Arzneimittel und Therapie

Alte Krankheit mit neuem Gesicht

Wie verlaufen Windpocken bei Kindern, die eigentlich dagegen geimpft sind? Ist der Krankheitsverlauf in geimpften und ungeimpften Kindern derselbe? Mit dieser Frage beschäftigte sich kürzlich die kanadische Wissenschaftlerin Jessica C. Stovel.

Vor der Einführung des Varizellen-Impfstoffes traten in den USA jährlich rund vier Millionen Fälle von Windpocken auf. In den neunziger Jahren waren davon vor allem ein- bis vier-jährige Kinder betroffen, was sich auf den vermehrten Besuch von Kinderbetreuungseinrichtungen zurückführen lässt. Nachdem der Impfstoff 1995 auf den Markt kam, ging das Auftreten von Windpocken um 90% (!) zurück.

Kein vollständiger Impfschutz?

Trotz einer guten Durchimpfungsrate treten immer wieder Fälle von Windpocken bei geimpften Kindern auf. Die Zahl wird auf 15 bis 20% geschätzt. In einer Studie konnte außerdem gezeigt werden, dass die Effektivität des Impfstoffes im ersten Jahr nach der Impfung am höchsten ist (87%) und zwei bis acht Jahre nach Impfung nachlässt (84%). Darüber hinaus war die Impfung deutlich effektiver, wenn Kinder im Alter von 15 Monaten oder älter geimpft wurden (99%), verglichen mit Kindern unter 15 Monaten (73%).

Insgesamt scheinen die Gründe für einen nachlassenden Impfschutz also bei länger zurückliegender Impfung (≥ 5 Jahre) und zu frühem Impfdatum (unter 15 Monate) zu liegen. Daneben wird das Vorliegen von Autoimmunerkrankungen wie Asthma oder Neurodermitis als weitere Risikofaktoren diskutiert.

Verlauf der Erkrankung

Bei Kindern, die trotz Impfung an Windpocken erkranken, verläuft die Erkrankung meist milder mit niedrigerem Fieber und weniger stark juckendem Exanthem. Während bei ungeimpften Kindern im Krankheitsfall rund 300 Hautläsionen auftreten, sind es bei geimpften Kindern nur rund 50. Geimpfte Kinder genesen außerdem schneller, sind einem geringeren Komplikationsrisiko ausgesetzt und sind weniger ansteckend. Oft entwickeln sich die Hautläsionen – im Gegensatz zum typischen Krankheitsbild – nicht zu Bläschen und bilden keinen Schorf.

Aufgrund des meist milden Krankheitsverlaufes ist die Erkennung einer Windpocken-Erkrankung bei geimpften Kindern für den Laien nicht ganz einfach. Besteht der Verdacht, sollte auf jeden Fall ein Arzt konsultiert werden.


Quelle

Stovel JC, Breakthrough Chicken Pox: An Old Disease With a New Look. Medscape. Mar 05, 2013.


Apothekerin Dr. Birgit Benedek


Empfehlung der Ständigen Impfkommission


Seit August 2004 ist die Varizellen-Schutzimpfung von der Ständigen Impfkommission am Robert Koch-Institut (STIKO) für alle Kinder und Jugendliche empfohlen. Die Impfung erfolgt in zwei Dosen. Die erste Dosis wird in der Regel im Alter von elf bis 14 Monaten geimpft, und zwar entweder simultan mit der ersten Mumps-Masern-Röteln (MMR)-Impfung oder frühestens vier Wochen nach dieser. Es kann auch ein MMR-Varizellen (MMRV)-Kombinationsimpfstoff angewendet werden. Die zweite Dosis sollte im Alter von 15 bis 23 Monaten erfolgen. Der Mindestabstand zwischen zwei Dosen sollte vier bis sechs Wochen betragen.

Noch ungeimpfte Neun- bis 17-Jährige ohne Varizellenanamnese sollten möglichst bald geimpft werden, da die Erkrankung bei ihnen mit einer höheren Komplikationsrate einhergeht.


Symptomatik

Die Erkrankung beginnt mit juckendem Exanthem und Fieber (selten über 39°C) über drei bis fünf Tage. Die Hautläsionen, das Hauptmerkmal der Infektion, bestehen aus Papeln, Bläschen und Schorf in verschiedenen Entwicklungsstadien ("Sternenhimmel"). Diese Läsionen, die sich innerhalb kurzer Zeit zu Blasen entwickeln, erscheinen zuerst am Körperstamm und im Gesicht und können schnell auf andere Körperteile und auch auf Schleimhäute und die behaarte Kopfhaut übergreifen. Der Schweregrad kann sehr unterschiedlich sein, wobei sich bei kleineren Kindern meist weniger Bläschen ausbilden als bei älteren. Varizellen weisen in der Regel einen gutartigen Verlauf auf und heilen im Normalfall ohne Narben ab. Durch starkes Kratzen oder bakterielle Superinfektionen können Narben zurückbleiben.


Evaluation der Impfempfehlung

Die STIKO hat im Januar 2013 eine Evaluation der Impfung gegen Windpocken veröffentlicht. Danach hat sich die Datenlage zur Einschätzung der epidemiologischen Situation bei Varizellen und Herpes zoster seit der Impfempfehlung durch die STIKO im Jahr 2004 bzw. 2009 deutlich verbessert. Die vorliegenden Daten zeigen, dass die Impfziele der Varizellen-Impfempfehlung bisher im Wesentlichen erreicht wurden. Die vorliegenden Ergebnisse bestätigen den Erfolg einer generellen Varizellen-Impfung im Kindesalter mit den Nachholmöglichkeiten der Impfung bis zum 18. Lebensjahr. Der nachhaltige Erfolg der 2004 begonnen Impfstrategie (mit der Erweiterung auf zwei Impfungen seit 2009) wird wesentlich davon abhängen, wie engagiert die impfenden Ärzte die Varizellen-Impfung auch weiterhin empfehlen und umsetzen. Eine Verschiebung der Varizellen-Erkrankung ins Erwachsenenalter und damit eine Zunahme der Krankheitslast wird am sichersten dadurch vermieden, dass die Zirkulation des Wildvirus durch möglichst hohe Impfquoten eingedämmt wird. Der bisher beständige Anstieg der Varizellen-Impfquoten auf ca. 85% für die erste und 60% für die zweite Impfung muss sich daher weiter fortsetzen. Gegenwärtig sieht die STIKO keinen Bedarf einer Änderung der bestehenden Varizellen-Impfempfehlung im Kindesalter.


[Quelle: Varizellen (Windpocken) Ratgeber für Ärzte vom Robert Koch-Institut, Stand: Januar 2010; Epidemiol. Bulletin 1/2013]

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