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- AZ 40/2013
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Recht
Rx-Abgabe ohne Rezept: Gericht verneint Unterlassungsanspruch
Entschuldbarer Gesetzesverstoß unterhalb der Spürbarkeitsschwelle
Die Abgabe von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln ohne Rezept kann im Einzelfall gerechtfertigt sein. § 4 der Arzneimittelverschreibungsverordnung (AMVV) sieht vor, dass die verschreibende Person den Apotheker in geeigneter Weise, insbesondere fernmündlich, über die Verschreibung und deren Inhalt unterrichten kann – vorausgesetzt, die Anwendung des fraglichen Arzneimittels duldet keinen Aufschub. Das Rezept ist sodann unverzüglich nachzureichen. Mag die Rechtslage auch relativ klar erscheinen: Es ist kein Geheimnis, dass Apothekerinnen und Apotheker immer wieder eine Entscheidung im Einzelfall treffen, bei der die gesetzlich eingeforderte Dringlichkeit möglicherweise nicht gegeben ist.
Samstagmittag und kein Rezept
So ist es auch im nun vom OLG Stuttgart entschiedenen Fall. Hier gab es eine Vereinbarung zwischen der beklagten Apothekerin und einem ortsansässigen Hausarzt: An Patienten dieses Arztes sollten auch verschreibungspflichtige Arzneimittel ohne Rezept abgegeben werden können, falls der Arzt nicht erreichbar sei und das Arzneimittel zugleich dringend benötigt werde. So hielt es die Apothekerin auch, als an einem Samstagmittag eine Patientin dieses Arztes das verschreibungspflichtige Medikament Tri Normin 25 wünschte. Der Blutdrucksenker wird der nierenkranken Frau bereits seit vielen Jahren verordnet, doch an diesem Tag hatte sie kein Rezept. Das Arzneimittel war ihr ausgegangen und sie hatte es verabsäumt, sich rechtzeitig um eine Verordnung zu kümmern. In der Apotheke des Klägers, wo sie ihr Rezept gewöhnlich einzulösen pflegte, verwies man die Patientin auf den ärztlichen Notdienst in einem 15 km entfernten Ort. Doch die Kundin versuchte es auf kürzerem Weg – und ging in die Apotheke der Beklagten. Dort erhielt sie das gewünschte Medikament ohne Rezept. Diesen „Erfolg“ teilte die Kundin dem Apotheker, der ihr das Mittel nicht ohne Verordnung ausgeben wollte, auch umgehend mit. Der Beklagten reichte sie das von einem Vertretungsarzt ausgestellte Rezept am Montag darauf nach.
Der Kläger, ein junger Apotheker, der die Apotheke frisch übernommen hatte, betrachtete es kritisch, dass seine Kollegin im Ort eine solche „Notfallregelung“ mit dem Arzt pflegte. Für ihn ein klarer Gesetzesverstoß, den er nicht begehen wollte. Doch er fürchtete, so seine Kunden nach und nach zu verlieren. Dies teilte er seiner Kollegin auch mit. Diese hielt es allerdings nicht für notwendig, ihr gewohntes Verhalten zu ändern.
Der Kläger entschied sich zur Abmahnung – und dann zur zivilrechtlichen Klage gegen die Apothekerin. Eine Strafanzeige wollte er explizit nicht stellen.
Wettbewerbsrechtlich nicht spürbarer Verstoß
Das Landgericht Ravensburg gab dem Kläger in erster Instanz (Az: 7O76/11KfH1) Recht. Doch in der zweiten Instanz entschied das Oberlandesgericht Stuttgart nun anders. In seinen Entscheidungsgründen führt es allerdings zunächst ausführlich aus, dass ein Verstoß gegen § 48 AMG vorliegt, der auch nicht ausnahmsweise nach § 4 AMVV gerechtfertigt war. Zu entscheiden, ob es sich tatsächlich um einen dringlichen Fall im Sinne dieser Norm handele, könne nicht Aufgabe des Apothekers sein, heißt es im Urteil. Er müsse sich insoweit auf die Auffassung des Arztes verlassen können. Doch der Hausarzt der Patientin war nicht erreichbar. Und den ärztlichen Notdienst bemühte man nicht. Dass die Apothekerin eine Ärztin ihres Vertrauens anrief, der sie ihr eigenes Vorwissen über die Patientin mitteilte und von der sie sich erklären ließ, sie könne das nachgefragte Medikament abgeben, reichte dem OLG nicht, um den Anwendungsbereich des § 4 AMVV zu eröffnen. Kurzum: Da § 48 AMG auch eine Marktverhaltensregel im Sinne des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb sei, sei ein wettbewerbsrechtlicher Unterlassungsanspruch grundsätzlich zuzuerkennen. Aber: Liege ein nur einmaliger, versehentlicher oder gar entschuldbarer und geringer Gesetzesverstoß vor, so könne es an der Eignung der Handlung, die Interessen von Verbrauchern und Marktteilnehmern spürbar zu beeinträchtigen, fehlen. Hier würdigt das Gericht, dass die Beklagte immerhin versucht hatte, den Arzt der Patientin über seine Privatnummer zu erreichen – wenn auch ohne Erfolg – und sodann Rat bei einer bekannten Ärztin gesucht hatte. Zudem habe sie sich von der Patientin versichern lassen, dass sie seit Jahren das gleiche Medikament erhalte und auf dieses auch angewiesen sei. All diese Umstände, so das Gericht, erlaubten die Spürbarkeit zu verneinen. Selbst die Tatsache, dass die Beklagte der Patientin die größtmögliche Packungseinheit ausgab, sieht das Gericht als unproblematisch an.
Fall geht zum BGH
Eine andere Packungsgröße habe die Beklagte nicht vorrätig gehabt.
Die Revision ließen die Stuttgarter Richter nicht zu. Hiergegen hat der Kläger zwischenzeitlich Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesgerichtshof eingereicht.
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