Fragen aus der Praxis

Verstopfter Blasenkatheter

Ist eine Prophylaxe mit Methenamin bei katheterassoziierten Komplikationen zu empfehlen?

Frage:

Ein tetraplegischer Patient mit suprapubischem Blasenkatheter und Einnahme des Importarzneimittels Hiprex® (Wirkstoff: Methenaminhippurat) fragt nach, wie Erfolg versprechend eine Erhöhung der Dosierung von zweimal täglich 1 g auf dreimal täglich 1 g zur Prophylaxe von Harnwegsinfekten sein könnte. Dabei interessiert ihn vor allen Dingen, ob das Nebenwirkungsrisiko steigt und mit welchen Langzeitrisiken zu rechnen ist.
ANTWORT GIBT Sylvia Obermeier, Regionales Arzneimittelinformationszentrum der LAK Baden-Württemberg, Schwarzwald-Baar Klinikum Villingen-Schwenningen

Hintergrundinformationen

Die Einnahme von Hiprex® erfolgt bereits seit vielen Jahren, früher in Form des heute in Deutschland nicht mehr verkehrsfähigen Arzneimittels Urotractan® (Methenamin-benzamidoacetat) in der gleichen Dosierung (zweimal täglich 1 g).

In der letzten Zeit hat der Patient verstärkt Probleme mit verstopften Blasenkathetern.

Blasenkatheter

Suprapubische Blasenkatheter (SBK) weisen im Vergleich zu Transurethralen Blasenverweilkathetern (DK), eine deutliche Reduktion von katheterassoziierten Harnwegsinfekten und einen geringeren Pflegeaufwand auf. Jedoch sind trotz korrekter Katheteranlagetechnik, Verwendung eines geschlossenen Harnableitungssystems und sorgfältigen pflegerischen Maßnahmen, Harnwegsinfektionen längerfristig nicht zu vermeiden. Harnwegsinfektionen sind in bis zu 90% mit einem Katheter ursächlich assoziiert und die tägliche Inzidenz einer neu erworbenen Bakteriurie steigt proportional mit der Liegedauer des Katheters. Bei transurethral katheterisierten Patienten liegt das Risiko zwischen 3 und 10%. Patienten mit so einem Katheter haben pro Kathetertag ein um den Faktor 5 erhöhtes Infektionsrisiko im Vergleich zu Patienten mit einem suprapubischen Katheter [1].

Wie entstehen Katheterverstopfungen?

"Verstopfen" kann ein Katheter durch sogenannte Inkrustationen. Diese Inkrustationen können durch Organismen des sogenannten Biofilms im Katheterlumen gefördert werden. Der Biofilm entsteht nach Kathetereinbringung anfangs durch eine einzelne Bakterienart, wird aber später (vor allem bei Dauerkathetern) von einer Vielzahl Bakterien gebildet. Meist sind diese Organismen in hohem Maße antibiotikaresistent. Der Biofilm im Kathetersystem reflektiert natürlich nicht die Bakterienpopulation in der Blase selbst. Katheterinkrustationen werden durch Bakterien begünstigt, die die Fähigkeit zur Hydrolyse von Harnstoff zu freiem Ammoniak besitzen. Dazu zählen Proteus -, Pseudomonas -, Klebsiella - und Providencia -Spezies. Die Ammoniakfreisetzung erhöht den lokalen pH-Wert im Kathetersystem, was das Ausfallen von Mineralstoffen (Magnesiumammoniumphosphat = Sturvit, Carbonatapatit und teilweise Calciumphosphat) begünstigt und letzten Endes zur Obstruktion der Leitung führen kann. Patienten mit wiederholtem Katheterverschluss scheinen sich metabolisch von anderen Patienten zu unterscheiden (höherer Urin-pH, erhöhte Calcium-, Protein- und Mucinausscheidung). Silikon besitzt im Vergleich zu anderen Materialien die vergleichsweise größte Biokompatibilität und -stabilität. Durch die größere Lumenweite solcher Vollsilikonkatheter sind Inkrustationen weniger wahrscheinlich, was den etwas höheren Preis rechtfertigt [1, 2].

