Darmkrebsmonat

Methoden der Früherkennung und Aktionen zur Vorsorge

Von Jürgen F. Riemann | Das Kolonkarzinom gehört in der westlichen Welt zu den häufigsten metastasierenden Tumoren. In Deutschland ist es die zweithäufigste Krebsneuerkrankung und auch die zweithäufigste Krebstodesursache. Jährlich erkranken ca. 65.000 Menschen neu, knapp 26.000 sterben daran [1]. Es gibt eine eindeutige Alterskorrelation: Bei Männern steigt das Risiko ab dem 50. Lebensjahr stark an, bei Frauen steigt es ab dem 55. Lebensjahr, allerdings etwas langsamer. Die Prognose des Kolonkarzinoms hängt entscheidend von seinem Stadium ab. Während bei der Diagnose eines Tumors im Stadium I, der auf die oberste Gewebeschicht beschränkt ist, eine 5‑Jahres-Überlebensrate von deutlich mehr als 90% besteht, sterben nahezu alle Patienten im Stadium IV, also mit weit fortgeschrittenem, metastasiertem Darmkrebs, innerhalb dieses Zeitraums.
Koloskopie oder Darmspiegelung Sie ist die effektivste Methode der Früherkennung des Kolonkarzinoms und ermöglicht zugleich die Entfernung von Polypen im Dickdarm.
Grafik: NCI

75% der Krebsneuerkrankungen sind sporadisch; dem stehen Risikogruppen gegenüber, die vor allem durch eine familiäre Häufung und durch eine hereditäre Komponente geprägt sind. Bei familiärer Belastung ist das Erkrankungsrisiko gegenüber einer Kontrollgruppe um zehn Jahre vorverlegt; daraus resultieren natürlich auch besondere Maßnahmen für die Früherkennung. Das familiäre Risiko beträgt etwa 15 bis 20%. Der klassische genetische Krebs, das Lynch-Syndrom (4 – 5%) und die familiäre Polyposis (1%), steht für etwa 5 bis 6% der Neuerkrankungen. Die S3-Leitlinie "Kolorektales Karzinom" der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) und assoziierter Gruppen klärt über die notwendigen diagnostischen und therapeutischen Schritte umfassend auf [2]; sie wird derzeit aktualisiert.

Das Kolonkarzinom entwickelt sich über Vorstufen, die inzwischen bestens bekannt sind. Das Besondere dieser Vorstufen ist, dass sie sehr langsam über einen Zeitraum von zehn bis 15 Jahren entstehen und aufgrund dieses Zeitfensters und des Wachstums in das Darmlumen optisch wie stuhlanalytisch auch gut entdeckt werden können. Neuere Untersuchungen zeigen, dass vor allem im rechtsseitigen Kolon Untergruppen, die sog. serratierten Adenome, auftreten, die eine schnellere Wachstumsentwicklung haben.

Erfolge durch Stuhlbluttest und Koloskopie

Seit dem Jahr 2002 gibt es in Deutschland für beide Geschlechter ein erweitertes Vorsorge-/Früherkennungsangebot, das den Guajak-basierten Test auf fäkales okkultes Blut (g-FOBT) ab dem 50. Lebensjahr sowie die Vorsorgekoloskopie ab dem 55. Lebensjahr beinhaltet. Während der Stuhlbluttest bis zum 55. Lebensjahr jährlich und ab dem 55. Lebensjahr bei Nichtinanspruchnahme der Darmspiegelung zweijährlich durchgeführt wird, kann die Vorsorgekoloskopie bei unauffälligem Erstbefund nach zehn Jahren wiederholt werden.

Der Stuhlbluttest hat die höchste Evidenz; es ist inzwischen aufgrund von großen Langzeitstudien gesichert, dass man bei konsequenter Anwendung zu einer deutlichen Senkung der Darmkrebs-Inzidenz um ca. 20% beitragen kann [3].

