Gesundheitspolitik

Arzneiverordnungs-Report erstmals mit Rezepturarzneimitteln

Methodik und ausgewiesene Einsparpotenziale weiter in der Kritik

BERLIN (jz) | Jedes Jahr im Herbst wird der Arzneiverordnungs-Report (AVR) mit Spannung erwartet. Er analysiert die vertragsärztlichen ambulanten Arzneimittelverordnungen des Vorjahres und zeigt Einsparpotenziale auf. Basis ist der GKV-Arzneimittelindex, der seinerseits vom Wissenschaftlichen Institut der AOK (WIdO) erstellt wird.

In diesem Jahr enthält der 1155- seitige Report erstmalig auch Angaben zu Rezepturarzneimitteln. Wie in den Vorjahren wurde seine Veröffentlichung von der lautstarken Kritik der Pharmaverbände begleitet.

Eine Neuerung beim diesjährigen Report sind die Zahlen zu Rezepturarzneimitteln: Insgesamt wurden im letzten Jahr 17,7 Millionen GKV-Verordnungen für Rezepturen ausgestellt, das sind 2,7 Prozent aller verordneten Arzneimittel. Im Vergleich zu den Fertigarzneimitteln haben die Rezepturarzneimittel zwar weiterhin nur kleine Verordnungsvolumina. Seit 2005 sind ihre Umsätze laut AVR allerdings von 1,6 auf 2,8 Milliarden Euro gestiegen – zum Vergleich: bei den Fertigarzneimitteln lag der Umsatz im letzten Jahr bei 30,4 Milliarden Euro. Die umsatzmäßig größten Rezeptur-Arzneimittelgruppen waren Parenteralia (1,5 Mrd. Euro) und Zytostatika (1,2 Mrd. Euro), die übrigen Rezepturen kamen auf einen deutlich geringeren Umsatz (178 Mio. Euro).

Foto: LetV Verlag
Die Vorstellung des Arzneiverordnungsreports 2013 in BerlinU. Deh, J. Hecken, Prof. U. Schwabe, Dr. D. Paffrath, Prof. W.-D. Ludwig (v.l.)

Leichter Ausgabenanstieg

Insgesamt sehen die AVR-Herausgeber Prof. Ulrich Schwabe und Dr. Dieter Paffrath bei der Ausgabenentwicklung der Arzneimittel „positive Signale“. Nachdem die GKV-Ausgaben im Jahr 2011 spürbar gesunken waren, stiegen sie im vergangenen Jahr wieder leicht an: um 2,6 Prozent auf 30,6 Milliarden Euro. Damit machten sie im Vorjahr 16 Prozent der gesamten GKV-Ausgaben aus, nach 17 Prozent im Jahr 2011. Grund für die leichte Zunahme ist ein Anstieg der Verordnungsmenge sowie die Verordnung von größeren und teureren Medikamentenpackungen. Die Preise für Arzneimittel sind dagegen durchschnittlich um 1,3 Prozent gesunken.

Einsparpotenzial in Milliardenhöhe

Wie in jedem Jahr errechneten die AVR-Herausgeber auch für 2012 das theoretische Einsparpotenzial im deutschen Arzneimittelmarkt. Ohne eine Verschlechterung der Patientenversorgung hätten 1,6 Milliarden Euro bei den Generika, 2,5 Milliarden Euro bei den Analogpräparaten, 500 Millionen Euro bei den Arzneimitteln mit umstrittenem Nutzen und 39 Millionen Euro bei den Biosimilars gespart werden können. Im internationalen Vergleich mit Frankreich errechneten die Autoren weitere Einsparpotenziale bei den Patentarzneimitteln: Die 50 umsatzstärksten deutschen Patentarzneimittel sind durchschnittlich 31 Prozent teurer als in Frankreich (Apothekenverkaufspreise inklusive Steuern). Ohne die unterschiedliche Mehrwertsteuer für Arzneimittel (Deutschland 19%, Frankreich 2,1%), liegen die deutschen Preise noch neun Prozent über denen des Nachbarlands. Für die 50 umsatzstärksten deutschen Patentarzneimittel weist der Report ein Einsparpotenzial von 663 Millionen Euro netto aus – hochgerechnet auf den gesamten deutschen Patentmarkt beliefe es sich laut AVR auf 1,2 Milliarden Euro. Unter Berücksichtigung der Einsparungen durch die Rabattverträge (2012: 2,1 Mrd. Euro), kommen Schwabe und Paffrath für das Jahr 2012 somit auf ein Gesamteinsparpotenzial von 3,7 Milliarden Euro.

