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Grundlagen für neue Beratungskonzepte

Therapietreue und Medikationsmanagement

Patientenorientierte Dienstleistungen sind der wichtigste Zukunftstrend für die langfristige Entwicklung der Apotheken. Daher hatten die Veranstalter des Niedersächsischen Apothekertages am 8. und 9. Juni in Wolfsburg solche Themen auf die Tagesordnung gesetzt. Prof. Dr. Kurt Hersberger, Basel, und Karin Berger, Berlin, erklärten dort, wie die Compliance durch Maßnahmen in der Apotheke verbessert werden kann und wie ein Medikationsmanagement durchgeführt wird.
Karin Berger und Prof. Dr. Kurt Hersberger informierten beim Niedersächsischen Apothekertag über neue Wege für die Beratung und Betreuung in der Apotheke.
Foto: DAZ/tmb

Hersberger unterschied verschiedene Aspekte der Therapietreue. Compliance sei das Ausmaß, in dem das Verhalten des Patienten mit der abgesprochenen Therapieempfehlung übereinstimmt. Vielfach ist stattdessen der neuere Begriff Adherence gebräuchlich. Doch das größere Problem sei die Persistenz, d. h. die Zeitspanne, über die eine Therapie beibehalten wird. Denn es gibt viel mehr Patienten, die ganz mit der Einnahme aufhören, als Patienten, die die Einnahme nur schlecht ausführen, so Hersberger.

Eine unzureichende Compliance kann beabsichtigt oder unbeabsichtigt sein. Ursachen können in der Motivation oder Einstellung, aber auch in Handhabungsproblemen liegen.

Maßnahmen für die Compliance

Die wichtigste Einflussmöglichkeit der Apotheke sieht Hersberger in der Information, wobei der Erstbezug des Arzneimittels eine wesentliche Stellung einnimmt. Jeder Patient sollte sein Therapieziel und den Therapieplan kennen. In Großbritannien wird eine strukturierte Beratung zu einer neuen Medikation als "New Medicine Service" besonders honoriert. Im weiteren Verlauf der Behandlung kann die Compliance durch eine engmaschige Betreuung der Apotheke, auch mit Telefonaten, gesichert werden.

Eine besonders wichtige Maßnahme sei häufig, den Therapieplan zu vereinfachen, wofür allerdings eine Intervention des Arztes nötig ist. Der Apotheker sollte an diesen Aspekt denken, wenn der Patient fragt: "Muss ich das alles nehmen?" Oft auch ohne ärztliche Mitwirkung kann der Apotheker die Einnahmezeitpunkte optimieren. Denn häufig halten die Patienten mit großer Mühe unnötige Abstände ein.

Als sehr wichtig stuft Hersberger Applikationshilfen ein, beispielsweise zur Anwendung von Augentropfen, aber auch Tablettenteiler, von den Patienten selbst zu füllende Arzneikassetten oder den MediTimer (siehe DAZ Nr. 14, S. 68). Solche Hilfsmittel sollten sichtbar präsentiert werden, damit die Kunden davon erfahren. "Auch das gehört ins Schaufenster", empfahl Hersberger.

Formen der Medikationsanalyse

In der Schweiz können die Apotheken den Patienten, die ihre Arzneimittel nicht selbst zur Einnahme vorbereiten können, die Arzneimittel stellen und dafür der Krankenversicherung 20 Taxpunkte (21,60 Schweizer Franken; 1 Taxpunkt = 1,08 sfr) für drei Monate in Rechnung stellen. Hersberger berichtete über das manuelle Stellen in Dispensern oder in Blisterrollen. Dagegen werde die maschinelle Verblisterung in der Schweiz nur sehr selten angeboten.

Ein Bedarf für das Stellen der Arzneimittel wird bei einer Medikationsanalyse festgestellt. Grundsätzlich sind dabei zu unterscheiden:

  • einfache Medikationsanalysen aufgrund der Medikationsliste,
  • intermediäre Analysen im Gespräch mit dem Patienten und
  • klinische Analysen unter Einbeziehung von Labordaten.

Da einfache Analysen nach Aktenlage auch von Arzneimittelversendern durchgeführt werden können, steht in den öffentlichen Apotheken die intermediäre Analyse im Mittelpunkt, so Hersberger. In der Schweiz können die Apotheker für solche Medikationsanalysen bei Patienten mit Polymedikation 45 Taxpunkte (48,60 sfr) in Rechnung stellen. Dabei wird zu jedem Arzneimittel hinterfragt, wie und weshalb es angewendet wird, ob Handhabungsprobleme bestehen und ob es manchmal vergessen wird.