Grundlage für die Vorsorgekoloskopie ist u. a. die amerikanische nationale Polypenstudie, die sehr klar gezeigt hat, dass bei konsequenter Polypektomie eine Reduktion der Darmkrebs-Inzidenz um bis zu 90% erreichbar ist [4]. Gerade jüngst ist in einer hochrangig publizierten Übersicht über einen 20-Jahresverlauf gezeigt worden, dass in der Tat die Gruppe der Polypektomierten gegenüber einer Kontrollgruppe ein um die Hälfte verringertes Darmkrebsrisiko hat [5].

Vorsorgedarmspiegelungen belegen, dass bei einer asymptomatischen Bevölkerung ohne Risiko ab 50 Jahren mit ca. 1% Karzinomen, ca. 8 bis 9% sogenannten fortgeschrittenen Adenomen und weiteren 20% kleinen Adenomen zu rechnen ist [6]. Mit der heute möglichen hochauflösenden Endoskopie (HD-TV) sind auch kleine Läsionen exakt zu beurteilen, in ihrer Dignität zu erkennen und mit neuesten Techniken komplett abzutragen (Abb. 1).

In Deutschland wird die Vorsorgekoloskopie wissenschaftlich vom Zentralinstitut für die Kassenärztliche Versorgung begleitet. In der 10-Jahresübersicht zeigt sich, dass auch bei uns in etwa die gleiche Rate an Befunden erhoben wird [7]. So finden sich auch hierzulande ca. 1% Karzinome und etwa 6 bis 7% fortgeschrittene Adenome. Das Besondere aber ist, dass durch die Vorsorgekoloskopie mehr als 60% der Karzinome in den Stadien I und II diagnostiziert werden, die eine gute bis sehr gute Prognose aufweisen.

Aus diesen Daten resultiert auch – so hat es Herrmann Brenner vom DKFZ Heidelberg errechnet – , dass bisher schon über 100.000 Karzinome verhindert und mehrere hundertausend große Adenome abgetragen werden konnten, völlig abgesehen davon, dass mit der konsequenten Polypektomie in den nächsten Jahren ein weiterer erheblicher Rückgang von Mortalität und Inzidenz zu erwarten ist [8]. Die neuesten Zahlen des RKI unterstreichen, dass bereits in den vergangenen zehn Jahren, wahrscheinlich u. a. durch die intensivierte Vorsorge, ein Rückgang der Darmkrebsmortalität erreicht werden konnte.

Die Teilnahmerate an der Vorsorgekoloskopie ist mittelmäßig; in zehn Jahren haben sich ca. 20% der Frauen und 18% der Männer über 55 Jahren einer solchen Untersuchung unterzogen [7]. Bemerkenswert ist, dass gerade Männer ein erhöhtes Risiko für diese Erkrankung haben, wie sich in jüngsten Studien sehr klar gezeigt hat. So ist z. B. die "Number Needed to Screen", um ein Adenom zu finden, bei Männern 5,4, bei Frauen 9,3. Es gibt auch eine geschlechtsspezifische Altersverschiebung: 55- bis 59-jährige Männer erkranken etwa so häufig wie Frauen, die eine Dekade älter sind [9, 10].

Einladung zur Vorsorge

Das bisher opportunistische Darmkrebs-Screening ist zwar auch im europäischen Vergleich gut; im Nationalen Krebsplan wurde aber im Rahmen einer Arbeitsgruppe eine Weiterentwicklung der Darmkrebsfrüherkennung vorgeschlagen. Sie soll zu einem organisierten Einladungsmodell führen: Jeder einzelne Anspruchsberechtigte wird zu einem Einladungsgespräch aufgefordert, in dem dann die Weichen für die weitere Vorsorge/Früherkennung gestellt werden können [11]. Inzwischen ist vom Bundestag das Krebsfrüherkennungs- und -registergesetz (KFRG) verabschiedet worden, das auch den Männern nach einer persönlichen Einladung, wie bei den Frauen im Rahmen des Mammografie-Screenings, die Möglichkeit der Teilnahme bietet. Ein weiterer wichtiger Fortschritt ist die Flexibilisierung der Altersgrenzen, die einen früheren Einstieg in die Vorsorge für die genannten Risikopersonen zulässt.