AMNOG braucht Raum für Entfaltung

Die Autoren verweisen des Weiteren auf die Wirkung des Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetzes (AMNOG): Durch das mit dem Gesetz eingeführte Verfahren der Nutzenbewertung von Arzneimitteln konnten bei den GKV-Arzneimittelausgaben bislang 120 Millionen Euro eingespart werden. Das reiche aber nicht aus, um das im AMNOG angestrebte Einsparziel von zwei Milliarden Euro zu realisieren. Mit dem Wegfall des auf 16 Prozent erhöhten Herstellerabschlags und dem Preismoratorium für Nichtfestbetragsarzneimittel zum Ende des Jahres seien Mehrausgaben der Krankenkassen in Höhe von 1,3 Milliarden Euro zu erwarten. Die beiden Sparinstrumente sollten daher um zwei Jahre verlängert werden, forderte Uwe Deh, geschäftsführender Vorstand des AOK-Bundesverbands – solange, bis die Übergangsphase der Nutzenbewertung abgeschlossen sei. Josef Hecken, unparteiischer Vorsitzender des gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), prophezeite, das AMNOG werde in den kommenden Jahren seine volle Wirkung entfalten – er rechne in den nächsten vier bis fünf Jahren mit Einsparungen bis zu einer Milliarde Euro, den Bestandsmarkt ausgenommen.

Pharmaindustrie: „ergebnisorientierte Wissenschaft“

Auch in diesem Jahr kritisierte die Pharmaindustrie den AVR sehr deutlich: Er benenne erneut angebliche Einsparpotenziale, obwohl sie „in keinster Weise“ umsetzbar seien, erklärte der Bundesverband der pharmazeutischen Industrie (BPI). Zudem seien die Methoden weiterhin zweifelhaft und intransparent. Mit dem Report setze sich der AVR einmal mehr dem Verdacht aus, „ergebnisorientierte Wissenschaft“ zu betreiben und nicht an transparenten und damit nachvollziehbaren Ergebnissen interessiert zu sein. Auf die Forderung des AOK-Chefs, Preismoratorium und erhöhten Herstellerabschlag zu verlängern, konterte Birgit Fischer, Hauptgeschäftsführerin des Verbands forschender Pharma-Unternehmer (vfa), gegenwärtig seien die Arzneimittelausgaben stabil – nach Jahren des Rückganges werde es 2014 zwar einen Ausgabenanstieg geben, aber keinen dramatischen. Es gebe daher keinen Grund, das Wort des Gesetzgebers in Zweifel zu ziehen, der ein Auslaufen des Zwangsrabattes für 2013 vorgesehen habe.

DAV warnt vor einseitiger Betrachtungsweise

Der Deutsche Apothekerverband (DAV) warnte wiederum vor „übermäßiger Zahlengläubigkeit“, die im AVR dadurch zum Ausdruck komme, dass er Indexwerte, Durchschnittsmengen oder Einsparpotenziale als wichtigste Bewertungskriterien für die Arzneimittelversorgung in Deutschland definiere. Die AVR-Daten seien interessant und könnten auch dabei helfen, relevante Trends zu erkennen, erklärte der DAV-Vorsitzende Fritz Becker. Einzelne Patienten, die als Menschen ihre Stärken und Schwächen in der Arzneimitteltherapie hätten, würden bei dieser Betrachtungsweise aber weitestgehend ausgeklammert: Eine statistische Betrachtung auf der Basis von Durchschnittswerten sei oft zu einseitig, da der Patient zu wenig berücksichtigt werde. Ziel der Gesundheitspolitik solle es aber nicht sein, „irgendwelche Durchschnittswerte zu optimieren, sondern die effizienteste und effektivste Therapie zu suchen“, so Becker. Die Lösung vieler Probleme liege in einer konsequenten Einbindung des Patienten in die vom Arzt verordnete und vom Apotheker begleitete Arzneimitteltherapie, wie etwa beim ABDA-KBV-Modell.

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