist, der das Darmnervensystem direkt aktiviert. Er ist derzeit allerdings nur bei Frauen als Monotherapie in einer Tagesdosis von 2 mg zugelassen. Der einfache Grund: In den klinischen Studien waren deutlich mehr Frauen vertreten als Männer. In einer retrospektiven Subgruppenanalyse der Zulassungsstudien war Prucaloprid bei Männern jedoch ebenso wirksam wie bei den Frauen. Derzeit wird Prucaloprid deshalb in einer weiteren klinischen Studie getestet, mit Fokus auf die Wirksamkeit beim starken Geschlecht. Lässt sich auch damit kein zufriedenstellender Therapieerfolg erreichen, werden als Stufe IV Kombinationstherapien der Stufen I bis III, Klysmen, Lavage und, bei einer zugrundeliegenden Opiat-Obstipation, Opioidantagonisten empfohlen. Am Ende des Stufenschemas stehen die Sakralnervenstimulation sowie die Chirurgie, am ehesten als subtotale Kolektomie.

Basismaßnahmen


Welche Basismaßnahmen helfen bei chronischer Obstipation?

  • Ballaststoffe
    – können eine leichte Obstipation bessern
    – sind oft schlecht verträglich aufgrund vermehrter Blähungen
    – zeigen kaum Wirkung bei schwerer Obstipation oder bei Entleerungsstörung

  • körperliche Aktivität
    – Datenlage ist sehr widersprüchlich, wahrscheinlich kein substanzieller Effekt

  • Toilettentraining
    – es gibt indirekte Hinweise für Effekte auf die Obstipation

  • Flüssigkeit
    – eine Normalisierung der Trinkmenge ist sinnvoll
    – eine Steigerung der Trinkmenge über die empfohlene Menge hat keinen Effekt


Quelle: Andresen, V.: Neues zur Leitlinie Diagnostik und Behandlung der chronischen Obstipation.

Apothekerin Dr. Beate Fessler



DAZ 2012, Nr. 47, S. 48

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.