Immunologische Tests

Die immunologischen Tests auf Blut im Stuhl sind – wie bereits in vielen europäischen Nachbarländern – auf dem Vormarsch [12]. Zahlreiche Untersuchungen haben gezeigt, dass sie (bei gleicher Spezifität) dem Guajak-basierten Stuhlbluttest in puncto Sensitivität überlegen sind [12, 13]. Ferner machen sie keine diätetischen Einschränkungen notwendig, da sie nur menschliches Hämoglobin messen; sie sind einfacher in der Handhabung, erfordern in der Regel nur eine Stuhlprobe [14] und haben auch eine höhere Akzeptanz als die Koloskopie [15]. Derzeit wird sehr intensiv darüber diskutiert, welche Qualitätsanforderungen der immunologische Stuhlbluttest erfüllen muss, um von der gesetzlichen Krankenversicherung erstattet zu werden, denn die derzeit angebotenen Tests haben sehr unterschiedliche Sensitivitäten (Auswahl in Tab. 1) [16]. Sicher ist – und das wird auch eine Empfehlung des Update der S3-Leitlinie "Kolorektales Karzinom" sein – , dass auf jeden Fall eine Spezifität von über 90% wie beim g-FOBT, aber eine deutlich höhere Sensitivität als beim g-FOBT erreicht werden muss.

Tab. 1: Sensitivität und Spezifität einiger immunologischer Stuhlbluttests im Vergleich zum Guajak-basierten Stuhlbluttest (g-FOBT), nach [16]

Bionexia
FOBplus
Bionexia
Hb/Hp-
Complex
PreventID
CC
immoCare
C
FOB
advanced
QuickVue
iFOB
Haemoccult
(g-FOBT)
Sensitivität: alle Adenome
35,8
58,0
29,6
11,4
18,0
45,2
5,4
Sensitivität: fortgeschrittene Adenome
52,3
71,5
49,2
25,4
26,9
56,2
9,4
Spezifität
81,9
58,8
81,8
96,7
92,9
70,2
95,5

Weitere neue Methoden der Darmkrebsfrüherkennung wie die Kapselendoskopie [17] oder moderne Stuhl-DNA-Tests sind noch in der Erprobung oder Entwicklung [18]. Möglicherweise können eines Tages molekulare Tests von Blutproben das Risiko individuell sehr präzise vorhersagen. Die CT-Kolonografie liefert zwar sehr gute Ergebnisse [19], ist aber aufgrund ihrer systemimmanenten Strahlenexposition in Deutschland nicht zum Screening zugelassen; die MR-Technologie ist noch nicht ausgereift [20].

Aktionen zur Aufklärung

Die Stiftung LebensBlicke setzt sich seit fast 15 Jahren sehr intensiv für die Möglichkeiten der Darmkrebsfrüherkennung ein [21]. Ein großer Kreis von Regionalbeauftragten in allen Bundesländern betreibt Öffentlichkeitsarbeit auf allen Ebenen und hat die Aufmerksamkeit für das Thema enorm gesteigert. Erfolgreiche Aktionen – z. B. zusammen mit dem Apothekerverband Nordrhein im März 2010 – haben gezeigt, dass man für dieses Thema auch Partner braucht. Gerade die Apotheker sind ein wichtiger Partner für die Prävention.

Bei allen Anstrengungen um die Sekundärprävention darf man aber die Primärprävention nicht aus den Augen lassen. Allein durch sportliche Aktivitäten, durch vernünftige Ernährung, durch den Verzicht auf das Rauchen und einen moderaten Alkoholkonsum lassen sich schon ca. 30 bis 40% der Darmkrebsfälle verhindern. Auch vor dem ökonomischen Hintergrund, dass die Krebsbehandlung mit zunehmenden innovativen Arzneimitteln immer kostspieliger wird, kommt der Prävention natürlich auch gesundheitspolitisch eine immense Bedeutung zu.


Literatur

[1] Robert Koch-Institut (Hrsg.) und die Gesellschaft der epidemiologischen Krebsregister in Deutschland e.V. (Hrsg.). Krebs in Deutschland 2005/2006. Häufigkeiten und Trends. 7. Ausgabe. Berlin 2010.