Wie kann man Inkrustationen vorbeugen?

Katheterinkrustationen lassen sich durch Spülungen des Systems nicht vermeiden. Spülungen werden auch wegen der notwendigen Manipulation am geschlossenen System nicht empfohlen. Eine Steigerung der Trinkmenge auf mindestens zwei Liter pro Tag wirkt sich positiv aus (Ziel: spezifisches Gewicht Urin < 1015 g/l). Der resultierende Verdünnungs- und Spüleffekt kann zu einer Keimreduktion und Inkrustationsprophylaxe beitragen. Auch eine Ansäuerung des im Infektionsfall meist alkalischen Harns mit L-Methionin auf einen pH-Wert unter 6 limitiert Katheterinkrustationen [1, 2].

Methenamin: Dosierung, Wirkung, Nebenwirkung

Methenamin (Urotropin) ist ein Harndesinfizienz, das unter dem Namen Urotractan® bis vor einigen Jahren in Deutschland von der Firma Astellas vertrieben wurde. Seit etwa sechs bis sieben Jahren ist Methenamin bei uns nur noch als Importarzneimittel (z. B. Hiprex®) erhältlich. Hiprex® ist zur Prophylaxe und Behandlung von häufig rezidivierenden Harnwegsinfekten durch entsprechend empfindliche Bakterien zugelassen und sollte nur nach einer erfolgreichen Eradikation anderer nicht empfindlicher Bakterien angewendet werden. Die empfohlene Dosierung für Erwachsene mit häufig wiederkehrenden Harnwegsinfektionen ist zweimal täglich 1 g Methenaminhippurat [3].

Bei Patienten mit Dauerkathetern konnte die Wirksamkeit von Methenamin zur Prophylaxe von Harnwegsinfekten nicht nachgewiesen werden. Allerdings konnte Methenamin bei diesen Patienten die Häufigkeit verschiedener Katheterkomplikationen, wie Katheterblockaden, verringern und die Lebensdauer des Katheters verlängern [2, 6, 7].

Methenamin wird in saurem Urin zu antibakteriell wirksamem Formaldehyd hydrolysiert, die Salzkomponente (Hippursäure) besitzt auch schwache antibakterielle Eigenschaften und hilft den Urin sauer zu halten. Der gebildete Formaldehyd ist für die Denaturierung von Proteinen und Nukleinsäuren und damit für die antibakterielle Wirkung des Methenamins verantwortlich. Allerdings korreliert die breite antibakterielle Eigenschaft des Formaldehyds mit dessen Konzentration im Urin. Diese ist wiederum abhängig von der Konzentration des Methenamins im Urin, dem Urin-pH und der Zeit, in der Formaldehyd in der Blase verbleibt. Der letzte Punkt ist vermutlich der Grund für die schlechte Wirksamkeit von Methenamin bei Patienten mit Dauerkathetern, da der Urin kontinuierlich abgeführt wird und somit ein längeres Verweilen des Formaldehyds in der Blase ausgeschlossen ist.


ANTWORT KURZ GEFASST


  • Methenamin sollte aufgrund derzeitiger Datenlage nicht routinemäßig zur Prophylaxe von Harnwegsinfekten bei Patienten mit Dauerkathetern empfohlen werden. Vermutlich ist die Verweilzeit des entstehenden Formaldehyds in der Blase durch den kontinuierlichen Urinabfluss zu kurz.

  • Die Anwendung von Methenamin zur Reduktion von Katheterkomplikationen kann jedoch erwogen werden. Sollte im Einzelfall eine Therapie für sinnvoll erachtet werden, ist auf die Einstellung des Urin-pH-Wertes < 5,5 – 6 zu achten.

  • Zu weiteren Überlegungen, wie katheterassoziierte Infekte zu vermeiden sind, kann die ausführliche Leitlinie der Infectious Diseases Society of America konsultiert werden [2].