Trotz der Honorierung für Medikationsanalysen und für das Stellen werden diese Dienstleistungen von den Apotheken in der Schweiz nur wenig angeboten, berichtete Hersberger mit Bedauern.

Medikationsmanagement in der Praxis

Karin Berger ging ausführlicher auf das systematisch angelegte Medikationsmanagement ein. Anders als die übliche situationsbezogene Beratung oder der retrospektive Medikations- bzw. Interaktionscheck mit der Kundendatei sei das Medikationsmanagement prospektiv ausgerichtet. Es solle Probleme verhindern, bevor sie auftreten. Dabei wechselt die Perspektive von der Arzneimittelpackung zum gesamten Patienten. Doch "es gibt nicht das eine Medikationsmanagement", betonte Berger, sondern verschiedene Versionen und Intensitäten, die von den Rahmenbedingungen und der verfügbaren Datengrundlage abhängen. Daher sei es möglich, auf einer kleinen Stufe anzufangen.

Zunächst sollten die Einschlusskriterien für die Patienten festgelegt werden. Da die Zahl der arzneimittelbezogenen Probleme mit dem Patientenalter und der Zahl der Arzneimittel steigt, dürften Ältere mit Polymedikation den größten Nutzen haben. Berger empfahl, bereits auf dieser Stufe den Kontakt zu den Ärzten zu suchen und sich nicht erst beim Auftreten arzneimittelbezogener Probleme erstmals zu melden. Die Vorgehensweise sollte mit den Ärzten abgesprochen werden. Außerdem müssen die Kommunikationswege geklärt werden.

Die nächsten Vorbereitungsphasen sind die Identifizierung der Patienten und die Patientengewinnung, wobei die Patienten eine Einverständniserklärung zum Datenaustausch mit den Ärzten unterschreiben müssen.

Das eigentliche Medikationsmanagement beginnt meist mit der Betrachtung der "brown bag". Diese in amerikanischen Supermärkten übliche Tüte hat sich als Begriff für den Beutel mit allen Arzneimitteln eines Patienten eingebürgert. Beim ersten Medikationsgespräch werden alle Arzneimittel in einer vorläufigen Medikationsliste erfasst und erste Probleme identifiziert. "Es gibt viel mehr Probleme, als Sie denken", erklärte Berger.

Nach diesem Termin folgen die automatische und persönliche Prüfung der Arzneimitteltherapiesicherheit, die Bewertung und ggf. die Priorisierung der Probleme. Dann werden Lösungsvorschläge erarbeitet, dokumentiert und ggf. mit dem Arzt besprochen. Wenn auch Daten des Arztes einfließen, entsteht ein vollständiger Medikationsplan.

In einem weiteren Gespräch mit dem Patienten, vorzugsweise nach der ärztlichen Intervention, werden die Änderungen besprochen. Dies alles ist ein wiederholter Prozess, bei dem sich die Qualität der Medikation immer weiter verbessert.

Honorierung nötig

Berger empfahl, das ganze Team in die Vorbereitung der neuen Aufgabe einzubeziehen, damit sich die Sichtweise "von der Packung zum Patienten" verschiebt und alle Mitarbeiter auch den Nutzen für die Zukunft der Apotheke sehen. Für die Patientengespräche sei ein Beratungsraum nötig, außerdem sollten dafür unbedingt Termine vergeben werden. Abgesehen von einer möglichen kurzen Testphase müsse das Medikationsmanagement honoriert werden, weil es eine werthaltige Leistung ist und kostenlose Dienstleistungen spätere Verhandlungen mit Kostenträgern über die Honorierung erschweren würden. Der Preis sollte allerdings in verschiedenen Apotheken unterschiedlich sein, weil der Begriff des Medikationsmanagements weit gefasst ist und der Umfang der Leistungen daher verschieden sein wird, so Berger.

In der Diskussion wurde zudem betont, dass eine Leistung, die die Zukunft der Apotheken sichern soll, nicht nur einen Deckungsbeitrag, sondern eine Gewinnspanne liefern müsse.


tmb


Lesen Sie zum Niedersächsischen Apothekertag auch folgende Beiträge, die in DAZ Nr. 24 erschienen sind:


Schmidt zur Berufspolitik: Nach der Honorarrunde ist vor der Honorarrunde


Apotheken: Flächendeckende Leistungen, Patientenorientierung und neue Honoraransätze


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