[2] Schmiegel W, et al. S3 Leitlinie "Kolorektales Karzinom" 2004/2008. Z Gastroenterol 2009;47:37 – 54.

[3] Mandel JS, et al. The Effect of Fecal Occult-Blood Screening on the Incidence of Colorectal Cancer. N Engl J Med 2000;343:1603 – 1607.

[4] Winawer SJ, et al. Reduction of colorectal cancer by colonoscopic polypectomy. The National Polyp Study Workgroup. N Engl J Med 1993;329:1977 – 1981.

[5] Zauber AG, et al. polypectomy and long-term prevention of colorectal-cancer deaths. N Engl J Med 2012;366(8): 687 – 696.

[6] Lieberman D. Progress and Challenges in Colorectal Cancer Screening und Surveillance. Gastroenterology 2010; 138:2115 – 2212.

[7] Schäfer M, et al. Darmkrebsprävention: Teilnahmeraten stagnieren – mehr Information erforderlich. Dtsch Ärztebl 2012;109:A 528 / B 452 / C 448.

[8] Brenner H, et al. Zwischenbilanz der Früherkennungskoloskopie nach acht Jahren: Eine Hochrechnung und erste Ergebnisse. Dtsch Ärztebl 2010;107:753 – 759.

[9] Kolligs FT, et al. Risk of Advanced Colorectal Neoplasia According to Age and Gender. PLoS ONE 2011;6(5): e20076.

[10] Ferlitsch M, et al. Sex-specific prevalence of adenomas, advanced adenomas, and colorectal cancer in individuals undergoing screening colonoscopy. J Am Med Assoc 2011; 306:1352 – 1358.

[11] Riemann JF, et al. Darmkrebsfrüherkennung im Nationalen Krebsplan – Aktueller Stand und Empfehlungen für die Weiterentwicklung. Z Gastroenterol 2011;49:1428 – 1431.

[12] Van Rossum LG, et al. Random comparison of guaiac and immunochemical fecal occult blood tests for colorectal cancer in a screening population. Gastroenterology 2008;135: 82 – 90.

[13] Hol L, et al. Screening for colorectal cancer: randomised trial comparing guaiac-based and immunochemical faecal occult blood testing and flexible sigmoidoscopy. Gut 2010; 59:62 – 68.

[14] Oort FA, et al. Colonoscopy-controlled intra-individual comparisons to screen relevant neoplasia: faecal immunochemical test vs. guaiac-based faecal occult blood test. Aliment Pharmacol Ther 2010;31:432 – 439.

[15] Quintero E, et al. Colonoscopy versus fecal immunochemical testing in colorectal-cancer screening. N Engl J Med 2012;366:697 – 706.

[16] Hundt S, Haug U, Brenner H. Comparative evaluation of immunochemical fecal occult blood tests for colorectal adenoma detection. Ann Intern Med 2009;150:162 – 169.

[17] Spada C, et al. Colon capsule endoscopy: European Society of Gastrointestinal Endoscopy (ESGE) Guideline. Endoscopy 2012;44:527 – 536.

[18] Berger DM, Ahlquist DA. Stool DNA screening for colorectal neoplasia: biological and technical basis for high detection rates. Pathology 2012;44(2):80 – 88.

[19] Johnson CD, et al. Accuracy of CT colonography for detection of large adenomas and cancers. N Engl J Med 2008;359:1207 – 1217.

[20] Zijta FM, et al. Magnetic resonance (MR) colonography in the detection of colorectal lesions: a systematic review of prospective studies. Eur J Radiol 2010;20:1031 – 1046.

[21] Riemann JF. Früherkennung des kolorektalen Karzinoms – welchen Beitrag leisten Stiftungen? Endo heute 2006;19: 257 – 262.


Autor

Prof. Dr. Jürgen F. Riemann, em. Direktor der Med. Klinik C, Klinikum Ludwigshafen, c/o Stiftung LebensBlicke, Schuckertstr. 37, 67063 Ludwigshafen, riemannj@garps.de

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