Ein Urin-pH-Wert unter 6 bzw. sogar unter 5,5 wird für eine bakterizide Konzentration des Formaldehyds als notwendig erachtet. Gegebenenfalls kann es erforderlich sein, den Harn anzusäuern. Regelmäßige pH-Wert-Kontrollen sind empfehlenswert. Das Aktivitätsspektrum von Methenamin umfasst E. coli, Enterokokken und Staphylokokken. Enterobacter aerogenes ist resistent. Eine Inhibition von Proteus - und Pseudomonas -Spezies (diese können Harnstoff spalten) kann nur in stark saurem Urin erreicht werden [2, 3].

Die Nebenwirkungen von Methenamin werden als mild beschrieben und äußern sich vorwiegend in gastrointestinalen Beschwerden (Übelkeit, Erbrechen, Bauchbeschwerden). Als seltene, aber schwerwiegende unerwünschte Arzneimittelwirkung werden immunologische Reaktionen genannt. Generell müssen die angegebenen Kontraindikationen Niereninsuffizienz (bei reduzierter GFR können Methenamin-Kristalle ausfallen) und schwere Leberinsuffizienz beachtet werden. Der gleichzeitige Gebrauch von Sulfonamiden ist kontraindiziert, da Salze der Methenaminsäure ausfallen können! Dies ist bei der Auswahl von Antibiotika zur Therapie von Harnwegsinfekten zu beachten bzw. sollten Sulfonamide verschrieben werden, muss die Einnahme von Hiprex® unterbrochen werden.

Albuminurie und Irritationen der Blase traten bei Dosierungen von täglich 8 g Methenamin über drei bis vier Wochen auf.

Patienten unter Methenamintherapie sollten auf Faktoren hingewiesen werden, die zu einer Alkalisierung des Urins und damit zu einer verminderten Wirksamkeit des Methenamins führen können. Mögliche Ursachen für das Ansteigen des Harn-pH-Wertes sind:

  • eine Therapie mit Diuretika,
  • die Einnahme von Antazida oder basenhaltigen Nahrungsergänzungsmitteln (große Mengen von Magnesium- und Aluminiumsalzen oder Natriumbicarbonat),

  • das unbeabsichtigte Alkalisieren des Harns durch die Ernährung – fleischarm, obstreich (alle Sorten bis auf Cranberries, Pflaumen, Zwetschgen) und gemüsereich. Natürlich soll auf Obst und Gemüse nicht verzichtet werden. Um das Risiko einer verminderten Wirksamkeit des Methenamins jedoch gering zu halten, ist die Gabe mehrere Stunden vor dem Genuss von alkalischen Lebensmitteln empfehlenswert.

Einschätzungen der aktuellen Leitlinien

Im März 2010 wurde von der Infectious Disease Society of America (IDSA) eine Leitlinie zur Diagnose, Prophylaxe und Behandlung von katheterassoziierten (CA) Harnwegsinfekten bei Erwachsenen publiziert. Aus dieser Leitlinie lassen sich evidenzbasierte Empfehlungen für die direkte Patientenversorgung entnehmen. Die Empfehlungen der Leitlinie sind mit entsprechendem Empfehlungsgrad (A – C) und Evidenzgrad (I – III) gekennzeichnet [2].

Folgende Aussagen zum Einsatz von Methenaminsalzen bei Patienten mit Dauerkathetern werden getroffen:

  • Methenaminsalze sollten nicht routinemäßig zur Reduktion von CA-Bakteriämie oder CA-Harnwegsinfekten eingesetzt werden (A-III).

  • Wenn ein Methenaminsalz zur Reduktion der CA-Harnwegsinfekt-Rate verwendet wird, sollte der Urin-pH unter 6 gehalten werden (B-III). Durch welche Substanz man diesen pH am besten erreichen kann, kann aus den zu Verfügung stehenden Daten nicht ermittelt werden.

  • Für die limitierenden Effekte des Methenamins bei Patienten mit Dauerkathetern kann die geringe Verweildauer des Formaldehyds in der Blase durch den kontinuierlichen Urinabfluss verantwortlich gemacht werden.

Eine belgische Leitlinie und ein aktuell überarbeiteter Cochrane Review mit 13 Studien und 2032 Patienten zum Einsatz von Methenamin zur Prävention und Therapie von Harnwegsinfekten kommen übereinstimmend zu dem Schluss, dass positive Effekte nur in der Kurzzeitprophylaxe bei Patienten ohne Veränderungen im harnableitenden System zu finden sind. Für Patienten nach Rückenmarksverletzungen und Dauerkatheterisierung konnte ein solcher Effekt nicht gezeigt werden [4, 5].


Glossar


Tetraplegie

Die Tetraplegie ist eine Form der Querschnittslähmung, bei der alle vier Gliedmaßen, also sowohl Beine als auch Arme, betroffen sind.

Blasenkatheter

Ein Blasenkatheter kann entweder über die Harnröhre (transurethral) oder über die Bauchdecke (suprapubisch) in die Harnblase eingebracht werden.

Einsatz von Methenamin in höherer Dosierung?

Norberg führte 1980 eine randomisierte placebokontrollierte Studie durch, in der Methenaminhippurat in einer Dosierung von dreimal täglich 1 g zum Einsatz kam. Methenaminhippurat reduzierte dort die Anzahl an Katheterblockaden und notwendigen Katheterwechseln. Es wurde jedoch vermutet, dass dieser Effekt der Urin-pH-Senkung und der reduzierten Bakteriurie zuzuschreiben war. Angaben zur Nebenwirkungsrate bei dieser Dosierung wurden nicht gemacht [6].

Die meisten anderen Studien mit den bekannten Nebenwirkungsraten wurden mit der zugelassenen Dosierung von zweimal täglich 1 g Methenaminhippurat durchgeführt.

Aussagen zu möglichen Schäden aufgrund einer jahrelangen Methenamin-Einnahme können aufgrund der vorliegenden Daten nicht gemacht werden, entsprechende randomisierte und kontrollierte Studien fehlen [4]. Gewarnt wird in der Produktinformation jedoch vor einer stark erhöhten Dosierung über längere Zeit (8 g über 3 bis 4 Wochen). In diesen Fällen wurde von Blasenirritationen, Albuminurie und Hämaturie berichtet [3].

Sinnvoller als eine dauerhafte Dosiserhöhung ist im beschriebenen Beispiel eher der Versuch, den Urin-pH auf Werte unter 5,5 bis 6 einzustellen und über eine ausreichende Trinkmenge einen Verdünnungs- und Spüleffekt zu erzielen. Weitere prophylaktische Maßnahmen können der IDSA-Guideline [2] entnommen werden.


Literatur

[1] Piechota H et al. Katheterdrainage der Harnblase heute. Dtsch Arztebl 2000; Ärzteblatt; 97(4): A-168-174.

[2] Hooton TM et al. Diagnosis, Prevention, and Treatment of Catheter-Associated Urinary Tract Infection in Adults: 2009 International Clinical Practice Guidelines from the Infectious Diseases Society of America. Clinical Infectious Diseas 2010;50:625 – 663

[3] Product Information Hiprex® 2004

[4] Lee BS, Bhuta T, Simpson JM, Craig JC. Methenamine hippurate for preventing urinary tract infections. Cochrane Database Syst Rev. 2012 Oct 17

[5] Everaert K et al. Urinary tract infections in spinal cord injury: prevention and treatment guidelines. Acta Clin Belg. 2009 Jul-Aug;64(4):335 – 40.

[6] Norberg A et al. Randomized double-blind study of prophylactic methenamine hippurate treatment of patients with indwelling catheters. Eur J Clin Pharmacol. 1980 Nov;18(6): 497 – 500.

[7] Wibell L et al. Methanamine hippurate and bacteriuria in the geriatric patient with a catheter. Acta Med Scand 1980; 207:469 – 473.


Autorin

Apothekerin Sylvia Obermeier, Schwarzwald-Baar Klinikum, Villingen-Schwenningen GmbH, Vöhrenbacher Str. 23, 78050 Villingen-Schwenningen



DAZ 2013, Nr. 1/2, S. 44

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